Dritter Brief

[246] Permittes ipsis expendere Numinibus, quid

Conveniat nobis, rebusque sit vtile nostris:

Nam pro iucundis aptissima quaeque dabunt Di;

Charior est illis homo, quam sibi.

Iuvenal. Sat. X.


Wie sich ein Wandrer freut, wenn in unfruchtbarn Heiden,

Wo nie ein Vogel singt und niemals Lämmer weiden,

Am brennenden Mittag, aus naher Felsenkluft

Ein sanftes Rauschen ihn zur frischen Quelle ruft:

So hat ein Sterblicher die reinste Lust der Erde,

Wenn unter Ungemach und dornichter Beschwerde,

Wenn unter allem Weh, das menschlich Leben drückt,

Und auch dem Weisen folgt, die Weisheit ihn erquickt;

Und wenn er ihren Trost, ihr göttliches Vergnügen

Selbst an der Quelle trinkt mit wiederholten Zügen,

Wie du gelehrter Ch*, mein Lehrer und mein Freund,

Der eine Weisheit liebt, die nicht bloß Weisheit scheint.

Ihr heilsam Wasser quillt in einsamen Gesträuchen,

Wo heilig Schrecken wacht, den Pöbel zu verscheuchen.

Nur ein Weg führet hin: ein unterschiedner Wahn

Führt Narren weit hinweg auf rauhverwachsne Bahn.

Wer aus der Quelle schöpft, sieht mit geschärftem Blicke,

Was wahre Freude sey, was dauerhaft beglücke.

Von seinen Augen fällt die graue Schuppe hin:

Kein schimmernd Scheingut äfft den aufgeklärten Sinn.[247]

Mit Klugheit weiß er nun das Böse zu vermindern,

Und was er durch Vernunft nicht hindern kann, zu lindern.

Wer über sich gesiegt, besiegt auch seinen Schmerz:

Denn was uns elend macht, ist immer unser Herz.


Ich seh ein weinend Aug, ich höre bittre Klagen:

Mir blutet schon das Herz: ich will den Menschen fragen,

Der hier so trostlos klagt, umwölkt von finsterm Harm!

Was fehlet dir, mein Freund? – Mir? alles! ich bin arm –

Was iedem nöthig ist, will die Natur ihm geben:

Versagt sie dirs allein? was fehlet dir zum Leben? –

Ein dürftiges Gewand hüllt meine Glieder ein:

Mich nährt gemeine Kost; und Narren trinken Wein. –

Gewiß, du scherzest! wie? du heißest Mangel leiden,

Wenn du nicht schmausen kannst? du willst dich prächtig kleiden?

Du bist bedeckt und satt! nur dieß, die Nothdurft nur,

Und keinen Ueberfluß verspricht uns die Natur. –

Die Ehre flieht vor mir, ich muß im Staube liegen! –

Ein guter Name giebt ein edleres Vergnügen;

Und ist in deiner Hand: sey nur wahrhaftig klug,

Sey weis' und tugendhaft, so bist du groß genug. –

Ich wollt' und nichts geschah von meinem liebsten Wollen! –

Du hättest, was du hast, und wenig wollen sollen:

Weil du dem Glücke selbst so viele Blößen giebst,

Als du Begierden nährst, und fremde Dinge liebst. –

Mein Unmuth höret nichts; ich wüte! – Narren wüten –

Auch du hast nicht gelernt, der Leidenschaft gebieten?

Sey elend unbedaurt! entsage wahrer Lust!

Ihr Aufenthalt ist nicht in solcher Sklaven Brust.


Du wirst den Menschen doch in diesem Bild erkennen,

Und, was er Unglück nennt, betrogne Thorheit nennen?[248]

Er hängt sein ganzes Herz an manche Kleinigkeit,

Wünscht immer, wechselt stets, betrügt sich und bereut.

Er könnte ruhig seyn, wofern er weise würde:

Denn unterwürf ein Mensch die hungrige Begierde

Der mäßigen Natur, die nach dem wahren Werth

Und nach Bedürfniß wählt, nicht alles wild begehrt:

So würde sich sein Geist nicht ungesättigt quälen:

Dem, der nur wenig braucht, kann auch nur wenig fehlen;

Und wer sein Glück in sich, nicht in dem äußern Schein,

Nicht in der Meinung sucht, wird leicht befriedigt seyn.


Doch bin ich nicht ein Arzt, der iede Krankheit heilet,

Und seine Panacee mit steifem Stolz vertheilet.

Ich selber bin ein Mensch, und fühle, daß ichs bin;

Und läugnen, was man fühlt, ist stolzer Eigensinn.

Der Weise, wie der Thor, hat sein bestimmtes Leiden:

Doch dieser leidet mehr, und hat geringre Freuden;

Und überzählt mein Blick das Uebel unsrer Welt,

So find ich nicht so viel, als ich mir vorgestellt.


Freund, sieh die Rechnung durch; sprich, ob ich mich betrogen:

Von dieser Summe wird erst alles abgezogen,

Was graues Vorurtheil zu großem Uebel macht,

Der Pöbel ängstlich flieht, wer edel denkt, verlacht.[249]

Noch mehr! was nicht vermag, den Grund erhabner Pflichten,

Den Endzweck meines Seyns gewaltsam zu zernichten,1

Kann wohl ein Uebel seyn, doch zweifelhafter Art,

Das durch die Weisheit oft zu einem Guten ward.
[250]

Des Bösen bleibt nicht viel, wenn wir es also zählen:

Denn sprich, worüber sich die meisten Menschen quälen:

Daß ihre Seele nie der Thorheit Nacht vertreibt,

Und niemals richtig denkt, und immer kindisch bleibt?

Wer hört von Sterblichen die wunderseltne Klage?

Doch nimm dem alten Kind, am letzten seiner Tage,

Sein flitternd Puppenwerk, sein Gold und Silber, ab,

Das ihm ein spielend Glück, wie andern Thoren, gab;

Nimm ihm, was Kluge Rauch und Narren Ehre nennen:

Wie wird sein wild Geschrey die leichten Lüfte trennen?

Und gleichwohl seufzt nach Trost auch diese Pöbelzunft?

Zu edel ist für sie die Tröstung der Vernunft.


Wer frühe sich gewöhnt, das wahre Gut zu lieben,

Wird nicht um ieden Tand sich lächerlich betrüben.

Wer bessre Güter kennt, als die das Glück uns zeigt,

Um die der Ehrgeiz buhlt, um die es ihn betreugt,

Verachtet, was der Thor mit Ungeduld begehret;

Und was verachtet wird, wird ohne Schmerz entbehret.

Was glänzt, ist nicht stets gut; und was uns böse scheint,

Ist oft so böse nicht, als wir zuerst gemeint.

Was uns ein rauh Gebirg, voll unerstiegner Höhen,

Voll dürrer Felsen, schien, ist, wenn wir näher gehen,

Oft minder fürchterlich, und beut auf sichrer Bahn

Uns Blumen, weiches Gras und kühle Schatten an.


Warum soll vor der Zeit ein Weiser furchtsam klagen?

Was unerträglich scheint, hilft uns die Zeit ertragen:[251]

Und eine Ninon selbst, Cytherens Priesterinn,

Wird, alt zu seyn, gewohnt, und scherzt ihr Alter hin.2


Die Furcht macht alles groß, bebt vor den kleinsten Dingen,

Flieht stets, verwickelt sich in ihren eignen Schlingen,

Und strauchelt überall: Wie oft klagt unser Wahn

Um ein Geschöpf der Furcht Natur und Himmel an!

Gleich einer Schäferinn, die nach bebüschten Gründen

Zu ihrem Thyrsis eilt, voll Hoffnung, ihn zu finden;

Und Thyrsis ist nicht da: sonst kam er stets zu bald:

Sie ruft, und ihrem Ruf antwortet nur der Wald.

Nun schwillt ihr liebend Herz von Argwohn: ihr erscheinet

Nun Thyrsis ungetreu: sie klagt, sie schilt, sie weinet.

Die Thränen fließen noch, indem ihr Schäfer schon

Zu ihren Füßen liegt: sie schilt mit sanfterm Ton;

Und kaum hat sie von ihm das weiße Lamm empfangen,

Das ihr entlaufen war, und dem er nachgegangen,

Und das er ausgeforscht: so lächelt sie dem Freund,

Und küßt ihn, und gesteht, sie hab umsonst geweint.


Wenn dieß Verliebte thun, wirds ihnen leicht verziehen:

Die Liebe lacht und weint nach schnellen Fantasien.

Doch Schande, wenn auch wir so wenig männlich sind,

Uns iedes Nichts bewegt, wie ein unmündig Kind!


Wie selten ist ein Mann, der nie vergeblich zittert,

Nicht bebt, so bald er nur ein kommend Uebel wittert,

Und, unverwirrt von Furcht, ihm unter Augen sieht,

Ihm auszuweichen sucht, nicht ihm entgegen flieht,[252]

Und muthig sich entschlüßt, an statt verlohrner Klagen,

Was nicht zu ändern ist, geduldig zu ertragen!

Ein muthiger Entschluß strengt unsre Nerven an,

Macht unsre Seele stark, und Stärke macht den Mann.

Wer freudig trägt, trägt leicht: durch ungeduldig Toben,

Das Kindern übel steht, wird keine Last gehoben;

Und schlüg ein Sklave sich, aus blinder Raserey,

Mit seiner Kette wund, so wird er doch nicht frey.

Der Kranke wälzt umsonst, im klagenvollen Zimmer,

Sich auf bethräntem Bett: er macht sein Uebel schlimmer:

Er häuft mit innrer Pein die äußerliche Qual,

Und leidet, weil er muß, und leidet auch aus Wahl.


Vor meinen Augen stehn die Weisen alter Zeiten,

Die, durch Geduld gestählt, sich trotz dem Glück erfreuten:

Ihr glänzend Beyspiel strahlt, wenn ich zu zaghaft bin,

In meinen trüben Geist durch alle Wolken hin.

O möcht ich Glück und mich, gleich ihnen, überwinden!

Ich wag es, groß zu seyn! – Du fragst, mit welchen Gründen

Die Weisheit mein Gemüth im Schmerz zufrieden stellt?

Ich weiß, es ist ein Gott! Ein Gott regiert die Welt!


Dieß große Wesen ist ganz Weisheit und ganz Güte!

Betracht ich seine Welt mit ruhigem Gemüthe,[253]

So seh ich weise Huld, nicht weise Macht allein;

Und wie die Wirkung ist, muß auch die Ursach seyn.

Der Königinn des Tags, die unter Flammen thronet,

Bestimmt er ihren Ort, wo sie der Erde schonet,

Und wo die Erde selbst sich Licht und Fruchtbarkeit

Und jungen Frühling holt, und ihren Schmuck verneut.

Dann lacht sie, selbst verjüngt; nichts fehlet ihr zur Zierde;

Nichts mangelt überall vernünftiger Begierde.

Des Menschen Aug ergötzt und seinem Viehe dient

Das ungepflegte Gras, das auf den Triften grünt.

Den Thieren ieder Art, wer kann die Zahl bestimmen?

Die kriechen, oder gehn, mit nassen Federn schwimmen,

Und deren leichter Flug hoch in den Wolken eilt,

Ist, ehe sie noch sind, ihr Futter zugetheilt.

Der kleinsten Raupe ward ein reicher Tisch bereitet:

Ihr Hunger findet ihn, vom sichern Trieb geleitet,

In Hecken und Gebüsch und auf dem grünen Blatt,

Wo sie aus ihrem Ey sich selbst gebohren hat.

Damit der junge Mensch nicht unversorget bliebe,

Bestellte die Natur der Eltern wache Liebe,[254]

Von der das zarte Reis die erste Pflege borgt,

Bis wachsende Vernunft in reifern Jahren sorgt.


So große Liebe strahlt aus Gottes weisem Plane!

Gewiß, das ist kein Gott, der, nach dem alten Wahne,

Höchstglücklich nur für sich, die niedre Welt vergißt,

Und, ob sie glücklich sey, ganz unbekümmert ist.

Gleichgültig sollt er sehn, die Schöpfung untergehen?

Denn wenn er sie verläßt, so kann sie nicht bestehen:

Die forschende Vernunft weiß nichts von einer Welt,

Die sich nicht selbst gemacht und sich doch selbst erhält.

Es ist Unmöglichkeit, daß unabhängig werde,

Was einen Schöpfer hat; ein Gott aus einer Erde.

Hieng ihre Dauer bloß von ihrem Wesen ab,

So wäre sie wie Gott, der ihr das Wesen gab.

Nur Gott ist, weil er ist; die Welt, weil Gott es wollte:

Sie dauert, weil er will, so lang sie dauern sollte.

Entzieht ihr Schöpfer ihr die Allmacht seiner Hand,

So herrscht ein ödes Nichts, wo eine Welt verschwand.3

Das menschliche Geschlecht, ein Staat von freyen Wesen,

Soll glücklich seyn, und selbst sein wahres Glück erlesen:[255]

Umsonst! die Leidenschaft verdunkelt den Verstand:

Der blinde Wille rast, und rast um einen Tand.

Was würde nicht geschehn, wenn schädliche Begierde

Von einer höhern Macht nicht eingeschränket würde?

Die Erde hätten wir, von falscher Lust bethört,

Zur Wüste längst gemacht, und alles umgekehrt.


Sprich! wird ein Weiser bloß viel Volks zusammen raffen,

Und sich dem Staat entziehn, nachdem er ihn geschaffen?

Er selbst belebt und schützt Gesetze, die er gab,

Räumt Hindernisse weg, und stellt Gebrechen ab;

Läßt kühne Bosheit nicht nach freyer Willkühr schalten,

Und was er gut gemacht, das will er gut erhalten:

Sein Aug ist überall: von welcher Dauer sey,

Was bloß durch ihn entstund, ist ihm nicht einerley.

Nur Gott, der Weiseste, soll, was er schuf, versäumen?

Das feige Laster glaubt so ungereimten Träumen:

Kein Wunder! ungestraft bleibt eine böse That

Wohl in der Anarchie, doch nicht im weisen Staat.

Die stille Tugend liebt den prächtigen Gedanken:

Gott ist und Gott wird seyn, und Welten mögen wanken!

O Freund, in einer Welt, wo blindes Glück allein,

Wo nicht ein Gott regiert, wünscht' ich nicht Mensch zu seyn!

Stets würden bange Furcht und Zweifel uns verwirren;

Nie ruhig, würden wir durch dieses Leben irren,

Das, vor uns her, verhüllt in dicken Schatten liegt,

Wo Labyrinthe sind, und ieder Schritt betrügt:[256]

Wie wann im öden Wald, wo Räuber nur verweilen,

Die Schrecken schwarzer Nacht den Jüngling übereilen,

Der ohne Führer irrt: er bebt bey Zephyrs Hauch,

Horcht auf ein rauschend Blatt und fürchtet einen Strauch.

Zu glücklich, wenn er noch mit sichrem Fuß entfliehet,

Noch Titans Morgenglanz und Florens Antlitz siehet,

Und nicht ein hungrig Thier mit seinem Fleische speist,

Nicht sein vergoßnes Blut in dunkle Büsche fleußt.


Des Menschen Schicksal ist, wo wir Verwirrung finden,

Ein wundersam Geweb von Folgen und von Gründen.

Ein Umstand, welcher schnell den Sterblichen verschwand,

Wirkt ungesehen fort, und leitet an der Hand

Vielleicht ein lachend Glück, das frohe Rosen krönen,

Vielleicht Verderben her von Vätern zu den Söhnen,

Flicht in Jahrhunderte sich ungehindert ein,

Lebt auch nach unserm Tod, und wird unsterblich seyn.

Ein schimmernder Entwurf, den Klugheit selbst gebohren,

Wird in der Klugheit Hand vernichtet, und von Thoren.

Oft ist die Ursach klein, die einem Heldengeist

Vom weiten widersteht, und nahen Ruhm entreißt.4


Kurzsichtiges Geschöpf! Wie können Menschen wählen,

Die kaum das Nahe sehn, und auch im Nahen fehlen!

Der nebelvolle Pfad führt über Klippen hin:

Ich sehe keinen Tag, und weiß nicht, wo ich bin.

Der ganze Himmel ist mit Dunkelheit umzogen:

Es brüllen weit umher der Unruh schwarze Wogen:

Wer kann das Ende sehn? Kein Schimmer blickt hervor;

Und nur Verwirrung braust in unser horchend Ohr.[257]

Gott spricht! das Chaos hört und die Verwirrung schweiget:

Er, aller Wesen Herr, will, und sein Wille zeuget

Ein unerwartet Licht im Schooß der Finsterniß:

Und was uns Zufall heißt, ist alles ihm gewiß.

Er sah vor aller Zeit, was einst geschehen sollte:

Nichts ist und nichts wird seyn, als was und wie er wollte.

Die kleinste Handlung ist, noch ehe sie geschieht,

In seinem Plan bestimmt, und einer Kette Glied:

Der Kette, die Gestirn und Erd und blaue Fluten

Und ihr bevölkernd Heer, das Böse samt dem Guten,

Und Staub und grün Gebüsch und was in Büschen singt,

Was lebt und leblos ist, verbindet und umschlingt.

Gott übersieht sie ganz: wie könnt er sonst regieren,

Und einem Gott gemäß die große Herrschaft führen?

Doch herrscht ein solcher Gott, so tret ich meine Bahn

Mit Ruh und Freudigkeit, obgleich im Dunkeln, an.


Wie sollt ich nicht vergnügt mit meinem Zustand leben?

Wie kann er böse seyn? Gott hat ihn mir gegeben.

Ich bin, was er gewollt, in seinem großen Haus:

Auch unsre Thorheit führt oft seinen Rathschluß aus.5

Nichts ist von ungefähr: kein Umstand war vergebens,

Und ieder wirkte mit zum Schicksal meines Lebens.

Ich sollte, was ich bin, nicht etwas anders seyn:

Und mein besonders Glück stimmt in dem Ganzen ein.[258]

Ists wohl der Mühe werth, ein Ganzes umzuändern,

Damit ich, kleiner Theil, den prächtigen Verschwendern

An Reichthum und vielleicht an Lastern ähnlich sey?

Sind Wünsche dieser Art nicht stolze Raserey?[259]

Wer würde nicht für sich ein gleiches Recht begehren?

Soll eine trübe Luft mir Sonnenschein gewähren,

Weil ich im Grünen geh, indem ein ganzes Land

Nach frischem Regen lechzt, vom Sirius verbrannt?

Der Himmel schwärzet sich, ein dicker Hagelschauer

Verheert die reife Saat: ach! klagt ein armer Bauer,

Warum denn meine Saat? – Die Hagelwolke stund

Auch über deiner Flur: verschmähst du diesen Grund?

Wie? oder soll vielleicht kein Regen mehr gefrieren,

Wenn ihn durch kältre Luft die rauhen Winde führen?

Denn ieder andrer wird nicht minder sauer sehn,

Wenn morgen ihm geschieht, was heute dir geschehn.


Die Schöpfung wird regiert nach ewigen Gesetzen!

Wir sehn der Sterne Lauf mit schauderndem Ergötzen:

Sie wandeln heut, wie stets: der allgemeine Plan

Weist Sonnen ihr Geschäft und ihre Herrschaft an.

Der Schnee hält seine Zeit und seine Zeit der Regen:

Des Windes Flügel muß nach Regeln sich bewegen:

Ein mächtiges Gesetz hält in der Wolke Schooß

Des Donners Grimm zurück, und läßt den Donner los.

Die junge Flora läßt sich von Gesetzen leiten:

Des Tejers Rose glich den Rosen unsrer Zeiten:

Das Kraut pflanzt sein Geschlecht, wie seit der Schöpfung, fort:

Nie drängte feuchtes Rohr sich an des Buxes Ort.[260]

An Thieren einer Art, seit ungezählten Jahren,

Ist alles einerley: sie bleiben, wie sie waren.

Der Löwe geht nach Raub in finstern Wäldern aus:

Die Schwalbe baut noch itzt, wie sonst, ihr leimern Haus.


Kein Zweifel! Die Natur folgt ewigen Gesetzen:

Die Weisheit schrieb sie vor, und sollte sie verletzen,

Sobald Wurm oder Mensch die Ausnahm kühn begehrt?

Wie leicht hält ieder Thor sich eines Wunders werth!


Gehorch ich der Natur mit ihrem Lauf zufrieden,

Wie selten wird mein Flehn der Gottheit Ohr ermüden!

Der Eigenliebe nur, die schmeichelnden Betrug

In unsrer Seele nährt, geschiehet nie genug.

Sie hat stets mehr verdient: hat sie nur ihre Freuden,

So mögen Tausende vor ihren Augen leiden.

Sie sieht aufs Ganze nicht, schmäht, was ihr nicht gefällt,6

Und schilt Verändrungen in einer Körperwelt.

Nur lachende Natur, nur Frühling will sie finden:

In Sommerwolken soll kein Wetter sich entzünden:

Zwar eine Sonne soll am blauen Himmel glühn,

Doch fruchtbarn Schwefel nur zum Regen aufwärts ziehn.[261]

Ein eingeschränkt Geschöpf, der Mensch soll niemals fehlen!7

Doch zwäng uns die Natur, das Beste stets zu wählen,

So wären wir nicht frey, so wäre keine Pflicht;

Und einem Gott gefällt Maschinentugend nicht.

Wer freye Tugend will, muß freyes Laster dulden:

Die Bosheit raubt? Sie würgt? Sie häufet Schuld auf Schulden,

Und wütet ungestraft? Auch diesen Plan der Welt

Ziert freye Tugend mehr, als Laster ihn verstellt.

Die Bösen schaden mir; und sollt ich schmähn und fluchen?

Es ist der Bösen Art, daß sie zu schaden suchen.

Erzürnt ein Weiser sich, daß eine Nessel brennt?

Es ist der Nessel Art; ihr weichet, wer sie kennt.


Mein Unmuth ändert nicht die Ordnung aller Dinge,

Wenn ich voll Ungeduld die wunden Hände ringe.

Genug! sie kömmt von Gott, und Gott ist weis' und gut,

Als Schöpfer und Regent; und recht ist, was er thut.

Was ist, ist alles recht, doch im Zusammenhange,

Den ich nicht einzusehn vermag, auch nicht verlange.

Der eine Welt gemacht, kennt ihren ganzen Plan

Und aller Theile Zweck: er ordnet alles an,[262]

Macht gut, was böse war, und lenkt Begebenheiten

Zu seiner Absicht um, auch wenn sie mit ihr streiten,

Und mischt, wenns heilsam ist, aus weiser Lieb' allein,

Der Wermuth Bitterkeit in unsern Becher ein.

Wie leicht verzärtelt sich das Herz in steten Freuden!

Doch stark und sicher wird die Tugend unter Leiden.

Sie strahlt am göttlichsten durch dicke Dunkelheit:

Dann leuchtet sie der Welt und überlebt die Zeit.[263]

Wie weichlich müßt' ich seyn, wenn ich verlangen wollte,

Daß alle rauhe Luft nur mich verschonen sollte!

Kann unerträglich seyn, was mich vollkommner macht?

Die Tugend ist mir mehr, als eines Königs Pracht.


Hinweg mit blöder Furcht! die Gottheit will mich führen;

Und ruhig laß ich sie mein fliehend Schiff regieren.

Wollt ich erst ruhig seyn auf diesem Ocean,

Wenn alles ruhig ist, so fieng' ich niemals an.

Ein Ungewitter braust auf ungestümen Wellen;

Mit heitrem Angesicht seh ich die Fluten schwellen:

Das Steuerruder ist in eines Weisen Hand;

Und dieser führt mich gut, und bringt mich an das Land.

Fußnoten

1 »Warum nennest du denn diesen Zufall vielmehr ein Unglück, als ein Glück? Heißet dir etwan das ein Unglück, was den Endzweck der Natur des Menschen nicht umstößt?«

(Antonin IV. 53.)


2 »Qui m'auroit proposé,« schreibt sie an Saint-Evremond, »une telle vie, je me serois pendue. Cependant on tient à un vilain corps, comme à un corps agréable: on aime à sentir l'aise et le repos, après avoir senti ce qu'il y a de plus vif.«

(Oeuvres de Saint-Evremond T. III. p. 408.)


3 Daß die Welt in keinem Augenblick ihres Daseyns fortdauern könne, ohne von Gott erhalten zu werden, beweist, unter andern, Herr Prof. Meier in der Metaphysik 4. Theil §. 1022. etc.


4 »Tel est le jeu des choses les plus graves du monde. La Providence se rit de la sagesse et des grandeurs humaines. Des causes frivoles et quelquefois ridicules changent souvent la fortune des Monarchies entières.«

(Antimachiavel ch. 25.)


5 »At inquies, culpa mea stupiditateque propria mihi evenere plurima, quae facile fuisset evitare: – Ita sane sit; sed id scias, illam ipsam, quam agnoscis culpam, instrumentum fuisse Deo, quo te bonis tuis exueret, te vero infirmitate hac opprimeret, quam eo tempore tibi iudicaverat expedire.«

(Sarasa de arte gaudendi Tract. VI.)


6 »Die Gurken sind bitter: laß sie stehen! Es sind Dornen auf dem Wege: weiche ihnen aus! das ist genug. Sage aber nicht: warum ist dieses in der Welt? Sonst wirst du von den Naturkundigen ausgelachet werden. Eben wie dich ein Zimmermann oder Schuster auslachen würde, wenn du ihnen aufrücktest, daß Lappen oder Sägespäne in ihrem Laden liegen.«

(Antonin VIII, 53.)


7 »Es ist eine Thorheit, zu verlangen, daß die Bösen nicht Böses thun sollen: denn dieses heißet eine Unmöglichkeit begehren. Hingegen ihnen vergönnen, daß sie andern Böses thun mögen, und doch begehren, daß sie deiner schonen sollen: das wäre nicht nur eine Thorheit, sondern gar eine Tyranney.«

(Antonin XI, 19.)


Quelle:
Johann Peter Uz: Sämtliche poetische Werke, Stuttgart 1890, S. 246-264.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Pascal, Blaise

Gedanken über die Religion

Gedanken über die Religion

Als Blaise Pascal stirbt hinterlässt er rund 1000 ungeordnete Zettel, die er in den letzten Jahren vor seinem frühen Tode als Skizze für ein großes Werk zur Verteidigung des christlichen Glaubens angelegt hatte. In akribischer Feinarbeit wurde aus den nachgelassenen Fragmenten 1670 die sogenannte Port-Royal-Ausgabe, die 1710 erstmalig ins Deutsche übersetzt wurde. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Karl Adolf Blech von 1840.

246 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon