Des Dichters Abendgang

[9] Ergehst du dich im Abendlicht –

Das ist die Zeit der Dichterwonne –,

So wende stets dein Angesicht

Zum Glanze der gesunknen Sonne!

In hoher Feier schwebt dein Geist,

Du schauest in des Tempels Hallen,

Wo alles Heil'ge sich erschleußt,

Und himmlische Gebilde wallen.


Wann aber um das Heiligtum

Die dunkeln Wolken niederrollen,

Dann ist's vollbracht, du kehrest um,

Beseligt von dem Wundervollen.

In stiller Rührung wirst du gehn,

Du trägst in dir des Liedes Segen;

Das Lichte, das du dort gesehn,

Umglänzt dich mild auf finstern Wegen.


Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 1, München 1980, S. 9.
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