Der Graf von Greiers

[205] Der junge Graf von Greiers, er steht vor seinem Haus,

Er sieht am schönen Morgen weit ins Gebirg hinaus,

Er sieht die Felsenhörner verklärt im goldnen Strahl

Und dämmernd mitten inne das grünste Alpental.


»O Alpe, grüne Alpe! wie zieht's nach dir mich hin!

Beglückt, die dich befahren, Berghirt und Sennerin!

Oft sah ich sonst hinüber, empfand nicht Leid noch Lust,

Doch heute dringt ein Sehnen mir in die tiefste Brust.«


Und nah und näher klingen Schalmeien an sein Ohr,

Die Hirtinnen und Hirten, sie ziehn zur Burg empor,

Und auf des Schlosses Rasen hebt an der Ringeltanz,

Die weißen Ärmel schimmern, bunt flattern Band und Kranz.


Der Sennerinnen jüngste, schlank wie ein Maienreis,

Erfaßt die Hand des Grafen, da muß er in den Kreis.

Es schlinget ihn der Reigen in seine Wirbel ein:

»Hei! junger Graf von Greiers, gefangen mußt du sein!«


Sie raffen ihn von hinnen mit Sprung und Reigenlied,

Sie tanzen durch die Dörfer, wo Glied sich reiht an Glied,

Sie tanzen über Matten, sie tanzen durch den Wald,

Bis fernhin auf den Alpen der helle Klang verhallt.


Schon steigt der zweite Morgen, der dritte wird schon klar –

Wo bleibt der Graf von Greiers? ist er verschollen gar?[205]

Und wieder sinkt zum Abend der schwülen Sonne Lauf;

Da donnert's im Gebirge, da ziehn die Wetter auf.


Geborsten ist die Wolke, der Bach zum Strom geschwellt,

Und als mit jähem Strahle der Blitz die Nacht erhellt,

Da zeigt sich in den Strudeln ein Mann, der wogt und ringt,

Bis er den Ast ergriffen und sich ans Ufer schwingt.


»Da bin ich! weggerissen aus eurer Berge Schoß,

Im Tanzen und im Schwingen ergriff mich Sturmgetos;

Ihr alle seid geborgen in Hütt und Felsenspalt,

Nur mich hat fortgeschwemmet des Wolkenbruchs Gewalt.


Leb wohl, du grüne Alpe, mit deiner frohen Schar!

Lebt wohl, drei sel'ge Tage, da ich ein Hirte war!

O! nicht bin ich geboren zu solchem Paradies,

Aus dem mit Blitzesflamme des Himmels Zorn mich wies.


Du frische Alpenrose, rühr nimmer meine Hand!

Ich fühl's, die kalte Woge, sie löscht nicht diesen Brand.

Du zauberischer Reigen, lock nimmer mich hinaus!

Nimm mich in deine Mauern, du ödes Grafenhaus!«


Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 1, München 1980, S. 205-206.
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