Pfeifen anrauchen

[243] Das tut sich wohl des öftern begeben:


Mal beginnt jeder sein ganzes Leben

von neuem. Wirft hin, was er nur kann,

und fängt alles wieder von vorne an,

mit gänzlich neuer Melodie . . .

Die Franzosen nennens ›refaire sa vie‹.


Refaire sa vie . . . das ist gar nicht einfach.

Refaire sa vie . . . ist leider mein Fach.

Dazu sind wir zu gebrauchen . . .

Refaire sa vie – ist wie Pfeifen anrauchen.


Du glaubst erst gar nicht, daß es sich lohnt.

Der Tabak schmeckt schwer und ungewohnt –

es legt sich das Nikotin auf den Magen,

du hast über Seelen- und Bauchweh zu klagen;

das macht:

das Ding ist nicht abgenutzt,

und die Pfeife ist viel zu wenig verschmutzt.


Aber so eine zwei, drei Jahr –

da schmeckt die Pfeife wunderbar.

Ihr Hals ist dir so vertraut gebogen,

das Holz ist voller Tabak gesogen

bis zur letzten Faser. Und du kratzst nichts ab.

Diese Pfeife nimmst du ins Grab . . .[243]

Bis zur nächsten. Bis zur nächsten Ecke.

Da krauchst du hervor aus deinem Verstecke,

der Boden bekommt eine neue Schichtung,

das Leben nimmt eine andere Richtung –

Und du bist ein Kerl und ganzer

Mann und steckst eine neue Pfeife an.


Wenn du einmal am Ende stehst,

wenn du die letzte Wende gehst,

wenn du dann klug bist, blickst du zurück,

auf das ganze geschlängelte Stück.

So viel Pfeifen! Viel Änderungen!

so oft hast du eine neue geschwungen!

Und hat die Neue genützt?

Seife.


Es war immer dieselbe Pfeife.


  • · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 28.06.1927, Nr. 26, S. 1028.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 5, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 243-244.
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