XX. Der junge Kuhhirt.

[99] Als ich ein Mäulchen versuchte, verlachte mich drüber Eunika,

Und mit schmähenden Worten erwidert' sie: Geh mir vom Leibe,

Unverschämter! Mich küssen, ein Kuhhirt, willst du? Nicht lernt' ich

Bauerngeschmatz', ich versteh' nur städtische Lippen zu drücken;

Auch im Traume nicht sollst du dem blühenden Munde mir nahen!

Welch ein Gesicht das ist und Geschwätz! was für tölpische Späße!

Wie du so weich aussprichst! welch kosende Worte du redest!

Wie ist so zierlich dein Bart, wie lieblich das Haar dir herabfließt!

Lippen da hast du voll Schrunden, und schwarz sind die Hände gebrannt dir.

Schlimm auch ist der Geruch; drum packe dich, mich nicht besudelt!

Also redete jene und spützt' in den Busen sich dreimal,

Musterte mich vom Kopfe hinab zu den Füßen der Läng' nach,

Pustet' dazu mit den Lippen und, seitwärts gehalten die Augen,

That sie mit ihrer Gestalt gar jüngferlich, und mit verzog'nem

Munde verhöhnte sie mich hochmütig; da kochte das Blut mir

Und rot ward mein Gesicht aus Schmerz wie die Rose vom Frühtau.

Sie ließ stehn mich und ging; ich trage im Herzen den Grimm nach,

Daß mich Hübschen so boshaft gehudelt die hämische Dirne.

Sagt mir, bin ich nicht schön, ihr Hirten? o sagt mir die Wahrheit:

Hat mich plötzlich ein Gott zum anderen Menschen verwandelt?

Früher umblühte mich doch so etwas von reizender Anmut,

Gleich wie Epheu den Strunk, und hüllte die Wang' in Geringel,

Und wie Eppich umflossen die lockigen Haar' mir die Schläfen;[100]

Schneeweiß glänzte die Stirn hoch über den dunkelen Brauen,

Blauer noch strahlte mein Aug' als der bläulichgeaugeten Pallas,

Süßer als Milchklöß' war mein Mund, und süßer zum Munde

Floß mir die Stimme heraus, als Honig entfließet den Waben.

Lieblich ist meine Musik, mag auf der Syringe ich blasen,

Mag ich spielen die Flöte, das Schilfrohr oder die Querpfeif'.

Schön auch nennet mich alles, was in dem Gebirge an Weibern,

Alle auch küssen mich; einzig das städtische Dinglein da will nicht,

Sondern ging an mir vorbei und hörte nicht, weil ich ein Kuhhirt.

[Hat Dionysos, der Schöne, doch Kälber geweidet im Thalgrund!]

Weiß sie nicht, daß auch Kypris um einen der Hirten geschmachtet,

Und auf phrygischen Bergen die Hirtin gemacht, den Adonis

Küssend im Eichenwald, und im Eichenwald ihn beweinend?

Dann der Endymion, wer? war Hirt er nicht, welchen Selene

Als Kuhhüter geliebt und drum, vom Olympos gestiegen,

Kam zum latmischen Thal und schlummerte neben dem Jüngling?

Kuhhirt! – ist er's nicht auch, dem Rhea weinet? und strichest,

Zeus, als Vogel du nicht um den kühaustreibenden Knaben?

Nur die Eunika versagte dem Hüter der Kühe die Lippen:

Traun, sie ist mehr als Kypris, als Kybele oder Selene!

Küß denn nimmer den Liebsten, o Kypris, je auf den Bergen,

Noch in der Stadt, und schlaf' hübsch einsam hinfort in den Nächten!


N.

Quelle:
Theokritos: Idyllen. In: Theokritos, Bion und Moschos, Stuttgart 1883, S. 99-101.
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