Der Meineid

[76] Wenn denn Jeorjen seine Fauste

in Lottchen ihre Augen sauste,

denn freute sich det janze Haus.

Indem daß alle einich waren:

ne Frau von vierunddreißig Jahren,

die sieht jefälligst anders aus.

Na, det will ick mein –!


Von wejen: sich die Backen pudern

un nachts mit fremde Kerle ludern –

man weeß doch, wat det heißen soll!

Wer Ohren hat, kann manches hören . . .

»Det könn wa allesamt beschwörn –

er haut ihr nachts den Buckel voll!

Frau Grimkasch sacht auch.«


Frau Grimkasch hats von Frollein Klüber,

die wohnt Jeorjen jejenüber,

wer richtich kieken kann, der sieht.

Frau Grimkasch sacht noch uffn Flure:

»Na, wissen Se, die olle Hure . . . !«

denn jehn se alle nach Moabit.

Morjens halb zehn, zweiter Stock.[76]


Da stehn se nu wie Orjelpfeifen;

die Weiba fangen an zu keifen,

der Richter ruft: »Immer eine nur!«

Det sind nu Fraun von Kommenisten,

von Jelben un von Sozialisten . . .

hier is det allens eine Tour.

Denn nischt jreift so det Herze an

wie die Sorje um den Nebenmann.


Nu wird man die Pochtjehsche hören.

»Jawoll! Det kann ick jlatt beschwören!

Der kleene Horst stand ooch dabei!

Frau Grimkasch sacht, die Klübern hätte

die beiden überrascht int Bette –

und det Klosett wah auch nich frei!

So wahr mir Gott helfe!«


Der Richter schreibt det in die Biecher.

Der Staatsanwalt mit seinen Riecher . . .

Meineidsverfahren! Alle Mann.

Frau Grimkasch. Lottchen mit de Prüjel,

der janze linke Seitenflüjel –

die treten alle nochmah an.

Acht Jahre Zuchthaus.


Wat nehmlich unsa Staat ist heute –:

pisaken sone kleinen Leute,

det kann er nämich meisterlich.

A seine Deutschen Arbeit jehm

un Licht un Luft un jutet Lehm . . .

det kann er nich.

Det kann er nich.


  • · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 28.05.1929, Nr. 22, S. 825, wieder in: Lerne Lachen.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 7, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 76-77.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Lotti, die Uhrmacherin

Lotti, die Uhrmacherin

1880 erzielt Marie von Ebner-Eschenbach mit »Lotti, die Uhrmacherin« ihren literarischen Durchbruch. Die Erzählung entsteht während die Autorin sich in Wien selbst zur Uhrmacherin ausbilden lässt.

84 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon