Zehntes Capitel.
Saint-Mungo.

[235] Bei Sonnenaufgang des folgenden Morgens war die amerikanische Küste vollständig verschwunden, nicht ein einziges Schiff zeigte sich am Horizonte, und der Delphin, der nach und nach seine Schnelligkeit mäßigte, fuhr ruhiger auf die Bermudas-Inseln zu.

Von der Fahrt über den Ocean ist wenig zu berichten, kein Unfall unterbrach ihren regelmäßigen Verlauf, und zehn Tage nach der Abreise von Charleston bekam man die Küste Irlands in Sicht.

Was sich nun zwischen dem jungen Kapitän und Miß Jenny zutrug, werden selbst die wenigst Scharfsehenden errathen; und wie konnte Mr. Halliburli sich besser für den aufopfernden Muth seines Retters dankbar beweisen, als dadurch, daß er ihn zum Glücklichsten aller Sterblichen machte? James Playfair hatte nicht abgewartet, bis man sich in englischen Gewässern befand, um dem jungen Mädchen und ihrem Vater von den Gefühlen seines Herzens Kunde zu geben, und wenn man Crockston glauben darf, so nahm Miß Jenny dies Geständniß mit glückseligem Lächeln entgegen.

So ereignete es sich, daß am 14. Februar des Jahres 1863 eine große Volksmenge unter den kolossalen Gewölben der Kathedrale Saint-Mungo in Glasgow versammelt war. Man sah unter ihnen Seeleute, Geschäftsmänner, Industrielle und Beamte, kurz Mitglieder aller Stände und Professionen.

Unser alter Crockston mußte heute als Trauzeuge bei Miß Jenny, die im Brautstaat prangte, fungiren. Der brave Amerikaner hatte sich höchst feierlich in einen apfelgrünen Frack mit blanken Knöpfen geworfen. Onkel Vincent stand stolz neben seinem Neffen.

Kurz, man feierte die Hochzeit von James Playfair aus dem Hause Vincent Playfair u. Co. zu Glasgow und Miß Jenny Halliburli aus Boston.

Die Ceremonie wurde mit angemessenem Glanz vollzogen; Jeder kannte die Geschichte des Delphin, und Jeder war der Ansicht, daß die Aufopferung des jungen Kapitäns hier ihren gerechten Lohn fand. Nur er allein behauptete, daß er über Verdienst beglückt sei.[235]

Am Abend dieses Tages fand ein großartiges Souper, dem ein pompöser Ball folgte, bei Onkel Vincent statt; und was das Gastmahl anbetraf, so verdient Crockston's Ausnahmeleistung rühmende Erwähnung: er verrichtete wahre Wunder eines guten Appetits!

Unter die in Gordan-Street versammelte Menge ließ Onkel Vincent zu Ehren des denkwürdigen Tages eine beträchtliche Masse Schillinge vertheilen.

Ueberall fand das frohe Fest den ungetrübtesten Wiederhall, was man, nebenbei bemerkt, nicht immer von Feierlichkeiten dieser Art sagen kann. Man freute sich sowohl des eigenen Vortheils wie des Glücks der zunächst Betheiligten.

Als spät am Abend die Gäste sich verabschiedet hatten, küßte James Playfair seinen Onkel auf beide Wangen.

»Nun, Onkel Vincent? fragte er.

– Nun, lieber Neffe?

– Bist Du zufrieden mit der reizenden Ladung, die ich an Bord des Delphin mit heimgebracht habe?«

Und er wies auf seine liebenswürdige junge Frau.

»Ich sollte meinen! rief der würdige Kaufherr. Ich habe meine Baumwolle mit dreihundertfünfundsiebenzig Procent Gewinn verkauft!«


Ende.

Quelle:
Jules Verne: Eine Idee des Doktor Ox. In: Eine Idee des Doktor Ox. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XX, Wien, Pest, Leipzig 1877, S. 7–85.
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