Vierte Szene


[394] Die Türe in der Mitte wird halb geöffnet, und man hört die laute und fröhliche Stimme von Cölestine Giselius, die sogleich eintritt und unter der Türe nach rückwärts spricht.


CÖLESTINE trägt einen Blumenstrauß. Es ist nit notwendig, Babettche, ich dank vielmals; ich werd schon was finde, wo ich den Strauß nei steck. Ganz eintretend, zu Frau Giselius. Gute Morche, Tildche! Ei, wo is denn unser Geburtstagskind, daß ich mein Glückwunsch anbring?

FRAU GISELIUS ihr entgegengehend. In der Stadt, Stinche. Nei, was du wieder für Geld ausgegebe hast. Nimmt ihr den Strauß ab. Den stelle mir aber in die Mitt. Sie nimmt eine Vase, die auf dem Flügel steht, steckt den Strauß hinein und stellt ihn auf den Tisch.

CÖLESTINE sieht den Professor, der hinter seiner Zeitung steckt. Mit einem Knicks. Allerergebenst, Herr Geheimrat!

PROFESSOR GISELIUS ohne auszusehen. Guten Morgen![394]

CÖLESTINE zu Frau Giselius. Was macht se denn in der Stadt?

FRAU GISELIUS. Sie muß was besorge; wahr scheinlich will sie uns auch e Präsent mache.

CÖLESTINE. Zur Feier des Tags? Nei, wann ich denk, daß der klei Spatz heut zwanzig Jahr alt werd! Ich mein immer noch, ich muß sie im kurze Rock sehe.

FRAU GISELIUS. Es ist fast schad, Stinche.

CÖLESTINE. Und jetzt werd se euch bald aus'm Nescht fliege.

FRAU GISELIUS. Da is noch gar kei Aussicht!

CÖLESTINE. Du, glaub das net! Vor du guckst, is se weg.

FRAU GISELIUS. Wann's ebe sei muß ...

CÖLESTINE. Ich muß d'r doch was erzähle ... Sieht nach Professor Giselius, der in seine Zeitung vertieft ist. Ich wollt scho vorgescht're, aber du warscht net daheem. Mit dem Kopf auf Giselius deutend. Un mit dem do kann m'r doch über nix Gescheidt's redde.

FRAU GISELIUS neugierig. Von Lottche was?

CÖLESTINE. Hör als zu! Am Samstag wart 'r doch auf'm Kränzche bei Nonebergs. Isch d'r da nix aufgefalle?

FRAU GISELIUS nachdenkend. N-nei.

CÖLESTINE. Ei, mir hat doch die Musovius erzählt, daß en neugebackener Privatdozent beim Lottche die Kur geschnitte hat.

FRAU GISELIUS. Ach, die hört's Gras wachse.

CÖLESTINE eifrig. Gib nor acht! Ich bin also gescht're zum Kaffee wieder bei d'r Musovius, un auf emol kommt en B'such, en junger Mensch un macht ei eckich Kompliment nach dem annere, un wie mir'n endlich glücklich in ein Stuhl drin hawwe, pischpert mir die Musovius ins Ohr: Du, das isch er ...

FRAU GISELIUS gespannt. Der ...?

CÖLESTINE. Deim Lottche die Kur geschnitte hat.

FRAU GISELIUS. Wie sieht er dann aus?

CÖLESTINE. Wie se halt aussehe. Mit dem Kopf nach Giselius deutend. Und mit die Gedanke immer wo anders.

FRAU GISELIUS. Ich kann mir gar net denke ...

CÖLESTINE. Er werd wohl net sehr stürmisch gewese sei. Du weißt ja, wie die Gattung Nach dem Professor hin nickend. die Kur macht.

FRAU GISELIUS. Ich hab' wohl gesehe, wie so e junger Mann unserm Lottche e Limonad gebracht hat ...[395]

CÖLESTINE. Das is viel.

FRAU GISELIUS. Aber getanzt hat'r net mit ihr.

CÖLESTINE. Er werd vielleicht net könne; aber hör' zu. Die Musovius bringt natierlich möglichscht bald 's Gespräch drauf, daß ich die Tant bin von Fräulein Giselius, und da werd er rot, wie e Institutmädche und fangt en ganz vernünftige Dischkurs an, wie's ihr geht, und ob sie gut heimgekomme isch vom Kränzche, und halt so weiter, fascht wie e normaler Mensch ...

FRAU GISELIUS. Guck emol!

CÖLESTINE. Und ich hab'n bißche aufgemuntert und hab' auch in's Gespräch ei'fließe lasse, wie m'r nächschtens den Geburtstag von unserem Lottche feiern. Da könne Sie sich e bißche angenehm erweise, sagt die Musovius, und er sagt, er muß so bald Auf Giselius hinüber nickend. unserer Kapazität do sein Antrittsbesuch mache.

FRAU GISELIUS. Is er auch Jurist?

CÖLESTINE. Nei. Er isch Zoolog.

FRAU GISELIUS. Zoolog? Sie fängt herzlich zu lachen an.

CÖLESTINE. Ei, was hoscht du dann?

FRAU GISELIUS setzt sich auf einen Stuhl und lacht ausgelassen weiter. Ich muß mich setze.

CÖLESTINE. Was amüsiert dich dann so?

FRAU GISELIUS. Ich erzähl dir's schon, Stinche; laß mich nur erst Luft kriege! Zoolog is'r! Lacht auf ein neues. Wann du hörst, was mir für e Debatt geführt hawwe, du lachst dich krank ...

CÖLESTINE zu Giselius hin nickend. Mit d'r Kapazität?

FRAU GISELIUS. Natierlich! Du glaubst net, was der für Mücke im Kopf hat!

CÖLESTINE. Ich kann mir's denke.

FRAU GISELIUS. Nei, auf des kommscht du deiner Lebtag net. Un ... Wieder in Lachen ausbrechend. un von der Zoologie is auch die Red ...

CÖLESTINE neugierig. Mach e bißche zu!

FRAU GISELIUS. Du, was die für e Roll spielt in meim Lebe! Lacht.

PROFESSOR GISELIUS über seine Zeitung weg. Was bedeutet dieser Heiterkeitsausbruch?

FRAU GISELIUS. Ich will grad erzähle, was für väterliche Pflichte[396] du entdeckt hast.

PROFESSOR GISELIUS aufstehend. Das ist doch eine Frage, die nur zwischen dir und mir Sich besinnend. aber – ja! Gut, meine Schwester soll ihre Meinung sagen; sie könnte in gewisser Beziehung sogar authentisch darüber urteilen.

CÖLESTINE. Was wollt'r von mir?

FRAU GISELIUS eifrig. Also, unser Lottche ...

PROFESSOR GISELIUS. Nein, ich bestehe darauf, daß ich das ... Problem unserer Cölestine vortrage.

FRAU GISELIUS. Ich hab jetzt scho angefange ...

PROFESSOR GISELIUS. Und ich habe bestimmte Gründe, warum ich selbst zunächst einige Fragen stellen will. Wir wollen hier ad hominem demonstrieren.

FRAU GISELIUS zu Cölestine. Du kannst dich freue.

CÖLESTINE neugierig. So macht doch zu!

PROFESSOR GISELIUS. Gerade mit dir kann ich das ad hominem demonstrieren.

CÖLESTINE. Es wär' doch g'scheidter, wann Tildche ...

PROFESSOR GISELIUS nötigt Cölestine in einen Stuhl, schlägt die Arme übereinander und spricht in lehrhaftem Tone. Du wirst mir den Gefallen tun, nicht wahr, Cölestine, logisch zu folgern und präzis zu antworten?

CÖLESTINE resigniert. In Gottes Name!

PROFESSOR GISELIUS. Und insbesondere möchte ich dich ersuchen, nicht vom Hauptgedanken abzuirren, wie das nun einmal leider der weibliche Fehler ist ...

CÖLESTINE. Und ich möcht dich insbesondere gebete hawwe ...

FRAU GISELIUS. Halt dich am Stuhl fescht, Stinche!

PROFESSOR GISELIUS sich unwillig räuspernd. Du bist zwar schon ziemlich bei Jahren, Cölestine, aber noch im status quo ante, ich meine ...

CÖLESTINE. Daß ich sitze gebliewe bin ...

PROFESSOR GISELIUS. Daß du im eigentlichen Sinne Mädchen bist. Was wollte ich sagen? Ja. Nehmen wir an, es würde dich jemand zur Frau begehren.

CÖLESTINE. I, wo werd eener!

PROFESSOR GISELIUS. Als Hypothese angeführt, es würde ein Mann um dich werben ...

CÖLESTINE. Das gibt's nimmer.[397]

PROFESSOR GISELIUS ungeduldig. Natürlich gibt es das nicht mehr. Aber konditionaliter, wenn es so wäre, – würdest du nicht doch froh sein, wenn dir eine geeignete Persönlichkeit Aufschlüsse erteilen würde?

CÖLESTINE. Von dir möcht' ich gewiß kei'.

PROFESSOR GISELIUS. Ich rede doch ganz im allgemeinen ...

CÖLESTINE. Ei, du bischt doch der letzt, den m'r um so was fragt!

PROFESSOR GISELIUS sehr ungeduldig. Kannst du einen Gedanken nicht vom Persönlichen losschälen? Wer spricht denn von mir?

FRAU GISELIUS. Du selber.

PROFESSOR GISELIUS. Ich?

FRAU GISELIUS. Du willst doch deiner ganze Verwandschaft Instruktione gewe. Denk dir nur, Stinche, er is wie drauf versesse.

CÖLESTINE. Ja, sag mir nur g'rad, wie du auf so Idee kommscht? Biet' er sich an, er will mir Aufschluß erteile!

PROFESSOR GISELIUS verzweifelt. Aber ...

CÖLESTINE. Ich dank d'r recht schö für'n gute Wille.

PROFESSOR GISELIUS. Aber ...

FRAU GISELIUS. Un die nämlich G'fälligkeit will er unserm Lottche erweise ...

CÖLESTINE mit lustiger Entrüstung. Hör emol, das geht über'n Spaß!

PROFESSOR GISELIUS. Ich bitte mir endlich Ruhe aus, und daß man hier nicht von einem Spaß spricht!

CÖLESTINE. Ernst kann doch so was net sei! Ich wenigstens verbitt mir dei Aufschlüss'.

PROFESSOR GISELIUS. Es ist Ernst, und wenn du mich ruhig angehört hättest, dann wäre ich vielleicht gerade durch dich in meinem Vorhaben bestärkt worden.

CÖLESTINE. Durch mich?

PROFESSOR GISELIUS. Aber natürlich, man begegnet bei euch stets einem Widerspruch oder schlechthin der Unmöglichkeit den eigenen Vorteil zu erkennen.

CÖLESTINE zu Frau Giselius. Was hat 'r denn heut?

PROFESSOR GISELIUS. Propter imbecillitatem sexus, wie die Römer zutreffend sagten. Wegen der angebotenen Schwäche[398] des weiblichen Geschlechtes!

FRAU GISELIUS. Du, mir wolle heut vergnügt sei. Komm nur net ins Deklamiere!

PROFESSOR GISELIUS deklamierend. Ist es nicht unerhört, daß man in einem nützlichen Bestreben von den nächst beteiligten Personen gehindert werden soll? Aber ich sagte schon, daß es sich auf meiner Seite um eine Pflicht handelt, um eine Tätigkeit sohin ...

FRAU GISELIUS. Stinche, drei Wort! Weil unser Lottche heut zwanzig Jahr alt is, will er ihr ... nu ja, du hascht's ja gehört. Er glaubt felsefest, daß ... Lispelt ihrer Schwägerin in die Ohren.

CÖLESTINE. Ach, du lieber Gott! Beide lachen ausgelassen.

FRAU GISELIUS. Er laßt sich's net nehme.

CÖLESTINE lacht wieder. Otto!

PROFESSOR GISELIUS. Ich soll wieder was hören von Ahnungen? Aber ich erkläre hiemit ausdrücklich ...

FRAU GISELIUS. Tu, was du net lasse kannscht! 's Lottche wird dich hoffentlich brav auslache, aber das sag' ich dir, heut darfst du mir das Privatissimum net lese.

PROFESSOR GISELIUS. Ich sehe den Grund nicht ein. Gerade heute ...

FRAU GISELIUS. Nei, und heut is emol Feschttag ...

PROFESSOR GISELIUS. Aber ...

FRAU GISELIUS. Un morge heirat sie noch net ... Sich plötzlich an etwas erinnernd, lustig. ... Übrigens, was hat mir denn Stinche erzählt? Denk dir nur, du kannscht dir wahrscheinlich die Arbeit spare ...

PROFESSOR GISELIUS verständnislos. Hm?

FRAU GISELIUS. Mir hawwe Aussicht, daß mir en Zoologe als Schwiegersohn kriege.

PROFESSOR GISELIUS. Wieso?

FRAU GISELIUS. Gelt, Stinche?

CÖLESTINE. Wann mich net alles täuscht ...

FRAU GISELIUS. Und wann unser Lottche will ...

CÖLESTINE. Un du auch e bißche gescheit bischt ...

PROFESSOR GISELIUS. Ich verstehe nicht. Ist denn der Kollege Siebenkäs Witwer geworden?

CÖLESTINE. Wer redt denn von dem alte Scheps?[399]

FRAU GISELIUS. Nei, e junger, netter Mensch, der sich grad erscht habilitiert hat ...

CÖLESTINE. Und bis über die Ohre in dei Tochter verliebt is ...

PROFESSOR GISELIUS nachdenklich. Ein Zoologe?

FRAU GISELIUS. Freilich, un sehr tüchtig; was m'r hört. Dem Mann brauchst du doch net vorzugreife!

CÖLESTINE zu Frau Giselius. Ich versteh als net ...

FRAU GISELIUS. Ich erzähl dir's dann.

PROFESSOR GISELIUS nachdenklich. Hm-ja ... in gewisser Beziehung wären hier Kautelen gegeben, wenngleich die Frage offen bleibt ...

FRAU GISELIUS. Denk doch an dein Lehrmeister, Busäus!

CÖLESTINE neugierig. Was isch denn?

FRAU GISELIUS winkt ihr lustig ab.

PROFESSOR GISELIUS. Wenngleich die Frage offen bleibt, ob man generaliter annehmen darf ... Zu seiner Frau. Wann soll die Vermählung stattfinden?

FRAU GISELIUS. Wart doch e bißche ...

CÖLESTINE. Ob's 'm Lottche recht is ...

FRAU GISELIUS. Und bis er sich unser Einwilligung geholt hat.

PROFESSOR GISELIUS zerstreut. N-ja. Und vor der Erteilung des väterlichen Konsenses könnte immerhin noch Klarheit über diese Dinge verlangt werden.

FRAU GISELIUS begütigend. Freilich kannscht du das ...

PROFESSOR GISELIUS. In der Form, daß das rechtsgültige Verlöbnis unter einer Suspensiv-Bedingung abzuschließen wäre ...

FRAU GISELIUS gemütlich. No freilich, so machscht du's. Professor Giselius setzt sich in den Lehnstuhl. Frau Giselius zwinkert ihrer Schwägerin lustig zu, die zu ihr herantritt und halblaut spricht.

CÖLESTINE drängend. Jetzt sag mir nur um Gotteswille, was Ihr mit der Zoologie habt? Ich brenn scho darauf.

FRAU GISELIUS. Hascht du den alte Busäus gekennt?

CÖLESTINE. Wo wer ich net?

FRAU GISELIUS. Dem Mann verdank ich mei Lebensglück, Stinche. Cölestine sieht sie fragend an; Frau Giselius flüstert ihr hinter der vorgehaltenen Hand in die Ohren, wobei sie einige Male nach ihrem Mann hinsieht, der wieder in die Lektüre der Zeitung vertieft ist. Kleine Pause. Beide Frauen brechen[400] in herzhaftes Lachen aus.

CÖLESTINE. Dem verdankscht du freilich viel.

FRAU GISELIUS. Stell dir bloß vor ...

CÖLESTINE. Wann der Mann net gewese wäre! Beide lachen wieder. Babette tritt ein durch die Mitteltüre.


Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 2, München 1968, S. 394-401.
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