Der Reisegott Zippi

[244] Ich habe einen Reisegott, und er ist aus Gummi, man kann ihn aufblasen. Er kommt überall mit.

Mit seinem richtigen Namen heißt er ›Zippi Oloron‹ – weil er aus einer kleinen Stadt in Frankreich stammt, die heißt Oloron. Da lag er in einem verstaubten Schaufenster und sah trübsinnig drein, weil sich niemand um ihn kümmerte. Er hatte etwas durchaus Götzenartiges –: er war hellgelb, mit grünen Gesichtszügen, die unentwegt grinsten, als Uniform hatten sie ihm so etwas wie einen Frack der großen französischen Akademie aufgemalt. Auf dem Kopf saß ihm eine spitze, hohe, rote Tüte. Ich kaufte ihn sofort.

Von Oloron habe ich wenig gesehen – ich blies den ganzen Tag Zippi auf. Er hatte es mir gleich mitgeteilt, daß er Zippi hieße, Glück bringe und von Beruf Reisegott sei.

Man konnte ihn auf tausenderlei Weise aufblasen. Man konnte ihn rapide aufpusten, daß wir beide ganz dick vor Anstrengung wurden – auch konnte man ihn andante beblasen, säuselnd sozusagen . . . Dann lernte er manches: er konnte, wenn man ihn dazu anhielt, stramm stehen oder die Hände auf dem Rücken verschränken, ach! und dann kamen die beiden kleinen dicken Wurstärmchen wieder nach vorn geschnellt, wenn er es gar nicht mehr aushalten konnte vor lauter Atmosphärendruck.

Zu seiner ganzen Geltung aber kam Zippi erst in Lourdes.

Ich hatte mir über einer Baumwurzel ein Bein aufgeschlagen, und[244] mußte nach Lourdes zurückfahren, um mir von einem richtigen Menschenarzt im Bein herumschneiden zu lassen. Mit der Wunderquelle hatte ich es nicht so im Sinn . . . Der Arzt, ein tüchtiger pieksauberer Mann, schnitt, verband und packte mich für zehn Tage ins Bett. Zippi immer mit.

Da regierte er den ganzen Laden. Er stand auf dem Kopf, las alles mit, bekam zu essen und machte alle seine Kunststücke auf einmal. Nachts kuschelte er sich unter das Bettdeck, und einmal wäre er um ein Haar in den Verband mithineingewickelt worden. »Was ist denn das –?« sagte der pieksaubere Doktor. »Das . . . eh . . . das ist eine Puppe!« sagte ich. (Was eine Gotteslästerung war. Zippi ist keine Puppe.) Der Arzt sah mich scheu von der Seite an, ob mir vielleicht auch noch andere Pflege not täte. Nein, danke.

Zippi bringt Glück auf der Reise – das ist erwiesen. Gepäck, das mit dem Zuge nicht mehr mitkommen kann, weil es – immer mal wieder – zu spät aufgegeben wurde, kommt auf geheimnisvollen Wegen nachgetrudelt; Züge, die traditionelle Verspätung haben, kommen pünktlich an, und er, der Gewaltige, hat sogar schon einem Mitropa-Kellner anständigen Kaffee entlockt. Da waren wir aber beide sehr stolz.

Zippi fährt nicht gern im großen Schrankkoffer; er wohnt in der Handtasche. Er trinkt nur ein wenig Zahnwasser, sonst benimmt er sich recht manierlich, und auch Opfer will er nicht dargebracht haben, der Gott. Von Zeit zu Zeit nur – ich fühle das in meinem Herzen – will er hinaus. Dann mache ich die Tasche auf und blase den Flachgeglätteten auf. Er darf dann aus dem Fenster sehen. Sind junge Damen im Coupé, so halten sie das für eine höchst dämliche Art der Anknüpfung, und die Luft wird ganz hellkalt, sie sehen mich gar nicht mehr an. Sind es ältere Damen, so erwachen Mutterinstinkte in ihnen, und eine besonders nette, freundliche, alte Dame hat sich Zippi denn auch einmal herüberreichen lassen. Aber er wollte nicht, schüttelte sich, oben fiel der Propf aus seinem Hutzipfel, pfiff! machte es – und die entsetzte Greisin hielt einen weichen Gummilappen in der Hand.

Zippi ist widerstandsfähig und sehr tapfer. Zwischen Basel und Bern habe ich ihn einmal einem schrecklichen Kerl unter den Sitz geschoben, der fuhr auf, wie vom wilden Affen gebissen, und warf Zippi in die Ecke. Ich hob ihn still auf und tuschelte ihm etwas zu – da verließ der Kerl das Coupé und wollte es nicht mehr wissen.

Man kann Zippi auch an die Gasleitung anschließen, doch ist das nicht sehr fein, und er hat es auch nicht gern. Ich drohe ihm manchmal damit, wenn er mir meine Wünsche nicht erfüllt. Er hat maßlose Angst davor: wenn er ganz voller Gas ist, sieht sein Kopf aus wie ein älterer Gummiball, mit leichten Rissen, und sein Gelächter klingt dann krampfhaft, er grinst nur noch vor Anstrengung, nicht aus dem[245] Leim zu gehen. Übrigens kann er so ziemlich alle Sprachen, die wir brauchen: französisch und englisch und schweizerisch und grob – und jetzt habe ich ihm die aufgemalten Zähne wegradiert, nun hat er kein Gebiß mehr, und nun kann er auch dänisch.

Ich bete ihn selten an, wir glauben uns beide das nicht so recht. Er ist zwar als Hausgötze angestellt – aber schließlich bei dem Gehalt . . . Es ist ein Gott, mit dem man sich duzt; ich sage, wenn ich in eine fremde Stadt komme, so beim Auspacken: »Na, du – Zippi . . . !« und dann grinst er. Wir sind uns zu nahe, um Gläubiger und Gott zu spielen – dazu gehört Distanz. Merkwürdig, wenn man einen Lachenden, wie diesen Zippi, sehr lange ansieht, dann wird das lächelnde Gesicht erst zur Maske, dann zum bemalten Ball, dann unerträglich – und auf einmal ist es ganz ernst. Da gleitet nun alles so an ihm vorüber – unbeweglich bleibt er, wohin lacht der Kerl –?

Ich bin ihm neidisch – er sieht etwas, was ich nicht weiß. Nachts habe ich ihn manchmal heimlich belauscht; einmal lehnte er an der Whisky-Flasche, und ich guckte um die Ecke und sah ihm zu. Vielleicht würde ich es jetzt herausbekommen, worüber er lacht . . . Aber als ich fünf Minuten und zehn Minuten gestanden hatte, da sah ich: er hatte mich schon lange bemerkt, grinste vor sich hin und über mich und nach wie vor über sein großes Unbekanntes. Habe ich dich dafür, mit deinen kurzen Batterbeinen, der Katze aus dem Rachen gezogen, sehr vorsichtig und unter frommem Gemurmel? Du Gummigott.

Sieh, wie er lacht! Ja – sei still. Bald wirst du eingepackt, wenn wir hier oben fertig sind, in dem fetten Dänemark, und dann rumpelt es eine ganze Weile, und du wirst ein bißchen von den Zollmännern revidiert – und dann, wenn du aufwachst, wenn du wieder aufwachst, du dummer ewiger Hausgötze: dann sind wir wieder zu Hause, bei dir zu Hause – in Frankreich. In Paris.


  • · Peter Panter
    Vossische Zeitung, 03.07.1927.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 5, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 244-246.
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