5. Dante

[170] War's ein Tor der Stadt Florenz

Oder war's ein Tor der Himmel,

Draus am klarsten Frühlingsmorgen

Zog so festliches Gewimmel?

Kinder, hold wie Engelscharen,

Reich geschmückt mit Blumenkränzen,

Zogen in das Rosental

Zu den frohen Festestänzen.

Unter einem Lorbeerbaume

Stand, damals neunjährig, Dante,

Der im lieblichsten der Mädchen

Seinen Engel gleich erkannte.

Rauschten nicht des Lorbeers Zweige,

Von der Frühlingsluft erschüttert?

Klang nicht Dantes junge Seele,

Von der Liebe Hauch durchzittert?

Ja, ihm ist in jener Stunde

Des Gesanges Quell entsprungen;

In Sonetten, in Kanzonen

Ist die Lieb ihm früh erklungen.

Als, zur Jungfrau hold erwachsen,

Jene wieder ihm begegnet,

Steht auch seine Dichtung schon

Wie ein Baum, der Blüten regnet.

Aus dem Tore von Florenz

Zogen dichte Scharen wieder,

Aber langsam, trauervoll,

Bei dem Klange dumpfer Lieder.[170]

Unter jenem schwarzen Tuch,

Mit dem weißen Kreuz geschmücket,

Trägt man Beatricen hin,

Die der Tod so früh gepflücket.

Dante saß in seiner Kammer

Einsam, still, im Abendlichte,

Hörte fern die Glocken tönen

Und verhüllte sein Gesichte.

In der Wälder tiefste Schatten

Stieg der edle Sänger nieder,

Gleich den fernen Totenglocken

Tönten fortan seine Lieder.

Aber in der wildsten Öde,

Wo er ging mit bangem Stöhnen,

Kam zu ihm ein Abgesandter

Von der hingeschiednen Schönen;

Der ihn führt' an treuer Hand

Durch der Hölle tiefste Schluchten,

Wo sein ird'scher Schmerz verstummte

Bei dem Anblick der Verfluchten.

Bald zum sel'gen Licht empor

Kam er auf den dunkeln Wegen,

Aus des Paradieses Pforte

Trat die Freundin ihm entgegen.

Hoch und höher schwebten beide

Durch des Himmels Glanz und Wonnen,

Sie, aufblickend, ungeblendet,

Zu der Sonne aller Sonnen;

Er, die Augen hingewendet

Nach der Freundin Angesichte,

Das, verklärt, ihn schauen ließ

Abglanz von dem ew'gen Lichte.

Einem göttlichen Gedicht

Hat er alles einverleibet

Mit so ew'gen Feuerzügen,

Wie der Blitz in Felsen schreibet.

Ja, mit Fug wird dieser Sänger

Als der Göttliche verehret,

Dante, welchem ird'sche Liebe

Sich zu himmlischer verkläret.
[171]

Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 1, München 1980, S. 170-172.
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