9. Das Herz für unser Volk

[72] An unsrer Väter Taten

Mit Liebe sich erbaun,

Fortpflanzen ihre Saaten,

Dem alten Grund vertraun;

In solchem Angedenken

Des Landes Heil erneun;

Um unsre Schmach sich kränken,

Sich unsrer Ehre freun;

Sein eignes Ich vergessen

In Aller Lust und Schmerz:

Das nennt man, wohlermessen,

Für unser Volk ein Herz.


Was unsre Väter schufen,

Zertrümmern ohne Scheu,

Um dann hervorzurufen

Das eigne Luftgebäu;

Fühllos die Männer lästern,

Die wir uns ausgewählt,

Weil sie dem Plan von gestern

Zu huldigen verfehlt;

Die alten Namen nennen

Nicht anders als zum Scherz:

Das heißt, ich darf's bekennen,

Für unser Volk kein Herz.


Jetzt, da von neuem Lichte

Die Hoffnung sich belebt,

Und da die Volksgeschichte

Den Griffel wartend hebt:

O Fürst! für dessen Ahnen

Der Unsern Brust gepocht

Und unter dessen Fahnen

Die Jugend Ruhm erfocht,

Jetzt, unvermittelt, neige[72]

Du dich zu unsrem Schmerz!

Ja! du vor allen zeige

Für unser Volk ein Herz!


Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 1, München 1980, S. 72-73.
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