Die weinenden Hohenzollern

[181] Sie sitzen in den Niederlanden

und gucken in die blaue Luft.

Der Alte mit den hohen Granden,

der Junge in der Tenniskluft.

Wer fuhr denn – töff-töff-töff – nach Holland,

woraus man heut sich traurig sehnt?

Sie klagen, ihre Welt sei Moll-Land . . .

Vater hat jeweent, Willy hat jeweent –

Alle ham se jeweent!


Das geht nun seit vier langen Jahren.

Es trieft das Schmalz. Die Zähre rinnt:

»Der biedere Greis in Silberhaaren –

das arme, so verfolgte Kind . . . «

Und selbst im Kino blüht die Lilie.

Das Fridericus-Auge tränt . . .

Das liegt nun mal in der Familie . . .

Vater hat jeweent, Willy hat jeweent –

Alle ham se jeweent!


Sie schreiben Fibeln für die Kleinen –

drin steht: »Ich hab es nicht gewollt!«

Die Krone fiel. Wer wird denn weinen!

Das ganze Geld kam nachgerollt.

Ein ewig Gestern – nie ein Morgen.

Mein Gott, die Welt hat andre Sorgen![181]

Es trägt ein Volk die schwersten Lasten . . .

Mit Melodien, dem Kitsch entlehnt,

drehn die an ihrem Leierkasten:

Vater hat jeweent, Willy hat jeweent –

Alle ham se jeweent!


  • · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 18.05.1922, Nr. 10, S. 513.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 3, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 181-182.
Lizenz:
Kategorien: