Der gute Hirte

[205] Was sorgest du? Sey stille, meine Seele!

Denn Gott ist ein getreuer Hirt,

Der mir, auch wenn ich mich nicht quäle,

Nichts mangeln lassen wird.


Er weidet mich auf bluhmenreicher Aue,

Und führt mich frischen Wassern zu,

Und bringet mich, im kühlen Thaue,

Zur sichern Abendruh.


Er hört nicht auf, mich liebreich zu beschirmen,

Im Schatten vor des Tages Glut,

In seinem Schooße vor den Stürmen

Und schwarzer Bosheit Wuth.
[205]

Auch wenn er mich durch finstre Thäler leiten,

Mich durch die Wüste führen wird,

Will ich nichts fürchten! Mir zur Seiten

Geht dieser treue Hirt.


Ich sehe schon, daß mir von meinem Freunde

Ein reichrer Tisch bereitet ist,

Im Angesichte meiner Feinde,

Trotz ihrer Hinterlist.


Sie sehn den Schutz des Höchsten, und sie schämen

Sich ihrer schwach erfundnen Macht.

Wie sollten mir die Menschen nehmen,

Was Gott mir zugedacht!


Ich aber will ihn preisen und ihm danken!

Ich halt alt meinem Hirten fest;

Und mein Vertrauen soll nicht wanken,

Wenn alles mich verläßt.

Quelle:
Johann Peter Uz: Sämtliche poetische Werke, Stuttgart 1890, S. 205-206.
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Sämtliche poetische Werke. Hrsg. von A. Sauer