Gleichgültigkeit

[525] Als ich gestern lag in meinem Bette,

Klopfte es so gegen Mitternacht.

Meine Meinung war, es sei Jeannette,

Und natürlich hab' ich aufgemacht.

Leise kam es jetzt hereingeschlichen,[525]

Setzte sich an meines Bettes Rand,

Hat mir über meinen Kopf gestrichen

Mit der ziemlich großen, dicken Hand.

Doch ich merkte bald an ihren Formen:

Dieses Weib ist ja Jeannette nicht,

Deren Hüften nicht von so enormem

Umfang sind und solchem Schwergewicht.

Trotzdem schwieg ich. Denn ich überlegte:

Nicht das Wer, das Wie kommt in Betracht,

Außerdem, die Absicht, die sie hegte,

War entschieden löblich ausgedacht.

Was bedeutet dieserhalb ein Name?

In der Liebe ist das einerlei.

Man verlangt nur, daß es eine Dame

Und von angenehmem Fleische sei.

Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 6, München 1968, S. 525-526.
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