Erste Szene


[9] Thomas Mayr tritt von rechts langsam ein, in Hemdsärmeln. Er hat die blaue Arbeitsschürze vorgebunden und aufgeschlagen. Er nimmt seinen Hut ab und hängt ihn an einen Haken des Kleiderrahmens. Mariann hebt etwas müde den Kopf und lächelt ihm zu.


MARIANN. Bist du da, Thomas?

THOMAS. Amal nachschaug'n, wia's dir geht.

MARIANN. Daß du weg'n meiner von der Arbet weggehst?

THOMAS. I ko di net allaweil alloa lass'n.

MARIANN. Dös hätt's net braucht. Kummt ja d' Nachbarin fleißig rüber.

THOMAS. No ja, es treibt mi halt hoam.

MARIANN. D' Nachbarin sagt, im Stall is all's in Richtigkeit, und an Gart'n hat s' mir aa 'gossen. Sie is scho a guat's Leut.

THOMAS. Ja – ja.[9]

MARIANN. Wia steht's denn im Feld drauß'n? Kimmt d' Gerst'n guat rei?

THOMAS. Net b'sunders; an Hagel spürt ma stark.

MARIANN. Dös is arg.

THOMAS. Von mir aus! Was frag i danach?

MARIANN. Geh weiter! Was host d' denn?

THOMAS. I sag's, wia's is; dös bekümmert mi ganz wenig.

MARIANN. So muaßt d' net red'n; du bist ja sunst net so g'wesen.

THOMAS. Sunst! Ablenkend. Und was machst denn du? Geht's a bissel leichter mit'n Schnauf'n?

MARIANN. M – m – es is allaweil dös gleiche.

THOMAS. Hat der Dokta nix g'sagt, daß er dir helfa ko?

MARIANN. Er red't halt so rum, weil er mir d' Wahrheit net sag'n mag. Pause.


Thomas setzt sich auf die Bank vor den Ofen, legt die Arme auf die Knie und schaut vor sich hin, dann wendet er sich Mariann zu.


THOMAS bekümmert. Muatta, moanst d', du werst gar nimma?

MARIANN schlicht. Na, Thomas. Und es is g'scheiter aa, wenn's bald z' End geht. Schau, was is denn? Zu der Arbet taug i do nix mehr, und i mach dir grad Kosten.

THOMAS. Daß du jetzt weg muaßt!

MARIANN. Sag selber, was tua i do, wann i zu nix mehr nutz bin? Mi bekümmert's a so, daß du für'n Dokta so viel zahl'n muaßt.

THOMAS. Wer red't von dem?

MARIANN. Und mei Leich kost' di no mal a schöns Geld.

THOMAS. Da braucht di nix reu'n.

MARIANN. Wenn ma si do an jed'n Grosch'n hart verdeana muß.

THOMAS. Es braucht di net reu'n; für wen soll denn i spar'n?

MARIANN in sich gekehrt. Ja – ja. Pause.


Thomas rückt mit der Bank näher zu Mariann und nimmt ihre Hand in die seine.


THOMAS. Wia lang san mir beinander g'wesen, alte Mariann?

MARIANN mit einem guten Lächeln. Auf Martini san's sieb'nadreiß'g Jahr g'wesen, und etla Woch'n davor hast du's Sach übernomma g'habt.

THOMAS. Mit viel Schuld'n, han? Und hast di do traut mit mir?

MARIANN. Und du di mit mir. I hab ja aa nix g'habt als a Paar feste Händ.[10]

THOMAS. Is viel Arbet g'wes'n umadum, und is letz g'wesen, aber do schö.

MARIANN. Und hat mi koan Tag net g'reut.


Pause.


THOMAS. Und jetzt willst d' geh?

MARIANN. Woll'n? I wer halt aa net g'fragt.

THOMAS herzlich. Bist mei guate Kameradin g'wesen.

MARIANN. Dös Zeugnis muaßt d' mir geb'n, gel? Ihre Hände betrachtend. G'arbet hab i allaweil gern.

THOMAS. Und hast all's in Ordnung g'halt'n.

MARIANN still. All's?

THOMAS. Was si halt'n laßt. Stärker betonend. Ja, Muatta.

MARIANN. Aba jetzt werd's Zeit, daß i Feierabend mach.

THOMAS. Und mi laßt d' alloa ...

MARIANN. Vielleicht ... Stockt. Vielleicht bist d' do net ganz alloa?

THOMAS finster. Laß 's guat sei; über dös soll'n mir net red'n.

MARIANN. I muaß red'n mit dir. I hab jetzt so viel Zeit zum Nachdenk'n, schaug – – und da denk i mir oft, ob mir net aa schuld san, daß unser Madl schlecht worn is.

THOMAS. Wia denn? Hat de bei uns a schlecht's Beispiel g'habt?

MARIANN. Aba in d' Stadt hätt'n mir's net nei' lass'n soll'n.

THOMAS. Hamm mir net lang gnua g'red't, und sie hat net anderst mög'n, und d'Bauernarbet is ihr allaweil z' hart g'wesen.

MARIANN. 'Weil sie schwach g'wesen is; jo, Thomas, von kloan auf.

THOMAS. Muaß sie desweg'n schlecht sei? Es gengan andere aa'r in d' Stadt und bleib'n brav.

MARIANN. Mir wiss'n ja net, was sie so weit bracht hat und was an Madl unterkemma is.

THOMAS. Da gibt's koan Ausred.

MARIANN. Wenn s' aba jetzt von alle Türen wegg'jagt werd, muaß si do bei uns unterschliaf'n derf'n ... Fängt bitterlich zu weinen an. Unser Kind!

THOMAS steht auf, geht zu Mariann und legt die Hand auf ihre Schulter. Laß's guat sei, Alte! Geh ... mach's net no ärger! Du bist a so von nix andern krank wor'n.

MARIANN. Wia dös in der Zeitung g'standen is, da is mir ei'wendig was g'rissen.

THOMAS. Um de is wert![11]

MARIANN. Muaßt d' net schimpf'n!

THOMAS. I schimpf net.

MARIANN. I bin halt d' Muatta und hab s' auf d' Welt bracht und hat mir oft derbarmt, als a Kloana ... und jetzt derbarmt s' mi erst recht.

THOMAS setzt sich wieder auf die Ofenbank, seufzt und schaut düster vor sich hin. Dös derlebt ma an die Kinder!

MARIANN. I siech s' oft vor meiner, wia s' an Kopf ans Fenster druckt und einaschaugt zu mir, ob s' denn gar nirgends mehr dahoam is ... Wenn s' amal kummt und klopft drauß'n ... bitt dir gar schö ... tua s' net verjag'n!

THOMAS. Mir san g'straft auf dera Welt!

MARIANN nach seiner Hand greifend. Tua s' net verjag'n! I woaß g'wiß, sie kummt amal und suacht a Hilf.

THOMAS. Ja ... sie kummt amal.

MARIANN. Wenn sie an Weg suacht, der z'ruckführt aus dera Abscheulichkeit ... und sie hat's ja net von uns, daß s' schlecht bleib'n muaß ...

THOMAS. Mariann ...

MARIANN. Und wenn i nacha nimma da bin, muaßt du für mi denk'n, daß ...

THOMAS unterbricht sie. Mariann, i bin net bloß weg'n deiner vom Feld hoamganga ...

MARIANN den Kopf langsam nach ihm wendend. Was sagst d'?

THOMAS. I hab no weg'n was andern hoam müass'n.

MARIANN erschreckend. Is scho wieder was ...?

THOMAS. Brauchst net derschreck'n ... es is nix Neu's g'schehg'n.

MARIANN. Aba mit da Leni was?

THOMAS. Der Bürgermoasta hat mir de Botschaft bracht ..., daß d' Leni hoamkimmt ...

MARIANN. Hoam? Zu uns?

THOMAS sehr gedrückt. Ja ... Pause.

MARIANN zögernd und leise. Thomas ... is 's was Schiach's?

THOMAS. A Schand is, Muatta ... Er sucht zitternd ihre Hand, mit unterdrücktem Schluchzen. Sie kummt am Schub. Beide schweigen.

MARIANN leise. Vata!

THOMAS. Sieb'nadreiß'g Jahr hamm mir hart g'arbet und san rechtschaff'n g'wesen, und hat uns jeder de Ehr lass'n müass'n[12] ... und jetzt, weil mir alt san, g'hör'n mir zu de schlecht'n Leut!

MARIANN. Dös ko neamd mit Wahrheit sag'n ...

THOMAS. Glaubst du, dös sag'n net alle?

MARIANN. Sie wer'n's für an Unglück o'schaug'n.

THOMAS. Na. Weil dös no koan troff'n hat. De sehg'n bloß d' Schand.

MARIANN. Für de neamd was ko.

THOMAS. Mir hamm s' aufzog'n; und lobt ma oan für guate Kinder, nacha farbt aa d' Schand ab. Es is net anderst.

MARIANN. In unsern Haus is so richtig zuaganga wia'r in an jed'n.

THOMAS. Wer siecht nei'?

MARIANN. Na muaß unser Herrgott wiss'n, daß mir's Madl zum Guat'n hamm richt'n woll'n.

THOMAS. Aba d' Leut wissen's net. Mögst du hör'n, was heut g'red't werd im ganzen Dorf? Steht auf. I net. Scho, wia mir's der g'sagt hat! Der Schandarm bringt dei Madl daher! So dreckig hat er mir's hing'schmissen!

MARIANN vor sich hinsehend. Wann kummt s' denn?

THOMAS. Woaß i? Grimmig. I hab scho g'moant, i paß ihr an Weg ab und hau s' z'ruck.

MARIANN ängstlich. Des sell derfst d' net!

THOMAS. Hab koan Angst! Der Bürgermoasta hat mir's schon ausdeutscht, daß i 's Recht net hab.

MARIANN. Wo soll s' denn hin, wann s' mir z'rucktreib'n? Soll'n s' fremde Leut mit Füaß'n tret'n? A Viech müaßt di derbarma.

THOMAS geht an ein Fenster und schaut hinaus, Mariann den Rücken zukehrend.

MARIANN. Wer soll s' denn auf'n recht'n Weg bringa, wann's mir net tean?

THOMAS sich halb umkehrend. De liegt drin im Grab'n, und mir ziag'n s' nimma raus.

MARIANN. Du woaßt dös net a so ... Ös Mannsbilder wißt's dös net a so. I hab's Deandl aufzog'n und hab ihr 's Bet'n g'lernt mit'n Red'n.

THOMAS. Dös hat de all's vergess'n ...

MARIANN. Auf a Zeit – vielleicht. Aba ganz vergißt sie so was net. Kleine Pause. Wia s' 's erst'mal mit da Prozession ganga[13] is, da is sie hinter'n Pfarra daher trappelt, so fromm als wie de andern. Und wia'r i ihr dös weiße Kleidl anzog'n hab, da fragt sie mi: Is wahr, Muatta, daß i mit'n Himmivata geh derf? Ja, sag i, Lenerl, heunt gehst amal mit'n Himmivata.

THOMAS ohne sich umzuwenden. Was woaß de no davo?

MARIANN. Es fallt ihr scho wieda ei.

THOMAS aufgeregt das Fenster öffnend. Horch!

MARIANN sich aufrichtend. Kimmt 's Deandl?

THOMAS hat sich hinausgebeugt. Na. Es hat mi täuscht.

MARIANN. O mei, Thomas! Dös is a schware Stund!

THOMAS setzt sich wieder. Wia'r uns der Bua tot aus'n Holz hoamtrag'n is wor'n, da hab i g'moant, es is uns des Ärgste g'schehg'n. Heut woaß i, daß dös a Leicht's war.

MARIANN. Muaß 's Madl vo Prittlbach rüber?

THOMAS. Ja. Z'erscht derf s' im Schubwag'n fahr'n.

MARIANN. Nacha kummt s' jetzt den Weg daher, den s' so oft als Schuldeandl ganga is.

THOMAS. Mit an Gendarm daneb'n, und vielleicht laff'n ihr d' Kinder nach.

MARIANN. Wenn i aufsteh' kunnt, gang i ihr entgeg'n, und tat an Schandarm bitt'n, daß er s' mir laßt, und mir fand'n scho an Weg, wo uns neamd sehg'n kunnt.


Es klopft.


THOMAS. Hat's net klopft? Es klopft nochmal. Thomas steht auf, mit gepreßter Stimme. In Gott's Nam! Er geht zur Türe, als diese geöffnet wird und Kooperator Köckenberger auftritt. Köckenberger spricht in singendem, salbungsvollem Ton.


Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 2, München 1968, S. 9-14.
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