III.

[199] Am bestimmten Tage, dem Vorabend des Aufgangs, fand ich mich zu dem von Brétignot bezeichneten Stelldichein auf dem Périgordplatze ein. Dort stieg ich als der Achte – die Hunde ungerechnet – in den Fond der Diligence ein.

Brétignot und seine Jagdgenossen – ich wagte noch nicht, mich zu ihnen zu zählen – sahen in ihrem traditionellen Costüm vortrefflich aus. Tadellose Exemplare und merkwürdig anzuschauen; die Einen ernsthaft in Erwartung des kommenden Tages; die Andern lustig und schwatzhaft, wobei sie mit dem Munde schon den ganzen Wildstand von Hériffart vernichteten.

Da gab es ein halbes Dutzend der berühmtesten Donnerbüchsen aus der Hauptstadt der Picardie. Ich kannte die Besitzer kaum. Brétignot mußte mich mit aller Förmlichkeit vorstellen.

Da war zunächst Maximon, ein langer, trockener Kerl, der sanfteste Mensch unter gewöhnlichen Lebensverhältnissen, ein Tiger aber, wenn er die Flinte unterm Arme hatte – einer jener Jäger, von denen man sagt, sie würden eher ihren Nebenmann über den Haufen schießen, denn als »Schneider« nach Hause zu kommen. Er, Maximon, sprach nicht; er war in wichtige Gedanken versunken.[199]

Neben dieser bedeutenden Persönlichkeit saß ein gewisser Duvauchelle. Welcher Contrast! Duvauchelle war dick, klein, zwischen fünfundfünfzig und


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sechzig Jahre alt, so taub, daß er kaum den Knall seiner Flinte hörte, während er doch starrköpfig alle zweifelhaften Schüsse für sich in Anspruch nahm. So hatte man ihn schon wiederholt einen todten Hasen mit blindgeladener Flinte schießen lassen – einer der Jagdscherze, welche Monate lang in allen Gesellschaften und bei jeder Table d'hôte belacht wurden.

Ich mußte auch den Schraubstockhändedruck Matifat's aushalten, eines großen Erzählers cygenetischer Großthaten. Er sprach nie von etwas Anderem, und mit welchen Ausrufen,


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mit welchen Verzierungen! Den Schrei des Rebhuhns, das Bellen des Hundes, das Krachen der Flinte – Alles brachte er an. »Pang! Pang! Pang!« –

Drei »Pang« für eine Flinte mit zwei Läufen! – Und dann die Gesten! Eine Hand, welche hin und her fährt, um den Zickzacklauf des Wildes anzudeuten;


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die Beine, die sich zusammenbiegen, während der Rücken sich krümmt, um sicherer zu zielen, der linke Arm, der sich vorstreckt, während der rechte sich an die Brust heranzieht, um die Lage der Waffe zu versinnlichen! Hei, da purzelte Haar- und Federwild nur so! Wie viele


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Hasen hat er im Laufen erlegt! Er fehlte keinen! – Ich wäre in meiner Ecke bald durch eine solche drastische Darstellung hingewürgt worden.

Nun mußte man erst Matifat mit seinem Freunde Pontcloué reden hören! Zwei Finger von einer Hand! Doch das verhinderte sie nicht, sich die unliebenswürdigsten Redensarten an den Kopf zu werfen, so bald Einer dem Andern ins Gehege kam.

»Was ich für Hasen zur Strecke gebracht habe im letzten Jahre, sagte Matifat, während der wackliche Wagen die Straße nach Hérissart hinrollte, ja, was ich für Hasen erlegt habe, das ließe sich gar nicht mit Zahlen ausdrücken.[200]

– Ja wohl, ganz mein Fall, dachte ich bei mir.

– Und ich, Matifat! antwortete Pontcloué. Erinnerst Du Dich, wie wir zum letzten Male in Aryveuves die Treibjagd hatten? Hei, da gab's aber Rebhühner!

– Ich sehe noch immer das Erste, welches die Ehre hatte, mir vor die Flinte zu kommen.


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– Und ich das Zweite, dem ich die Federn so gründlich vom Leibe blies, daß ihm nur noch die Haut über den Knochen blieb.

– Und jenes, das mein Hund partout nicht in der Furche finden konnte, in die es doch rettungslos gefallen war!

– Und das, welches ich das Glück hatte, auf hundert Schritt zu schießen, und doch ohne Zweifel getroffen habe!


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– Und das andere, das ich mit meinen zwei Schüssen in die Luzerne habe fallen machen, das mein Hund aber unglücklicherweise auffraß!

– Und das Volk, welches gerade aufflog, als ich die Flinte wieder lud! – Brr! Brr! O, das war eine Jagd, meine Herren, das war eine Jagd!«

Was ich heraushörte, war eigentlich, daß von allen Rebhühnern Pontcloué's und Matifat's kein einziges in deren Jagdtaschen gewandert zu sein schien. Ich wagte aber nichts zu sagen, weil ich von Natur furchtsam bin gegenüber Leuten, welche von einer Sache mehr verstehen als ich. Und doch, wenn es sich nur darum handelte, ein Wild nicht zu treffen, wahrlich, da hätt' ich doch ebensoviel geleistet.

Die Namen der andern Jäger sind mir entfallen; wenn ich nicht irre, war der Eine bekannt unter dem Spitznamen Baccara, weil er auf der Jagd »immer schoß und nimmer traf«.

Nun, wer weiß, ob ich mir nicht auch diesen Beinamen erwerben sollte? Nein doch! Der Ehrgeiz stachelte mich an. Ich hatte es eilig mit dem folgenden Tage.[201]

Quelle:
Jules Verne: Zehn Stunden auf der Jagd. In: Der grüne Strahl. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XLII, Wien, Pest, Leipzig 1887, S. 193–219, S. 199-202.
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