Sechste Szene

[466] SCHAFFNER außen. Trudering! Tru-de-ring!

SCHEIBLER. Zugführer!

ZUGFÜHRER hinter der Szene. Glei! Glei!

SCHAFFNER außen. Tru-de-ring!

ZUGFÜHRER erscheint am Fenster. Wünschen Herr Ministerialrat?

SCHEIBLER erregt auf Gsottmaier und Filser deutend. Wie kommen die beiden Menschen in erste Klasse? Ich verlange ...

ZUGFÜHRER will Scheibler beschwichtigen und winkt mit der Hand. Pst! Pst!

SCHEIBLER. Ich verlange, daß Sie kontrollieren.

FILSER schreiend. Kontrollier no grad!

ZUGFÜHRER. Herr Ministerialrat ...

SCHEIBLER. Ich verlange es auf der Stelle.

ZUGFÜHRER hält die Hand vor den Mund; sehr eindringlich. Herr Ministerialrat ... dös is ja der Herr Abgeordnete Filser.

SCHEIBLER erschrocken. Wa ...?

ZUGFÜHRER. Ja!

SCHEIBLER räuspert sich stark. Hem! Ja ... ich danke ... ich danke. Der Zugführer ab. Die Rekruten hinter der Szene singen das Lied. Ring hamm ma'r aa an die Finga, mir san de luschtinga Truderinga! Von Scheibler setzt sich verlegen nieder.

STÜVE. Was is nu mit der Kontrolle?

SCHEIBLER. Es ist in Ordnung.

STÜVE. Wieso in Ordnung?

SCHEIBLER. Es ist in Ordnung, sage ich Ihnen.

STÜVE. Er hat aber doch nich ...

SCHEIBLER ärgerlich. Was kümmert denn das mich? Überhaupt, Auf Gsottmaier und Filser deutend. wenn Sie sich mit den Herren unterhalten, müssen Sie sich gefallen lassen, daß sie Ihnen antworten.[466]

STÜVE. Sie finden, daß ... äh ... daß ...

SCHEIBLER sehr bestimmt. Ja. Der Zug setzt sich in Bewegung. Pfeifen. Die Rekruten singen noch lauter. Ring hamm ma'r an die Finga ... mir san de luschtinga Truderinga!

STÜVE. Sie finden ... jetzt, daß ... äh ... diese Leute ...

SCHEIBLER. Ach, lassen Sie mich zufrieden! Die Herren wollen doch gar nichts von Ihnen. Kleine Pause. Gsottmaier pfeift leise durch die Zähne, zwinkert Filser zu. Filser antwortet ebenso.

SCHEIBLER räuspert sich; zu Filser. Ich möchte ... hem ... den Herren sagen, daß ich ... hem ... den Irrtum von vorhin ... hem ... bedaure ... Es war ... hem ... wirklich nur 'n Irrtum.

FILSER gemütlich. Nix für unguat! Mir hamm halt a bissel insern G'spaß g'habt ...

SCHEIBLER. Nu natürlich!

FILSER. Und beleidinga hamm mi Eahna gar it woll'n.

SCHEIBLER. Das weiß ich doch ...

FILSER. Also nacha hamm mir anand nix in übi.

SCHEIBLER freundlichst lächelnd. Aber durchaus nicht!

GSOTTMAIER. Mir san halt Bauern, net? Und bal mir aa net so fein daherred'n kinna als wia d' Stadtleut, net, desweg'n san mir do richtige Leut, net?

SCHEIBLER. Es schätzt niemand den Bauernstand höher wie ich ...

GSOTTMAIER sein Schmalzlerglas ziehend. No also, nacha! Mög'n S' aa'r a Pris?

SCHEIBLER. Ich will's mal versuchen. Ist es Schmalzler, nich wahr?

FILSER. A guata! Nummera oans! Scheibler versucht Tabak auf die Hand zu schütten. So ... a paarmal hi'hau'n, und jetz aufi damit! Scheibler schnupft.

STÜVE sich anbiedernd. Vielleicht lassen Sie mich auch mal probieren.

GSOTTMAIER. No, gengan S' halt her, Sie Preiß! Er schüttet Tabak auf Stüves Hand. Sie bringa dös Eahna Lebtag it z'samm!

STÜVE zu Scheibler. Die Leute sind eigentlich ganz gemütlich. Er schnupft. Furchtbar harmlos.

SCHEIBLER. Wissen Sie das erst seit heute?

STÜVE. Na ... ich meine nur ... hm ... ha ... ha ... hm ... man versteht ja nich jedes Wort ... äh ...[467]

SCHEIBLER. Dann müssen Sie sich eben bemühen, den Dialekt zu verstehn ...

STÜVE. Ich spreche ja ganz gut bayer'sch, aber hm ... ha ... ha ...

FILSER zu Scheibler. Laß ma's guat sei; er red't halt aa, wia'r er 's vasteht.

GSOTTMAIER. Er muaß ja a scharf's Mäuwerk hamm, sinscht vakafft er ja gar nix!

STÜVE. Vielleicht mach'n wir noch 'n Geschäft zusammen?

FILSER. Na – na! Und bal i möcht', mög'n meine Küah net.

GSOTTMAIER. No, oa Kaibl hätt' i; dös plärrt an ganz'n Tag. Dös kunnt'n ma vielleicht zu an Preiß'n macha. Filser, Gsottmaier lachen herzhaft; Scheibler stimmt ein; auch Stüve lacht.

FRAU VON KLEEWITZ. Fred!

KLEEWITZ. Lo!

FRAU VON KLEEWITZ. Verstehst du das?

KLEEWITZ. Nee!

SCHEIBLER zu Filser. Die Parlamentssession geht schon morgen an?

FILSER. Freili, regier'n ma wieder amal; in d'Händ g'spieb'n is schon. Woll'n ma halt schaug'n, was S' für a Fleißbillett kriag'n in Ministeri.

SCHEIBLER jovial. Wir werden uns gut verstehen.

FILSER. Ja, mei Liaba, a bißl streng müass'n ma scho sei. G'rad daß a Reschpekt vorhand'n is.

SCHEIBLER verlegen lachend. Nu ja ... hm ... hm ... nu ... ja!

FILSER jovial. No, mir san scho z'fried'n mit'n Ministeri; sie tean ja, was ma woll'n, aba luck lass'n derf ma halt do net, sinscht kunnt'n s' oan auskemma.

GSOTTMAIER. Du werscht wieda was z'sammregier'n, du Hoderlump, du abscheilinga!

FILSER. So regier'n ma scho, daß ös brav zahl'n müaßt's.

GSOTTMAIER. Dös ham ma g'spannt.

FILSER. No grad Steuern zahln, daß enk 's Geld net stinkat werd.

GSOTTMAIER ernster. Du – du – Filser, laß dir sag'n; mit'n Bier müaßt's staad toa, sunst derlebt's was.

SCHEIBLER. Das müßt Ihr richtig verstehn – die Herren haben da keine leichte Aufgabe.[468]

GSOTTMAIER grob. Mir a net mit'n Zahl'n.

FILSER zu Gsottmaier. Paß auf, laß da sag'n: mir halt'n scho zruck. Auf von Scheibler zeigend. Aufbessert werd nix mehr.

GSOTTMAIER. Hoffentli, daß ma net's Hemad a no hergeb'n müaß'n für die Beamt'n.

SCHEIBLER verlegen lachend. Mein lieber Mann ...

FILSER einfallend. Nixi – Nixi! Dös is gar wor'n. Reibt den Daumen am Zeigefinger. Da gibt's nix mehr.

SCHEIBLER verlegen. Aber Herr Abgeordneter ...

FILSER energisch. Aus is, sag i. Tuat ma leid, aba i kann nix mehr genehmigen.

GSOTTMAIER zu Filser. Jetzt g'fallst ma.

FILSER. Gel? Da kennst mi schlecht, balst moanst, i bin grad zum »Ja« sag'n drinn. Bai i amal nimma mag, is gar wor'n, da bin i hart mit der Regierung.

SCHEIBLER jovial. Na – Herr Abgeordneter ...

FILSER. Nixi! Tuat ma leid, aber ös habt's scho gnua kriagt.

SCHEIBLER. Sie haben ja vollkommen recht ...

FILSER. Dös hab i aa.

SCHEIBLER. Kommen wieder alle Herrn gesund zurück?

FILSER. G'sund und schö rausg'fress'n, die Pfarrer wern sie wieder schön g'leibt hab'n.

SCHEIBLER. Das hört man gerne.

GSOTTMAIER. Jetzt kinnt's wieda was aushalt'n.

FILSER. Brauchst scho a G'sundheit: zehn Monat lang nix wia dischkuriern.

GSOTTMAIER. Müaßt's halt guat schmieren, daß enk's Mäu net hoaß lauft.

FILSER. Dös g'schiecht scho. No, a paar hamm ma schon dabei, dö kinna net ausrinna. Bai dö anfanga, spitz'n s' im Ministeri, Zu von Scheibler. geln S'?

SCHEIBLER. Hm. Nun ja ... hm ...

FILSER zu von Scheibler. Es san wieder oa scharf g'lad'n, hab i g'hört. Ös werd's enk wieder z'samma nehma müaß'n.

SCHEIBLER. Nun ja ... hm ... hm ...

FILSER. Daß's koan reißt. Es hänga a paar Wetta umanand.

GSOTTMAIER. Da stech'n dö Pfarrer ...

FILSER. Wia die Weps'n.

SCHEIBLER. Jedenfalls werden wir alle viel Arbeit finden.[469]

FILSER. A bluatige Arbeit!

GSOTTMAIER. Warum geh'st denn nei, bal's di net freut?

FILSER. Ja, no, bal's oan braucha, ko'st d' aa net a so sei.

SCHEIBLER. Das ist das richtige Wort!

GSOTTMAIER. Geh, hör auf, Seppi! Du bischt ja grad froh, daß d' vo deiner Alt'n los bischt.

FILSER. No, eppas Guats muaß aa dabei sei! Beide lachen.

FILSER. Na, derfst 'as glaab'n, mi hamm viel z'toa. Heuer woll'n s' wieda a paar schpringa lass'n von Ministeri.

SCHEIBLER. Wie?

FILSER. Daß a paar schpringa müass'n von Ministeri. Zu Scheibler. Hamm S' nix vanumma?

SCHEIBLER verlegen. Ich ... äh – wüßte nicht, daß einer von den Herren amtsmüde wäre.

FILSER. Auf d' Müadigkeit kimmt's net o. Vo dera Arbet muaß oana oft bei da bescht'n Kraft weggeh'.

GSOTTMAIER. Habt's wieda was in Sinn, han?

FILSER. Na, na, i net. Und vielleicht, daß ma wieda gnädig is aa. De andern san aa ganz g'führige Leut, – Zu Scheibler. dös müassen S' selm sag'n.

SCHEIBLER verlegen. Ja – ja.

FILSER. Und bal ma siecht, daß s' oan sein Will'n tean, nacha lass'n mir scho wieder red'n aa mit ins. Net?

SCHEIBLER. Ja – ja.

GSOTTMAIER. Aba a diam seid's bäri auf de Großkopfet'n?

FILSER. Bal s' krauti wer'n, müaß' ma scho. No, da hoaßt's halt, schtaad sei oder schpringa.

GSOTTMAIER. Da zahnan s'? Han?

FILSER. Ja, da wer'n s' katholisch! Beide lachen ausgelassen. Zu Scheibler. A diam mög'n S' ins scho gar net, gel?

SCHEIBLER. Hm ... ja ... wenn das Ihre Überzeugung ist ....

FILSER. Na ... na! A diam schaugn s' ins scho o üba d' Brill'n, daß ma's halt kennt: beiß'n tat'n s' gern. Filser und Gsottmaier laden, von Scheibler stimmt verlegen ein.

GSOTTMAIER. Bai s' kunnt'n! Ha ... ha ... ha!

FILSER. Und net o'g'hängt waar'n! Ha ... ha ... ha! Der Zug hält. Man hört den Schaffner rufen. Ost- bahn-hof! Mün-chen Ost-bahn-hof!

GSOTTMAIER. Halt! Da muaß i aussteig'n![470]

FILSER. I aa. Steht auf und pfeift durch die Finger zum Fenster hinaus. Aufmacha!

SCHEIBLER. Das geht so auch. Er öffnet die Türe von innen. Lassen Sie nur, Herr Abgeordneter, ich reiche Ihnen die Sachen schon hinaus.

FILSER. Geh zua, Gsottmoar. Gsottmaier geht zuerst hinaus.

GSOTTMAIER. S' Good beinand!

FILSER. Also, pfüad Good!

SCHEIBLER während Filser hinaussteigt. Gut'n Tag! Adieu! Und nich wahr, Herr Abgeordneter, der Irrtum ...

FILSER sich umdrehend. Is scho recht. Dös hon i scho lang vagess'n. Er steht nun außen und spricht zum Wagen herein. Da drob'n waar mei Kuffa. Von Scheibler holt den Koffer mühsam aus dem Netz.

SCHEIBLER. So! Hier ist er.

FILSER. Dank schö! Und san S' so guat, meine Oar!

SCHEIBLER den Korb nehmend. Das sind die?

FILSER. De san's.

SCHEIBLER den Korb vorsichtig hinausreichend. Hoffentlich ist keines zerbrochen.

FILSER. Auf oans gang's it z'samm. Dank schö. Also, pfüad Good!

SCHEIBLER. Und nich wahr ... den Irrtum ...

FILSER. Ah was, dös bekümmert mi gar nix.

SCHEIBLER. Dann adieu.

FILSER im Abgehen; schreit. Gsottmoar, halt a wengl.

DIE REKRUTEN , die auch ausgestiegen sind, singen lärmend. Ring hamm ma'r aa an die Finga, mir san de luschtinga Trudaringa!


Während des Gesanges fällt der Vorhang.


Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 2, München 1968, S. 466-471.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Bunte Steine. Ein Festgeschenk 1852

Bunte Steine. Ein Festgeschenk 1852

Noch in der Berufungsphase zum Schulrat veröffentlicht Stifter 1853 seine Sammlung von sechs Erzählungen »Bunte Steine«. In der berühmten Vorrede bekennt er, Dichtung sei für ihn nach der Religion das Höchste auf Erden. Das sanfte Gesetz des natürlichen Lebens schwebt über der idyllischen Welt seiner Erzählungen, in denen überraschende Gefahren und ausweglose Situationen lauern, denen nur durch das sittlich Notwendige zu entkommen ist.

230 Seiten, 9.60 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon