Die Lyrische Muse

[43] Wohin, wohin reißt mich die strenge Wut?

Seht, auf der Ode kühnen Flügeln

Entweich ich, voller Glut,

Der blödern Musen Blick und diesen stillen Hügeln.
[43]

Ich fliehe nun der Sterblichen Revier;

Ich eil in unbeflogne Höhen.

Sie keichet hinter mir

Der Vogel Jupiters und kann mich nicht mehr sehen!


Ja, bis dahin, wo mein entzücktes Ohr

Der Sphären Harmonie verwirret,

O Muse! fleug mir vor,

Du, deren freyer Flug oft irrt, nie sich verirret.
[44]

Dir folg' ich nach, auch wann du trunken glühst,

Und in den ungebahnten Haynen

Mit Libers Priestern ziehst,

Wo keine Muse ging und andre Sterne scheinen.


Wann du mich führst und mich Lyäus ruft,

Was soll den kühnen Dichter schrecken?

In welcher fernen Kluft

Wird meiner Leyer Scherz ein schlafend Echo wecken?


Denn nur von Lust erklingt mein Saitenspiel,

Und nicht von Leichenvollem Sande

Und kriegrischem Gewühl

Und vom gekrönten Sieg im blutigen Gewande.


Die Zeit ist hin, da manchmal noch zum Dank

An eines klugen Helden Seiten[45]

Die Muse Nektar trank,

Durch die er ewig lebt und glänzt durch alle Zeiten.


Wie Phosphor glänzt, der um den Morgenthau

Aus Thetis Armen sich entziehet

Und ans gestirnte Blau

Mit vollem Schimmer trit und vom Olympus siehet.


Ein Sternenheer, das letzte Chor der Nacht,

Traurt um ihn her in mattem Lichte.

Die Welt indeß erwacht,

Und Nacht und Schatten fliehn vor seinem Angesichte.

Quelle:
Johann Peter Uz: Sämtliche poetische Werke, Stuttgart 1890, S. 43-46.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sämtliche poetische Werke
Sämtliche poetische Werke. Hrsg. von A. Sauer