Namensänderung

[302] Ich darf nun wieder Theo Tiger heißen.

Die Maske fällt: kein nürenberger Kind

bin ich – laßt mich in Menschen beißen,

die gut genug zu meiner Fütterung sind.


Die Politik hat ihre Frühjahrsmoden.

Zur Zeit trägt man sich demokratisch – nicht zu knapp.

Man steht im Dress auf jenem Hängeboden

der Wirklichkeit und weiß nichts mehr von Kapp.


Der Tiger knurrt. Er spuckt die Emballage

der Opfer gähnend in sein Raubtierhaus.

Er sieht den Knaben gern in die Visage

und zieht sie alle splitternackend aus.


Nackt will ich sie. So kann ich sie verdauen.

Nackt will ich sie. Ich pfeif auf Uniform.

Nackt will ich Militärs und Kinofrauen –

ich weiß: die Tünche lügt enorm.[302]


Sieh den Professor an! Er gibt sich fachlich

und spricht von Ramses und vom Erbschaftsstreit

und täglich infiltriert er, scheinbar sachlich,

den jungen Herrn die alte Kaiserzeit.


Sieh die Beamten! Sieh die Landratsbande!

Sie tun nur so. Dreht sich einmal das Rad?

Nackt will ich sie. Dann lieg ich still im Sande

und wünsche träumend diesem deutschen Lande . . .

Da knirscht die Tür.

Ich werde niemals satt.


  • · Kaspar Hauser
    Die Weltbühne, 08.04.1920, Nr. 15, S. 408.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 2, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 302-303.
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