Palinodie

[130] Laßt ab von mir, ich will mich selbst verdammen;

Gespenster! ach! die ihr mit Klauen dräut,

Um Gräber spükt und Kindern oder Ammen

Am liebsten sichtbar seyd!


Ich glaubte sonst: der Todte kommt nicht wieder;

Ein eisern Band hält seine Füsse fest:

Wo ist ein Grab, das die vermorschten Glieder

Aus kalten Armen läßt?


Im Grabe schläft Ulyß, nach langen Reisen;

Da schläft Achill, nur lebend im Gedicht:

Da kümmern sich die Narren, wie die Weisen,

Um andre Narren nicht.


So schwatzt Vernunft, die immer närrsch gewesen:

Ich glaub indeß, was mein Balbier bezeügt,

Was wir im Faust und im Kalender lesen;

Und kein Kalender leugt.


Ich glaube nun die klägliche Geschichte

Vom schwarzen Mönch, der nächtlich wachen muß;

Den Hexen-Tanz und Marthens Nacht-Gesichte,

Selbst Satans Pferdefuß.
[131]

Was Aberglaub im Finstern ausgebrütet,

Hört itzt mein Ohr, von banger Lust entzückt,

Seit über mich der Hypochonder wüthet,

Und mein Gehirn verrückt.


Der Jugend Roth flieht meine blassen Wangen:

Ich seh, erstaunt, mein schwarzes Haar gebleicht,

Und welke Haut um meine Knochen hangen:

Mein schwerer Odem keicht.


Ihr Larven, schont! verschont mein einsam Bette,

Wo ich allein und ohne Mädchen bin!

Was rasselt ihr mit nachgeschleppter Kette

Vor meinen Ohren hin?


Will ein Gespenst bey meinem Bett erscheinen,

So sey es Fleisch und fähig schlauer Lust,

(Versteht mich recht!) mit runden weissen Beinen

Und einer weissen Brust.

Quelle:
Johann Peter Uz: Sämtliche poetische Werke, Stuttgart 1890, S. 130-132.
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Sämtliche poetische Werke. Hrsg. von A. Sauer