Ordnung muß sein!

[122] Es ist so warm, daß ich nicht schlafen kann, und ich habe schon Bromuraltabletten genommen, aber sie helfen auch nicht. Ohne poetische Veranlassung wälze ich mich schlaflos auf meinem kärglichen Lager . . .

Horch, ein Stimmchen! Und was für eins! Es ist so die Stimme, die ein ausgewachsener Mann nachts um halb zwei Uhr zu haben pflegt, wenn er – aber woher mag der Kerl all die Spirituosen haben, die nötig gewesen sind, um ihn in diesen Zustand zu versetzen? Denn er hat gehörig einen weg. Hört doch nur, wie er rummelt –!

»Alle schlag ich sie zusammen – ich! – ein Revolver – Sie werden den Zaun nicht pinseln, mein Herr, Sie nicht – –« Offenbar sind andre gewichtige Baßstimmen am Werk, den Wütenden zu bändigen, aber es scheint nicht viel zu helfen. »Was – was wollen Sie von mir?« brüllt er.

Wenn er nun haut? Ich bin zu faul aufzustehen. Und jetzt bringen sie ihn überhaupt zu Bett – – das Getöse verzieht sich . . .

Klirr! macht es. Und noch einmal: Klirr – bautsch! Der Herr mit den Spirituosen hat offenbar die Fensterscheiben einer Wohnung zerhauen. Großes Palaver. »Der Mann muß weg – der haut ja alles kurz und klein!« (Als ob das in Deutschland ein Grund wäre, weg zu müssen – so ein politisches Kind!) – »Einfach in'ne Droschke – und der Fall ist erledigt!«

Offenbar ist der Fall wirklich erledigt, denn nun ist alles still.

Und da stehen doch nun wahrhaftig die vier biedern Baßstimmen von vorhin unten auf der Straße und tun was –? Sie erörtern die Rechtslage. Sie stellen sorgfältig und genau fest, weswegen dieser Mann verurteilt, belangt und eingespunnt werden könne. Sie sind selbst nicht mehr so ganz fest auf den Beinen – aber juristisch geklärt werden muß der Fall doch noch, bevor sie ins Bett gehen. Einer plädiert für Ruhestörung und öffentlichen Lärm – offenbar ein delictum sui generis – einer ist für Sachbeschädigung, und einer leitet aus dem betrübenden Vorkommnis ein Kündigungsrecht des Hauswirts her. Und da stehen sie nun – aber nun muß ich doch aufstehen – da stehen sie nun im Mondeslicht, schwankend, vier Mann hoch mitten auf dem leeren Damm, durchaus von Spitzweg, und erörtern die Rechtslage. Die Blätter rauschen sanft, und die vier deutschen Männer sind fünferlei Meinung. Gott segne dieses Land –!

Es gibt ein altes Wort: »Wenn der Deutsche hinfällt, steht er nicht auf, sondern sieht sich um, wer ihm schadenersatzpflichtig ist.«

O stünde er doch bald auf! –


  • [122] · Peter Panter
    Berliner Tageblatt, 07.07.1919, Nr. 306.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 2, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 122-123.
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