Die fröhliche Dichtkunst

[81] O schattigter Parnaß! ihr heiligen Gesträuche,

Wo oft um Mitternacht ich einsam wachend schleiche!

Nie hab ich klagend euch entweiht.

Nur Scherz mit heitrem Angesichte,

Nur Wein und freye Zärtlichkeit

Begeistern mich, gefällig, wenn ich dichte.
[81]

Wann mich ein Kummer drückt, so mag die Muse schweigen,

Den Nachtigallen gleich, die auf begrünten Zweigen

Nur singen, wenn sie sich erfreun.

Welch ächter Priester froher Musen

Vermischt mit Thränen seinen Wein,

Und ächzet stets, auch an der Daphne Busen?


Einst lag ich sorgenvoll im Schatten finstrer Buchen,

Wo sich ein träger Bach, den Faunen bloß besuchen,

Durch einsames Gefilde wand.

Mein Saitenspiel vergaß der Schönen,

Und meine scherzgewohnte Hand

Verirrte sich zu trauervollen Tönen.


Bereits entschloß mein Mund sich unvergnügter Klage,

Als mit entwölkter Stirn, gleich einem Frühlingstage,

Die holde Muse mir erschien.

Der Lippen Anmuth war den Rosen,

Den Morgen-Rosen vorzuziehn,

Und ieder Blick schien lächelnd liebzukosen.


Mein Geist erwachte schnell aus allen trüben Sorgen:

Wie, wann im rothen Ost der angenehme Morgen

Itzt in Aurorens Arm erwacht;

Alsdann die bangen Träume fliehen

Und schwarzgeflügelt, wie die Nacht,

Mit ihr zugleich in ihre Grotte ziehen.


Soll Unmuth, schalt sie mich, dein Saitenspiel verstimmen?

Sieh auf! Anakreon, den Wein und Alter krümmen,

Scheucht singend eitler Sorgen Heer!

Weicht auch die Freude von Alkäen?

Sie schwimmt ihm nach durchs rauhe Meer,

Und singt mit ihm von Amorn und Lyäen.
[82]

Horaz trinkt Chier-Wein und jauchzt bey seinem Weine:

Sein ewiger Gesang ertönt in Tiburs Hayne

Nur an der weisen Wollust Brust.

Der Wollust weihe deine Leyer!

Bloß diese Mutter wahrer Lust

Beseelt ein Lied mit ächtem Reiz und Feuer.


Die wache Sorge mag an schlechten Seelen nagen!

Dem Thoren fehlt es nie an selbstgemachten Plagen:

Ihn quält ein Tand, ein dunkler Traum.

Der Weise kann das Glück betrügen:

Auch wahres Uebel fühlt er kaum;

Und macht sichs leicht und macht es zu Vergnügen.


Mit mancher Bluhme lacht die rauhe Bahn des Lebens:

Auf! pflückt sie! säumt ihr euch? sie welkt und war vergebens,

Und ihr' und eure Zeit verläuft.

O Thorheit! daß mit faulen Händen

Ihr nach erwünschten Freuden greift,

Die doch so schnell die leichten Flügel wenden!


Seyd langsam, eh ihr wünscht, und zum Genuß geschwinde:

Denn wisst ihr, was euch nützt, die ihr, gleich einem Kinde,

Ohn' Ursach lacht, ohn' Ursach weint?

Ist euer Auge nicht gebunden?

Was in der Ferne böse scheint,

Wird in der Näh ausbündig gut befunden:


Wie, als ein holder Wind auf unbeschifftem Pfade,

Die Helden Portugalls an dein gewünscht Gestade,

Madera, Sitz der Wollust! riß:[83]

Dich eine schwarze Wolke deckte,

Und stygischdicke Finsterniß

Sich fürchterlich bis hoch zum Himmel streckte!


Die blinde Nacht verließ die ungestümen Wellen;

Der Thetis Angesicht fieng an, sich aufzuhellen;

Sie spielte ruhig um den Strand:

Indem sie sich dem Ufer nahten,

Und jauchzend ein entzückend Land

Hier übersahn, und ans Gestade traten.


Hier lachte die Natur, die Flora stets bekränzte;

Die Bluhmen düfteten; von hellen Bächen glänzte

Manch rauschender Oranschen-Hayn.

Nichts fehlte zu beglücktem Leben;

Nichts, als Lyäus und sein Wein:

Lyäus kam und pflanzte süsse Reben.

Quelle:
Johann Peter Uz: Sämtliche poetische Werke, Stuttgart 1890, S. 81-84.
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Sämtliche poetische Werke. Hrsg. von A. Sauer

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