Friedrich mitn Mythos

[38] In der ›Literarischen Welt‹ war Friedrich Hussong zu Gast; der kluge Willy Haas hat ihn dort im Rahmen einer Sondernummer ›Rechts und links‹ zu Wort kommen lassen. Es ist nicht ganz leicht, über diesen Gesellen ohne Hohn zu sprechen, er ist eines der wenigen Talente im Hause Hugenberg, dreist und klotzig, wo seine Begabung nicht ausreicht. Ich wills versuchen.

Hussong verbreitet sich in der ›L. W.‹ über die ›Volkheit‹:

»Wichtiger als alle Vivisektion des Intellektualismus ist das Wachstum eines nationalen Mythos; eines Mythos, nicht aus den Nerven geschwitzt, sondern aus dem Blute blühend. Denn nicht der Rationalismus, der Mythos zeugt Leben. Er ist in der Bildung begriffen. Das ist der Sinn und der Inhalt dieser Zeit. Darum ist Feindschaft gesetzt und muß gesetzt sein zwischen Volkheit und Intellektualismus. Volkheit ist Glaube und Wachstum. Intellektualismus ist Skeptizismus und Darre. Der Geist ist in der Volkheit; bei dem Intellektualismus ist nur Gewitztheit.

Es lebe der alte Spitzfaden!«

Wer ist der alte Spitzfaden –? Das wird in dem Aufsatz erklärt.

Der alte Spitzfaden war ein Dorflehrer, der Hussong unterrichtet hat. Nach den Proben, die er gibt, hat der Mann seine Sache recht gut gemacht. Nun aber:

Daß Hussong und seine Schulkameraden von diesem Schulmeister überhaupt unterrichtet werden konnten, verdanken sie etwas, was ich der Kürze halber mit Voltaire bezeichnen will. Daß Kinder von Bauern und Kleinbürgern diese Bildung genießen konnten, ist das Werk des Intellektualismus gewesen, welch ein blödes Wort! das Werk des Liberalismus, kurz: Hussong und die Seinen, sie sind Kinder des Systems, das sie so sehr verdammen. Diese Schulmeister für die kleinen Leute sind den mythoshaften Junkern erst aufgedrungen worden, sie wollten ums Verrecken nicht heran. (Noch Bismarck strich bekanntlich einen Lehrerposten von seinem Gutskonto.) Das ganze Kleinvolk, das sich heute die Kehlen gegen die Ratio, gegen die Liberalen, gegen die Demokratie heiser brüllt, wäre nicht, wenn die Aufklärer nicht gewesen wären.

Nun kann Hussong, der durchaus kein Dummkopf ist, sagen: Diese Aufklärer haben ihre historische Aufgabe erfüllt – heute ist andres dran. Dem ist zu entgegnen:

Nie ist die Rolle des Intellektuellen ausgespielt. Sie ist es auch in Rußland nicht – alle großen Theoretiker des Bolschewismus sind Intellektuelle. Die gesunde Reaktion auf überspitzte Gewitztheit, wie Hussong das nennt, in allen Ehren – der †††-Skeptizismus, der wohl darin besteht, daß man nicht alles glaubt, was einem jeder vor der[38] Front stehende Lümmel entgegenbrüllt, daß man die bare Münze des Mehrwertes für bare Münze nimmt –: dieser Skeptizismus ist gesund, bis ins Mark hinein gesund und sauber.

Wenn alles das Mythos ist, was sich dem gesunden Menschenverstand entzieht –: nieder mit dem Mythos! Und wichtiger als alle Volkheit scheint mir zu sein, daß sich der Mensch nicht zum Vieh degradiere, auch nicht für sein Vaterland. Was eine sanfte Beleidigung des Viehs darstellen dürfte. Im übrigen sagt Hussong vom Mythos das richtige, ohne es sagen zu wollen: »Er ist in der Bildung begriffen.«

Was ist das nur, was sich da heute als theoretische Begründer des deutschen Nationalismus aufspielt –?

Carl von Ossietzky erlaube mir, daß ich ihn zitiere: Germanisches Café.


  • · Ignaz Wrobel
    Die Weltbühne, 16.02.1932, Nr. 7, S. 262.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 10, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 38-39.
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