Drittes Kapitel

[303] Es war nicht eigentlich behaglich im Wirtshause zum Lamm. Die wenigen Gäste, die zukehrten, trugen Schnee in die Stube, der zu schmutzigen Wasserlachen zerging, und von Hut und Mantel tropfte es auf den Boden, und es roch nach schlechten Zigarren und nassen Kleidern.

Die Lampe über dem Ofentische schwelte, und die dicke Kellnerin mußte immer wieder auf einen Stuhl klettern und den Docht herunterschrauben.

Bei dem kümmerlichen Lichte sah man den Schormayer in einer Ecke vor seinem abgestandenen Biere sitzen; und wer kam oder ging, redete ihn an.

Aber kein Gespräch wurde so lebhaft, daß nicht die Frau Wirtin schon am frühen Abend laut gähnte und die Kellnerin aus einem Winkel heraus als Echo mit Gähnen antwortete.

Wenn die Uhr rasselnd und ächzend, als wenn sie einen Kropf hätte, achtmal schlug, legte der Schormayer sein Geld für drei Halbe auf den Tisch und ging mit einem brummigen Gruße hinaus.

»Er kimmt jetzt jed'n Tag,« sagte die Wirtin, »und früherszeiten hat ma 'n ganz weni g'sehg'n. Er muaß dahoam it viel Schön's hamm.«

Und da hatte sie das Richtige getroffen.

Dem Schormayer verging ein Tag um den andern mit Langweile oder Verdruß; und er war recht übel daran, daß ihm sein Weib gerade vor dem Winter weggestorben war.

Er hatte wenig Arbeit, die ihm über seine Gedanken hätte weghelfen können; die Ernte war ausgedroschen, und im Holze war nicht viel zu tun; im Roßstall hantierte sein Lenz, und bei[303] den Kühen schaute er nicht gerne nach, weil ihm die Ursula auf Schritt und Tritt nachging und jedesmal ein Geschrei mit der Stalldirne anhob.

Und es war ihm selber zuwider, wenn die Zenzi Augen auf ihn machte und ihn damit an eine Dummheit erinnerte, die ihm bloß im Rausche hatte geschehen können.

Davon wollte er nichts mehr wissen; und wäre die Tochter so gescheit gewesen, die Geschichte nicht immer aufzurühren, er hätte sie gern vergessen.

Aber von den Weibsbildern kann ja einer bloß Vernunft erwarten, wenn er sie nicht kennt.

Freilich redete sie darüber nicht offen, aber der Herrgott hatte auch ihr das Talent gegeben, daß sie versteckt und von hinten herum immer wieder auf die Sache kommen konnte.

Ging denn ein Mittag vorüber, ohne daß sie Streit in die Stube trug und hinter Schimpfen und Plärren ihm einen Brocken zu schlucken gab, den er am Geschmack recht wohl erkannte?

Wie sie der Magd die Schüssel hinschob und den Löffel hinwarf, hatte es auch für ihn eine Nutzanwendung, und in jeder Grobheit, mit der sie die Mahlzeit segnete, war ein spitziger Steften, der ihm ins Fleisch drang.

Nein, er hatte es nicht schön daheim, und wenn er auch wirklich nicht feinfühlig war, kam ihm das Haus doch leer und fremd vor. Die eigenen Schritte werden so laut, wenn man weiß, daß niemand auf sie horcht, der zu einem gehört; und da kriecht einem die kalte Einsamkeit ans Herz.

Zärtlichkeiten und schöne Worte braucht man wohl nicht; aber die Gewißheit, daß jemand um einen froh sein muß, hilft einem leicht einschlafen und wieder frisch aufwachen zur Arbeit.

Und das merkte der Schormayer überall, daß sein Kümmern und Anschaffen keine rechte Achtung fand.

Der Lenz widersprach ihm nicht und tat auch, was er ihm sagte; aber es war doch so, als wenn er nachprüfte, ob es ihm für das baldige Regiment paßte.

Eigenmächtigkeiten ließ sich der Lenz genug zuschulden kommen, und es war noch viel, wenn er hinterdrein dem Vater sagte, was für eine Arbeit er übertags getan hatte.

Das konnte dem Schormayer mitten bei der Nacht einfallen und ihm das Schlafen verleiden. War ihm damit nicht deutlich[304] vor Augen gehalten, daß man ihn bloß zum Schein das Regiment führen lasse und gerade noch ein wenig Geduld mit ihm habe?

Da machte er sich zornige Gedanken darüber, ob er es so bald und so unabwendbar an sich kommen lassen müsse, daß ihm der Sohn das Regiment abnehme.

Freilich, wenn er es ruhiger betrachtete: wie sollte er es aufhalten können?

Sobald die Ursula aus dem Hause war, mußte eine Frau herein; und daß er noch einmal heiraten sollte, fiel ihm nicht ein.

In seinem Alter das Leben von vorne und mit schweren Verdrießlichkeiten und Zerwürfnissen anfangen, das konnte nicht gut ausfallen und hieß ins Ungewisse hineintappen. Auch war der Lenz fleißig und rechtschaffen und verdiente es wohl, den Hof so zu kriegen, wie er jetzt beisammen war. Nein, noch einmal heiraten wollte er nicht.

Aber gerade, weil er über eine kleine Weile nichts mehr zu sagen hätte, sollte ihn der Sohn nicht jetzt schon daran erinnern.

Und er sagte ihm, daß er noch auf dem Bock säße und kutschiere und noch lange nicht neben dem Wagen herlaufen wolle; und wenn der Lenz meine, er könne ihm das Sitzbrett wegziehen, dann solle er blaue Wunder erleben.

Da war dann freilich ein verdrießliches Gesicht mehr in der Stube, und neben der keifenden Ursula setzte der Sohn grobe Ellenbogen auf den Tisch und stach wütend in die Schüssel hinein. Diesen Zuständen ging der Schormayer gerne aus dem Wege und hockte sich lieber neben die gähnende Lammwirtin; und das beste davon war, daß sein Haus im Schlafe lag, wenn er heimkam.

Eines Abends aber sah er schon von weitem Licht in der Küche brennen, und auf des Nachbarn Hauswand lag der breite Schatten einer Weibsperson.

In der üblen Hoffnung, daß ihn noch ein Gespräch mit seiner Tochter erwarte, trat er mürrischer wie sonst ein; und da klinkte auch schon eine Tür auf.

»Bischt as du, Vata?«

»Ja, wer sinscht?«[305]

»I hätt' di gern was g'fragt.«

»Frag halt!«

»Die Bas'n vo Arnbach hat ma'r a Botschaft to, und i soll morg'n zu ihr umikemma, und es waar oana do.«

»Was für oana?«

»A so halt oana.«

»Fallt dera nix anders ei, daß sie jetza scho kuppeln muaß?«

»Ja no, weil 's halt da Prückl Kaschpa vo Hirtlbach waar, und an sellan geht ma'r it alle Tag auf.«

»Ko der it zu mir herkemma und bei mir frag'n, wia 's si g'hört?«

»Er werd no nix wiss'n vo dem, und er hot grad a G'schäft z' Arnbach, und 's Basl moant, wann i drent waar, na kunnt mi vielleicht auf des sell aa 'z red'n kemma.«

»Geh halt umi, vo mir aus!«

»I geh aa, wann d' Zollbrechtin für d' Aushülf' kimmt.«

»Was für an Aushülf?«

»Dahoam halt.«

»I brauch' koane. Z'weg'n dem verhungern mi net, bal du net do bischt.«

»Aba'r i mog it, daß du alloa do bleibst.«

»Han?«

»I mog it, daß du alloa mit dem Weibsbild dahoam bischt.«

Der Schormayer rückte den Hut aus der Stirne und fragte ruhig:

»Wia red'st denn du mit dein Vata? Han?«

Ursula verzog greinend das Maul und stampfte auf den Boden.

»Weil 's wahr is!«

Aber da schrie er schon:

»Wia du mit mir red'st, frag i, du Herrgottsaggerament!«

»Ja, du wurd' mi g'schimpft, und ...«

»'s Mäu halt, du Saufratz, du nixiga!«

Sie trat einen Schritt zurück, denn er zog die Hand auf.

»No mal sag' so was, na fangst d' aba'r oane, du Rotzlöffi, du! Schaug so was o!«

»Und i ho 's amal g'sehg'n ...«

Da packte der Schormayer seine Tochter mit harten Fingern am Arme und schob sie zur Türe hin.[306]

»Naus, sag i, und marsch in dei Bett!«

Sie schrie weinerlich auf.

»Laß mi do aus!«

»I wer di na scho auslass'n, di! Und dös mirk' da: bei'n erst'nmal, wo's d' no mal frech bischt, muaßt d' aus'n Haus! Du Kramp'n, du mistiga!«

Er gab ihr einen derben Stoß und warf die Türe hinter ihr zu.

Sie blieb eine Weile im Hausflötz stehen und überlegte sich, ob sie gescheiterweise noch etwas sagen sollte, aber sie griff dann lieber, wie viele Frauenzimmer, zu einem Selbstgespräch, indes sie in ihre Kammer hinaufging:

»Und bal i s amal g'sehg'n ho, daß sie bei eahm sell g'hockt is auf a Ofabank, und ganz hibei is sie g'hockt, und d' Red' hat 's eahm aa verschlag'n, wia'r i in d' Stub'n eina bi, und jetz wisset a bal gor nimma, was er mi allssammete hoaß'n muaß. Und was i amal woaß, des sell woaß i.«

Und was die Ursula einmal wußte, das vergaß sie nicht und brummte es ins Kopfkissen hinein, bis der Unwille in Schlaf und Schnarchen überging.

Aber auch sonst gab es noch Geräusch im Hause; denn unten flog ein Stiefel an die Kammertüre, und ein Fluch wurde länger wie der andere, bis die Müdigkeit den Zorn wegräumte und dafür dem Schormayer einen schweren, astreichen Block unter die Säge schob. Und oben klinkte leise eine Türe ins Schloß, und barfuß tastete jemand über ein knarrendes Brett und schloff heimlich und still ins warme Nest zurück und schaute noch eine Weile mit nachdenklichen Augen zur Decke hinauf.

Dann drehte sich die Zenzi gegen die Wand und schickte den letzten Gedanken zwei Türen weiter, zur Ursula hinüber. »Wart, du Luada!« sagte sie im Einschlafen.

Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 5, München 1968, S. 303-307.
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