Quaquaro

[180] Seit Berlin steht, hat noch nie ein Einheimischer solch einen Namen getragen. Den gibt es überhaupt nicht. Es ist ein namensähnliches Geräusch, es ist, wie wenn der, der den Namen ersonnen hat, nur noch ein paar Buchstaben, ein Gebrummel übrig hatte, das abfiel für den da. Und so wandelt er, Hausmeister, Vizewirt und sicherlich Mitglied des Athletenvereins Deutsche Eiche 1888 durch die ›Ratten‹ Gerhart Hauptmanns. Ein Meisterstück.

Er tritt nur viermal auf und hat nicht allzuviel zu sagen, er ist eine Nebenfigur, ein Thema des Fagotts im großen berliner Orchester dieses grandiosen Stücks, eine sogenannte Charge . . . Alles ist vorgeschrieben: Kostüm, Tonfall, Auftreten – das ist nicht allzuschwer zu spielen. Einen gemeinen viereckigen Kopf, den Scheitel in der Mitte, eine versoffene Neese, die Stimme heiser vom Brüllen und Saufen, krummer Rücken, schleichender Gang . . . Der Kerl wirkte, als ich ihn neulich in der berliner ›Ratten‹-Aufführung sah, so echt, daß ich mich unwillkürlich vom Platz erhob, um etwas festzustellen. Dieser Mensch mußte doch Filzpariser tragen . . . ? Richtig: er trug sie. Aber auch die, wie der tiroler Gürtel (mit ›G'sund sa ma!‹), finden sich bei Hauptmann.

»Sahma, Paule, is deine Frau sse Hause –?« Hör ich doch den Glanz noch dieser Stimme! Tief aus dem Bauch kam sie, tonlos und unsagbar ordinär. Der Bursche stank aus allen Knopflöchern nach Echtheit. Und nach etwas anderm . . .

Er ist Vizewirt des Hauses, also Vertreter der hausherrlichen Gewalt. Aber kein Hauspascha der schlimmsten Zeit kann so gemein und rücksichtslos sein wie der da. Der Wirt wußte, warum er ihn einsetzte. Er hat das ›Pack‹ im Zug! Stammt er doch aus ihrer Mitte, und weil er einer von ihnen ist, tobt er sich wilder aus, als ein ganzer Hausbesitzer-Konzern dazu imstande wäre. Niemand kann so tief verletzen wie der eigne Kastengenosse, kennt er doch die verletzlichsten Stellen am besten – weiß er doch, was schmerzt. Und die halbe Stufe, die er höher steht, will betont sein. Und Quaquaro betont sie. Ein pathosloser Schweinehund.

Er hält auf Ordnung. Er liebt die Ordnung in allen ihren Gestalten. Er weiß, wer »polesseilicherseits is jesichtet worn« – er kennt »Herrn Schutzmann Schierke«, und er versäumt niemals, alle staatlichen Machtfaktoren mit den ihnen zukommenden Titeln zu nennen. »Der Soldat Sorjenfrei« und hingegen der »Unteroffessier . . . « Hat der Kerl gedient? Und ob der gedient hat –! Der ist die ganze Schule Kaiser Wilhelms durchgegangen, er ist geknufft worden, und er hat geknufft – der kennt das gemeine Volk und die Herrschaften, und der weiß, wie lukrativ es ist, auf Seiten der Herrschaften zu stehen. Wenn der Feldwebel schimpfte, mußte man hinter ihm stehen . . .

[180] Er weiß Bescheid. Das Haus zittert. Er kujoniert sie alle, denn er weiß auf alle etwas. Seinem Blick entgeht nichts. »Was soll ich denn nun als Bestohlener tun?« wird er gefragt. Er antwortet, im schönsten Aktendeutsch: »Det kommt druff an, wo Verdacht hin is . . . « Verdacht is immer wohin. Und der Preuße Quaquaro, kennt ihr seine Farben, sagt vor einem Abgang ein Wort, das Wort, sein Wort: »Immer anzeijen, Herr Direkter, immer anzeijen!« Der Junge ist richtig. Er hat eine Dogge. Und ist selbst eine.

Eine sogenannte Charge. Aber weil dieses Land von Quaquaros wimmelt – von jenen Zwischenstufen zwischen Herr und Diener, zwischen Gefängnisdirektoren und Injespunnten, weil es wimmelt von Feldwebeln, Unteroffizieren, Portiers, Gendarmen, schnauzenden Wohnungsbeamten, Krimmenalwachtmeistern, kurz; von Quaquaros –; deshalb ist er ein Exponent seines ganzen Landes und seiner ganzen Zeit.


  • · Ignaz Wrobel
    Die Weltbühne, 11.05.1922, Nr. 19, S. 489.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 3, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 180-181.
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