Die Wollust

[73] Begeistre mich, o Muse! die vor Zeiten

In Flaccus Brust ein himmlisch Feuer blies,

Wann, ganz entzückt, er in Alkäens Saiten

Von Weisheit sang und ihre Schönheit pries.

Wie? fühl ich schon dich, göttlichste der Musen?

Welch hoher Trieb erfüllet meinen Busen!


Wo bin ich ietzt? o welche Götteraue!

Ein sanfter West belebet Laub und Klee.

Hier braust kein Busch, beperlt vom Silbertaue,

Durch dich, o Süd, Tyrann der schwarzen See,

Der voller Wuth das schwache Schiff erschüttert,

An Klippen wirft und an dem Fels zersplittert.


Mein Herze wallt, mein reges Blut entbrennet:

Der Wollust ist dis Lustrevier geweiht,[74]

Der Wollust, ja! nicht die der Pöbel kennet,

Die, stets voll Weins, rast, wann sie sich erfreut:

Nein! die vereint Natur und Weisheit preisen,

Der Weisheit Kind und Königinn der Weisen.


Ich sehe sie, die junge Rosen krönen,

Auf Rosen ruhn, mit Ruhe ganz umringt.

Sie lächelt süß: die Freude muß ihr fröhnen,

Die stets um sie die güldnen Flügel schwingt:

Und, wo sie ruht, seh ich den Schooß der Erden,

So rauh er war, mit Blumen trächtig werden.


Sie trotzet hier dem Zufall und dem Glücke,

Ihr nahet sich kein Qval erfüllter Schmerz.

Vergnügen herrscht in ihrem heitern Blicke;

Doch edler Ernst verscheuchet wilden Scherz.

Durch sie ward selbst Lyäus zahm gemachet,

Der hinter ihr mit einer Muse lachet.


Wie sollte dir nicht alles dienen müssen,

Du, die allein die Sterblichen beglückt?[75]

Gefesselt liegt, o Göttinn! dir zu Füssen

Der bleiche Gram, der schwache Seelen drückt,

Und noch ein Schwarm heißhungriger Begierden,

Die ohne dich tyrannisch herrschen würden.


Dich finden wir auf Blumen vollem Wege:

Du legest Reiz auch strengen Pflichten bey.

Nur du erhältst, durch deine kluge Pflege,

Den Leib gesund, den Geist vergnügt und frey.

Kann deine Huld, o Wollust! dieß gewähren;

Was will denn mehr ein Sterblicher begehren?
[76]

Wie thörigt ist, sich vieles nöthig machen,

Da die Natur nur weniges verlangt?

Wie? oder sind verlangens werthe Sachen,

Daß euer Leib mit Tyrus Purpur prangt;

Und ihr, berauscht, den Necktar fremder Reben

Aus Golde trinkt und Sclaven euch umgeben.


Dieß giebt das Glück; und mehrentheils den Thoren:

Des Weisen Herz kann alles dieß verschmähn;

Und ist vergnügt, wann die das Glück erkohren,

Sich, unvergnügt, im Schooß des Glückes blähn.

Das wahre Glück ist nicht, was Thoren meinen:

Seyd in der That, was tausend andre scheinen.

Quelle:
Johann Peter Uz: Sämtliche poetische Werke, Stuttgart 1890, S. 73-77.
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