Romanze zur Nacht

[11] Einsamer unterm Sternenzelt

Geht durch die stille Mitternacht.

Der Knab aus Träumen wirr erwacht,

Sein Antlitz grau im Mond verfällt.


Die Närrin weint mit offnem Haar

Am Fenster, das vergittert starrt.[11]

Im Teich vorbei auf süßer Fahrt

Ziehn Liebende sehr wunderbar.


Der Mörder lächelt bleich im Wein,

Die Kranken Todesgrausen packt.

Die Nonne betet wund und nackt

Vor des Heilands Kreuzespein.


Die Mutter leis' im Schlafe singt.

Sehr friedlich schaut zur Nacht das Kind

Mit Augen, die ganz wahrhaft sind.

Im Hurenhaus Gelächter klingt.


Beim Talglicht drunt' im Kellerloch

Der Tote malt mit weißer Hand

Ein grinsend Schweigen an die Wand.

Der Schläfer flüstert immer noch.

Quelle:
Georg Trakl: Das dichterische Werk. München 1972, S. 11-12.
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