Fünfter Abschnitt

[417] Die alte Baronesse war wieder eingetroffen und heiterer, als es der Sohn erwartet hatte. Sie hatte in der Residenz fröhliche Tage verlebt, und ihre Begleiter und Verwandten mußten dort auch ihre Klagen über die eingebildete Beleidigung aufgeben, da sie auf Erkundigung von allen Seiten vernahmen, daß Goethe ein vornehmer Mann und großer Dichter sei. Sie nahm es also mit Heiterkeit auf, als ihr Sohn ihr sagte, daß er auf morgen, zu ihrem Geburtstage, ein Lustspiel von Shakspeare aufführen würde.

Emmrich hatte das Kostüm so angeordnet, daß es geschmackvoll war, ohne irgend auf Gelehrsamkeit oder Genauigkeit Anspruch zu machen. Er hatte sich schon früher ungefähr so geäußert: »Der Dichter hat diesmal nicht, wie so oft, die Szene nach Italien gelegt. Italien galt ihm und den Zeitgenossen auch nur für ein Land der Poesie und Abenteuer. Die vielen kleinen sich ungleichen Staaten dort, die Welt von Novellen, die die Engländer sehr genau kannten, die vielen Reisen dahin hatten ihnen Florenz, Mailand, Venedig und Verona, sowie andere Städte und ihre Namen, sehr geläufig gemacht. In diesem poetischen Scherz von Zufällen und Seltsamkeiten aber wollte der Dichter die Sache noch weiter ab in eine fast unbekannte Region verlegen. Wollten wir nun die Bücher nachschlagen, oder aus älteren Gemälden die Trachten jener Illyrier uns versinnlichen, so könnte man in Gefahr geraten, daß unser verliebter, feingebildeter Fürst unserem Auge als ein Spaßmacher oder komischer Charakter erschiene, dessen Anzug uns zum Lachen stimmte. Der dramatische Dichter, vorzüglich im Lustspiel, kann nur Kraft gewinnen und die Zuschauer täuschen und überzeugen, wenn er Anspielungen, Sitten und Gesinnungen aus seiner Zeit nimmt. Dies haben die Engländer, vorzüglich Shakespeare, immer beobachtet. Denn dem so ist, so könnte leicht die Poesie mit dem sogenannten Kostüm im Widerspruch stehen und in Krieg geraten. Es ist also besser, eine allgemeine poetische Kleidung anzunehmen, die auf alle jene Zeiten und Stücke paßt, die sich in einem dichterischen Elemente bewegen.«[417]

Man hatte also die hergebrachte ältere italienische Tracht angenommen Der Herzog ging in weißen Unterkleidern und in saffrangelbem seidenem Mantel; Malvolio schwarz, Tobias mit einem roten Mantel, und Andreas ledergelb. Viola ohne Mantel, in einem kurzen, himmelblauen, unter den Knieen zusammenschlagenden Überrock, Krause, sowie den Aufschlag an den Schultern weiß, einen roten Gürtel eng um die Hüften, in welchem ein feiner Degen hing. Ebenso trug sich ihr Bruder. Olivia anfangs in Schleiern und in tiefer Trauer, gegen das Ende des Stücks in rosafarbnem Atlas.

Der festliche Tag war nun erschienen. Für die Mutter des Gutsherrn war wieder ein eigener Sessel vorn, ziemlich nahe an die Bühne, hingestellt, welche etwa nur um drei Fuß erhöht war. Die Dienstleute und Dorfbewohner waren wieder zugegen; auch die Gerichtshalter und einige Justizpersonen, sowie verschiedene Beamte und Verwalter aus der Umgegend hatten sich eingefunden. Die Baronesse war anfangs überrascht, daß der Saal anders eingerichtet, und das Theater in die Länge verlegt war. Die Bühne selbst machte einen angenehmen und heitern Eindruck, und kündigte ersichtlich an, daß sie zu einer Festlichkeit bestimmt sei. Der obere Balcon oder Altan wurde von den freistehenden Säulen getragen, deren ionische Kapitäler zierlich vergoldet waren. Unten war die kleinere Innenbühne mit rotseidenem Vorhang verdeckt. Auch die Treppen waren mit farbigen Decken verkleidet, so daß die Bühne an sich selbst sein konnte, was man wollte. Und wo spielt denn diese erste Szene im Original? Im Zimmer, Saal, Vorhof? Die Bühne, um sich nicht zu oft in poetischen Werken zu widersprechen, müßte eben fast immer nichts als die Bühne sein wollen, ohne daß ihr der Zuschauer die Rechenschaft abforderte, welchen zufälligen Raum sie eben darstelle. So war es bei den früheren Engländern, eigentlich auch bei den Franzosen zu Corneilles und Molières Zeiten. Selbst im Holberg finden wir noch diese unbestimmte Allgemeinheit.

Als sich die Zuschauer geordnet hatten, und die Ruhe hergestellt worden, vernahm man einen Tusch von Trompeten und Pauken. Er erscholl von dem obern Altan, wo man viele Musiker in heiterer und bunter Tracht versammelt sah. Eine allgemeine feierliche Stille folgte dem Trompetengeschmetter. Alsbald trat aus der Gruppe der fremde Sänger festlich geschmückt hervor und sprach einen Prolog, den Elsheim gedichtet hatte, in welchem der Mutter Glück gewünscht wurde, daß dies Spiel sie erheitern möge, und wie sie es ebenfalls nehmen dürfe, für was sie wolle,[418] wie der Titel sage, daß sie aber nicht verkennen solle, wie sehr nächst ihrem Sohne alle Verwandte, Freunde, Bekannte und Untertanen sie liebten und verehrten. Nun trat im Schmuck seiner Rolle Elsheim vor, nebst der Tante, Charlotte, Albertine und Dorothea, und von der Musik begleitet sangen sie ein glückwünschendes Chor, bei dessen Schluß sie sich alle gegen die Baronesse verneigten. Die alte Frau war von dieser Aufmerksamkeit ebenso gerührt als erfreut. Hierauf zogen sich die Schauspieler zurück, und die Tante trat unten zur Tür des Saales herein, um ihren Sessel neben der Baronesse als Zuschauerin einzunehmen.

Sodann führten die Musiker oben auf dem Balcon unter der Direktion des fremden Virtuosen die Ouvertüre zu Belmont und Constanze vortrefflich aus. Auch dies rührte die Mutter, daß der Sohn ihr Lieblingswerk zur Einleitung spielen ließ. Als die Symphonie zu Ende war, trat unten Elsheim auf, von Pagen begleitet, denen einige Musiker folgten. Auf verschiedenen Blase-Instrumenten trugen diese zart und lieblich die Introduktion zu der Arie des Belmont vor: »Hier werd ich sie nun sehen.« Diese Melodie phantasierte süß und sehnsüchtig eine geraume Zeit, wurde auf den Wunsch des Herzogs noch einmal wiederholt und dann plötzlich von seiner Ungeduld unterbrochen. In den kurzen Pausen der Musik war es von sehr guter Wirkung, daß oben ein Waldhorn der unten gespielten Melodie wie ein Echo antwortete. Als der Herzog mit seinem Gefolge abgegangen war, zog sich der rote Vorhang unten von der kleineren Bühne zurück, und man erblickte drinnen im beschränkten Rahmen ein Bild, das eine Aussicht auf Feld und See gab, klar und täuschend von Lampen erleuchtet, die seitwärts und unsichtbar in der Tiefe angebracht waren. Aus dieser inneren Bühne trat nun Viola mit dem Capitain des Schiffes die drei Stufen hinunter und sprach vom Lande, wo sie sich befanden; die Art, wie sie nach dem jungen Fürsten fragte, von dem sie schon im voraus wußte, daß er noch unvermählt sei, ließ es merken, daß sie irgendeinen Plan auf ihn und seine Geliebte habe. Wie sie abgehen, zieht sich der Vorhang der kleineren Bühne wieder zu, und in irgendeinem Zimmer oder Saal treffen Tobias und die kleine Maria zusammen; Andreas Fieberwange tritt zu ihnen, und die erste der komischen Szenen entwickelt sich. Daß Dorothea dieses schnippische und witzige Mädchen gut spielen würde, hatten alle erwartet; aber die Mitspieler auf der Bühne und am meisten Elsheim erstaunten, mit welcher Haltung und sicherm Humor Mannlich und Graf Bitterfeld ihre komischen Charaktere anlegten und[419] auszuführen verhießen. Wenn Andreas fragt: Was ist pourquoi? so bedeutet das nicht, daß er ganz unwissend sei, denn er spricht späterhin einige Worte französisch ganz richtig, sondern er will nur sagen: Was meint ihr, weshalb sagt ihr jetzt noch pourquoi? Alles dies wurde so herzlich albern und mit so süßer, bescheidener Anmaßung gespielt und gesprochen, daß sich Eslheim gestehen mußte, daß er erst jetzt, so ausgeführt, diese Person und ihre Späße ganz verstehe.

Nun erschien Viola, höchst reizend, in ihrer männlichen Tracht. Sie wird zur Olivia als Liebesunterhändler gesendet. Dort im Hause tritt nun die kleine Maria auf, und neckt sich mit dem Narren des Hauses. Nach der Anweisung Emmrichs war dieser in lange, dicht anschließende Pantalons von streifigem Zeuge gekleidet; ebenso bunt war sein Wams, über welches er einen ganz kurzen dünnen Mantel trug von gelber Farbe. Eine kleine, eng anschließende Kappe bedeckte seinen Kopf, doch ohne Schellen oder andere sonst gebräuchliche Abzeichen des privilegierten Lustigmachers. Um die Schulter hing eine kleine Trommel, fast wie man sie den Kindern schenkt; um den Hals trug er an einer Schnur eine kleine Flöte oder ein Flageolet, und indem er eintrat, rührte er die Trommel und spielte mit der andern Hand eine Melodie auf seiner Pfeife. Nun erschien nach einer kleinen Szene Malvolio mit Olivien. Emmrich zeigte seine Kunst und Übung in der Darstellung dieses hochmütigen Murrkopfs und halb wahnsinnigen, von sich selbst berauschten Haushofmeisters. Über die unbedeutenden Worte: »Kammermädchen, das Fräulein ruft«, mit denen er abgeht, erhob sich ein lautes und allgemeines Gelächter, so komisch charakteristisch wußte er jedes, auch das Unscheinbare, vorzutragen. Viola, als naseweiser, übermütiger Page, bezauberte alle, und es erschien natürlich, daß sich Olivia in diese frische Keckheit, die mit so leuchtender Grazie umgossen war, vergaffen durfte. – Es machte sich gut, daß unmittelbar nach ihr Sebastian in ganz ähnlichen Kleidern auftrat, denn da keine Verwandlungen nötig waren, wurde das Stück in einem Zuge ohne Unterbrechung gespielt. Der junge Cadet war der verkleideten Schwester in Gesicht, Wuchs, Betragen und Stimme so ähnlich, daß eine Verwechselung beider gar nicht unnatürlich erschien. Man hatte wieder die innere Bühne geöffnet, und die frühere Aussicht auf Feld und Meer zeigte sich von neuem.

Die kleine Zwischenszene, in welcher dieser Vorhang sich wieder zuzog, diente dazu, Tische und Stühle während des Gespräches hinter diesen zu stellen, und auf diese Sessel setzten sich Tobias[420] und Andreas sogleich, indem sie die drei Stufen hinaufstiegen, und waren nun mit dem Narren, der zu ihnen trat, wie in einem behaglichen Zimmer. Diese Hauptszene der tobenden Verwirrung wurde mit außerdordentlichem Humor durchgeführt. Das tolle Lied, welches der Narr singt, hatte der Virtuos für die schöne Stimme des Verwalters gesetzt, und es machte wieder einen guten Effekt, wenn in den Pausen zwei Waldhörner oben auf dem Balcon die Melodie wie ein Echo nachtönen ließen. Als aber der schreiende Kanon von den drei Toren mit brüllenden Stimmen gesungen wurde, fiel von Zeit zu Zeit die vollständige Musik oben auf dem Balcon ein und vermehrte so den Lärm, wunderlich von der Trommel und Pfeife des Narren begleitet und erhöht. Drauf Malvolio, feierlich die drei Stufen hinanschreitend und die Lärmer scheltend, die ihn aber verhöhnen. Wieder wird ihm entgegengesungen, und die Tollheit steigert sich immer mehr, bis Malvolio wütend und gekränkt die aberwitzige Gesellschaft verläßt, über welche sein erhabener Zorn und seine falsche Majestät nichts vermögen. Es war sehr lächerlich, mit welcher Feierlichkeit in unterdrückter Wut dieser Malvolio die drei Stufen hinabschritt und sich noch einmal nur mit halbem Blicke umsah, bis sein Profil, das in seinem steifen Ernst Verachtung ausdrücken sollte, vorn im Seiteneingang verschwand.

Dieser Szene tollen Übermuts und wilden Lärmens folgt die zart poetische zwischen dem Herzog und der verliebten Viola, die in zweideutigen Worten, die der Fürst nicht faßt, diesem ihre Liebe bekennt. Die Vergänglichkeit der Schönheit wird in wenigen Worten beklagt, und wie Viola die schnell schwindende Rosenblüte der Jungfrauen bestätigt, schien sie bei den Worten:


So sind sie auch. Ach! muß ihr Los so sein,

Zu sterben grad im herrlichsten Gedeihn!


ihre Tränen nicht zurückhalten können. Den mutwilligsten Kontrast bildet jetzt der Narr, der eben erst seinen Kumpanen verrückte Liedchen gesungen hat, indem er nun im Gegenteil mit schöner Stimme dem sehnsuchtkranken Herzoge ein rührendes Gedicht vorträgt. Der Verwalter Lenz hatte sich selbst dieses Gedicht komponiert, der fremde Virtuos verwarf aber diese Arbeit und setzte eine neue einfache, aber ergreifende Melodie zu diesem einzig schönen Klaggesange. Man hörte gleichsam den Sänger weinen; der bedeutsame Rhythmus, der eigentlich schon für das feine Ohr und die gebildete Stimme die Melodie ausspricht, war[421] im Wesentlichen beibehalten, und der tiefsinnige Amphimacer, in dem sich die ersten Verse bewegen, ließ den nahe liegenden Anapästen in: »Laß mich frei« ergreifend wechseln, und gerade wirkte der Rhythmus dadurch so außerordentlich, daß weder Amphimacer, noch Anapäst zu steif und regelrecht im Takt festgehalten wurden, sondern die biegsame Stimme sich wie zwischen beiden in den süßesten Klagetönen schwärmend durchschmiegte. Und dann der Übergang in Jamben und Spondeen: »Mit Rosmarin« – »Treu hält es« war wie einer, der aus Tränen und Schluchzen sich zur Resignation oder erzwungenen Heiterkeit erheben will und in diesem Aufschwung nur noch tieferen Schmerz ausdrückt. In der zweiten Strophe, die nach derselben Melodie gesungen wurde, ließ der verständige Lenz nach Anweisung des Komponisten die Stimme mehr wie etwas ermüdet sinken, und am Schluß zog er die Töne und Verse verhallend so ineinander, als wenn ihm keine Sprache und kein Wort in der Erschöpfung der Trauer noch übrig oder möglich wäre. – Dieses schöne Gedicht, das Schlegel so meisterhaft und einfach übersetzt hat, sang Lenz ohne alle Begleitung, nur am Beginn und in den Pausen klang oben auf dem Balcon eine einsame Flöte nach, und ganz fern und unsichtbar ein gedämpftes Waldhorn. Die Rührung war so stark, daß alle Zuschauer weinten, und es war wie notwendig, daß der Narr durch etwas Spaß diese starke Wirkung wieder störte und den Hörer zerstreute, auch um auf den schönen Schluß der Szene mit Viola und dem Fürsten wieder hinüberzuleiten. Wie schön sprach Albertine die berühmte Stelle von der liebenden, im Gram aufgelöseten Schwester! Und als nun der Herzog fragt: »Starb deine Schwester denn an ihrer Liebe?« – war sie wie verwirrt und fast in eigner Rührung gefangen, ihr fällt der ertrunkene Bruder ein, und wieder beinahe weinend sagt sie nach einer kleinen Pause: »Ich bin, was aus des Vaters Haus von Töchtern und auch von Brüdern blieb« – und geht, sich selbst gewaltsam aufraffend, mit scheinbarer Heiterkeit zu Olivien.

Elsheim, als er vom Theater zurücktrat, war erstaunt, den Professor Emmrich, der gleich wieder als Malvolio auftreten sollte, in der tiefsten Rührung und in Tränen zu finden. »Noch nie«, sagte er, »habe ich die Kunst dieses Werkes, das Überirdische dieser Szene, die ganz in Poesie, Sehnsucht und Mutwillen getaucht ist, so empfunden wie heut. Gelingt eine Darstellung eines so großen Kunstwerks nur irgend, so fördert sie Schönheiten deutlicher an das Licht, die außerdem auch dem Kenner von halbem[422] Nebel verdeckt bleiben. Ich kann mich kaum zu meiner Hauptszene sammeln.« – Er mußte sich Gewalt antun, denn Maria war schon zu Andreas, Fabian und Tobias getreten; der Brief wurde hingeworfen, und die Männer versteckten sich. Schon beim Abgang des Herzogs war die innere kleine Bühne wieder geöffnet; zu dieser stiegen die Lauscher empor. Die letzte Hinterwand der kleineren Bühne war grün, wie Gesträuch und Baum; hier standen sie von den freien Säulen verdeckt, und noch mehr von einzelnem Gebüsch und dünnen Bäumchen, die sie selbst fast unvermerkt hinter den Säulen hervorziehen konnten. Durch diese Einrichtung war es nicht nur möglich, daß sie gesehen wurden, sooft ihr Stichwort es erforderte, sondern es tat auch eine sehr komische Wirkung, wenn die zornigen und lauernden Gesichter auf Augenblicke sich zeigten und dann wieder hinter dem Grün verschwanden, indessen etwas tiefer unten, aber ihnen nahe, Malvolio gestikulierte und keinen Argwohn hegte, daß man ihn in dieser Nähe beobachtete. In dieser Szene mußte Emmrich seine Meisterschaft zeigen. Den Übermut und die verrückte Eitelkeit des ältlichen Mannes, die bis an die Grenze des Unmöglichen gesteigert wird, wußte er so natürlich darzustellen, der zunehmende Aberwitz mit und nach dem Lesen des Briefes war so überzeugend, daß alle Zuschauer sich getäuscht dem behaglichsten Lachen überlassen konnten.

Jetzt trat die Leidenschaft der schönen Olivia mehr heraus Andreas selbst wird eifersüchtig und läßt sich von dem hänselnden Tobias bereden, dem jungen Cesario eine alberne Ausforderung zu senden. So löst ein Scherz den andern ab, wenn der vorige seinem Verblühen nahe ist, und das Lustspiel bleibt immer neu und frisch. Nun kommt Malvolio als beglückter Liebender in seiner neuen Tracht. Seine Vertraulichkeit, sein Abspringen von grimassierter Freundlichkeit und lachenden Liebesmienen zu grobem Ernst und Stolz, seine Anspielungen auf den Brief, sein Übermut nachher gegen Tobias lassen ihn jetzt als ganz wahnwitzig erscheinen. Selbst Oliviens Reden enttäuschen ihn nicht als ihr Gemahl, als künftiger Herrscher legt er alles, so unmöglich dies scheint, zu seinem Vorteil aus. Die safrangelben Strümpfe zu der übrigens schwarzen Tracht vollenden das Bild. Die Kniegürtel, kreuzweis gebunden, waren nicht so, wie wir es wohl auf dem Kupferstich in der Shakespearegalerie sehen können, wo der Törichte Bänder oberhalb des Knies so auf dem Schenkel trägt, wie sich wohl ehemals die Jockeys zeigten; sondern ein Kniegürtel mit Gold auf blauem Grunde hing fast vorn über das[423] Schienbein so steif und fest in Form eines wirklichen Kreuzes herab, daß durch diese Affektation die Erscheinung des Mannes noch abenteuerlicher wurde. Mit seiner Einsperrung geht seine eigentliche Rolle, seine Tätigkeit zu Ende. Nun erfolgt aber das ergötzliche Duell und die Gefangennehmung Antonios. Im Kleide des Pfarrers nahm sich der Narr wieder sehr gut aus, vorzüglich weil Lenz die Gabe besaß, den vorgeblichen Geistlichen mit ganz veränderter Stimme zu sprechen und dann plötzlich in jenen Ton zurückzufallen, den er als Narr angenommen hatte.

Gegen das Ende des Stücks erschien nun Olivia in dem roten seidenen Prachtkleide; alles entwickelte sich, auch der mißhandelte Malvolio trat noch einmal im Schmuck der gelben Strümpfe auf, und das Ganze schloß zur allgemeinen Zufriedenheit.

Als alle abgegangen waren, hielt der Narr eine Art von Epilog; er sang nämlich jenes launige Lied, spielte auf der Trommel und pfiff dazu, indem er auch einige komische Tänzersprünge nach jeder Strophe anbrachte, nach der Anweisung, die ihm Emmrich gegeben, um ganz dem Dichter, seiner Art und Weise zu seiner Zeit zu genügen.

Elsheim, Olivia und Albertine hatten sich in ihren Theaterkleidern sogleich in das Parterre begeben, um der alten, sehr zufriedenen Baronesse ihre Glückwünsche zu ihrem Geburtstage darzubringen; auch Mannlich war den Damen gefolgt, um sich mit der gnädigen Frau wieder auszusöhnen, die ihn auch sehr freundlich empfing. Jetzt zogen sich auf dem Theater jene Vorhänge zurück, welche die Treppen bedeckten, und man sah alle Stufen mit Kindern besetzt, welche Genien vorstellen sollten. Alle hatten Blumenkränze und bunte Girlanden in den Händen und so schwebten sie herab, stellten sich vorn auf die Bühne und bildeten mit den Blumen den Namenszug der Baronesse. Die größeren standen auf den Stufen und trugen auf den Händen und Schultern die kleineren Kinder. Jetzt sprangen diese von den Schultern herunter, die andern verließen die Stufen, die innere kleine Bühne war plötzlich frei, und auf einem Altar prangte das wohlgetroffene Bildnis der Besitzerin des Schlosses. Genien umhängten das Portrait mit grünen und farbigen Laub- und Blumen-Gewinden. Ein glückwünschender Chor ließ sich bei einer sanften Musik vernehmen. Indem alle noch mit gespannter Aufmerksamkeit auf dieses unerwartete Schauspiel hinblickten, öffnete sich der Vorhang des höheren Balcons, den man zugezogen hatte, und dort zeigte sich im glänzendsten Transparent der Name der Besitzerin, und Rosen, Sterne und Blumengeflechte, bewegten[424] sich kreisend im buntesten und hellsten chinesischen Feuer um die Namenszüge. Auch hier standen Genien, und diese verschiedenen Kindergruppen auf der obern und untern inneren Bühne, sowie die Gestalten auf den Stufen seitwärts bildeten einen anmutigen Anblick, da sie zierlich und mit Geschmack geordnet waren. Eine sanfte Musik erklang, die verschiedenen Vorhänge wurden wieder zugezogen, und das ganze Schauspiel war beendigt und beschlossen.

Elsheim fühlte sich dem Professor Emmrich und den übrigen Freunden verpflichtet, daß sie, die Festlichkeit auf diese Weise ergänzend, ihn selbst mit diesem anmutigen Schauspiel überrascht hatten, denn Emmrich hatte die Kinder heimlich eingeübt und alles ohne des Barons Mitwissen veranstaltet. Die Baronesse war so vergnügt und zufrieden, wie sie es seit Jahren nicht gewesen war, und wie der Mensch in der Regel in solcher Stimmung auch am liebenswürdigsten ist, so zeigte sich die alte Dame an diesem frohen Abend so einnehmend, wie der Sohn sie fast noch niemals gesehen hatte.


Da die Aufführung dieser Komödie, die so ganz außerhalb der Linie hergebrachter Forderungen und Gewöhnungen liegt, so außerordentlich gut gelungen war, so beschloß man, sich recht bald diesen Genuß zu erneuern. Elsheim, der Emmrich im Garten antraf, sagte zu diesem: »Ich kann noch von meinem Erstaunen darüber nicht zurückkommen, mit welcher Vortrefflichkeit Mannlich und der Graf ihre Rollen gespielt haben. Ich bekenne, Sie hatten recht, Professor, ob ich gleich die Richtigkeit Ihrer Ansicht, der Anweisung, die Sie den beiden Herren gaben, nichtsdestoweniger mehr und mehr bezweifeln möchte.«

Emmrich lachte, dann sagte er: »Ich wundere mich dennoch, Freund, daß Sie mich und meine Absicht nicht gleich verstanden haben. Die beiden Männer waren nur dadurch gute Komödianten, daß sie einmal Gelegenheit hatten, sich selbst, ohne es zu wissen und zu wollen, ganz darzustellen. Sie sind selbst so, wie sie jetzt gespielt haben, was sie aber niemals eingestehen werden ja selbst nicht einmal erfahren dürfen, wenn es ein andermal wieder gelingen soll. Glauben Sie mir, könnte man mit den wirklichen Komödianten zuweilen ein ähnliches Experiment machen so würden wir uns zuzeiten vortrefflicher komischer Darstellungen zu erfreuen haben. Wie mancher bewunderte tragische Held würde einen Zettel in der Sommernacht von Shakespeare meisterhaft[425] geben, wenn man ihm insinuieren dürfte: Vortrefflichster! erobern Sie durch Ihre Talente diesem so lange verkannten Manne seine Würde wieder. Er ist ja ein großes, ja einziges Talent, wofür ihn seine Genossen, die Bürgersleute, auch anerkennen. Die Probe, die er als Tyrann deklamiert, ist ja ein vortreffliches Gedicht und muß nun ebenso, etwa wie Sie schon sonst den Macbeth oder Otto von Wittelsbach gespielt haben, deklamiert und gespielt werden. Der schadenfrohe Puck, ein bösartiger Kobold, heftet diesem Manne nachher einen Eselskopf an. Soll dies etwas beweisen? Soll der schlechte Spaß, wodurch man von je die größten Männer verunglimpft hat, ein kritisches Urteil enthalten? Die zarte Titania beweist es ja, daß sie trotz dieser Entstellung seinen hohen Wert wohl zu schätzen weiß. Nachher wird sein herrliches großes Spiel vom Fürsten und den Aristokraten verlacht und bitter getadelt. Ist es nicht unbegreiflich, daß hier noch niemals ein feiner Sinn die wahre Meinung des großen Dichters geahndet oder gewittert hat? Diese Lysander und Demetrius, die Hochmütigen, die sich soeben im Walde noch wie Toren und Rasende betragen haben, diese haben wohl viel Ehre mitzusprechen? Daß solche Junker und Despoten den hohen Kunstwert eines Zettels nicht verstehen, ist eben sein größtes Lob. Verschließen diese doch in der Regel gegen alles Herrliche Auge und Ohr. – Zweifeln Sie dennoch, daß, wenn sich der Held so bearbeiten ließe, und er diese Überzeugung in sich aufnähme, er diesen Zettel nicht viel besser und ergötzlicher, als seinen Macbeth und Otto spielen würde?«

Elsheim sagte: »Ja, ich gestehe, ich habe den Schalk in Ihnen nicht erkannt.«

»Einige Wahrheit«, fuhr der Professor fort, »ist aber auch außerdem in dieser Übertreibung. Denn selbst gute komische Schauspieler in Deutschland, und wie viel mehr in England, verfehlen es darin, daß sie zuviel tun. Sie meinen, sie müssen sich zu dem Toren, den sie abschildern sollen, allzu tief hinablassen. Sie grimassieren, sie kleiden sich zu einem Scheusal um, sie verstellen ihre Stimme und grunzen und näseln nun etwas daher, indem sie jedes Wort hervorheben, den nächsten Spaß durch Augenwinken und Körperverdrehungen ankündigen, daß in ihrem Bilde kaum die Menschheit wiederzuerkennen ist. Ich habe über keinen Schauspieler noch so, wie über unsern großen Schröder, lachen können, und wie ließ er auch durch die lächerlichste Figur sein edles Individuum durchschimmern und erreichte das Höchste, ebenso wie in seinem tragischen Spiel, immer mit wenigen Mitteln.[426] Freilich ist das Lachen viel verschiedener und mannigfaltiger, als das Weinen der Menschen. Im Lachen verrät sich oft in der Gesellschaft der Gemeine und Rohe, der sich lange mit Glück maskieren konnte. Ich bin schon oft melancholisch geworden wenn ein ganzes Schauspielhaus kein Ende des Gelächters finden konnte. Es gibt viele Menschen, besonders in den höhern Ständen, die nur über den Menschen lachen können und mögen, den sie zugleich verachten. Für solche hat Shakespeare weder geschrieben, noch Schröder gespielt. Aber wie gern geben sich so viele Schauspieler mit Freuden hin, bis unter die tiefste Staffel des Menschlichen hinabzusteigen, um dieses für den Gebildeten trostlose Gelächter zu erregen.«

»Sehr wahr«, sagte Elsheim. »Diese Empfindungsweise hängt noch mit einer andern sonderbaren Eitelkeit unserer Tage zusammen, die ich fast an jedem Menschen, selbst gebildeten, wahrgenommen habe. Man gibt diesem und jenem ausgezeichneten Talente gern zu, daß es komische Sachen, Charaktere und Lustspiele gut zu lesen und vorzutragen verstehe, aber nicht so in Ansehung des Ernsthaften, Schönen, Rührenden und Tragischen. Selbst über Sie, Freund, habe ich oft dergleichen Urteile gehört. Die meisten, wenn Sie eine Tragödie, oder die poetischen Szenen unsers Goethe oder Schiller lesen, meinen im stillen, unser Freund tut zu wenig, ist zu natürlich, bleibt allzusehr in dem Ton der Konversation und dergleichen mehr. Je stümperhafter, heulender und singender ein solcher diese Gedichte vorträgt, um so schärfer tadelt er Sie.«

»Weil, wie unser Mannlich«, antwortete der Professor, »die Leute glauben, der sogenannte Ernst, und was sie Empfindung nennen, müsse den Mund voll nehmen und gleich damit anfangen, sich von der Natur und Wahrheit loszureißen.«

Man ging zur Gesellschaft, und es ward beschlossen, noch an diesem Abend die heitere Vorstellung zu wiederholen. Da die Baronesse mit dem Inhalt schon bekannt war, ward sie von dieser zweiten Aufführung noch mehr, als von der ersten, ergötzt. Es waren diesmal weniger Zuschauer zugegen, und auch dieser Umstand trug zur Heiterkeit der alten Dame bei, weil sie sich das erste Mal etwas befangen und bedrängt gefühlt hatte, auch damals in Angst stand, es möchte wieder irgendeine Ungezogenheit vorfallen, die der freigeistige Sohn etwa billigen möchte. Da man nun weder Prolog noch Epilog hatte, so wurden zwei Ruhepunkte im Stücke angebracht, um beim Anfang und in den beiden Pausen einige Musikstücke aufzuführen, welche die Baronesse[427] vorzüglich liebte. Emmrich behauptete zwar, daß das Stück darunter leide, weil diese flüchtige, leichte Handlung auch dadurch hinreiße, daß der Zuschauer eben nicht zur Ruhe und Besinnung komme, doch gab er den Wünschen des jüngeren Freundes nach, der seiner Mutter gern ihre heitere Laune, in welcher sie das Kunstwerk liebgewonnen hatte, erhalten wollte.

Indem Antonio neben Olivien stand, um wieder zum letztenmal aufzutreten, sah er, wie sie ein Billet aus dem Busen zog, das sie ihm heimlich zustecken wollte. Er griff darnach, aber so in Hast und übertriebener Eile, daß er an Charlottens Hand stieß, und der Brief auf das Theater flog. Elsheim, als Herzog, erstaunte über diesen Vorfall und sah den Brief an, und es schien fast, als sollte die Vorstellung jetzt einen Gegensatz zu dem Schreiben liefern, welches Malvolio in so seltsamer Begeisterung ablieset; doch ließ Elsheim das Blatt liegen, Antonio trat heraus, der Baron spielte zerstreut, Olivia erschien, und bevor sie noch sprach nahm sie den Brief vom Boden auf und sendete dem verwirrten Leonhard einen sprechenden, vieldeutigen Blick zu. So ging das Stück zu Ende, Leonhard fühlte sich beschämt, Elsheim war zerstreut, und nur Charlotte behielt eine so ruhige Fassung, als wenn gar nichts vorgefallen wäre. Doch war es ihr nicht möglich, jenen Brief der Behörde, an welche er gerichtet schien, abzuliefern denn Elsheim verfolgte sie mit so aufmerksamen Blicken, daß Charlotte sich auf ihr Zimmer zurückzog, nachdem Leonhard gleich nach dem Schluß der Aufführung seine Ruhestätte aufgesucht hatte.

Am folgenden Tage wurde verabredet, zum Ergötzen der Mutter ein großes Konzert zu veranstalten, in welchem, außer den beiden fremden Virtuosen, auch alle diejenigen, welche von der Gesellschaft musikalisch waren, sich sollten hören lassen. Charlotte sang vortrefflich, Elsheim angenehm, und so gab man, mit Hülfe des Verwalters Lenz, fast die wichtigsten und meisten Partien aus Belmonte und Constanze. So wenig die alte Baronesse mit der neuern Poesie fortgeschritten war, so daß sie fast unwissend erscheinen konnte, so sehr war sie in die Kompositionen des großen Mozart verliebt, weil sie diese gerade in ihrer frühen lugend, indem ihr Bewußtsein erwachte, hatte kennenlernen. Bei vielen Menschen werden die Bildung, ja selbst der Charakter, und ihre Vorliebe und Vorurteile auf die ganze Lebenszeit durch solche Zufälligkeiten begründet.

Die junge Witwe des verstorbenen Unterförsters ließ sich an[428] diesem Tage bei Elsheim melden. Da sich die beiden Leute schon seit frühester Jugend gekannt hatten, so nahm sich die noch hübsche Frau manches bei dem jungen Gutsherrn heraus, was sie sonst wohl bei einem älteren Herrn nicht gewagt haben würde. Ihr Anspruch war nichts geringeres, als daß sie nun auch einmal irgendeine Rolle auf dem freiherrlichen Theater zu spielen wünsche. Elsheim war mit der Frau, die so dreist, fast verwegen, ihre seltsamen Wünsche vortrug, in einiger Verlegenheit. Er suchte sie zu beschwichtigen und ihr das Ungehörige ihrer Forderung deutlich zu machen, aber alle seine Bemühungen waren umsonst, denn sie war von ihrem Talent so überzeugt, daß sie meinte, sie dürfe weder vor Charlotten, noch Albertinen zurückweichen, deren Spiel sie gesehen hatte. »Oh, mein junger lieber Herr«, sagte sie, »Sie scheinen es ganz vergessen zu haben, wie früh wir schon miteinander bekannt waren, und wie freundlich Sie mir damals begegneten, als ich noch nicht mit meinem Manne verheiratet war. Nachher kamen Sie freilich in langer Zeit nicht zu uns, und haben mich und uns alle hier ganz aus der Acht gelassen. In der Zeit, ehe ich mich verheiratete, bin ich ein Jahr in der nah gelegenen Stadt gewesen, bei einem sehr geschickten Fräulein, die auch eine Dichterin war. Diese behandelte mich mehr wie eine Freundin, als wie eine Gesellschafterin, und da habe ich oft helfen Komödie spielen. Was denken Sie? Ich habe die Agnes Bernauer, ich habe die Amalia in den Räubern mit Beifall dargestellt, auch die Orsina, und bei manchem großen Kapitalstück habe ich geholfen.«

Elsheim war nicht gestimmt, das Geschwätz länger anzuhören, und verabschiedete sie mit einem halben Versprechen, bei dem nächsten theatralischen Ereignis an sie und ihr Talent zu denken. Und warum nicht? sagte er nachher zu sich selber; es wird die Verwirrung, in der wir uns befinden, nur um weniges erhöhen. Wohin geraten wir alle? Kann ich es mir noch leugnen, daß ich von Eifersucht gepeinigt werde? daß mich, gleich Blitzstrahlen, Momente des Unmuts, ja fast des Hasses, gegen meinen frühesten, meinen innigsten Freund, den redlichsten aller Menschen schmerzlich durchzucken? Freilich sollte er nicht so schwach sein! Aber bin ich denn stärker? Und schwerlich, nein gewiß nicht, schätzt er sie, die uns entzweien könnte, so gering, als ich. Glaubte ich doch meiner so sicher zu sein, als ich hieher kam, und nun spielt mir ein schadenfrohes Verhängnis so launenhaft mit, daß ich da in Leidenschaft entbrenne, wo ich – ja, ich muß es so nennen – wo ich verachte. Man möchte an die alten Sagen von Liebestränken[429] glauben! Dieses leidenschaftliche Gefühl ist ein Zauber, der zerrissen werden muß. Aber wie, auf daß er im Herzen und meinem Leben nicht so verderblich reiße, daß eine schmerzhafte Lücke bleibt? Ist es möglich, daß die Leidenschaft um so stärker zu flammen vermag, je weniger sie von Achtung und Ehrfurcht genährt wird?

Indem er diesen sonderbaren Gefühlen weiter nachzuträumen sich gezwungen fühlte, trat Emmrich in sein Zimmer. Diese Störung war ihm lieb und unangenehm zugleich, denn seine Vorstellungen ängstigten ihn, und doch fühlte er sich in der Gesellschaft des verständigen Mannes verlegen, weil es ihm unmöglich schien, jetzt seine Gedanken gehörig zu ordnen.

»Schon seit einiger Zeit«, begann Emmrich, »ist es mir Bedürfnis, ja es erscheint mir als Pflicht, mit Ihnen ernsthaft über einen Gegenstand zu sprechen, der mir schwer auf dem Herzen liegt.«

Elsheim war gespannt und überrascht, ja fast über diese Einleitung erschrocken. Die Männer setzten sich, und der ältere fuhr so fort: »Glauben Sie mir nur, geliebter Freund, ich habe mir selbst längst alles gesagt, was Sie mir erwidern, oder was mir gar ein feindlich Gesinnter bitter entgegnen könnte. Ich sage mir selbst nämlich: Was drängst du dich in diese Verhältnisse? Wer fordert dich dazu auf? Verletzest du nicht vielleicht alle Delikatesse, und ziehst dir den Unwillen eines jungen Mannes zu, den du hochachtest, und der dir bis jetzt immer Liebe bewiesen hat? Kann ein freigelassenes Wort, eine Enthüllung, die bis jetzt im Dunkel ruhte und nun an das Licht gerissen wird, nicht Unheil stiften? Wenn man aber, wie es mir geschieht, von seinem Gewissen getrieben wird, so müssen alle diese feineren und kleineren Rücksichten zu Boden fallen.«

Elsheim war durch diese Einleitung noch ängstlicher geworden, und da jetzt Emmrich seine Hand ergriff und sie zärtlich drückte, dann mit dem Ausdruck innigster Freundschaft den jungen Mann umarmte, so steigerte sich dessen Verlegenheit so sehr daß der Ausdruck derselben fast komisch wurde. Emmrich schien eine Ahndung davon zu haben, denn er setzte sich plötzlich wieder nieder und suchte nach Worten. »Es sei!« sagte er nach einer kleinen Pause. »Sie bemerken es also nicht, oder wollen es vorsätzlich nicht sehen, wie Sie eins der edelsten Wesen zugrunde richten, wie Sie die liebenswürdige Albertine umbringen?«

Elsheim sprang von seinem Sitze auf, stand verwundert still und blickte starr den Redenden an, setzte sich dann wieder nieder,[430] und sagte endlich mit dem Ausdruck der höchsten Verwunderung nichts weiter, als: »Wie?«

»So ist es«, fuhr Emmrich fort. »Seit lange schon glaubte ich diese Leidenschaft in dem edlen Wesen zu bemerken, ich wollte aber früher meiner Kenntnis des menschlichen Herzens nicht trauen, bis mich nun unsere Aufführung des Shakespeareschen Dramas auf das vollkommenste überzeugt und alle meine Beobachtungen bestätigt hat.«

»Albertine!« rief Elsheim aus; »Sie sagen mir da etwas, das ich nimmermehr glauben kann. Wie? diese Kalte, Schweigsame, immer Zurückgezogene sollte eines Gefühls, und gar für mich, fähig sein? Wenn Sie mir dergleichen von Charlotten sagten, könnte ich es vielleicht eher glauben.«

»Von Charlotten«, erwiderte Emmrich kalt, »würde ich es nicht glauben, und wenn das Fräulein es mir selbst versicherte. Wie wunderbar hat die Natur dieses schöne Wesen mit Gaben und Reizen ausgestattet, und bei diesen vielfachen Geschenken das Herz vergessen, ohne welches alle anderen Eigenschaften ihren eigentlichen Kern verlieren. Ich bin überzeugt, diese gaukelnde Fee wird niemals lieben können; sie sucht ihr Glück darin, alle Männer zu bezaubern und leichte Abenteuer anzuknüpfen und zu lösen. Leidenschaft zu erregen ist ihr Spiel, sie will aber keine fühlen. So hat sie sich zur reizendsten und gefährlichsten Kokette ausgebildet. Sie hat in der Residenz schon wunderbare Abenteuer durchgespielt, und die verständige Tante bemerkt entweder alles nicht, oder sieht als eine kluge Frau durch die Finger, wo sie nichts ändern kann. Vielleicht muß es solche Wesen geben, und Charlotte entwickelt sich nur so, indem sie einer innern Notwendigkeit nachgibt; aber zu bedauern ist es doch, daß diese schöne Erscheinung ohne Seele bleiben soll. – Dagegen Albertine! welcher Adel bei diesem Liebreiz! Sie ist lauter Seele und Gemüt und in dieser reinsten Unschuld und wahrhaft göttlichen Unbefangenheit voll des tiefsten Gefühls für alles Schöne und Große. Wem sich dieses Herz widmen kann, der sollte sich wohl so beseligt fühlen, daß er sich den Göttern des Olymps gleich dünkte.«

»Halten Sie inne«, rief Elsheim, »damit ich zu mir komme damit ich überlegen kann, wie das möglich sei, was Sie mir da sagen, oder Gründe und Worte finde, um Ihre irrige Meinung zu widerlegen. – Albertine!«

»Ich muß mich über Ihre Verwunderung verwundern«, antwortete Emmrich, »und zugleich das Schlimmste abbitten, was ich[431] von Ihnen dachte, denn ich glaube, Sie wüßten um diese Neigung und verschmähten die Unglückliche absichtlich.«

»Abgesehen von allem übrigen«, fragte Elsheim, »was verlangen Sie von mir?«

»Was Sie leicht gewähren können und müssen«, erwiderte der Professor, »daß Sie die Arme nicht verhöhnen, ihr nicht geflissentlich mit kalter Grausamkeit begegnen.«

»Ach!« rief Elsheim aus, »mir ist das, was Sie mir da eröffnen, noch immer so neu, so überraschend, daß ich daran zu glauben nicht vermag.«

»Lassen Sie mich fortfahren, da ich mich Ihnen einmal anvertraut habe«, sagte Emmrich; »daß ich mit Albertinen niemals über diesen Gegenstand gesprochen habe, werden Sie mir ohne Versicherung glauben, da Sie mich kennen. Daß sie mir Aufträge gegeben, oder mir zuerst sich mitgeteilt haben sollte, dem zu widersprechen ist vollends überflüssig. Seit lange war mir die Melancholie und die abwechselnd erzwungene Heiterkeit des schönen Wesens aufgefallen. Als ich sie im Götz beobachtete, wurde meine Vermutung zur Gewißheit. Aber mit größtem Schmerz fand ich im Lustspiel meine Überzeugung bestätigt. Ich habe schon sonst die Erfahrung gemacht, daß ein schöner Tenor nur dadurch in seinen geistigsten Tönen die Menschen bezauberte weil aus ihnen der Tod schon, die bald entwickelte Schwindsucht sang. Oh, mein Freund, als Viola sprach die zarte Freundin so weiche, überirdische Töne, in so himmlische Lieblichkeit getaucht und wie im geistigen Äther hinklingend, daß die Laute mir durch das Herz schnitten, denn in jedem klang ein Lebensjahr mit hinaus. So hatte ihr Auge den überirdischen Glanz eines verklärt Sterbenden. Ja, Freund, sie geht zugrunde, ihr Herz bricht, und Sie werden sich nachher den Vorwurf machen müssen, daß Sie es verschuldet haben.«

Elsheim war nachdenkend geworden und sagte dann nach einer Pause: »Und was verlangen Sie nun, daß ich tun soll?«

»Nur weniges«, erwiderte Emmrich, »nur das, was Ihnen die Urbanität von selbst, ohne meinen Rat, vorschreibt. Zeigen Sie der Armen nicht so geflissentlich Ihre Geringschätzung, Ihren Widerwillen. Warum so plötzlich, oft im unschuldigsten Gespräch, dieser höhnische Witz? diese bittern Bemerkungen über die Schwächen der Weiber? Sie sind gegen alle Menschen, selbst gegen rohe, die es nicht verdienen, sanft und mild; dies zarte Wesen aber ist nur da, damit Sie an ihr den Übermut des Mannes üben, und die giftigen Pfeile der Geringschätzung und Verachtung[432] schärfen. Sie sind ein Mann, aber wenn jemand, den Sie liebten, Sie auf diese Weise behandelte, Sie würden verzweifeln.«

Elsheim faßte die Hand des älteren Freundes und sagte bewegt: »Ich danke Ihnen, daß Sie mich mit dieser Offenheit auf meine Ungezogenheit aufmerksam gemacht haben. Ich bin vollkommen im Unrecht, und weiß nichts zu meiner Entschuldigung zu sagen, als daß ich mein widerwärtiges Betragen bereue. Es ist nur zu wahr, daß wir oft mit aller unserer vornehmen Kultur und Bildung, mit der wir uns brüsten, roh, ja selbst gemein werden können. Sie ist mein Gast, mir verwandt, und so ist mein Vergehen noch weniger zu verzeihen. Ich werde mich jetzt bestreben, schonend und anständig ihr gegenüber zu erscheinen.«

»Ich wußte«, sagte Emmrich, »daß Sie meine offenherzige Freundschaft so aufnehmen würden. Fügen Sie nun noch das ebenso Nötige hinzu, in Gegenwart der Kranken dieser Charlotte nicht so geflissentlich den Hof zu machen, diese mit Artigkeiten zu überschütten, so eifrig um ihre Gunst zu werben, als ob von dieser das Glück Ihres Lebens abhinge.«

»Freund!« rief Elsheim bewegt aus, »man ist und bleibt ein Tor, und sollte jeden Morgen an seinen Schützgeist ein ganz besonderes Gebet richten, daß er uns vor recht ausdrücklichen Dummheiten, vor diesen wenigstens, behüten möge. Schon seit anderthalb Jahren quält mich meine gute Mutter in ihren Briefen, daß ich heiraten soll, und zwar diese ihre Albertine, die sie für das Muster aller weiblichen Wesen hält. So trieb mich ein schadenfroher Dämon in den Widerspruch hinein, und ich konnte in meiner Einfalt gegen diese frommen Wünsche nur widerspenstig sein, indem ich ungezogen wurde. Ich wollte meine Mutter nur bescheiden, sozusagen auf erlaubte Weise, ärgern, Albertinchen diese Gedanken, die meine redselige Mutter ihr gewiß schon eingeflößt hat, aus dem Sinn bringen, und habe wie ein stümperhafter Komödiant, statt Schröders feinen Klingsberg, zu meiner Beschämung einen ungehobelten Landjunker dargestellt. Auch dieses scheinbare Verliebtsein – oder wie nenne ich es? – in die Olivia, in diese allzu geniale Charlotte – war ja nur ursprünglich ein Spiel, um meine Mutter irrezuführen und die projektierte Heirat völlig scheitern zu machen. Ich handelte nur so in den Tag hinein, weil ich nicht als Pedant einen feinen und durchdachten Plan entwerfen wollte, und darüber ist, wie Sie mir jetzt verkünden, die Arme zum Opfer geworden. Sei es nun aber mein Vorurteil, oder Eigensinn, oder sei es eine wirkliche Antipathie unserer Naturen, meinem Gefühl ist diese Albertine und ihr[433] Wesen und Treiben zuwider. Darum war es mir auch peinlich, daß ich in unsern beiden Stücken so viel mit ihr verkehren mußte. Von jetzt an aber werden Sie sehen, daß ich in der Vernunft und den Gesetzen der Lebensart Folge leiste; durch mich soll mein Mühmchen nicht wieder gekränkt werden.«

Die Freunde trennten sich, und Elsheim irrte gedankenvoll im Garten umher. Es ist uns nicht gegönnt, dachte er bei sich, so im Leichtsinn, in welchem wir uns so poetisch fühlen, dahinzutaumeln. Dies Gelüst, wenn wir ihm nachgeben, wird vom Ernst des Lebens fast immer, und oft zu hart, gestraft. Darum ist etwas so Berauschendes und Entzückendes in der ersten Jugendblüte. Jene Reise-Momente, Stunden und Tage, wo ich unbekannt in einsamen Gegenden irrte und spielte, alle jene Scherze und vorübergehenden Figuren und Bekanntschaften, jene Neckereien, halbe Liebe und Tollheiten, könnt ihr denn niemals wiederkehren, und nur in der Erinnerung mich erfreuen? Damals fiel es niemand ein, mich wegen dieses Scherzes oder jener Ausgelassenheit zur Rechenschaft zu ziehen; jetzt muß ich mich verantworten, mein Betragen entschuldigen, für die Folgen einstehen. Freilich bin ich auch älter geworden, lebe nicht in der Fremde, in einem Städtchen oder Schloß, das ich jetzt betrete und übermorgen verlasse, sondern in meinem angestammten Eigentum, wo ich der verehrliche Gutsherr bin und für allen Schaden, der geschehen kann, einstehen muß. Und die anbrüchigen Herzen sind leider nicht assekuriert, und was in meinem Besitztum verlorengeht, soll ich bezahlen.

»Tolle, tolle Welt!« rief er aus und setzte sich in jene abgelegene Laube, um recht ungestört mit den Menschen, der Gesellschaft und ihren Einrichtungen schmollen zu können. Da hüpfte die kleine Dorothea vorbei, und da Elsheim wußte, wie vertraut diese seit einiger Zeit mit Albertinen war, so stand er auf, ging ihr entgegen und bat sie, auf einige Zeit bei ihm zu verweilen, weil er sie über etwas, das ihm sehr wichtig sei, befragen wolle.

»Mein liebes Mühmchen«, fing er an, »ich weiß, daß Sie stets, seit Jahren schon, für mich die freundlichsten Gesinnungen hegten. Jetzt können Sie mich wahrhaft glücklich machen, wenn Sie einmal ganz aufrichtig gegen mich sind. Aber freimütig, offenherzig, Liebe, müssen Sie gegen mich sein, und ich schwöre Ihnen, was Sie mir demnächst anvertrauen werden, soll in meiner Brust wie im Grabe verschlossen bleiben.«

Die kleine verständige Dorothea sah ihn mißtrausich mit ihren klaren blauen Augen an und sagte dann: »Aber was verlangen[434] Sie von mir, liebster Vetter? Sie machen mir bange. Alles, was möglich ist, will ich Ihnen beantworten.«

»Möglich?« sagte Elsheim freundlich und in seiner gewohnten Weise, »– ist denn nicht alles Mögliche möglich? Aber nicht bloß meinetwegen, um mich zu beruhigen, oder zu warnen, sollen Sie aufrichtig sein, sondern hauptsächlich zum Besten einer geliebten Freundin. Und ich schwöre Ihnen, daß Sie deren Wohl nur dadurch fördern können, wenn Sie jetzt ganz ohne Rückhalt sprechen. Sind Sie aber verschlossen und zweideutig, so schreiben Sie sich künftig selbst alles Unheil zu, was aus diesem Betragen nur irgend entstehen kann.«

Dorothea war bei diesen Beschwörungen ganz ernsthaft geworden und sagte jetzt, fast gerührt: »Nun, so fragen Sie, und soweit es nur irgend mein Gewissen zuläßt, werde ich Ihnen wahrhaft antworten.«

»Englische Cousine!« rief Elsheim und faßte ihre Hände; »ich kenne ja Ihr Herz und Ihre treue Freundschaft. Ich weiß für gewiß (glauben Sie mir nur, ich habe die untrüglichsten Beweise und Nachrichten), daß Albertine am Abgrund steht, und jetzt nahe daran ist, durch eine unglückselige Leidenschaft vernichtet zu werden. Was können wir tun, um diesem Elende vorzubeugen?«

Dorothea senkte das Köpfchen, spielte mit den Fingern auf dem steineren Tisch, sah lange vor sich nieder und blickte nach einer stummen Pause zu den Augen des Barons ratlos und fragend hinauf. »Woher wissen Sie dergleichen?« sagte sie dann mit schwankendem Ton.

»Mein Kind«, sagte Elsheim dringend, »treten Sie nicht zurück, stellen Sie sich nicht unwissend, sondern antworten Sie frei und frank, als wenn Sie neben Ihrem Beichtvater oder Ihrem Arzte säßen, denn nur dadurch kann das Unglück vermindert oder vielleicht kann ihm sogar ganz abgeholfen werden.«

»Ach, lieber Freund!« sagte Dorothea tief seufzend, und eine Träne trat in das große klare Auge, »– die Sache ist leider wahr ich habe es zuerst bemerkt und sie gewarnt, aber ohne Erfolg. Was können wir nun noch tun? Durch Entfernung, daß er vielleicht bald abreiset, daß er es nie erfährt, das alles ist vielleicht noch die einzige Hülfe, das Rettungsmittel, wenn auch ein unzuverlässiges.«

»So?« sagte Elsheim erstaunt, »– ich dachte immer – also er weiß es nicht?«

»Gewiß nicht«, antwortete Dorothea mit herzlicher Vertraulichkeit,[435] »– wer sollte es ihm gesagt haben? Und ein Glück, daß er es nicht selbst erraten hat, da sie in ihrer Natürlichkeit allzuwenig die Kunst versteht, sich zu verstellen. Nein, wenn er es auch nur ahndete, wäre sein Betragen unverzeihlich. Aber er ist zu fein, zu gut, zu menschlich und edel, um dergleichen vorsätzlich zu tun, und daraus ersehe ich eben deutlich, daß er von den Seelenleiden der armen Albertine auch nicht die kleinste Vermutung hat. Nein, er könnte nicht so geflissentlich den Liebhaber der Charlotte spielen, und dieser alle seine Aufmerksamkeit widmen.«

»Ja wohl«, sagte Elsheim mit einiger Verwirrung, »er ist immer noch zu gut, als daß er dergleichen aus schadenfroher Absicht tun könnte. Der Sünder der – Sie, Liebste, kennen Sie ihn denn auch etwas näher? Hat er Ihnen nicht vielleicht schon den Hof gemacht?«

»Nein«, sagte Dorothea ganz ernsthaft, »denn ob ich ihn gleich sehr liebenswürdig finde, so habe ich doch weder Gelegenheit gehabt, noch gesucht, ihn im Vertrauen zu sprechen.«

»Aber er ist gefährlich, nicht wahr?« fuhr Elsheim fort.

»Das sehe ich an meiner armen Freundin«, erwiderte sie, »denn wenn sie etwas loben will, sei es männliche Schönheit, oder Liebenswürdigkeit, oder Treue, oder ein Wesen, dem man sein unbedingtes Zutrauen schenken könnte, dem die Herzen zufliegen müßten, kurz, wenn sie das Muster eines Mannes bezeichnen will: so nennt sie dieses seltne Wesen Leonhard.«

»Leonhard?« fuhr Elsheim ganz mechanisch, aber doch überrascht heraus, indem er sich zwang, sein Erstaunen zu verbergen, und Dorothea war von ihrem Gegenstande zu erfüllt, um es zu vermerken, daß Elsheim ein boshaftes Lächeln nur mit Mühe unterdrückte. »Leonhard!« fuhr Elsheim nach einer Pause fort: »ja dieser junge gefährliche Mann, den ich in aller Unschuld hieher gebracht habe, verdreht allen unseren Weibsleuten den schwachen Kopf. Hätte ich das Elend nur ahnden können, das er hier anrichten würde, so hätte ich ihn dort in seiner Stadt gelassen, diesen Verführer! Denn sehen Sie, liebste Doris, das ist er im eigentlichen Sinne, so wacker er übrigens auch sein mag. Wo er aber ein Mädchen oder eine Frau betrügen kann, wo er mit seiner Tugendmiene sie verderben mag, da ist er schlimmer, als Don Juan. Ja, Liebste, an diesem Felsenherzen ist unsere Albertine völlig verloren, und sie mag noch dem Himmel danken, daß der Bösewicht sich nicht um sie beworben hat, denn da er so unwiderstehlich ist, wie ihr es alle selbst bekennt, so wäre sie völlig zugrunde[436] gerichtet. Solche gefährliche Menschen sollte man nicht im Lande dulden, oder sie schon im siebenzehnten Jahre verheiraten, damit sie nur recht früh langweilige Ehemänner und unausstehliche Hausväter würden. Aber was würde auch dieses extreme Mittel eben fruchten? Denn dieser gottlose Bösewicht ist schon seit Jahren, und zwar an eine sehr hübsche junge Frau verheiratet, aber dennoch macht er uns nun hier die ganze Provinz rebellisch. Sagen Sie selbst, tugendhaftes Kindchen, müßten die Gesetzgeber nicht ganz neue, unerhörte Strafen für dergleichen neumodige Waldfrevler aussinnen?«

Dorothea sah ihn groß an, denn auf dieses Geschwätz war sie nach jener feierlichen Einleitung nicht gefaßt. »Sie wollten helfen, raten, dem Unglück vorbeugen«, sagte sie endlich, nachdem sie ihn lange betrachtet hatte, »und nun scheinen Sie doch nur rechte Schadenfreude zu empfinden, und die Sache macht Ihnen, so kommt es mir vor, mehr Spaß, als daß Sie sie sich zu Herzen nehmen sollten.«

»Ja so!« rief Elsheim aus, »Sie haben ganz recht, geliebtes Mühmchen, ich falle immer wieder, so gerührt ich auch eigentlich bin, in meinen leichtsinnigen Ton. Aber, ernsthaft gesprochen, ich glaube, daß die Zeit ganz nahe sein wird, in welcher der gefährliche Mensch wieder nach Hause reisen muß; dann ist ja hoffentlich der Zauber gebrochen. Dorchen, da Sie einmal in der aufrichtigen Stimmung sind – wie denkt denn Albertine von mir?«

»Ganz so, wie Sie es verdienen«, versetzte Dorothea mit einem schnippischen Ton; »wenn von Leonhard die Rede ist, werden Sie gewöhnlich auch genannt, aber nur des Kontrastes wegen. Wie jener die höchste Liebenswürdigkeit des Mannes ausdrückt, so stellt sich in Ihnen alles dar, was am männlichen Geschlechte fatal und widerwärtig ist; Sie sind das Ungewisse, Leichtsinnige was kein Vertrauen einflößen kann, der zweideutige jesuitische Mensch, der weder Liebe sucht noch verdient, der – kurz der, der Sie wirklich sind. So erkennt Sie Albertine, und wenn Sie auch auf einen Augenblick hinterlistig mein Vertrauen erschlichen haben, so bereue ich doch diese Viertelstunde recht von Herzen!«

Sie sprang auf und rannte davon. Elsheim aber blieb auf der Gartenbank sitzen und lachte so herzlich und so laut, daß einige Freunde, die ihn suchten, sich nach der Laube wandten, so wie der Bediente, der sich im Garten nach ihm umgesehen hatte, hereintrat, um ihm Briefe zu überreichen.

Die beiden fremden Musiker, Mannlich und Leonhard, traten mit dem Diener zugleich in die geräumige Laube. Elsheim legte[437] die Briefe, nachdem er sie obenhin betrachtet hatte, vor sich auf den Steintisch und sagte dann mit lachender Miene: »Meine Herren, ist unter Ihnen vielleicht ein Menschenkenner?«

»Menschenkenner?« sagte der brünette Bassist; »mich dünkt, diese Sorte hat man seit einigen Jahren ganz abgeschafft. Vormals spukten sie in allen Komödien und Romanen; auch gab es wohl Menschen, die, wie die Viehhändler, auf das Gewerbe reiseten, um die verfeinerten und bessern Menschenraçen anzutreffen; allein seit man eingesehen hat, daß der grobschürige Hammel auf die Dauer doch der einträglichste ist, hat man die Finte und Finesse wieder aufgegeben.«

»Und man hat klug daran getan«, sagte Elsheim lachend, »denn niemals muß der gute Landwirt zu oft und zu fein scheren wollen. Ist nun das Blöken, das man beim Scheren vernimmt, lauter Selbstgeständnis? Bekenntnis und Anklage? oder Lästerung auf den Scherenden? Nicht wahr, der Anatom, der die Menschen so schlechthin aufschneidet, dürfte sich eigentlich wohl für den gründlichsten Menschenkenner aus geben? Und dann das sogenannte Herz.«

»Ich meine«, sagte der Klavierspieler, »die Alten taten besser, alle Herzensempfindungen mehr in die Leber zu verlegen. Sie ist eigentlich das gekräftigte Leben, wovon sie auch ihren Namen Leber hat, das männliche R statt des weiblichen N, das spornklirrende Schwertwesen statt des sangreichen minniglichen. Herz ist zu sehr mit Erz, Harz und Erde verwachsen, um den Inbegriff der Liebesgeheimnisse andeuten zu können, wenn auch Schmerz und Scherz da wieder hineinlaufen.«

Mannlich sagte trocken und ernsthaft: »Ich habe mich immer für einen Menschenkenner gehalten, auch für einen Mann, der das Herz, besonders das weibliche, erforscht hat. Es gibt auch gewiß nichts Interessanteres, als sich mit diesem Studium zu beschäftigen. Das weibliche Gemüt ist vielleicht reicher, als das männliche, aber dennoch leichter zu ergründen. Hat man nur erst die Physiognomie des Geistes erfaßt, so findet man leicht die Art und Weise der Gemütsgaben, der Regungen, und was nur irgend mit dem geheimnisvolleren Bau der Seele zusammenhängt. So zum Beispiel unsere reizende Freundin, das Fräulein Charlotte. Ich kann mir denken, daß sie manchem, der sich auch einen Beobachter nennt, für ein Rätsel gelten mag; wer es aber weghat, daß ihr inneres Wesen eigentlich das einer Nonne ist, der versteht nun auch sogleich, was sich außerdem zu widersprechen scheint. Darum nur ist es ihr möglich, die Adelheid und Olivia so schön und[438] vollendet darzustellen, weil ihr inneres Wesen reine Religiosität ist, und sie daher dasjenige, was ihr am schärfsten, am widerwärtigsten entgegensteht, am sichersten auffassen und am überzeugendsten spielen und äußerlich hinstellen kann. Diese feinen Seelen entfliehen gleichsam zuzeiten sich selbst und in das feindlichste Element hinein, um sich ihrer ganzen Kraft, Tugend und Reinheit von neuem bewußt zu werden. Ach, meine Freunde, das führt uns eigentlich dahin, daß wir gegen manche Genien, besonders Musiker, toleranter sein sollten, die sich manchmal in ein scheinbar niedriges Element zurückziehen, mehr, um sich auszuruhen, als um zu genießen.«

»Richtig!« sagte der Bassist laut lachend, »und das niedrigste, tiefste Element wird immer der Keller sein, in welchem in vielen Städten die Weinschenken und jene Italiener hausen, die uns Austern, Kaviar, Lachs und Seefische anbieten, um uns an diesen Naturgewächsen zu zerstreuen. – Kennst du die dunkeln Stufen – die uns so lockend rufen? – Dahin – dahin –« so schloß mit einem Gesang der Übermütige.

»Nehmen Sie sich in acht«, meine Herren, sagte der Klavierspieler, »daß Sie nicht stolpern und fallen, indem Sie zu diesem dunkeln, erfreulichen Element hinabsteigen. Man muß schon wissen, wie beim Denken, wohin man gelangen will, um mit Sicherheit hinzukommen.«

Indem hatte Elsheim die drei großen Briefe geöffnet, sie mit dem Ausdruck des Unwillens und Erstaunens überlesen, und warf sie jetzt zornig hin, indem er ausrief: »Das fehlte noch!«

Leonhard fragte: »Darf man vielleicht wissen, lieber Freund was sie enthalten?«

»Oh!« rief Elsheim, »sie können laut gelesen werden, und wenn du es willst, trage diesen ersten gleich selber vor.«

Leonhard las: »– Übrigens verehrter Herr Baron –«

»Eine sonderbare Anrede«, sagte der Bassist.

»Dennoch will ich mich mäßigen« – las Leonhard –

»Kurios!« sagte der Komponist, »nach welcher Logik stellt dieser Briefsteller seine Gedanken? – Nun also?«

»Dennoch will ich mich mäßigen, indem ich wohl einsehe, daß ich unrecht habe. Sollte das nicht der Fall sein, so müßte ich mich freilich außerordentlich schämen.«

»Ich verstehe weder Vordersatz noch Schlußfolge«, sagte Mannlich.

Leonhard las: »Zugegeben also, daß wir Nachbaren und auch Gevattern sind, wie es bei jedem Zweifel das Kirchenbuch ausweisen[439] wird, so ist mein dienstliches Ersuchen, dergleichen geistliche und weltliche Verknüpfung nicht weiter in Frage zu stellen, sondern die Überzeugung von diesen wie größeren Sachen dem anheimzustellen, der alles nach seiner Weisheit nicht nur regiert, sondern auch reguliert.«

Leonhard hielt inne, um zu lachen. »Das muß ein kurioser Menschenverstand sein«, bemerkte der Bassist.

»Vielleicht«, sagte der Musiker, »ein so tiefsinniger Philosoph aus der allerobersten Klasse, daß unsere Einfalt ihn nur nicht begreift.«

Leonhard las weiter: »Und so hätte ich denn zwar fein, aber doch deutlich den Punkt berührt, über welchen ich Klage zu führen Ursache habe.«

»Wieso?« sagte Mannlich, »ich kapiere noch nichts von der ganzen Epistel.«

Leonhard las: »Denn wenn ich auch nur drei Söhne habe, so brauchen die gewiß die Bildung ebenso nötig, als wenn es dreiunddreißig wären, da die Zahlenprogression, sei sie geometrisch, oder auch nur perspektivisch, bei Seelenverbesserung unmöglich in Anschlag kommen kann.«

»Das ist eine unumstößliche Wahrheit«, sagte der Sänger, »und der Mann fängt jetzt an klar zu werden.«

Leonhard fuhr fort: »So also, praemissis praemittendis, bin ich sehr verwundert gewesen, daß Ew. Hochwohlgeboren, obgleich Dieselben um vieles jünger sind, uns dennoch nicht zusammen, oder einzeln, oder in pleno eingeladen haben, weil es freilich nicht geschehen ist. Es trug sich nicht zu, und ich hoffe, die Erneuung einer neuen Verwirklichung wird um so bessere Früchte tragen, da ich jetzt in dieser Hinsicht nicht mehr der Unwissenheit beschuldigt werden kann, da es nämlich der Herr Baron alleweil und jetzund erfahren. Christlich angesehen, wenn auch gar nicht nachbarlich: wo sollen denn meine drei Jungen, die nun alle schon heiraten könnten, Bildung herkriegen hier auf dem Lande, wenn die höchsten Potenzen und die allernatürlichste Nähe ihnen in der ausdrücklichsten Möglichkeit, ja selbst Wirklichkeit nicht gereicht werden? Ist es zu verwundern, wenn sie dumm bleiben könnten? Und wer hätte nachher die Verantwortung dieser, wie so mancher andern Dummheit auf sich, als mein Herr Baron? Nein, der Löwe kann wohl einmal eine Maus aus ihrem Netze beißen; bitte darum, die hochmögende Nachbarschaft sich nicht zu Feinden zu machen, wie wir gewiß alle in obszöne und stupröse Gehässigkeit uns verwandeln müßten, trotz[440] den Emanzipationen eines bessern Gewissens. Spielen Sie also wieder ein Trauerstück, so darf ich hoffen, mit meiner Familie in dieses, wie in Ihr Wohlgefallen, abendlich oder nächtlich eintreten zu dürfen. Sans rancune übrigens und sans adieu, das heißt, in Hoffnung und Erwartung, daß uns der Herr Gevatter zum nächsten Theater menschenfreundlich invitieren wird, beharre ich, ohngeachtet meiner zu vernachlässigenden, aber alsdann schon vergeßlichen Obliegenheit

Meines hochgeehrten Herrn Barons ergebenster Diener, Baron Bellmann und zugleich seine Söhne, nämlich alle drei.«


Man lachte über diesen kauderwelschen Brief, und Elsheim sagte: »Was hätte dieser Mann nun nebst seinen drei Söhnen mit unserm Drei-Königs-Abend anfangen sollen? Und er wird wüten, wie er hier zu verstehen gibt, wenn er nicht nächstens eingeladen wird. Und sollten wir selbst niemals wieder spielen, wird er doch seinen Zorn nicht aufgeben.«

»Ist es erlaubt«, sagte der Sänger, »den zweiten Brief vorzutragen, der vielleicht von demselben Inhalt und ähnlicher Weisheit ist?« Und schon hatte er das Blatt aufgeschlagen und las:


»Hochverehrter, insonders tief bewunderter

Herr Nachbar und Baron!


Wohl weiß ich es, und mein Schicksal hat mich insoweit gehörig unterrichtet, daß ich es nur verdiene, auf dem Boden zu kriechen vor jedem, den das Schicksal und eine gütige, aber doch etwas parteiische Vorsehung in Geistesgaben, Witz, Beredsamkeit und Bildung höher gestellt hat, als mich, die demütige Magd, die auch in dieser Züchtigung die Hand des Himmels erkennt und da nur anbetet, wo mancher andere grollen möchte. Doch auch hierin zeichnet sich der Edle aus, wenn er sich göttlicher beträgt, als der gewöhnliche Mensch. So war mein Vorsatz, demgemäß ich auch jetzt handeln wollte, und deshalb schwieg ich und duldete still, und noch mehr meine Töchter, die als stille Witwen und Matronen bei mir leben. Alles erträgt der Mensch, der, wie ich, an Leiden und Zurücksetzung gewöhnt ist, nur nicht, wenn man sein liebendes, schwärmendes Herz mit Füßen tritt und vernichtet, und dieses haben Sie gegenwärtig getan, Herr Baron, weshalb sich der Wurm nun auch im Staube krümmt und gleichsam wimmert.[441] Nein, Hochgeehrter, wo die Musen singen, wo überirdische geistige Genüsse ausgespendet werden, da darf ich auch wohl hoffen, wie der gemeinste Mann beim Krönungsfeste in Frankfurt, von dem öffentlich aussprudelnden Wein und dem gebratenen Ochsen etwas zu erhalten. So denkt auch meine dritte Tochter, die von ihrem Manne geschiedene und verwaisete. Welchen Trost gewährt die edle Dichtkunst allen Frauen, die sich in dergleichen Drangsal und Mißhelligkeit befinden! Sie verschließen uns aber, den Durstenden, diesen Quell; doch hoffentlich eröffnen Sie denselben als ein Moses in der Wüste bei der nächsten Aufführung, daß ich mit den drei Töchtern den lechzenden Gaumen erquicken kann. Unangesehen den großen Genuß, werden Sie uns auch zu der gerührtesten Dankbarkeit verpflichten; denn es wäre zu traurig, wenn wir uns gegenseitig als Feinde betrachten sollten, die sich doch immer schaden können, mehr oder minder. So erharrend, daß uns ein günstiges Los, und keine Niete fallen wird, verbleibe ich – u.s.w. –«

»Es ist zu toll«, sagte Mannlich, »daß sich diese Menschen in unsern gebildeten Zirkel drängen wollen und Kunstwerke genießen, da sie doch alles Kunstsinns gänzlich entbehren. – Soll ich dir nun auch noch diesen dritten Brief vorlesen?«

»Meinetwegen«, sagte Elsheim verdrüßlich, »weiß ich doch schon, was er enthält.«

Mannlich las: »Donnerwetter, Herr Nachbar! Ich habe Sie erst neulich auf die Sauenjagd so freundlich und pflichtschuldigst eingeladen, aber Sie sind nicht gekommen, weil Sie vielleicht an Sauen und mir und der Jagd kein Interesse haben. Sie jagen lieber als Komödiant, und jeder, so sage ich, nach seinem Geschmack. Aber das Dings mit den Zigeunern und dem lahmen Kerl, wovon mir der verrückte Schulmeister erzählt hat, hätte ich doch gar zu gern mit angesehen. Und mein Freund, der Oberforstmeister Retzer, der diesen Sommer bei mir wohnt, ist ganz des Teufels darüber, daß man uns nicht gebeten hat. Der alte Amtmann aus dem Fränkischen drüben, der auch jetzt bei mir hauset, hat auch die Ansicht, daß es Ihre Schuldigkeit als Nachbar und Freund gewesen wäre, uns einzuladen, denn es sieht doch meiner Seele geradeso aus, als wenn Sie uns alle recht mit Vorsatz hätten vor den Kopf stoßen wollen, was wir, wie sich von selbst versteht, nicht vertragen können und wollen, und Sie wissen wohl selbst, was sich Nachbaren schikanieren und einander dämpfen und Knüppel in den Weg legen können, wenn sie erst einmal auf dergleichen ausgehen; denn Wurst wider Wurst,[442] sagt der Deutsche, und Ohrfeige um Ohrfeige, Zahn um Zahn. Also, nicht wahr, Männchen, bei der nächsten Komödianterei laden Sie uns ein, uns Männer, die wir doch wahrhaftig auch nicht hinter dem Zaun aufgewachsen sind, und einem jeden, wenn es not tut, die Zähne weisen können. Also eingeschlagen! und damit guten Tag und guten Weg, und auf erneute getreue Nachbarschaft Ihr Wohlsein, das wir drei hier um den Tisch eben cordialiter trinken wollen, als

Ihre wohlgesinnten Freunde, Freiherr von Dülmen,

im Namen der übrigen.«


»Das klingt fast«, sagte der Musiker lachend, »wie eine Ausforderung.«

»Ja wohl«, sagte der Sänger, »und dabei erinnert mich der Ton des Briefes an die trefflichen Bücher unsers verehrten Cramer, nach welchem dieser kriegerische Freiherr wahrscheinlich seine Schreibart gebildet hat.«

»Ich weiß nicht, was ich anfangen soll«, sagte Elsheim ganz verstimmt; »da drängen sich neue ganz widerwärtige Figuren auf und lassen sich nicht abweisen. Unsere Diener und Bauern haben mich nicht gestört, aber diese würden mir jede Laune nehmen; denn immer erfordert die Aufführung eines poestischen Scherzes Vertrauen, sonst erscheint man sich selbst in den bunten Jacken als gedungener und mißglückter Harlekin.«

»Ja wohl«, sagte Mannlich seufzend; »erst zwang unserm heitern Spiel die gute Baronesse fast verschimmelte, überbildete Menschen auf, die aus einer längst vergessenen Zeit noch herüberschielten wie Revenants; nun drängen sich umgekehrt ganz Rohe und Ungebildete in unsern Zirkel. Das muß notwendig ein allgemeines Mißbehagen hervorbringen.«

»Man sollte ihnen«, sagte der Sänger, »den Tasso von Goethe aufführen, und sie würden, glaub ich, hinfallen wie die Fliegen im Spätherbst; ich wette, sie kämen niemals wieder, selbst wenn sie eingeladen würden.«

»Oder man improvisierte«, fuhr der Musiker fort, »ein fürchterliches tobendes Melodrama, wo alle Instrumente losgelassen würden, und man eigentlich im Charivari nichts vernähme. Man könnte ja alle Mitspielenden, die aber nur Unsinn aus sich selbst sprächen, umkommen lassen. Es würde erbaulich genug ausfallen.«[443]

Der Diener trat wieder in die Laube und sagte: »Da ist ein wunderlicher Mann, der sich gar nicht will abweisen lassen; er nennt sich Ehrenberg, und behauptet, er müsse den Herrn Baron durchaus sprechen. Er wäre auch schon mit Ihnen bekannt, und Sie würden sich gewiß freuen, ihn wiederzusehen.«

»Ehrenberg?« wiederholte Elsheim, »ich kann mich seiner nicht erinnern, indessen, da er so dringend ist, so bringe ihn nur zu mir.«

Nach einiger Zeit hüpfte ein schlanker, nicht gar großer Mann in mittleren Jahren, in schlechtem hellbraunem Rocke, dem Bedienten voran in die Laube hinein. Elsheim und Leonhard erkannten ihn sogleich als jenen wandernden Schauspieler wieder, der ihnen im Gasthofe Menschenhaß und Reue ganz allein, ohne Beihülfe anderer Personen, aufgeführt hatte. »Ich weiß, höchstverehrter Herr Baron«, rief der Angekommene, »daß Sie meine Huldigung, da Sie so höchst gebildet sind, nicht verwerfen werden. Sie haben Besuch auf Ihrem Schlosse, und so wird meine Bemühung, die erhabenen Gäste zu unterhalten, vielleicht willkommen sein. Ja, ich bin davon überzeugt, daß Sie mich nicht als ein überflüssiges Monstrum werden abweisen lassen.«

»Gewiß nicht«, sagte Elsheim erfreut; »im Gegenteil, Sie überraschen mich auf eine angenehme Weise, und befreien mich aus einer großen Verlegenheit. Es tut mir nur leid, daß ich Sie im Schlosse selbst nicht logieren kann, denn alle Zimmer sind besetzt; Sie werden aber im Hause meines Pächters ein bequemes Unterkommen finden.«

Der Künstler verneigte sich dankbar und zufrieden, und der Baron gab dem Diener Anweisung, für den Wandernden zu sorgen, der sich auch sogleich mit dem Diener entfernte.

Elsheim sagte lachend: »So erbarmt sich denn ein gütiges Schicksal meiner, und sendet freundlich diesen Tausendkünstler der jenen Kennern, die sich selbst eingeladen haben, etwas Genügendes vorspielen wird. Er hat nämlich die große Gabe, ganze Theaterstücke allein vorzutragen, und so spielt er Franz und Karl Moor in den Räubern, und verwandelt künstlich genug die Tragödie in ein Monodram.«

»Soll es aber erlaubt sein«, sagte Leonhard bescheiden, »dies Werk unsers geliebten Dichters, wenn es auch sein frühestes ist so zu entstellen?«

»Du weißt es«, unterbrach ihn Elsheim, »wie ich gerade, mein Leonhard, dieses kecke, verwegene, zum Teil freche Gedicht liebe, mehr als die meisten meiner Landsleute, die Schiller verehren.[444]

Es ist ein übertrotziges Titanenwerk eines wahrhaft mächtigen Geistes, und ich finde nicht nur schon ganz den künftigen großen Dichter darin, sondern glaube sogar Vortrefflichkeiten und Schönheiten in ihm zu entdecken, Ankündigungen, die unser geliebter Landsmann nicht so erfüllt hat, wie wir es nach diesem ersten Aufschwung erwarten durften. Ist denn aber das wunderbare Werk nicht schon populär genug geworden, und oft genug auf guten und schlechten Bühnen als Entstellung und wilde Torheit aufgeführt? Wir geben Ehrenberg Gelegenheit, sich in seiner ganzen Größe zu zeigen, und jene Besuchenden, die uns mit ihrem Zorne drohen, gehen ohne Zweifel begütigt und dankbar nach Hause. Wir sehen zu, oder halten uns entfernt, und kümmern uns um das Unwesen nicht weiter.«

»Nicht also, Herr Baron«, sagte der Bassist in launiger Anregung; »jene Liebhaber werden sich niemals mit einem einzigen Opfer zufriedenstellen, und wenn es in zehn verschiednen blutdürstigen Personnagen aufträte. Wenn Sie, Baron, auch jenen Kennern und Sau- und Jagdliebhabern sich nicht preisgeben wollen, so will ich wenigstens helfen, und ich zähle dabei auf den Beistand einiger Freunde. Vor Jahren forderte mich ein bankerotter Schauspieldirektor, ein Jugendgenosse auf, ihn vom Untergange zu retten. Er saß mitten in den Bergen, und was konnte ich ihm helfen, da seine Oper schon fortgelaufen war? Ich reisete aber doch zu ihm, denn er war wirklich ohne mich verloren. Sein Personal reichte eben noch hin, die Räuber zu geben, ich, der ich niemals im Schauspiel aufgetreten war, lernte den Karl Moor auswendig, und, um das Ding neu aufzuputzen, legte ich für meine Stimme Gesänge ein, die ich selber dichtete und komponierte Lieder, die den Wert des Geldes priesen, den Raub halb komisch entschuldigten, die reichen Geizhälse schalten und dergleichen mehr. Wir machten mit unserer Extravaganz Fureur, wie man es nennt. Der Zulauf war so ungeheuer aus der Stadt und der ganzen Umgegend, daß wir das Stück zwölfmal hintereinander bei überfülltem Hause und doppelten Preisen geben konnten. Mein bankerotter Gesell war gerettet, hatte bedeutenden Überschuß und konnte, da ich für meinen Spaß nichts begehrte, seine Truppe wieder erneuern und verbessern. Nun sei es fern von mir, meinem größeren Rival seinen Karl Moor zu nehmen, aber den Spiegelberg will ich so recht con amore darstellen, und ihn, was eigentlich besser paßt, alle diese Lieder und Arietten singen lassen.«

»Recht so!« sagte der Komponist; »ich helfe bei der Einrichtung[445] mit Instrumenten und Musik, daß das Gedicht: ›Ein freies Leben führen wir‹, welches zum Studentenliede erhoben ist, recht infernalisch kann gebrüllt werden. Waldhörner und Räubermusik müssen noch öfter vorkommen, als Karl Moor sie fordert, und eine große wirkliche Schlacht mit Schießen und Hauen muß den zweiten Akt beschließen. Dazu können wir diese neue Einrichtung des Theaters, und seine Stufen, Treppen und Balcone vortrefflich benutzen. Das soll ein Toben geben, daß den Leuten das Herz im Leibe lacht. Da können wir einmal recht unsere Lust büßen. Ich spiele mit Vergnügen den Roller, oder den Bastard Hermann, oder, wenn es sein muß, alle beide.«

»Vortrefflich!« rief Elsheim, »und unsern Schulmeister machen wir glücklich, wenn wir ihm den biedern Schweizer geben.« »Auch ich«, sagte Mannlich, »trage gern zum allgemeinen Almosen bei, denn ich habe schon sonst den alten Grafen mit Beifall gespielt, diese Rolle kann ich sogleich wieder übernehmen.«

Sie standen auf, doch Leonhard hielt sie noch zurück und sagte: »Wir haben die Hauptsache vergessen. Keine von unseren Damen wird sich zur Amalie hergeben wollen.«

Elsheim lachte und antwortete: »Schadet nicht, ich denke, diese Heldin werde ich schaffen können. Ja, das Trauerspiel muß so aufgeführt werden, wie wir es beschlossen haben, ich lade morgen höflich alle diese Bittsteller ein, und in drei oder vier Tagen geben wir die Räuber, und wenn ich selbst die Amalie spielen sollte.«


Es war in des jungen Barons Weise, daß, nachdem er sich entschlossen hatte, sich und seinen Freunden, wo möglich, durch den wandernden Komödianten einen Scherz zu bereiten, er auch für ihn zu sorgen sich verpflichtet fühlte. Schon auf der Reise war ihm das kleine Bündel aufgefallen, mit welchem sich der Eilende trug; sein Gewand war noch dasselbe, nur etwas abgetragener; er dachte also darauf, ihn ingeheim so auszustatten, daß er sich mit Anstand in der Gesellschaft zeigen könne. Er lud ihn daher auf sein Zimmer, wo er ihm selbst zwei noch gute Kleider nebst Wäsche und Zubehör in einen Koffer gepackt hatte, und als er dem Künstler das Geschenk übergeben, ließ er es von dem Gärtnerburschen, als ob es eben angekommenes Gepäck des Reisenden wäre, in das Haus des Pachters tragen. Dieses Geschenk war um so besser angebracht, da der Fremde ungefähr denselben Wuchs und die Größe des jungen Barons hatte.[446]

Leonhard war seit einigen Tagen in einer mehr als unruhigen Stimmung. Er fühlte, daß sein Freund irgend etwas gegen ihn habe, ja er ahndete selbst die Ursache ihres gegenseitigen Zwiespalts, und dennoch konnte er den Moment nicht finden, den Entschluß nicht fassen, offenherzig den Gegenstand zu besprechen. Auffallend war es, daß Elsheim seinen unruhigen Freund gewissermaßen bewachte. Dieser sah jenen oft ganz unvermutet neben sich, wenn er ihn weit entfernt glaubte. Sein prüfendes Auge lauschte, und Leonhard war oft verlegen, ohne sich sagen zu können, warum. Auch erschien in der Heiterkeit, dem Lachen und Gespräch des jungen Barons etwas Erzwungenes und Übertriebenes, so daß Leonhard vielfältig wünschte, die Stunde seiner Abreise möge schon herbeigekommen sein.

Es war ihm bisher unmöglich gewesen, sooft sich auch dazu die Gelegenheit zu bieten schien, mit Charlotten allein zu sprechen. Sie hatte ihm zuweilen einen Wink gegeben, aber Elsheims lauernde Gewandtheit hatte jedes Verständnis, jedes vertraute Gespräch zu hindern gewußt. Auch Charlotte machte ihn irre und ängstlich, denn sie behandelte ihn, da sie ihn nur in Gesellschaft sah, mit auffallender Kälte, aber noch sichtlicher entfernte sie sich von Elsheim. Und so trieben sich die noch vor kurzem so heiter Gestimmten in Verwirrung und Ängstlichkeit um, jeder den andern vermeidend und suchend, nach Frohsinn ringend, fast immer zerstreut, so daß das Gespräch oft plötzlich unterbrochen wurde, und die beiden Freunde gewannen durch diese Lästigkeit und den Druck der Gegenwart die Überzeugung, daß es notwendig sei, zu einer deutlichen Erklärung zu kommen.

Leonhard hatte im Theatersaal ein Buch liegenlassen und ging hin – es war noch früh am Morgen – es zu suchen. Er fand es nachdem er eine Weile herumgekramt hatte, und, indem er sich an die Säule lehnte, stand plötzlich Charlotte vor ihm. Er war bei diesem Anblick tief bewegt, ja fast erschrocken. Es schien, als sei sie schnell die Treppe heraufgestiegen, denn ihr Atem war kurz, und eine wallende Röte hatte ihre Wangen überflogen. »Sehen wir uns endlich einmal allein?« flüsterte sie. »Böser, wie habe ich dich erwartet, und du kamst immer nicht!« – »Kann ich?« antwortete er schnell, »bin ich nicht fast wie ein Gefangener?« – »Ich habe dir geschrieben, Geliebter«, sagte sie und blickte ihn sehnsüchtig mit forschendem, erwartendem Auge an. Plötzlich umschlang sie ihn und küßte ihn heftig. Er, gerührt und überrascht, wollte die Arme um den schönen Nacken schlingen, als er sich gewaltsam, ja wie mit Entsetzen zurückgestoßen[447] fühlte. »Es ist unrecht«, sagte sie dann kalt, »daß Sie mir neulich das Buch hier wegnahmen, ohne es mir vorher zu sagen; ich habe es allenthalben im Hause und Garten vergeblich gesucht.« Der erstaunte Leonhard wollte antworten, als er jetzt erst bemerkte, daß Elsheim hinter ihm stand. – »Ei, Baron!« sagte jetzt Charlotte, »wo kommen Sie denn her? Ich wollte eben zum Frühstück kommen und suchte nur hier mein Buch, das ich verloren hatte. Wissen Sie, daß Sie mir heut morgen die vierhändige Sonate spielen wollten?«

»Meine Mutter erwartet Sie schon«, sagte Elsheim freundlich, »nachher aber, mein Fräulein, bin ich sogleich zu Ihren Diensten.«

»Auf Wiedersehen also, meine Freunde«, sagte Charlotte mit einer höchst anmutigen Verbeugung, »und lassen Sie uns nicht zu lange beim Frühstück warten, denn die Mama hat gern, wenn sie so heiter ist, wie jetzt, alle ihre geliebten Häupter beisammen.«

Sie verschwand mit jener zierlichen Eile und dem trippelnden Hüpfen, welches ihr so wohl stand, wie sie es denn wohl wußte, daß sie in allen ihren Bewegungen reizend war. Die Freunde standen sich jetzt allein gegenüber. Sie sahen sich bedenklich an, beide verlegen, doch lachte endlich Elsheim laut auf. – »Was ist dir?« fragte Leonhard.

»Du weißt doch«, sagte der Baron, »wie unser gelehrter Professor uns neulich so hübsch die Vorzüge dieses seines altfränkischen Theaters auseinandersetzte. Eine Bequemlichkeit hob er besonders heraus, daß nämlich eine dritte Person so ganz ungeniert zugegen sein könne, ohne daß zwei andere sie wahrnähmen, und wie dies durch diese Säulen, Stufen, Mittelbühne und dergleichen so ganz natürlich zugehe. Der Mann ist doch in allen Dingen gerecht und zuverlässig. Ist es denn aber wahr? und wirklich eine wirkliche Wahrheit?«

»Und was soll wahr sein?«

»Daß du als Papageno angestellt bist. Sie sagen, du habest dir einen ungeheuren Käfig angeschafft; in den wollest du alle unsere Mädchen und Frauenzimmer einsperren, dir das ungeheure Ding als einen portativen Harem auf den Rücken schnallen, und alle die Weibsen als dein rechtmäßiges Eigentum fortnehmen.«

»Ich verstehe deinen Spaß nicht«, sagte Leonhard ganz verlegen.

»Es wäre ein hübsches romantisches Gegenstück«, fuhr Elsheim fort, »zu jenem weltbekannten Kinder- und Rattenfänger[448] von Hameln. Das Schloß des Papageno hast du wenigstens schon seit lange am Munde, und darum, weil ich dies sehe, muß ich fürs erste auch die andere Nachricht glauben.«

Jetzt trat der Professor mit einigen andern herein, und der Künstler Ehrenberg folgte, dem das Theater gezeigt wurde, über welches er in das höchste Erstaunen geriet. Elsheim faßte freundlich zärtlich den Arm Leonhards in den seinigen und sagte: »Folge mir auf mein Zimmer, wir wollen hier die Herren nicht stören.«

Als sie dort angelangt waren, setzten sie sich schweigend nieder. »Ich habe einen Brief an dich«, sagte dann der Baron.

»Von Hause?« fragte Leonhard mit einiger Beschämung.

»Bewahre!« antwortete Elsheim mit schadenfrohem Blick. »Es ist ja erst ganz kürzlich ein Brief angekommen. Wer wird so oft schreiben? Nein, mein Lieber, der Brief, den ich für dich habe, ist ohne alle Adresse, aber dennoch weiß ich, daß er an dich gerichtet ist.«

Er hielt ihm ein versiegeltes Blatt hin, welches Leonhard ungewiß und zaudernd betrachtete. »Du siehst«, sagte er dann, »das Siegel ist unverletzt, sosehr ich in Versuchung gekommen bin, von dem Inhalt etwas zu erfahren; ein böser Charakter hätte frisch aufgebrochen, da mit keiner Silbe hier gesagt ist, wer diesen weißen unschuldigen Brief lesen soll.«

»So sei es!« rief Leonhard in einer fast komischen Verzweiflung aus; »der Brief ist von Charlotten.«

»Ohne Zweifel«, sagte Elsheim, »und –«

»Mein Freund«, fuhr Leonhard bewegt fort, »– ich – oh, wenn du wüßtest – wenn du nur ahnden könntest –«

»Ich begreife alles, alles, nur zu sehr«, unterbrach ihn Elsheim. »Auch weiß ich mehr von dir, als du denkst; ich weiß es, wie lange und ganz allein ihr neulich bei der kleinen Försterin gewesen seid, neulich, als du wie ein armes verirrtes Lamm so viel Wolle in den Dornen gelassen hattest. Diesen Brief hat dir die kleine Vermittlerin auch geben sollen, in welchem dich die allzu reizende Sirene wieder bestellt, und wohl dann auf mehr Liebe hofft, als du ihr neulich magst bewiesen haben. Alles dies hat mir die leichtsinnige Witwe freiwillig verraten, in Rührung und Entzückung, weil ich ihr die Rolle der Amalia in den Räubern zugesichert habe. Aber freiwillig hat sie mir alles bekannt, ich gebe dir mein Ehrenwort darauf; nein, ich wollte sie gar nicht ausfragen, ich wollte gar nichts von ihr wissen. Und darum lies du deinen Brief; tu, was sie von dir verlangt, sei so glücklich, als sie[449] dich machen kann, und laß alsdann dies Gespräch, welches wir jetzt geführt haben, völlig und auf ewig vergessen sein. Aber schwöre mir nur, daß diese Charlotte unsere Freundschaft nicht stören, daß sie unsere Gemüter nicht entfremden oder erkälten soll.«

Leonhard hatte wohl bemerkt, wie bewegt sein Freund war, sosehr er auch Ruhe und seine gewöhnliche Haltung zu erzwingen suchte. »Nein!« rief er aus, »nein, Elsheim, unsere Freundschaft muß wahrer, stärker sein, als eine abenteuernde Leidenschaft, sei der Reiz, die Verführung des Augenblicks und der Gelegenheit auch noch so gewaltig. Liebster, du hast Erwartungen, Absichten, dich bezaubert dies schöne Wesen, und so gebe ich dir hier, wenn auch mit Kampf und Leid, das heilige Versprechen, sie nicht mehr allein zu sehen, sie zu vergessen, und bald abzureisen.«

Kaum hatte Leonhard diese Worte geendigt, als sich Elsheim schon an seinen Busen stürzte, und ein heftiger Tränenstrom ihm die Brust erleichterte. Leonhard erschrak über den gewaltigen Ausbruch einer kaum geahndeten Leidenschaft, und indem er den Freund trösten und beruhigen wollte, hob dieser ihn in seinen starken Armen vom Boden auf, und trug ihn laut lachend im Zimmer herum, setzte ihn, nachdem er so eine Weile gejubelt hatte, in das Sofa nieder, und stellte sich dann, sein Lachen noch vom Schluchzen des Weinens unterbrochen, vor den ganz erstaunten Leonhard, und deklamierte pathetisch: »Ich habe es immer gesagt: ›Den Tischler wollte die Natur zu ihrem Meisterstücke machen; aber sie vergriff sich im Tone; sie nahm ihn zu fein.‹«

Diese Rede Odoardos zwang Leonhard, so ernsthaft er auch gestimmt war, ebenfalls zu lautem Lachen. Nun setzte sich Elsheim zu ihm, nahm seine beiden Hände und drückte sie an seine Brust. »Sieh, mein Bruder«, sagte er, wieder innig gerührt, »ich weiß, daß ich ein Tor bin; ich weiß, daß ich in einem Jahre, vielleicht noch früher, diesen meinen jetzigen Zustand belächeln werde; – aber betrachte auch den Menschen in seiner ganzen Nacktheit, in seiner unverhüllten Schwäche, denn ich will vor dir nicht besser und stärker erscheinen, als ich bin. Seit Wochen quält mich eine tödliche, giftige Eifersucht, und ringt und zankt mit meiner Liebe zu dir. Und wer ist es, der uns so auseinanderzureißen droht? O spreche man mir nicht von Moral und Tugend, Ehrfurcht und Ideal, wenn das unbändige, das riesenhafte Rätsel in unserm Innern aufwacht und zur Auflösung ringt. Konnte ich glauben, daß ich dies in meinen reiferen Jahren erleben sollte,[450] und daß in diesem Zauber, in dieser Verblendung mein Sinn und mein Gefühl so klar und unbestechlich bleiben konnten? Wie sah ich ehemals mit verachtender Erbarmung auf jene Elenden hinab, die Vermögen, Leben, Ehre, Glück der Familie und der Eltern Kreaturen preisgeben, deren Untreue, Eigennutz und Lügenhaftigkeit sie kannten! Oh, jetzt verstehe ich diese unglückselige Zerrissenheit und dies vergebliche Ankämpfen gegen eine bessere Überzeugung! Glaubst du, daß ich die Zauberin verehre, oder nur achte? Wenn ich dies Gefühl in mir erwecken will, so erwacht vielmehr das entgegengesetzte. Was aber hat dies Gefühl auch mit dem Rausch und dem Wahnsinn zu tun, der mich, wie den Rinaldo, mit Blumenketten zu den Füßen dieser Armida bindet? Ist es nicht, als wenn man fragen wollte, was die Io oder Leda des Correggio wohl noch an diesem Tage speisen würde? Oh, Liebster, da du sie aufgibst, so kann ich die übrigen umher mit Geringschätzung betrachten. Und glaube nur, ich weiß das Opfer zu würdigen, welches du mir bringst: das größte, das wundervollste, den Genuß, den die schwelgende Phantasie nicht glänzend genug ausmalen kann! Wie hätte ich ahnden können, als wir hieherkamen, und ich dir von diesem Mädchen sprach, daß die Sünderin mich so verstricken sollte! – Damit du aber siehst, daß du sie in keinem Sinne verrätst, daß du nichts Ehrloses, nichts Grausames an einem Weibe begehst, so lies diese zärtlichen Billete, die sie mir in derselben Zeit geschrieben hat, als sie auch dich zu fangen trachtete.«

Leonhard las und war verwundert, denn das hatte er doch nicht erwartet. »Nun lies aber auch ihren neusten Brief an mich«, sagte er dann. Elsheim fand, daß er wirklich eine Bestellung auf einen gewissen Tag in das Waldhäuschen der Försterin enthielt, wo sie so ungestörter verweilen könnten, weil an diesem Tage Elsheim mit seiner Mutter und der Tante zum Besuch über Land sein würde. Außer den Zärtlichkeiten enthielt das Blatt Anklagen gegen Elsheim, der sich aufdränge, der die Liebe störe, der sie wohl argwöhnen möge, und dergleichen mehr. Leonhard erstaunte über diese tiefe Treulosigkeit und so sicher wandelnde Unwahrhaftigkeit. »Sollen wir es beklagen«, sagte er dann, »aß ein so schönes Wesen sich diese Falschheit aneignen konnte, oder sollen wir annehmen, daß sie so sein muß und nicht anders kann? Wäre sie ohne diese arge Zweideutigkeit weniger reizend? Konnte sie das, was uns bezaubert, nur in ihrem jetzigen Charakter entwickeln?«

»Nun, Geliebter,« fing Elsheim wieder an, »laß mich gewähren.[451] Du sollst nicht im mindesten kompromittiert werden, als wenn du mir dies Blatt überantwortet hättest, oder irgendeine Abrede zwischen uns stattfände. Meine Leidenschaft soll das Wort führen, und sie, die so hinterlistig verfährt, muß es ja entschuldigen, daß ich der jungen Försterin das Geheimnis abgeschwatzt, ihr das Blatt entrissen und den Brief, ohne daß du etwas davon weißt, gelesen habe. Nach ihrem System muß sie es mir Dank wissen, daß meine Liebe alle Rücksichten, auch gegen dich, fallenläßt, und ihre Gunst mir das Höchste und Einzige auf Erden ist. So werde ich an deine Stelle treten, und ohne Zweifel glücklich sein. – Nun ist also der Schatten vom hellen Sonnenlicht verscheucht, der sich zwischen unsere Freundschaft zu legen und düster anzuwachsen drohte. – Aber, Geliebter, du ließest vorher ein Wort fallen von deiner nahen, baldigen Abreise. Diese Drohung nimm zurück. Ich habe schon mit unserm Professor allerhand verabredet. Er schwärmt dafür, uns nächstens das Lustspiel Shakespeares: ›Wie es euch gefällt‹ aufzuführen, und wir alle sind schon darin übereingekommen, daß es in der ganzen Welt keinen solchen Orlando geben kann, als wie du ihn spielen würdest. Auch hättest du nicht zu besorgen, wieder mit Charlotten in einen Liebesstreit zu geraten, denn Albertine würde deine Rosalinde darstellen, und die kleine Dorothea Celia, ihr Mühmchen. Darum gib noch eine Woche, oder zehn Tage nach jenen Räubern zu, die uns nun so nahe bevorstehen; dann – –«

»Nein! nein! mein Geliebtester!« unterbrach ihn Leonhard sehr lebhaft, »nur dies, dies fordere nicht von mir! Alle Gefühle zwischen uns, alle möglichen Mißverständnisse, mein teurer Freund, sind nun geschlichtet; wagen wir es nicht darauf, ob sich neue erzeugen könnten. Du weißt, was dich zu dieser Reise begeisterte; du erinnerst dich, was mich verführte, dich zu begleiten. Sieh nun, wie sich alles anders gewendet hat, als wir es damals erwarteten. Statt unserer kindlichen Liebe zu Goethe, hat sich eine ganz andere unseres Herzens, und mit störender Leidenschaft und Heftigkeit bemeistert. Nein, mein Freund, jener Tag, der dich an meiner Statt nach jener dämmernden Waldhütte führt, sei auch der Tag meiner Abreise. Für einen schlichten Bürger, dächte ich, hätte ich der Abenteuer genug bestanden. So weit mag es sich vielleicht entschuldigen lassen, wollte ich aber irgend einem Gelüste länger nachgeben, so müßte ich mich vor mir selber schämen. Und welche Rechenschaft könnte ich meinem Haushalt, meiner Frau, meinen Handwerksfreunden und Genossen ablegen? Ich muß nach Haus, und um kein Taugenichts zu werden,[452] in meine alte Ordnung zurückkehren. Noch ist es Zeit, und du selbst, wenn du mich liebst, solltest mich forttreiben; denn jetzt vernarbt sich wohl noch die seltsame Wunde, die ich mit mir nehme.«

Sie trennten sich, und Leonhard fühlte sich beruhigt, doch war ihm, als wenn er einen unendlichen Verlust erlitten hätte. Elsheim war ganz heiter, und konnte froh an der Gesellschaft teilnehmen, seine Gäste unterhalten und seinen phantastischen Plan mit Charlotten verfolgen. Als er nachher mit dem Schauspieler Ehrenberg, der schon in den bessern Kleidern umherging, sich im Garten traf, sagte er zu diesem: »Nur nicht, mein Lieber, diese übertriebene Dankbarkeit und zu weit getriebene Höflichkeit. Lassen Sie es sich bei mir und den Meinigen in diesen Tagen wohlsein, spielen Sie Ihre Rollen, und sein Sie so frei und unbefangen, wie nur irgend möglich, denn nur dadurch werden Sie mir am besten danken.«

Der alte Förster, der so laut damals geklagt hatte, als man ihm die Rolle des Zigeuners zugemutet hatte, begab sich diesmal fast freiwillig unter die Komödiantentruppe, und zwar, um keine sehr dankbare Rolle, den Schufterle nämlich, zu spielen. Er übernahm diese Partie als die kleinste und unbedeutendste im Stück, und zur Teilnahme hatten ihn vorzüglich zwei Dinge vermocht: erstlich, daß seine Tochter eine so wichtige und glänzende Rolle übernehmen sollte, und dann, daß ihn der ausgelassene Bassist überredet hatte, alle seine Jagdhunde mitzubringen und mitspielen zu lassen. Denn da Karl Moor im zweiten Akt ausdrücklich sagt: »Auch müssen alle Hunde los und in ihre Glieder gehetzt werden, daß sie sich trennen, zerstreuen und euch in den Schuß laufen!« – so schien es beiden mehr als unbillig, den guten, so oft geplagten Geschöpfen die einzige Gelegenheit zu rauben, sich auch einmal auf der Bühne und in einer künstlerischen Mitwirkung zu zeigen.

Alles war bereit. Der Cadet hatte den Kosinsky eingelernt der Komponist hatte es möglich gemacht, Roller und den Bastard Hermann zu übernehmen; Franz Moor erdrosselte sich und erwachte nicht wieder zum Leben, daher war es dem kühnen Ehrenberg etwas Leichtes, beide feindliche Brüder darzustellen und der Schulze hatte sich vom Schulmeister verführen lassen, den alten Diener Daniel einzuüben. Bauern, Knechte, Diener des Hauses und der Gärtner mit seinen Gehülfen, sowie die Jägerburschen, waren in den Proben als Soldaten, Räuber und andere Helfershelfer abgerichtet worden.[453]

So war denn der große Tag erschienen, an welchem dieses gewaltige Werk die Zuschauer entzücken sollte. Elsheim hatte seine Mutter beredet, an diesem Abend nicht im Schauspiel zugegen zu sein, weil sie, welches sie nach seiner Schilderung begriff, an der Grausamkeit des Gegenstandes und dem übertriebenen lauten Getümmel keine Freude haben könne; sie zog sich auch um so lieber unter dem Vorwand der Unpäßlichkeit zurück, weil jene Zuschauer, die sich für diesen Abend zugedrängt, und die des Sohnes Einladung mit Freuden angenommen hatten, ihrem Sinn auf keine Weise zusagten. Es ward beliebt, daß die Tante, Charlotte und Albertine, sowie Dorothea, ihr Gesellschaft leisten und sie auf ihrem weit abgelegenen Zimmer mit Musik unterhalten sollten. Dort also ward gesungen und gespielt, indes Elsheim seine Gäste empfing, ihnen ihre Plätze anwies, die Mutter und die Damen entschuldigte, und in Gesellschaft des Professors mit allen sprach, freundlich zuhörte und die Honneurs des Hauses machte, so gut und schlimm er es vermochte. – Auch Leonhard war im Theatersaal zugegen, um die Fremden zu unterhalten.

Zuerst erschien die alte Frau von Brommen mit ihren veralteten Töchtern. Ihre Dankbarkeit und die übertriebenen höflichen Redensarten wären unerträglich gewesen, wenn Emmrich nicht die Geschicklichkeit besessen hätte, das Gespräch sogleich auf andere Gegenstände zu lenken. Von dem lärmenden und laut schreienden Bellmann wurden sie dann unterbrochen, der mit seinen drei Söhnen, immerdar fragend und die Antwort nicht abwartend, in den Saal brach. Alle staunten, da sie gar keinen Begriff von einem Theater hatten, und waren darum in gespannter Erwartung um so begieriger. Jetzt erschien auch der dicke Jäger mit seinen Begleitern, und alle saßen schnaubend und fast schnarchend auf ihren Plätzen, indessen die drei Bewirter die schwere Aufgabe zu lösen hatten, auf alle ihre sonderbaren Fragen ihnen genugzutun. »Wissen Sie wohl«, sagte der unbeholfene Dülmen schnarchend und schnaubend, »was ich schon auf unserm neulichen Landtage meinen Kollegen und dem Herrn Präsidenten habe vorschlagen wollen? Man hört so viel jetzt von allen Menschenfreunden gegen die Todesstrafen und die öffentlichen Hinrichtungen reden; sie meinen, es sei nicht recht schicklich und anständig für gebildete Nationen, wie wir sind, und dergleichen. Nun habe ich mir sagen lassen, daß in Trauerstücken oft viele Personen auf dem Theater umkommen, die sich zum Teil selbst entleiben, zum Teil von andern erstochen werden. So wäre es also vielleicht recht ersprießlich, wenn man die ausgemachten[454] Malefikanten und Verbrecher, Mordbrenner und solch Volk diese Tragödienstücke aufführen ließe, damit ihnen dort mit Geschmack und Anstand vom Brote geholfen werden könnte.«

»O mein Himmel!« rief eine von den Witwen, »das wäre ja noch grausamer und blutiger, als die spanischen Stiergefechte. Nein, dem ist unser edler deutscher Sinn, unser weiches Gemüt zu sehr entgegen.«

»Warum edles Gemüt?« rief Dülmen, der Jagdfreund; »hätte mich je etwas bewegen können, mal nach dem bigotten Lande hinüberzureisen, so wären es gerade diese superben Stierhetzen gewesen: eine so noble Erfindung, daß man sie einem so rohen, unwissenden Volke gar nicht zutrauen sollte. Teufel noch einmal! so ein wilder Ochs, so ein wütiger Kerl, der gar keine Raison annimmt! Und nun die lieben Hunde, und der dreiste Mensch, der ihm den Fang gibt! Und Tausende von Menschen umher, Vornehme, Fürsten, geputzte Frauenzimmer und das Bürgervolk, und alles ruft und klatscht Beifall! Nein, meine gnädige Frau, bitte tausendmal um Vergebung, das muß ja etwas wahrhaft Paradiesisches sein.«

Bellmann sagte: »Schauen 's, so war auch ehemals die berühmte Bärenhatz in Wien. Aber alles Gute geht zugrunde. Ich bedauere nur unsere Nachkommen, die es noch schlimmer haben werden.«

Jetzt begann die Musik. Der Komponist hatte zwei Orchester angeordnet, eins oben auf dem Balcon, ein anderes vorn unmittelbar vor dem Theater. Jedes spielte erst einzeln und vereinigte sich dann, um ein rechtes tobendes Gewirr von Tönen in die Schlacht zu führen.

Da Ehrenberg sich gar nicht darüber hatte zufriedengeben wollen, daß kein großer, breiter Vorhang vorn die Bühne von den Zuschauern trennte, Emmrich auch einsah, daß ein modernes Stück dessen nicht gut entraten könne, so hatte er zwei große Gardinen besorgt, die vorn sich in der Mitte berührten und, wenn der Akt anheben sollte, durch zwei Schnüre zurückgezogen wurden, so daß sie auf beiden Seiten verschwanden.

Jetzt trat Franz Moor auf mit seinem Vater, dem alten Grafen. Mannlich sprach diesen in seiner tragischen Weise breit, stark, langsam, mit angeschwollenen Wangen und hervorgedrehten Augen. Franz war aber in der Kunst, Gesichter zu schneiden viel geübter, denn wenn Mannlich beinahe nur immer denselben Ausdruck anbrachte, so lief über das Gesicht des verstockten Bösewichts Franz das Mienenspiel wie ein Zickzack mit Blitzesschnelle. Die Zuschauer, die vornehmen sowohl, wie die Bauern,[455] welche man zugelassen hatte, waren ganz hingerissen von Erstaunen und Bewunderung. So was sei noch niemals gesehen worden; so etwas könne sich kein Mensch träumen lassen: darin kamen alle überein. Aber Ehrenbergs Monolog! Jetzt enthüllte sich erst der ganze Bösewicht, an dessen Schändlichkeit man bis dahin immer noch etwas hätte zweifeln können. Es wäre grausig und könnte einem im Traum wieder vorkommen; so äußerten sich die Söhne des Baron Bellmann. – Jetzt trat Amalie auf. Die Bauern, welche sie kannten, waren in der größten Freude, die sie, um die Damen zu begrüßen, mit einem lauten, wiehernden Gelächter äußerten. Sogleich erhoben sich Bellmann und Dülmen von ihren Sitzen, kehrten sich um, indem sie majestätisch umhersahen und riefen: »Stille, das da ist ein Trauerspiel, gutes Volk!« – Lene, des Försters Tochter, war vortrefflich in ihrer Rolle, so sicher und frei, so ohne Verlegenheit, daß selbst Elsheim über ihre zu große Keckheit erstaunen mußte. Diese Dreistigkeit tadelten auch an ihr die alte Dame und ihre Töchter; die jungen Bellmann aber und die Forstleute lobten sie um so mehr wegen dieser majestätischen Sicherheit. Wärend ihres Monologs kleidete sich Franz mit Blitzesschnelle zum Karl um, warf die rote Perücke ab, und setzte eine andere auf, mit schönen herabfallenden Locken, die wie schwarze Troddeln über Stirn und Wangen fielen. Gleich in seiner ersten Szene brachte Spiegelberg zwei von seinen kräftigen Liedern an, die auch von der besten Wirkung waren. »Jetzt dürfte man vielleicht lachen«, sagte Dülmen ziemlich laut, und die Bauern, die seinen Ausspruch gehört hatten, bedienten sich dieser Erlaubnis. Moor stürzt ab, und Spiegelberg ermuntert die Kameraden, sich mit ihm zu einer Räuberbande zu verbinden. Wieder ein Lied, und der Forstrat sagte: »Bei Gott! eigentlich wird das Spitzbubenhandwerk von dem schönen großen Manne da doch gar zu appetitlich abgeschildert. Wenn uns da das Gesindel in die Wälder läuft und das Wild wegpirscht, so ist es nicht mehr zu verwundern.«

»Wahr, Herr Nachbar«, rief Bellmann: »gefährliche Äußerungen unter diesen Umständen! Nur werden sie eingesteckt und kriegen Prügel, was denn auch wieder nicht sehr appetitlich ist.«

Moor kam wieder in der ungeheuersten Verzweiflung. Dem Ausbruch ungemessener Wut folgte sein Entschluß, Räuber und Mörder zu werden. Seine Genossen schwören ihm Treue, und alle stürzen tumultuarisch ab.

Die Bellmann, Dülmen und seine Begleiter, die fremden Damen,[456] alle konnten nicht Worte finden, um die Bewunderung für diesen Schauspieler genügend auszudrücken, welcher mit so großem Kraftaufwande den Räuber Moor spielte. Aber welch Erstaunen ergriff sie insgesamt, als ihnen Elsheim vertraute, daß dieser Mann, der ein wirklicher Bühnenkünstler und kein bloßer Liebhaber sei, Kunst und Kraft genug übrigbehalte, um neben diesem edlen Bösewicht auch noch jenen ganz verworfenen, hämischen Franz zu spielen. Anfangs erstarb ihnen das Wort im Munde, dann aber begannen alle zu zweifeln, und meinten, der junge Baron treibe nur seinen Scherz mit ihnen, bis nach wiederholten Beteuerungen Elsheims ihr starrer Zweifel brach, um die Flut einer ungemessenen Bewunderung ausströmen zu lassen. »Den Mann müssen wir sehen!« riefen die Bellmann wie aus einem Munde. »Führen Sie uns auf das Theater«, schrie Dülmen, und seine Gefährten akkompagnierten. Die Damen begnügten sich, ihre Bewunderung in Tränen des Entzückens auszudrücken, da sie die Hoffnung nährten, nach geendigtem Schauspiel den Wundermann auch persönlich kennenzulernen. Stampfend und mit den Sporen klirrend folgte der männliche Chor dem anführenden Elsheim, der sie seitwärts durch einige Zimmer geleitete, um sie von der hintern Seite auf das Theater zu bringen. Dort hatte sich Ehrenberg schon wieder zum Franz umgewandelt, und als jetzt die lärmende Gesellschaft hereinstolperte, und Dülmen schrie: »Karl Moor, wo ist Karl Moor?« lief ihm der rothhaarige Franz verwundert entgegen. »Mensch!« schrie der alte Bellmann, »wo ist dein Bruder Karl Moor?« – »Meine Herren«, sagte Ehrenberg, »sollten Sie es nicht wissen, daß ich es bin der beide Charaktere gibt?« – »Ist ja wahr!« schrie Dülmen auf, »man wird ganz dumm bei solchem Wunderwerke!« – Er drückte den Künstler so heftig an seine Brust, daß dieser laut hätte schreien mögen. Bellmann umarmte ihn ebenfalls. »Großer Mensch«, sagte er dann, »wir und meine Söhne müssen uns näher kennenlernen, Sie müssen zu uns hinüberkommen; – können Sie meine Kinder da wohl unterrichten, daß sie auch so was lernen?« – »Gewiß«, sagte Ehrenberg, »und ich werde glücklich dadurch sein.« – »Zu mir auch, auch zu mir müssen Sie kommen!« jubelte Dülmen: »– wir sind alle Menschen, ist es nicht wahr, Bellmann?« – »Man sollte es doch glauben«, antwortete dieser. – Alle drängten sich gaffend, fragend, schreiend, lachend, ihn anrührend, um den großen Wundertäter, so daß Elsheim anfing besorgt zu werden, das Männchen möchte in dieser großen Popularität Schaden nehmen, oder gar verhindert werden, seine Rolle,[457] von der noch bei weitem das meiste zurück war, fortzuspielen. Er schaffte also mit Redekünsten die stürmischen Bewunderer wieder von der Bühne, die es ganz vergessen zu haben schienen, daß sie noch vier lange Akte zu erwarten hatten. Sie entfernten sich endlich, ungern zwar, wandten noch oft die Blicke rückwärts, und erzählten den wißbegierigen, gespannten Damen im Parterre nun von der roten Perücke, die sie wirklich angerührt hätten, ihn aber umarmt und seine Hände gedrückt, und daß er ohngeachtet seines ungeheuern Talents ein Mensch wie andere auch zu sein schiene. Indem teilte sich der Vorhang wieder, und der zweite Akt begann.

Jetzt wurde der boshafte Franz und seine Kunst, das Gesicht zu verziehen, noch weit mehr als vorher bewundert, da man ihn näher kannte und wußte, wer er war. In der Szene des scheinbaren Todes zeigte sich Mannlich groß. Jetzt trat auch der Komponist als Hermann auf, wie er sich schon im vorigen Akt als Roller gezeigt hatte. Der Alte war nun tot und beseitigt und Franz Gebieter. Es folgten hierauf die Szenen im Walde, die der Bassist, ohne Hülfe Ehrenbergs, eingerichtet hatte, und in denen er seinem Übermut am meisten den Zügel wollte schießen lassen. Gleich beim Eintreten trug er wieder einen jener tollen Gesänge vor, worin er den ganzen Umfang und die Tiefe seiner vortrefflichen Stimme hören lassen konnte. Er hatte alles aus der ersten Edition des Werkes herübergenommen, und nur die Erzählung von der Plünderung des Nonnenklosters ausgelassen. In seiner tollen Laune hatte er viele von den Domestiken oder Knechten auf die lächerlichste Weise herausgeputzt als diejenigen Spitzbuben, die er, Spiegelberg selbst, angeworben hatte. Indem er nun die Geschichten seiner List und Menschenkenntnis erzählte, holte er diese Kumpane, einen nach dem andern, näher an das Licht hervor, und die seltsamsten Fratzen zeigten sich zum Ergötzen der Zuschauer; dies und die musterhaft launige Erzählung, die der Dichter seinem Spiegelberg in den Mund legt, mußten Freude und Jubel hervorbringen. Das Gelächter war unauslöschlich, und selbst Elsheim und der Professor mußten den Humor des Sängers bewundern. Nun erscheint die übrige Bande mit dem befreiten Roller. Das Getümmel war gut arrangiert, und alle diese Räuberszenen wurden, bis auf die Rolle des Karl Moor, wirklich vortrefflich gegeben, doch wurde dieser am meisten bewundert. Der Schulmeister war als Schweizer unbeschreiblich glücklich, denn er durfte so laut und stark spielen, wie er nur immer wollte. Der Kommissar oder Pater erscheint, und nun[458] vernimmt man schon Trompeten und die Musik der Soldaten. Jetzt stürzen alle Räuber im Getümmel ab, und das Gefecht beginnt. Dieses hatte der Sänger vielmals mit allen Gehülfen eingeübt, um das Allertollste hervorzubringen, wie man es sonst nur in dem Zirkus der Kunstreiter zu sehen gewohnt ist. Die Szene nahm sich gut aus und paßte vortrefflich auch zu dieser törichten Aufgabe. Man hatte die freien Säulen mit bemalten Baumstämmen verhängt; so war die innere Bühne nun wie eine Felsengrotte, die Stufen, von grünen Gebüschen umstellt, erschienen wie Gebirgssteige, Schluchten oder Hohlwege, der Balcon oben zeigte sich als eine Berghöhe. Die Räuber nahmen nun, nachdem Moor und andere hinweggestürmt waren, unter Geschrei und wilder Musik alle diese Posten ein; Soldaten erschienen sodann unten, um solche wieder mit Gewalt zu erobern. Man schoß, man kämpfte mit dem Säbel und Bajonett, alles schrie Hörner und Trompeten schmetterten nah und fern, auch hörte man in den Pausen das Schießen und Kämpfen in der Weite. Als die Räuber fast schon gesiegt hatten, viele Soldaten tot und andere entflohen waren, erschien von der rechten Seite der Räuber Moor mit seiner Schar wieder, als wenn er von der Übermacht des Militärs zurückgedrängt wäre. Neue fechtende Gruppen bilden sich wieder auf dem Proscenio, sowie auf der innern Bühne; das Schießen wird noch viel gewaltiger; die größte Verwirrung und Zerstörung stellt sich dar. Jetzt bricht heulend und bellend die ganze Koppel der Jagdhunde herein; alles schreit, lärmt, Trompeten schmettern, Waldhörner tönen, Büchsen, Gewehre und Pistolen knallen, dazwischen die Hunde, und die Anhetzenden toben, was sie nur vermögen, so daß der alte Förster genötigt ist, von der Wahrheit abzuweichen und als Schufterle trotz seines schimpflichen Abschiedes wieder aufzutreten um seine Hunde nur gehörig zu führen und in Ordnung zu halten. Die Doggen, so abgerichtet, reißen viele Soldaten von hinten nieder, die Bullenbeißer rennen die Stufen hinan, um die Krieger anzupacken, und als diese mehr als babylonische Verwirrung, das Zeter und Spektakel eine geraume Zeit gewährt hat, fliehen die Soldaten, und die siegenden Räuber stürzen jubelnd nach. Den Boden, die innere Bühne und die verschiedenen Stufen rechts und links bedecken die Leiber getöteter und verwundeter Krieger, alle, wie auch Leonhard und der Professor zugaben, in höchst malerischen Stellungen, worüber der letzte nicht wenig erfreut war, da nur durch seine angepriesene neue, oder vielmehr veraltete Bühneneinrichtung dieser Effekt erreicht werden[459] konnte. Nun schlossen sich die Vorhänge und verdeckten alles.

Diesem Ungestüm folgte eine allgemeine tiefe Stille, denn die Bewunderung und das Entzücken der Zuschauer war so groß, daß sie anfangs keine Worte und keinen Ausdruck finden konnten. Endlich vereinigte sich der Ausspruch der Damen sowohl wie der fremden Herren dahin, daß dieses Schauspiel erhaben, sublim und einzig zu nennen sei, daß man niemals sich vorgestellt habe, daß die dramatische Kunst so ungeheure Wirkungen hervorbringen könne, und daß das ganze Land dem Baron Elsheim zum innigsten Danke verpflichtet sei, daß er, als ein echter Patriot, mit großen Unkosten zur Bildung und Erhebung aller Zuschauenden diese Prachteinrichtung auf seinem Schlosse stattfinden lasse. Dülmen, der alte Bellmann und seine Söhne, der Forstmeister und der Amtmann reichten abwechselnd dem jungen Baron die Hände und drückten die seinigen, überschütteten ihn mit Lob und Dank; auch die Witwen erhoben ihren Gesang zwischen den derben männlichen Tönen, so daß Elsheim, wenngleich seine Freunde abwehren halfen, vor Verdruß und Langeweile ermüdete, bis ihn endlich der Anfang des dritten Aktes von diesen lästigen Artigkeiten befreite.

Dieser Aufzug wirkte nur wenig, weil sich soeben das Interessanteste gleichsam erschöpft hatte. Nur die starke, nachdrückliche und laut schallende, nicht geheuchelte, oder angedeutete Ohrfeige, welche Franz von der rüstigen Amalie empfing, erweckte die Zuschauer aus ihrem Schlummer, und erregte ein lautes und allgemeines Gelächter. »Es geschieht dem bösen Kerl ganz recht«, sagte ein Bauer laut sprechend, »so sollten nur alle mit ihm umgehen, so würde er schon zu Kreuze kriechen müssen.« In der zweiten Szene hatten sich die Räuber wieder malerisch gelagert, und Elsheim freute sich wieder dieses Anblicks, indem er sich erinnerte, wie unbedeutend, unbestimmt und nicht kenntlich, ja gemein und platt sich dieses Herumliegen von Menschengestalten auf unsern gebräuchlichen deutschen Theatern immer ausnimmt. Der Cadet, als Kosinsky, hatte Beifall, doch schien dieser Aufzug gegen den vorigen gehalten, nur matt und unbedeutend.

Der vierte Akt war wieder um desto glänzender. Franz und Karl erheben sich hier schon zur höchsten Leidenschaft, und obgleich Ehrenberg hinter der Szene alles bereitgelegt hatte, was zur Umkleidung und Verstellung notwendig war; obgleich ihm der gewandte Bassist die schnellste und aufrichtigste Hülfe leistete, auch noch einige Diener eben dazu angewiesen waren: so[460] erstaunten alle Zuschauer dennoch über die fast an Wunder grenzende Schnelligkeit, mit welcher sich Ehrenberg fast unter ihren Augen und doch so unbegreiflich in das Gegenteil von der Person verwandelte, als welche er nur soeben erschienen war.

»Ja«, rief Dülmen immer wieder von neuem aus, das ist der echte Hokuspokus, der in der Kunst so notwendig ist; ein ungebildeter Mensch könnte an Zauberei, oder gar an ein Bündnis mit dem Teufel glauben. So gelangte man denn zu der großen nächtlichen Szene am Turm. Die beiden Virtuosen hatten wieder eine schöne Hörnermusik besorgt, die sich in der Dämmerung sehr gut ausnahm. Auch jetzt bewährte sich die Bühne als sehr bequem und brauchbar, denn man hatte die Säulen durch gemaltes Mauerwerk verhängt, eine scheinbar mächtige Eisentür verschloß die innere kleine Bühne; aus dieser kam nun, nachdem Karl Moor den Turm geöffnet hatte, der alte Graf wie ein Gespenst hervor; und Anrede, Antwort und Beschwörung des Greises, alles dies konnte gleich natürlich und verständlich im nahen Vorgrunde, allen bemerklich, geschehen; und das Zurückfahren des Entsetzens, das stumme Spiel des Räubers, die Ohnmacht des Alten, alles dies brauchte nicht erst aus dem Hintergrunde hervorgezogen zu werden. Diese gewaltigen Szenen üben ihr Vollgewicht, auch ohne Genie dargestellt, aus, wieviel mehr auf diese Zuschauer, die den besten Willen, sich täuschen zu lassen, besaßen, und dem Hauptschauspieler schon im voraus ihre Bewunderung entgegentrugen.

Im letzten Akt fühlte sich Leonhard völlig verstimmt, indem jener Traum des Franz, den er zu dem Sublimsten rechnete, was die Poesie je hervorgebracht hat, von dem Stümper so völlig entstellt, ja vernichtet wurde. Dieser war nur bestrebt, stets erneuten Schrecken zu heucheln, Schwindel und Ohnmacht anzudeuten, und alle jene kleinen Künste und Zufälligkeiten anzuwenden, die völlig verschwinden müssen, wenn das Gewaltige und Übermenschliche eintreten soll. Nun stürmten die Räuber Geschrei, Heulen, Fackeln, Schießen, kurz alles fand sich wieder zur Genugtuung der Kunstfreunde, in Überfülle, Franz erdrosselt, Schweizer erschießt sich; und die letzte Szene und der Schluß nahten heran, sowohl zur Zufriedenheit der entzückten, als der völlig ermüdeten Zuschauer, zu denen vorzüglich Elsheim gehörte, dem es aber, so erschöpft er auch sein mochte, nun noch oblag, als Wirt den wesentlichsten Teil seiner Rolle zu übernehmen.

Seit die Mutter zurückgekommen war, hatte er, da die Gesellschaft[461] zu zahlreich war, zwei Tafeln eingerichtet. An der zweiten, an welcher er selber oft, sowie eine der Damen, sich niederließ, um keinen Rangstreit oder Empfindlichkeit zu veranlassen, war auch Ehrenberg seit seiner Ankunft eingefügt worden. Die Virtuosen hatten sich auch abwechselnd gern dort eingefunden, weil der Ton hier freier, und das Wort lauter sein durfte. Als man sich daher umgekleidet hatte, und man sich ordnen wollte, dachte er, auch diesmal den Künstler in jenes Zimmer zu verpflanzen; die alte Freiherrin aber, die mit ihren drei Töchtern auf Elsheims Bitte heut die Funktion der Wirtin übernommen hatte, bestand darauf, daß der Schauspieler neben ihr obenan als König der Tafel sitzen müsse. Noch lauter verlangte dies die Familie Bellmann und der alte Dülmen mit seinen Begleitern. Schulz und Schulmeister, nebst einigen aus der Gemeine, der Gärtner, nebst dem Förster, sowie dessen Tochter, ergötzten sich also an jenem zweiten Tisch, zu welchem sich auch freiwillig die beiden Virtuosen verfügten, sowie der Professor Emmrich, der sich wohl schon hinlänglich an den Kunstgesprächen und Kenntnissen jener fremden Gäste erbaut haben mochte.

Man war an beiden Tischen sehr fröhlich, diesmal aber am vornehmeren ohne Vergleich am lautesten. Als der Wein die Zungen beredt machte, sprudelten die Herren von Einfällen und Bemerkungen über. Man trank des Künstlers Gesundheit unter Anklingen, Jubel und Geschrei. Er dankte und zeigte sich sehr verbindlich und artig, vorzüglich gegen die Damen. Ernestine, die zweite Tochter, wandte kein Auge von ihm ab, so sehr war sie auch von seiner Persönlichkeit bezaubert. Der derbe Forstmann war der erste, der, schon halb berauscht, fast unter Freudentränen mit Ehrenberg auf altdeutsche Weise Brüderschaft trank; seinem Beispiel folgte der dicke Amtmann, und endlich auch der korpulente Dülmen. Es war ein Jubel von Biederherzigkeit und deutscher Gesinnung. Der älteste Bellmann, von dieser Hochherzigkeit begeistert, stand ebenfalls auf, um in derselben Weise mit Ehrenberg anzustoßen; doch der Vater, der es noch zur rechten Zeit bemerkte, zog ihn gelinde am Rockschoß zurück, und nötigte ihn wieder auf seinen Platz, indem er leise sagte: »Nicht also, Freund Bastian! Unterschied der Stände und Geschlechter muß sein und bleiben; sich so zu verduzen, auch mit dem allerbesten Künstler, geziemt unsereinern nicht. Trink du Schmollis und auf Duz mit Kammerherren, Gutsherren und deinesgleichen, so viel du willst, bis du unter den Tisch fällst, und dich vier Bediente nach Hause tragen müssen, dagegen werde[462] ich als leiblicher Vater nichts einwenden, aber nicht mit Musikanten und solchen Leuten; denn, siehst du, wenn sie nun einmal wieder mit dem Teller herumgehen, so bist du doch völlig blamiert und in Kadenzierung.«

Trotz dieser Warnung aber ward Ehrenberg auf sein Gut eingeladen, ebenso wie zu der Freifrau und dem Baron Dülmen. Sie nahmen sich vor, auch in ihren Häusern dieselbe, oder ähnliche Komödien aufzuführen, und Ehrenberg sollte die Sache anordnen, und die Söhne des alten Bellmann zu solchen Künsten abrichten. Die alten Damen sahen sich schon in zärtlichen und erhabenen Rollen in glänzenden Schleppkleidern auf dem erleuchteten Theater.

»Sie bewundern mich zuviel«, sagte der vom Lobe berauschte Ehrenberg in einer Pause, »und vorzüglich auch deswegen, weil es mir vielleicht gelang, diese beiden großen und wichtigen Rollen bedeutsam zu spielen; – was aber sagen Sie zu jenem Wagestück, daß ich mehr als einmal das ganze ungeheure Schauspiel ganz allein aufgeführt habe?«

»Ganz allein, Mann, Bruder?« schrie Dülmen beinah erschreckt; »ganz allein, du Herzensjunge? Tausend Sapperment, das nenn ich Kunst! Und mit den Weibsen und den Liedern und dem Schießen und all den Hunden und den verfluchten Bullenbeißern? Du bist ein großer Mann und mehr als wir alle, aber das kann ich doch zeitlebens nicht begreifen.«

Es war jetzt nicht Zeit und Gelegenheit, begreiflich zu machen, unter welchen Einschränkungen und Bedingungen die Sache etwa nur möglich sei, denn die Fähigkeit zu verstehen war so ziemlich, auch zum Teil die zu hören, erloschen. Diese dithyrambische Verwirrung benutzte Bellmann, um seinen Söhnen noch in später Nachtzeit durch sein Exempel ein heilsame Lehre einzuprägen; er erhob sich mit seinem Glase taumelnd und lallend, die drei Söhne mußten ihm folgen, einer hinter dem andern; so kam das Geschwader zu Elsheim. Der Alte hielt eine kurze, unsinnige Anrede, und so sah sich Elsheim durch den symbolischen Akt des Trinkens und Umarmens um vier Brüder bereichert, die ihm, wenn er an Leonhard dachte, in seine nur kleine Sammlung nicht zu passen schienen.

Übermüdet stand man auf, indem fast schon der Morgen graute. Die Fremden fuhren, nachdem sie noch einmal ihr Herz gegen Elsheim in den stärksten Danksagungen ergossen hatten, nach Hause. Elsheim, Leonhard und der Professor konnten lange den Schlaf nicht finden, so verstimmt fühlten sie sich. Das nämliche[463] fast begegnete Ehrenberg, den aber der Schlummer floh, weil die Entzückung nicht weichen wollte. So viel er auch schon erlebt haben mochte, so war er doch noch niemals so verehrt, und sein Talent noch niemals in gleichem Grade anerkannt worden.


Nur wenige im Hause hatten in dieser Nacht ruhig geschlafen. Selbst die Frauen, die nur in der Ferne das Schießen, Schreien und Toben der Schlacht, die Trompeten und das Hundegebell gehört hatten, waren dadurch so aufgeregt worden, daß sie auch späterhin die erquickliche Ruhe nicht finden konnten. Die alte Baronesse sagte: »Es ist mit der Kunst eine sonderbare Sache, daß zuweilen solche fast greuliche Explosionen stattfinden, die dem ruhigen Menschen ein Grauen vor der ganzen Erfindung beibringen könnten. In meiner Jugend hatte man von dergleichen keine Vorstellung. Ich fürchte nur, mein Sohn setzt sich in diesen Extravaganzen fest, und trägt in seinem Kreise auch dazu bei, die schon verwirrte Zeit immer mehr zu verwirren.«

Beim Frühstück, welches heute viel später als gewöhnlich eingenommen wurde, verabredete man eine Spazierfahrt auf morgen, an welchem Tage die alte Dame eine Familie in der Nachbarschaft in Gesellschaft der Tante besuchen wollte. Alle waren erstaunt und zum Teil betrübt, als Elsheim erklärte, daß er die Mutter nicht begleiten könne, weil er seinen Freund Leonhard eine halbe Tagreise bringen wolle, der morgen schon, von Briefen aus der Heimat gedrängt, das Schloß verlassen würde. Die Mutter beklagte den Verlust des freundlichen jungen Mannes, dessen stilles, sicheres Wesen ihr immer so wohlgetan habe.

Bei Tische war die Unterhaltung weniger belebt als sonst, da mancher zum Teil noch die Ermüdung des vorigen Tages fühlte, andere aber einer gewissen Wehmut sich nicht erwehren konnten, weil der von allen geliebte Leonhard jetzt aus ihrem Kreise scheiden sollte. Nach Tische beurlaubte sich dieser bei der Mutter, welche ihn sehr freundlich entließ. Charlotte war gegen ihn ganz heiter und unbefangen, auch so gesprächig, als wenn kein anderes Verständnis je zwischen ihnen obgewaltet hätte. Sie drückte ihm wiederholt die Hand, lachte, blickte ihn mit hellen Augen an, und wünschte ihm alles Glück, indem sie hoffte, daß sie sich späterhin wiederfinden würden. Albertine saß abseits im tiefen Fenster und trocknete unbemerkt einige Tränen. Als er zu ihr ging, sagte sie, ohne daß es die fern Sitzenden hören konnten, sehr gerührt zu ihm: »Mir ist, als wenn mit Ihnen unser guter[464] Genius von uns schiede; besonders verläßt unsern Elsheim mit Ihnen sein Schutzgeist. Ihnen muß es immer gut gehen, denn sie sind selbst so gut. Ich kann mir kein besseres Glück denken, als Sie bis zum hohen Alter hinauf zum Freunde zu haben; denn Sie sind echt und treu, in jeder Lage des Lebens kann man sich auf Sie verlassen. Sie werden uns, hoffe ich, so wenig, als wir Sie vergessen.«

Leonhard war gerührt und küßte innig bewegt ihre schöne Hand. Es war ihm, als müsse er ihr die Versicherung geben, daß sie sich gewiß künftig noch öfter sehen würden; doch unterdrückte er diese ungehörige Prophezeihung, indem er mehr wie je von der fast überirdischen Schönheit dieses edeln Wesens ergriffen wurde. In diesem Augenblick erschienen ihm Charlottens verführerische Reize gegen diese adelige Klarheit wie verdunkelt, und zwar um so mehr, da er beim Umblicken auf den Lippen jener ein halb boshaftes Lächeln wahrzunehmen glaubte.

Bei den übrigen beurlaubte er sich kürzer. Mannlich war nicht zugegen; auch Graf Bitterfeld nicht, der, nachdem ihn eine Unpäßlichkeit einige Tage auf seinem Zimmer festgehalten, heute den Künstler Ehrenberg zu seinem Freunde, dem Baron Dülmen, begleitet hatte. Die Virtuosen nahmen von ihm einen leichtfertigen, heitern Abschied, denn sie waren des bewegten Lebens zu gewohnt, als daß irgend etwas sie hätte ernster stimmen können. Nur die kleine Dorothea sparte sich noch einen Augenblick auf dem einsamen Korridor auf, um ihm recht herzlich zu seiner Reise Glück zu wünschen. Die Kleine konnte sich der Tränen nicht enthalten, weil sie mit großer Rührung dabei ihrer Freundin Albertine gedachte.

Späterhin ging Leonhard auf das Zimmer seines Freundes. Vielfache Gespräche wurden noch gewechselt, mancherlei Erinnerungen geweckt. »Wir scheiden noch nicht«, sagte Elsheim endlich, »denn ich begleite dich morgen noch einige Meilen. Im Winter sehen wir uns dann aber in deiner Stadt wieder. Nicht wahr diese Zeit hier ist für uns beide eine sonderbare Schule gewesen?«

»Das Bewußtsein, daß ich etwas gelernt habe«, antwortete Leonhard, »muß sich wohl erst später bei mir melden; denn jetzt bin ich noch zu betäubt, um das nahe Vergangene, das eben Erlebte fassen zu können.«

Leonhard stand auf, als wolle er gehen, kehrte aber wieder zurück. Elsheim hatte wohl im Lauf des Gesprächs gefühlt, daß sein Freund von irgend etwas gehemmt und gedrückt werde, und doch scheute er sich, den Namen Charlotte zu nennen, weil es[465] ihm schien, als wolle Leonhard ihm etwas mitteilen über sie. Endlich faßte sich dieser ein Herz, nahm einige Briefe aus seiner Tasche und sagte hastig: »Erzeige mir die Freundschaft, diese drei Briefe, in jeder Woche einen, in mein Haus zu senden; ich habe sie geschrieben, als wenn ich noch bei dir wäre. Ich ahnde, daß ich diese reizenden Fluren nie wiedersehen werde; daher will ich mich noch einige Tage in diesen Gegenden, die ich immer so sehr geliebt habe, ergehen, und mag nicht von der Landstraße, wie ein Umstreifer, nach Hause schreiben. Sollten von dort Briefe ankommen, wie ich nicht glaube, so hebe sie mir auf, bis ich dir melde, wohin du sie schicken kannst.«

Elsheim konnte es nicht unterlassen, seinen Freund mit einiger Verwunderung zu betrachten; dieser entfernte sich in sichtbarer Verlegenheit, und als sich der Baron allein sah, sagte er zu sich: Man lernt einen Menschen doch niemals völlig kennen, und dieser gar ist einer der verwunderlichsten. Wie ernsthaft und dringend kündigte er mir ganz neulich das Wesen und Treiben hier auf; sein Handwerk, seine Pflicht, seine Gattin, alles rief ihn gebietend und schnell in seine Heimat; – und nun, ohne meine Verführung, wie er es nennt, geht er gar auf eigne Hand aus, um weiß der Himmel welche Abenteuer zu suchen und zu erleben. Es ist wohl etwas in uns, ein starker Magnet, der unwiderstehlich zu einem unsichtbaren, aber mächtigen Magnetberge hingezogen wird.

Indem sich Leonhard auf sein Zimmer begeben wollte, lief ihm der Professor Emmrich, der lange geschlafen hatte, und auch nicht am Mittagstisch erschienen war, entgegen. »Sie reisen?« rief er und umarmte ihn herzlich: »das beste Glück begleite Sie auf allen Ihren Wegen, denn Sie verdienen es. Ich hoffe, künftigen Winter in Ihrer Heimat zuzubringen, vielleicht immer dort zu wohnen, und in diesem Fall gehört es zu meinen besten Wünschen, daß aus unserer Bekanntschaft hier sich eine wahre Freundschaft bilden möge. Ich habe es Ihnen wohl angemerkt, daß Sie nicht so ganz in das etwas wüste Getreibe hier passen. Ihre Seele ist zu ruhig, Ihr Geist zu ernst, als daß er sich lange in der Unruhe gefallen könnte.«

Auf sein Zimmer angelangt, fühlte Leonhard jene Beklommenheit, die uns immer anwandelt, wenn eine Periode unsers Lebens beschlossen wird, und eine neue anhebt. Jene trübe Angst quälte ihn, indem er nun den Ort, und wohl auf immer wieder verlassen sollte, in welchem er sich fast wie in eine Heimat eingelebt hatte. Sein Geist durchwanderte mit Wehmut die Säle und[466] Zimmer, die sich ihm nun auf immerdar verschlossen, die hinter ihm wie in ein Nichts verschwanden. Er erinnerte sich des Abends, an welchem er angekommen war; wie sonderbar die starken Mauern, der Eingang, der Vorplatz ihn begrüßt hatten; wo das große, weite Zimmer ihn empfing, welches oft zum Speisesaal benutzt wurde; und hinter diesem der weite viereckige Gartensaal, in welchem sich bei schönem Wetter die Gesellschaft fast immer versammelte. Rechts und links die vertraulichern Cabinete, und weiter entfernt die Wohnzimmer der Mutter, die es gern vermied, die Treppen, so breit und bequem sie auch waren, zu besteigen. Oben waren die verschiedenen Gastzimmer und der weite, ausgedehnte Rittersaal, der, bevor Leonhard das Theater darin aufgeschlagen hatte, so wüst und leer, so öde und schauerlich aussah. Er gedachte auch des fern liegenden Zimmers, welches, neben den Gemächern der Domestiken, der alte Joseph bewohnte, und das dieser so sonderbar und altertümlich ausgeschmückt hatte, als eben der freundliche, stets zierlich gekleidete Greis selber zu ihm trat. »Ich lasse es mir nicht nehmen«, rief er aus, »Ihnen packen zu helfen; denn das übrige Volk hier ist zu solcher Arbeit zu ungeduldig und viel zu ungeschickt. So ein recht anständig gefüllter Koffer oder Mantelsack muß ganz wie ein vollständiger Mensch sein, jedes an seiner Stelle. Es ist nicht genug, daß die Sachen darin liegen, oder nicht verderben; man muß auch leicht alles finden können, und Herz muß nicht mit Kopf, Magen mit Hand und Fuß in Widerstreit geraten.« Er lächelte, und bemächtigte sich sogleich, indem er keine Widerrede gestattete, des Mantelsacks. Auch zeigte er sich als Meister, indem er mit Sicherheit alles, ohne Kleidern und Wäsche Gewalt anzutun, einzufügen wußte. »Ja, lieber Herr Leonhard«, sagte er dann selbstgenügsam, »sehen Sie nur zu und merken Sie es sich, denn Sie können, so geschickt Sie auch sein mögen, hier noch etwas lernen. Seit funfzig Jahren und länger habe ich bei allen Reisen für die Baronin, den seligen Herrn und schon dessen Vater das Einpacken besorgt, weil man es mir am sichersten anvertrauen durfte. Bei keinem Geschäft in der Welt ist die Langsamkeit so sehr die wahre Eile, als bei diesem. Sie sehen, mein Plan ist vorher gemacht, und nun muß sich auch alles wie von selber schicken.«

Leonhard mußte die Sicherheit bewundern, mit welcher der kleine behende Mann hantierte, ohne daß er je nötig hatte, ein Stück anders zu legen, als er es gleich bestimmt hatte. So schloß sich bequem der Mantelsack, und Joseph sagte dann: »So sollte[467] es freilich mit allen Geschäften in der Welt sein; aber das ist denn doch nicht möglich. In der Wissenschaft mag es sein wie im Staat, in der Regierung wie im Denken; es ist allenthalben ein Überlei bei wichtigen Dingen, das sich nicht so bequem will einpressen und quetschen lassen. Ja, ja, die größte Kunst ist dann wohl Ausbeugen, Gutmachen, oft fünfe gerade sein lassen, wo die gerade Zahl doch auch nicht zum Ziele führt.«

»Leben Sie denn wohl, lieber Herr Joseph«, sagte Leonhard; »ich danke Ihnen für alles, auch für diese Ihre gütige, freiwillige Hülfe.« Der Alte gab ihm die Hand; und sowie er jetzt in das feine redliche Gesicht des berührigen Greises schaute, in diese immer noch so klaren Augen, konnte er es nicht unterlassen, den alten Diener recht herzlich zu umarmen. Joseph schien gerührt und sagte dann: »Mann, Sie sind ein ganzer Mann! Bleiben Sie so, in dieser edlen, noblen Manier, und lassen Sie sich in Zukunft nicht wieder für einen Professor ausgeben.«

»Wie meinen Sie?« fragte Leonhard erstaunt.

»Was ist denn auch ein Professor so Großes«, schwatzte jener weiter; »aber ich kenne darin unsern jungen leichtfertigen Herrn, der die Leute gar zu gern zum besten hat. Ich vermutete gleich so was, als Sie mir den tiefen Diener beim Aussteigen machten, wo Sie mich für meine Herrschaft hielten. Waren Sie vornehm als Professor, der schon viel mit Adeligen gelebt hatte, so warteten Sie, falls ich wirklich Graf oder Marquis war, geduldig, bis Sie sich mir vom Baron erst hatten vorstellen lassen. Und als ich Sie nun beim Theaterbau so rüstig und tätig sah, wie Sie bei allem selbst Hand anlegten, wie geschickt Sie, ohne erst mal zu probieren, den Hobel führten – was ein schweres Ding ist, wie ich es aus eigener Erfahrung und Stümperei weiß – wie Sie mir dann ein paarmal die Hand gaben: da hatte ich es mit aller Sicherheit weg, daß Sie ein Professionist, und zwar ein Tischler sind. Ja, Männchen, die Hände, die sonst hübsch sind und gut gebaut, müssen Sie einem jeden Kenner verraten. Denn Bein Wuchs, Kopf, Mund, alles kann Anstand und Feinheit gewinnen, aber die harten, um ein weniges zu großen Hände, können Sie so wenig, als ich die Hornhaut auf meinen Fingerkuppen, loswerden. Und wozu auch? Ich habe mich um so mehr an Ihnen gefreut und keinem Menschen von meiner Entdeckung gesagt. Ach, die Vornehmen! sie müssen ja immer mehr und mehr das Regiment in unserer verwirrten Welt verspielen. Nicht wahr, dieser Graf Bitterfeld, und gar diese Herren Dülmen, Bellmann, und wie sie alle heißen mögen, diese werden viel ausrichten? Die[468] Figuren hier auf dem Teppich, diese Sterne, nicht wahr, sie machen das Muster? Gewiß, und jedes Auge sieht sie auch gleich dafür an. Der Grund wird nur beachtet, weil er diese Formationen, welche die größeren und kleineren Sterne bilden, hervortreibt. Aber ist es nicht derselbe Faden, der Grund und Stern macht, das Bemerkte und Unbemerkte? Das hat die vornehme Welt schon seit zu lange vergessen. Nun veralten, verbleichen die Sterne, die Fäden reißen ab, und der dunkle Grund wird die Hauptsache. Glauben Sie mir, wir sind an der Zeit, und zwar ganz nahe, daß viele Handwerker so fein, klug und gebildet sein werden, wie eben Sie. So wie der gemeine Mann sich mehr fühlt, und seine unnütze Verlegenheit vor den Höheren ablegt, so ist er durch sich selbst schon gescheiter. So dachten sie aber, die Armen, da man ihnen so vieles von ihrem früheren Recht genommen hatte, sie müßten sich krümmen und bücken, und wenn sie unter sich wären, grob und ungeschliffen sein. Darein setzten sie dann ihre Freiheit. Sind erst viele so, wie Sie, Mann – und gewiß gibt es schon viele, und sie werden noch wachsen: so darf das Volk auch wieder mitreden. Überhaupt, Herr Leonhard, es müssen andere Zeiten kommen; die Welt hat sich abgenutzt; sind Sie nicht auch der Meinung? Der Malvolio wird gehänselt und abgesetzt; aber der Narr, so viel hübsche Einfälle er auch hat, wird doch hoffentlich auch nicht zur Regierung kommen?«

Mit diesen Worten entfernte sich der redselige Alte.[469]

Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden. Band 4, München 1963, S. 417-470.
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