Zweite Szene

[316] Marktplatz.

Die große Wachtparade. Einige Regimenter marschieren auf; ein feierlicher Zug; Zuschauer.


DER GENERAL. Halt!


Die Regimenter rangieren sich; Trommelschlag.


EIN KAPITÄN. Willst du denn gern die Schwerenot kriegen, Kerl, daß dir der Hut nie ordentlich sitzt? – Er schlägt ihn.

EIN BÜRGER. Der hat nun seinen richtigen Tribut bekommen.

EIN ANDRER. Tribut? – Ich denke, es war wohl eher eine erzwungene Anleihe.

DRITTER BÜRGER. Nein, versteht mich, Gevatter, das Dingsda muß sein, wenn die Staaten in ihrer gehörigen Ordnung bestehn bleiben sollen.

VIERTER BÜRGER. Das sag' ich auch immer, Ordnung will Zwang haben.

ERSTER BÜRGER. Ja, wie Ihr's versteht. Wenn Euch der Stock so zwischen den Rippen präludierte, würdet Ihr's schon anders meinen.

DRITTER BÜRGER. Aber, Gevatter, so seid doch nur in Henkers Namen ein Patriot und besinnt Euch, daß es nicht anders sein kann.

VIERTER BÜRGER. Es geschieht zur Warnung.

DRITTER BÜRGER. Wer ein rechtschaffener Patriot ist, seht Ihr, der muß das zugeben, das hängt alles mit dem großen Gleichgewicht zusammen.

VIERTER BÜRGER. Jawohl, jawohl. Und ohne dieses große Gleichgewicht verlören wir alle das Gleichgewicht.

ERSTER BÜRGER. Still, da kommt der König.

ZWEITER BÜRGER. Ein angesehener Herr.

ERSTER BÜRGER. Angesehn?

DRITTER BÜRGER. Je nun, ich meine ansehnlich, was man so untersetzt nennt.

VIERTER BÜRGER. Untersetzt sind die Untertanen.

ZWEITER BÜRGER. Und dabei ist er so gnädig.


Der König Gottlieb mit Gefolge tritt auf.


GOTTLIEB. Guten Tag. – Alles in Ordnung?

GENERAL. Zu Ew. Majestät Befehl.

GOTTLIEB. Sind die Patrontaschen neu?

GENERAL. Wie es befohlen ist.[317]

GOTTLIEB. Ich habe verwichene Nacht daran gedacht, ob man nicht lieber an der Mütze noch einen Püschel befestigte?


General verneigt sich.


GOTTLIEB. Somit wäre denn alles komplett. –


Fahnenmarsch; die Regimenter marschieren vor dem König vorbei.


GOTTLIEB. Es ist all gut so. – Die Garde soll auch andre Stiefeletten kriegen.

GENERAL. Die Akten darüber sind schon eingeschickt.

GOTTLIEB. Nun, das ist mir lieb, ich hab's gern, wenn meine Regierung hübsch in der Ordnung bleibt. – Jetzt die Parole.


Die Generäle versammeln sich um den König; Wachen werden aufgestellt; eine feierliche Stille.


KÜSTER BÜRGER. Jetzt wird die Parole ausgeteilt.

ZWEITER BÜRGER. Ja freilich, freilich.

DRITTER BÜRGER. Er gibt sie gewiß tüchtig und gut, die Parole, dafür steh' ich Euch.


Ein Bauer kommt auf einem Wagen gefahren.


SOLDAT. Zurück!

BAUER. Warum denn?

SOLDAT. Zurück! – Er winkt.

BAUER. Was gibt's denn hier?

ERSTER BÜRGER. Der König gibt die Parole aus.

BAUER. Was ist denn das?

ERSTER BÜRGER. Wißt Ihr nicht einmal, was die Parole ist?

BAUER. Nein, Gott sei Dank!

ERSTER BÜRGER. Die Parole ist gleichsam, – nun, als wenn Ihr so sagen wolltet; – Ihr müßt mich nur recht verstehn, – wenn ich nun die Parole – – nun, dummer Teufel, stellt Euch nicht so an, Ihr werdet ja wohl wissen, was die Parole ist.

BAUER. Bedank' mich. – Und ist das Zeug gut?

ERSTER BÜRGER. Gut und unentbehrlich! – Das ganze Land wird dadurch glücklich, – die Sicherheit, – wenn Ihr wißt, was Ordnung heißt. –

BAUER. Nun, und warum soll ich denn da mit meinem Wagen nicht heranfahren? Darf denn der arme Bauerstand nichts davon abkriegen?

ERSTER BÜRGER. Beileibe nicht, denn das ist ganz allein für die Soldaten. Der Soldatenstand, seht Ihr, lebt davon fast ganz allein.

GOTTLIEB. Zerbino! – Verstanden? – Jetzt will ich mich von meinen Geschäften erholen. –


Der König geht; die Generäle und Soldaten zerstreuen sich.
[318]

ZWEITER BÜRGER. Was hat Er denn auf dem Wagen, Landsmann?

BAUER. Rüben. –

ERSTER BÜRGER. Sind sie auch gut?

BAUER. Delikat; seht, ihr Herren, bei mir werden sie überaus sehr gebaut, da wir nichts von der Parole genießen, müssen wir uns auf die Rüben legen. – Kauft Rüben! Rüben!

DRITTER BÜRGER. Ich will doch meine Frau herschicken.

VIERTER BÜRGER. Ich auch. – Adies, Gevatter, die Parade war schön. –


Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in einem Band. Hamburg 1967, S. 316-319.
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