Sommeridylle

[519] Berge und Täler sind jetzt voll von Menschen,

Welche sich Urlaub genommen haben

Und an der reinen Luft der Kurorte

Sowohl sich als ihre Angehörigen laben.


Viele hört man mit Neugierde fragen,

Ob hier noch echte Wilderer wachsen,

Welche die wirklichen Gemsen töten.

Meistens sind diese Leute aus Sachsen.


Manche baden in dem klaren Gewässer,

Wobei erwachsene Töchter nicht geizen

Mit ihren Formen, von denen man füglich

Glaubt, daß sie den Junggesellen anreizen.


Ihre Mütter stricken indes im Garten,

Wo sie Kaffee mit Honig genießen

Und sich über die Dienstboten äußern,

Welche sie in der Stadt darin ließen.


Abgesondert sitzen die Ehemänner,

Welche sich gründlich dadurch erfrischen,[519]

Daß sie nichts von den Frauen hören,

Sondern beim Skat ihre Karten mischen.


Auf den Ruhebänken am Seeufer

Sitzen zwei Richter, welche verdauen

Und anderen Leuten durch Fachsimpeln

Ihren Sommeraufenthalt versauen.

Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 6, München 1968, S. 519-520.
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