Normännischer Brauch

[168] Dem Freiherrn de la Motte Fouqué zugeeignet.


Fischerhütte auf einer Insel an der Küste der Normandie.

Balder, ein Seefahrer. Richard, ein Fischer. Thorilde.


Balder.


Dies auf dein Wohlsein, vielgeehrter Wirth!

Fürwahr! ich hab's dem tollen Sturme Dank,

Der mich in deiner Insel Bucht gejagt,

Denn solch ein traulich Mahl am stillen Herd

Hat mich seit langer Zeit nicht mehr gelabt.


Richard.


Man trifft's in Fischerhütten besser nicht;

Hat's dir behagt, viel Ehr' und Freude mir!

Insonders werth ist mir so edler Gast,

Der aus dem nord'schen Heimathlande kommt,

Von wannen unsre Väter hergeschifft,

Davon man noch so Vieles sagt und singt.

Doch muß ich dir eröffnen, edler Herr,

Wer bei mir einkehrt, sei er noch so arm,

Wird angesprochen um ein Gastgeschenk.


[168] Balder.


Mein Schiff, das in der Bucht vor Anker liegt,

Es hegt der seltnen Waaren mancherlei,

Die ich vom Mittelmeere hergeführt,

Goldfrüchte, süße Weine, bunte Vögel;

Auch wahrt es Waffen, nord'scher Schmiede Werk,

Zweischneid'ge Schwerter, Harnisch, Helm und Schild.


Richard.


Nicht Solches meint' ich, du verstehst mich falsch.

Es ist ein Brauch in unsrer Normandie:

Wer einen Gast an seinem Herd empfieng,

Verlangt von ihm ein Mährchen oder Lied

Und giebt sofort ein Gleiches ihm zurück.

Ich halt' in meinen alten Tagen noch

Die edeln Sagen und Gesänge werth,

Darum erlass' ich dir die Fordrung nicht.


Balder.


Ein Mährchen ist oft süß wie Cyperwein,

Wie Früchte duftig und wie Vögel bunt,

Und manch ein alterthümlich Heldenlied

Ertönt wie Schwertgeklirr und Schildesklang,

Drum war mein Irrthum wohl nicht allzu groß.

Zwar weiß ich nicht so Herrliches zu melden,

Doch ehrt' ich gern den löblichen Gebrauch.

Vernimm denn, was in heitrer Mondnacht jüngst

Ein Schiffsgenoß auf dem Verdeck erzählt!


Richard.


Noch einen Trunk! mein Gast! beginne dann!


Balder.


Zween nord'sche Grafen hatten manches Jahr

Das Meer durchsegelt mit vereinten Wimpeln,[169]

Vereint bestanden manch furchtbaren Sturm,

Manch heiße Schlacht zur See und am Gestad,

Auch manchesmal im Süden oder Osten

Auf blüh'ndem Strand zusammen ausgeruht;

Jetzt ruhten sie daheim auf ihren Burgen,

In gleiche Trauer Beide tief versenkt,

Denn Jeder hatt' ein treues Ehgemahl

Unlängst begleitet nach der Ahnengruft.

Doch sproßt auch Jedem aus dem düstern Gram

Ein süßes, ahnungsvolles Glück herauf:

Dem Einen blüht' ein muntrer Sohn,

Der Andre pflegt' ein liebes Töchterlein.

Um ihren alten Freundschaftsbund zu krönen

Und daurendes Gedächtniß ihm zu stiften,

Beschlossen sie, die theuren Sprößlinge

Dereinst durch heil'ge Bande zu verknüpfen.

Zween goldne Ringe ließen sie bereiten,

Die man, den zarten Fingern noch zu weit,

An bunten Bändern um die Hälschen hieng.

Ein Saphir, wie des Mägdleins Auge blau,

War in des jungen Grafen Ring gefügt,

Im andern glüht ein rosenrother Stein,

Recht wie des Knaben frisches Wangenblut.


Richard.


Ein rosenrother Stein im goldnen Reif,

Das war des Mädchens Schmuck? Verstand ich's wohl?


Balder.


Ja! wie du sagst, doch kommt's darauf nicht an.

Schon wuchs der Knabe hoch und schlank herauf,

In Waffenspielen ward er früh geübt,

Schon tummelt' er ein schlankes, schmuckes Roß.[170]

Nicht soll er, wie der Vater, einst das Meer

Auf abenteuerlicher Fahrt durchschweifen,

Beschirmen soll er einst mit starker Hand

Das mächtige Gebiet, die hohen Burgen,

Vereintes Erbthum beider Grafenstämme.

Des jungen Ritters Bräutlein lag indeß

Noch in der Wieg', im dämmernden Gemach,

Von treuen Wärterinnen wohl besorgt.

Nun kam ein milder Frühlingstag in's Land,

Da trugen sie das ungeduld'ge Kind

Zum sonnig heitern Meeresstrand hinab

Und brachten Blum' und Muschel ihm zum Spiel.

Die See, von leisem Lufthauch sanft bewegt,

Sie spiegelte der Sonne klares Bild

Und warf den Zitterschein auf's junge Grün.

Am Strande lag gerad' ein kleiner Kahn,

Den schmücken jetzt die Frau'n mit Schilf und Blumen

Und legen ihren holden Pflegling drein

Und schaukeln ihn am Ufer auf und ab.

Das Kindlein lacht, die Frauen lachen mit,

Doch eben unterm fröhlichsten Gelächter

Entschlüpft das Band, daran sie spielend ziehn,

Und als sie es bemerken, kann ihr Arm

Das Schifflein nicht vom Strande mehr erreichen.

So scheinbar still die See, so wellenlos,

Doch spült sie weiter stets den Kahn hinaus.

Man höret noch des Kindes herzlich Lachen,

Die Frauen aber sehn verzweifelnd nach,

Mit Händeringen, wildem Angstgeschrei.

Der Knabe, der sein Liebchen zu besuchen

Gekommen war und jetzt das leichte Roß[171]

Auf grüner Uferwiese tummelte,

Er sprengt auf das Geschrei im Flug heran,

Er treibt sein Pferdchen muthig in die See

Und meint das blum'ge Fahrzeug zu erschwimmen.

Kaum aber prüft das Thier die kalte Fluth,

So schüttelt sich's und wendet störrig um

Und reißt den Reiter an den Strand zurück.

Derweil hat schon der Nachen mit dem Kinde

Hinausgetrieben aus der stillen Bucht,

Und frisches Wehen auf der offnen See

Entführt ihn bald den Blicken.


Richard.


Armes Kind!

Die heil'gen Engel mögen dich umschweben!


Balder.


Dem Vater kommt die Schreckensbotschaft zu,

Gleich läßt er alle Schiffe, groß und klein,

Auslaufen und das schnellste trägt ihn selbst.

Doch spurlos ist das Meer, der Abend sinkt,

Die Winde wechseln, nächtlich tobt der Sturm.

Von mondenlangem Suchen bringen sie

Den leeren, morschen Nachen nur zurück,

Mit abgewelkten Kränzen –


Richard.


Was stört dich in der Rede, werther Gast?

Du stockst, du athmest tief.


Balder.


Ich fahre fort.

Seit jedem Unfall freute sich der Knabe

Nicht mehr des Rosselenkens, wie zuvor,[172]

Viel lieber übt er sich im Schwimmen, Tauchen,

Am Ruder prüft' er gerne seinen Arm.

Als er zum kräft'gen Jüngling nun erstarkt,

Da heischt er Schiffe von dem Vater.

Nichts hat das feste Land, was er begehrt,

Kein Fräulein auf den Burgen reizet ihn,

Dem wilden Meere scheint er anverlobt,

Darein das Mägdlein und der Ring versank.

Auch rüstet er sein Hauptschiff seltsam aus

Mit Purpurwimpeln, goldnem Bilderschmuck,

Wie Einer, der die Braut meerüber holt.


Richard.


Fast wie das deine drunten in der Bucht,

Nicht wahr, mein wackrer Seemann?


Balder.


Wenn du willst.

Mit jenem reichgeschmückten Hochzeitschiff

Hat er in manchem grausen Sturm geschwankt.

Wenn so zu Donnerschlag und Sturmgebraus

Die Wogen tanzen, feiner Hochzeittanz!

Manch blut'ge Seeschlacht hat er durchgekämpft

Und ist davon im Norden wohl bekannt.

Mit sondrem Namen ward er dort belegt:

Springt er hinüber, mit geschwungnem Schwert,

Auf ein geentert Schiff, dann schreit das Volk:

»Weh' uns! vertilg' uns nicht, Meerbräutigam

Das ist mein Mährchen.


Richard.


Habe Dank dafür!

Es hat mir recht mein altes Herz bewegt.[173]

Nur, dünkt mir, fehlt ihm noch der volle Schluß.

Wer weiß, ob wirklich denn das Kind versank,

Ob nicht ein fremdes Schiff vorüber fuhr,

Das flugs an Bord den armen Findling nahm,

Den morschen Kahn der Meerfluth überließ

Vielleicht auf einer Insel, wie die unsre,

Ward dann das schwache Kindlein abgesetzt,

Von frommen Händen sorgsamlich gepflegt,

Und ist zur holden Jungfrau nun erblüht.


Balder.


Du weißt geschickt ein Mährchen auszuspinnen.

So laß uns deines hören, wenn's beliebt!


Richard.


In vor'gen Tagen wußt' ich manche Mähr

Von unsern alten Herzogen und Helden

Und sonderlich vom Richard Ohnefurcht,

Der Nachts so hell als wie am Tage sah,

Der durch den öden Wald allnächtlich ritt

Und mit Gespenstern manchen Strauß bestand;

Doch jetzt ist mein Gedächtniß alterschwach,

Verworren schwankt mir Alles vor dem Sinn.

Drum soll das junge Mädchen mich vertreten,

Das dort so still und abgewendet sitzt

Und Netze strickt beim trüben Lampenschein.

Sie hat sich manches gute Lied gemerkt

Und hat 'ne Kehle wie die Nachtigall.

Thorilde! darfst den edlen Gast nicht scheun.

Sing uns das Lied vom Mägdlein und vom Ring,

Das einst der alte Sänger dir gereimt!

Ein feines Lied! ich weiß, du singst es gern.


[174] Thorilde singt.


Wohl sitzt am Meeresstrande

Ein zartes Jungfräulein,

Sie angelt manche Stunde,

Kein Fischlein beißt ihr ein.


Sie hat 'nen Ring am Finger

Mit rothem Edelstein,

Den bind't sie an die Angel,

Wirft ihn in's Meer hinein.


Da hebt sich aus der Tiefe

'ne Hand wie Elfenbein,

Die läßt am Finger blinken

Das goldne Ringelein.


Da hebt sich aus dem Grunde

Ein Ritter, jung und fein,

Er prangt in goldnen Schuppen

Und spielt im Sonnenschein.


Das Mägdlein spricht erschrocken:

»Nein, edler Ritter, nein!

Laß du mein Ringlein golden!

Gar nicht begehrt' ich dein.«


»Man angelt nicht nach Fischen

Mit Gold und Edelstein,

Das Ringlein laß ich nimmer,

Mein eigen mußt du sein.«


[175] Balder.


Was hör' ich? seltsam ahnungsvoller Sang!

Was seh' ich? welch ein himmlisch Angesicht

Hebt süß erröthend sich aus goldnen Locken

Und mahnt mich an die ferne Kinderzeit!

Ha! an der Rechten blinkt der goldne Ring,

Der rothe Stein; du bist's, verlorne Braut!

Ich bin's, den sie Meerbräutigam genannt,

Hier ist der Saphir, wie dein Auge blau,

Und drunten liegt das Hochzeitschiff bereit.


Richard.


Das hab' ich längst gedacht, verehrter Held!

Ja! nimm sie hin, mein theures Pflegekind,

Halt sie nur fest in deinem starken Arm,

Du drückst ein treues Herz an deine Brust.

Doch sieh einmal! du hast dich ganz verwirrt

Im Netze, das mein fleißig Kind gestrickt.
[176]

Quelle:
Ludwig Uhland. Gedichte. Stuttgart 61859, S. 168-177.
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