Die Glockenhöhle

[257] Ich weiß mir eine Grotte,

Gewölbt mit Bergkristalle,

Die ist von einem Gotte

Begabt mit seltnem Halle:

Was jemand sprach, was jemand sang,

Das wird in ihr zu Glockenklang.


Dort tauschen zwei Beglückte,

Bewegt von gleichem Triebe,

Was längst die Herzen drückte,

Das erste Ja der Liebe;

Ein leises Glöcklein stimmt so rein

Zu einem lautern, vollern ein.


Dort lassen lust'ge Zecher

Sich auf der Felsbank nieder,

Sie schwingen volle Becher[257]

Und singen trunkne Lieder;

Nie klang die Grotte so wie heut

Von Feuerlärm und Sturmgeläut.


Zween Männer, ernst und sinnig,

Vereint durch heil'ge Bande,

Sie reden dort so innig

Vom deutschen Vaterlande;

Da tönt die tiefste Kluft entlang

Ein dumpfer Grabesglockenklang.


Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 1, München 1980, S. 257-258.
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