Hilfe

[651] Hört mich, den Sänger mit dem dumpfen Tone!

Die Stimme zittert und die Träne rinnt:

Der, wo noch glaubt, die Menschen sind nicht ohne,

Ihr Bürger, hört mich! – der ist falsch gesinnt.

Ich sag' euch heute nur so viel wie dies:

Das deutsche Volk ist wirklich äußerst mies.


Wo sind die Sitten? Wo die guten Zeiten,

Da ganz submissest jedermann erstarb?

Im tiefsten Kote vor den Fürstlichkeiten

Devotest bittend um ein Grüßchen warb?

Für hohe Gnaden ist man nicht mehr reif,

Und die Carnallje hält den Nacken steif.


Begegnen heute uns des Hofes Chaisen

– Der Jäger vorne, hinten der Lakai –,

Tut mancher so, als wär's ihm wurscht gewesen,

Und fragt noch staunend: »Was ist da dabei?«

So merkt man deutlich, wie der Zeiten Zahn

Bedenklich nagte an dem Untertan.


Der Fürsten Worte waren einst gehütet

Von der Behörde wie ein gold'ner Schatz,[651]

Und wurden laut in alle Welt getütet.

Heut' streicht man oft den allerschönsten Satz.

Wenn von Beamten schon so was geschah,

Was soll man denken? Und was sagt man da?


Und erst die Jugend! O die deutsche Jugend!

Ein jeder jammert, der sie etwas kennt,

Sie hat nicht diese, hat nicht jene Tugend

Und hat zum Hunnenkrieger kein Talent.

Auf gute Lehren sagt sie höchstens: »Schrumm!«

Und ist schon lange nicht mehr halb so dumm.


Das Anseh'n schwindet; helfen wir dem siechen!

Verzögern brächte schreckliche Gefahr.

O lernet wieder auf dem Bauch zu kriechen

Und katzebuckeln, wie es früher war.

Ihr werdet sehen, wie dies allen frommt,

Und wie das deutsche Volk zu Ehren kommt.

Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 6, München 1968, S. 651-652.
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