Im Bade

[563] Doktor Schnüffelberger, Redaktör

Einer durchaus gut kathol'schen

Zeitung, kam aufs Land von München her,

Um sich von der dort'gen alkohol'schen

Stimmung und was sonst die Nerven reizt,

Zu erholen. Denn das Waldozon

In Verbindung etwa auch mit Baden

Kann dem abgehetzten Großstadtsohn

An und für sich überhaupt nicht schaden.

Seine Arbeit nahm er auch mit sich

Auf das Pornographische bezüglich,

Nackicht, ganz und halb, und lüderlich,

Nur für die Verdorbensten vergnüglich.

Mit der Lupe sah er das Detail,

Wenn auch schon mit Abscheu, aber gründlich.

Ohne Schaden blieb sein Seelenheil;

Scheinbar war er wirklich nicht entzündlich.

Also Schnüffelberger mit Gepäck

Kam in diese unberührte, stille

– Zur Erholung und zum Arbeitszweck –

In die unberührte Landidylle.

Wohnt' bei einem gut kathol'schen Mann

In der Nähe auch des Seegestades,

Wo er allenfalles baden kann.

Mancher glaubt 's mir nicht, und doch, er tat es.

Ja, er nahm ein Bad. Nur bis zum Knie,

Weiter konnte er sich nicht verstehen.

Erstens einmal tat er 's vorher nie,

Zweitens hätte er sich selbst gesehen.

Drittens hat er 's gern am Nabel warm,

Und von jung auf hat er für das Wasser

Keine Lieb' und ausgesproch'nen Schwarm,

Als ein guter Zentrumsschriftverfasser.

Ergo badet er bloß bis zum Knie.

Plötzlich doch vernahm er ein Geräusche,

Neben ihm da badet eine »sie«,

von beachtenswertem Weiberfleische.[564]

Was er übrigens nicht gleich erfuhr,

Sondern nur gewissermaßen ahnte,

Durch die alte Stimme der Natur,

Die bewirkte, daß ihm etwas schwante.

Schnüffelberger war ja kühl, und doch

Suchte er sogleich an allen Brettern

Mit dem schärfsten Blick nach einem Loch.

Er begann auf eine Bank zu klettern.

Endlich hat er eines! Ei, man sieht

Durch das Loch die ganze Badkabine,

Jede Ecke, kurzum das Gebiet

Dieser badenwollenden Blondine.

Husch! Sie zog sich mal die Bluse aus,

Und der starke Busen wogt' und wallte,

Theoretisch war ihm das ein Graus,

Aber praktisch überlief 's ihn kalte.

Sakrament! in einem Spitzenhemd,

Appetitlich und ans Kolossale

Grenzend – ist man noch so sündenfremd,

So ein Anblick freut uns allemale!

Husch! Husch! Husch! Jetzt fiel der Rock,

Und die Schönste stand nun in der Hose;

Schnüffelberger war nun zwar kein Bock,

Aber doch nicht ganz empfindungslose.

Zwar beruflich Antipornograph,

Täglich steigend in die schlimmsten Sümpfe,

Stand er dennoch als betroff'nes Schaf

Vor dem Anreiz dieser seid'nen Strümpfe.

Ui-ui-ui! Und was der Strumpf umschloß!

Diese Wade! Er gestand sich offen,

Was er sonst auf Bildern nur genoß,

War von der Natur hier übertroffen.

Teufel! Teufel! Wär' das Brillenglas

Nur zur Unzeit ihm nicht angelaufen!

Unerträglich war es, aber das

Kam natürlich vom erhitzten Schnaufen!

Weg die Höschen! Und auch weg der Strumpf,

Sieh das Hemd, durch das es rosig schimmert!

Schnüffelberger! Jetzt ist Stärke Trumpf![565]

Aber gelt, du Zipfel, wie 's dir flimmert!

Wische nur dein Glas mit Hastigkeit!

Auf der Stirne fängst du an zu schwitzen,

Bist du auch für andre sehr gescheit,

Hier läßt dich die eigne Tugend sitzen.

Na, nun drück die Nase ganz ans Brett!

Immer ran! Das Hemd wird hochgezogen,

Eins, zwei, drei! Ist das nicht wundernett?

Hat der Pornograph dich angelogen?

Alles, was du hier erblickst, ist rund,

Und man glaubt partout, man soll es streicheln,

Und du Ärmster, wie beim Hühnerhund

Fängt das Maul dir aber an zu speicheln.

Ganz wie Ariadne sitzt sie da,

Und dem Schnüffelberger schwillt das Auge,

Daß er alles, was er gierig sah,

In sein ewiges Gedächtnis sauge.

Und es überkommt ihn Schüttelfrost,

Wiederum muß er dann Hitze leiden,

Wie der Heilige auf einem Rost,

Und es wühlt ihm in den Eingeweiden.

Platsch! Nun taucht sie in das Wasser ein,

Röchelnd sagt der Lump und Pharisäer:

»So was sollte eigentlich nicht sein,

Ich beleuchte das noch heute näher.

Außerdem: wie schrecklich kann doch schaden

Unsrer Jugend das verfluchte Baden,

Nicht ein jeder ist, wie ich, gefeit

Angesichts von solcher Nackigkeit!«

Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 6, München 1968, S. 563-566.
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