An einen Frühverstorbenen

[65] O, der schwarze Engel, der leise aus dem Innern des Baums trat,

Da wir sanfte Gespielen am Abend waren,

Am Rand des bläulichen Brunnens.

Ruhig war unser Schritt, die runden Augen in der braunen Kühle des Herbstes,

O, die purpurne Süße der Sterne.


Jener aber ging die steinernen Stufen des Mönchsbergs hinab,

Ein blaues Lächeln im Antlitz und seltsam verpuppt

In seine stillere Kindheit und starb;

Und im Garten blieb das silberne Antlitz des Freundes zurück,

Lauschend im Laub oder im alten Gestein.


Seele sang den Tod, die grüne Verwesung des Fleisches

Und es war das Rauschen des Walds,

Die inbrünstige Klage des Wildes.

Immer klangen von dämmernden Türmen die blauen Glocken des Abends.


Stunde kam, da jener die Schatten in purpurner Sonne sah,

Die Schatten der Fäulnis in kahlem Geäst;

Abend, da an dämmernder Mauer die Amsel sang

Der Geist des Frühverstorbenen stille im Zimmer erschien.


O, das Blut, das aus der Kehle des Tönenden rinnt,

Blaue Blume; o die feurige Träne

Geweint in die Nacht.


Goldene Wolke und Zeit. In einsamer Kammer

Lädst du öfter den Toten zu Gast,

Wandelst in trautem Gespräch unter Ulmen den grünen Fluß hinab.
[65]

Quelle:
Georg Trakl: Das dichterische Werk. München 1972, S. 65-66.
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