Dichtkunst

[73] Durch Himmelsplan die rothen Wolken ziehen,

Beglänzet von der Sonne Abendstrahlen,

Jetzt sieht man sie in hellem Feuer glühen,

Und wie sie sich in seltsam Bildniß mahlen:

So oftmals Helden, große Thaten blühen,

Aufsteigend aus der Zeiten goldnen Schaalen,

Doch wie sie noch die Welt am schönsten schmücken,

Fliehn sie wie Wolken und ein schnell Entzücken.


Was dieser fliehnde Schimmer will bedeuten,

Die Bildniß, die sich durch einander jagen,

Die Glanzgestalten, die so furchtbar schreiten,

Kann nur der Dichter offenbarend sagen;[74]

Es wechseln die Gestalten wie die Zeiten,

Sind sie euch Räthsel, müßt ihr ihn nur fragen,

Ewig bleibt stehn in seinem Lied gedichtet,

Was die Natur schafft und im Rausch vernichtet.


Es wohnt in ihr nur dieser ewge Wille

Zu wechseln mit Gebären und Erzeugen,

Vom Chaos zieht sie ab die dunkle Hülle,

Die Tön' erweckt sie aus dem todten Schweigen,

Ein Lebensquell regt sich die alte Stille,

In der Gebilde auf und nieder steigen,

Nur Phantasie schaut in das ewge Weben,

Wie aus dem Tod' erblüht verjüngtes Leben.

Quelle:
Ludwig Tieck: Gedichte. Teil 1, Heidelberg 1967, S. 73-75.
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