Fünfte Szene


[337] Feld.

Apollo. Admet. Alceste.


APOLLO. Warum duldet Ihr alles mit dieser feigen Unterwürfigkeit?

ADMET. Was soll ich tun? Meine ganze Seele empört sich dagegen, aber er ist zu mächtig.

ALCESTE. Die Notwendigkeit lehrt uns, mit Dingen vertraut tun, die wir sonst nicht einmal in Gedanken ertragen konnten.

APOLLO. Nehmt Eure königlichen Gesinnungen wieder an, versammelt Eure Macht und tut offenbaren Widerstand. Glaubt mir, man hat schon dadurch Stärke, daß man sich welche zutraut.

ADMET. Du sprichst gut, Schäfer; wer hat dich das gelehrt?

APOLLO. Braucht man das zu lernen? Ihr seid zu zahm, vertraut Euch selber, bedenkt, was Ihr gewesen seid, und noch sein könnt, wenn Ihr wollt. Geht, wir sehn uns bald wieder.


Admet, Alceste ab.

Aulicus und Myrtill.


APOLLO. Was fehlt euch? Ihr seht so verdrüßlich aus.

AULICUS. Hol der Henker Eure ganze Kultur, sie hat uns schlechte Dienste geleistet.

APOLLO. Wieso?

AULICUS. Seht uns nur an. Unsre schönen Bärte hat man uns gänzlich weggeschnitten, wir sind gar nicht mehr, was wir waren. Und das ist auf Befehl unsers Königs und unsrer Schafe geschehn.[337]

APOLLO. Warum leidet ihr dergleichen?

MYRTILL. Ja, ehemals, in unserm rohen Zustande hätte uns einer mit solcher Anmutung kommen sollen! Aber Eure verwünschte Bildung, zu der Ihr uns verführt habt! Als es uns so was mehr auseinandergesetzt wurde, kam es uns selber ganz vernünftig vor. Und dann die Übergewalt!

APOLLO. Ihr hättet euch widersetzen sollen.

MYRTILL. Keiner will der erste sein, weil er sich vor Schaden fürchtet; man wird geschoren, macht ein krummes Maul, und denkt hernach: nun war's doch vorbei.

APOLLO. Eure sklavische Gesinnung, nicht die Gewalt, ist also Ursach, daß ihr unterdrückt werdet, da ihr das Schimpfliche gern duldet, um nur der Gefahr zu entgehn.


Die Vorigen. Mopsa. Phyllis.


APOLLO. Schäfer, und Ihr Schäferin, ich muß euch jetzt verlassen, aber wir sehn uns bald wieder.

MOPSA. Heiratet Ihr denn keine von uns?

APOLLO. Ich darf nicht, das Schicksal und die Götter sind dagegen.

MOPSA. Ihr seid ein Narr. – Nun, Myrtill, so muß ich wohl mit Euch vorliebnehmen; Ihr seid gebildet und geschoren, und Ihr gefallt mir nun viel besser.

AULICUS. Und du, Phyllis?

PHYLLIS. Je nun, wenn meine Schwester mir mit dem Beispiele vorgeht, so will ich mich auch mit dir zufriedenstellen.


Schäfer ab.


APOLLO allein.

Ich muß mich schämen, wenn ich Feigheit tadle;

Denn hält mich etwas andres hier zurück,

Als daß ich der Gefahr entweichen möchte?

Wir leben gern in Schande, wenn die Schande

Sich nur mit Sicherheit vermählt. Doch kann

Denn Sicherheit der ganz verkehrte Sinn

In Ruh und Ohnmacht und Verachtung finden?

Wir fliehn vor unsern eigenen Gedanken,

Wenn sie uns raten, nicht das Joch zu dulden. –

Lebt wohl, ihr Herden und ihr stillen Fluren,

Ich gehe kühnlich der Gefahr entgegen,

Ich will mein altes Königreich besitzen,

Wo nicht, auf edle Art dem Feind erliegen.


Geht ab.
[338]


Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden. Band 2, München 1963, S. 337-339.
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