Bedenken

[688] Selber liebe ich den Sport,

Doch die Frage quält mich immer:

Ist er passend, schickt er sich

Für ein junges Frauenzimmer?


Früher war es allgemein

Und mit Heftigkeit bestritten;

Man verlangte sehr bestimmt

Züchtigkeit und milde Sitten.
[688]

Erstens war man überzeugt,

Daß es selten Gutes brächte,

Wenn ein Mädchen viel verkehrt

Mit dem anderen Geschlechte.


Außerdem und nebenbei

Ist es ja dem Sporte eigen,

In des Spieles wilder Lust

Manches unverhüllt zu zeigen.


Es verschiebt sich oft ein Rock,

Oder fliegt vom Wind gehoben,

Und man sieht das Wadenbein

Weiter unten oder oben.


Und ein Jüngling, der es sieht,

Faßt verwerfliche Gedanken;

Ja, er übersteigt sofort

Innerlich der Sitte Schranken.


Sei es, daß es ihm gelingt,

Oder nicht, man soll bedenken:

Besser ist es, nicht den Blick

Und den Wunsch darauf zu lenken.


Andrerseits ist wiederum

Dieses eine zu bemerken:

Daß die Mädchen durch den Sport

Ihre Wadenbeine stärken.


Freilich blieb' es außer Acht,

Gält es nur, der Lust zu frönen,

Doch die Rassenbildung will,

Daß wir uns damit versöhnen!


Und ich sage ohne Scheu,

Müßt' ich selber mich vermählen,

Würd' ich pflanzungsvorbedacht

Eine gut Gebeinte wählen.

Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 6, München 1968, S. 688-689.
Lizenz:
Kategorien: