II.

[436] Jean Verrazano. – Jacques Cartier und seine drei Reisen nach Canada. – Die Stadt Hochelaga. – Der Rauchtabak. – Der Scorbut. – Roberval's Reise. – Martin Frobisher und seine Fahrten. – John Davis. – Barentz und Heemskerke. – Der Spitzberg. – Ueberwinterung in Novaja-Semlja. – Rückkehr nach Europa. – Ueberreste von der Expedition.


Von 1492– 1524 hatte sich Frankreich, wenigstens officiell, von allen Entdeckungs- und Kolonisationsversuchen fern gehalten. Franz I. konnte aber unmöglich mit ruhigem Auge den Zuwachs an Macht seines Nebenbuhlers Karl's V. mit ansehen, der diesem durch die Eroberung Mexicos zu Theil[436] ward. Er beauftragte also den Venetianer Jean Verrazano, der in seinen Diensten stand, eine Entdeckungsreise zu unternehmen. Wir verweilen hierbei ein wenig länger, obwohl die gelegentlich dieser Fahrt berührten Orte schon früher mannigfach besucht worden waren, weil jetzt die Flagge Frankreichs zum ersten Male an der Küste der Neuen Welt entfaltet wurde. Diese Expedition gab übrigens auch Veranlassung zu den Fahrten Jacques Cartier's und Champlain's nach Canada, ebenso wie zu Jean Ribaut's und Laudonnière's unglücklichen Kolonisationsversuchen in Florida, nebst Gonugues' blutigem Rachezuge und Villegagnon's Niederlassung in Brasilien.

Von dem früheren Leben Verrazano's weiß man so gut wie gar nichts. Wie er in französische Dienste kam, welche Titel er bei Uebernahme des Befehls über jene Expedition besaß – nichts ist von dem venetianischen Reisenden bekannt, da man von ihm nur die in Ramusio's Sammlung befindliche italienische Uebersetzung seines Berichtes an Franz I. besitzt. Eine französische Rückübersetzung dieser italienischen Uebersetzung findet sich auszugsweise allerdings in der Arbeit Lescarbot's über Neu-Frankreich und in der »Geschichte der Reisenden«. Wir benutzen im Nachfolgenden den italienischen Text Ramusio's, bis auf einige Stellen, wo die Uebersetzung Lescarbot's glänzende Proben der reichen, originellen und wunderbar modulirten Sprache des 16. Jahrhunderts enthält.

Nach der Abfahrt in den Ocean, um neue Länder zu entdecken, sagt Verrazano in einem von 8. Juli 1524 herrührenden Brief aus Dieppe an Franz I., sah er sich genöthigt, eines Sturmes wegen mit zweien seiner vier Fahrzeuge, der »Dauphine« und der »Normandie«, in der Bretagne Zuflucht zu suchen, wo die erlittenen Havarien ausgebessert wurden. Von hier aus segelte er nach den Küsten Spaniens, wo er auch auf einige spanische Schiffe Jagd gemacht zu haben scheint. Weiter sehen wir ihn am 17. Januar 1524 mit der »Dauphine« allein eine kleine unbewohnte Insel in der Nähe von Madeira verlassen und mit einer, für acht Monate mit Munition und Lebensmitteln reichlich versehenen Mannschaft von einundfünfzig Mann in den Ocean hinaussteuern.

Fünfundzwanzig Tage später hat er fünfhundert Meilen nach Westen zurückgelegt, wo ihn wiederum ein entsetzlicher Sturm überfällt, und nach weiteren fünfundzwanzig Tagen, also am 8. oder 9. März, entdeckt er nach Zurücklegung einer ferneren Strecke von ziemlich vierhundert Meilen unter[437] dem 30. Grade ein Land, das er für bisher unbekannt hielt »Anfangs erschien es uns sehr niedrig und verlassen, als wir uns ihm aber bis auf eine Viertelmeile näherten, sahen wir an den großen Feuern längs der Häfen und des Strandes, daß es bewohnt war, und da es unmöglich erschien, hier an's Ufer zu gehen, segelten wir etwa fünfzig Meilen weiter und verließen die Küste erst, um wiederum zurückzukehren, als wir erkannten, daß sie sich nach Süden hin unbegrenzt fortsetzte.« Sobald die Franzosen eine geeignete Landungsstelle fanden, sahen sie eine große Menge Eingeborner herzuströmen, welche aber Alle die Flucht ergriffen, als jene Anstalt machten, an's Land zu gehen Den Franzosen gelang es sie durch Zeichen und durch ein friedliches Auftreten bald wieder heranzulocken, wobei jene sich am meisten erstaunt geberdeten über die Kleidung der Fremden, über deren Gesicht und die weiße Farbe der Haut.

Die Eingebornen gingen vollständig nackt bis auf die Mitte des Körpers, die sie mit Marderfellen, welche an einem gewebten Gürtel hingen, bedeckt trugen, und die mit den Schwänzen anderer Thiere geschmückt bis zum Knie herabfielen. Einige hatten eine Art Krone von Vogelfedern auf dem Kopfe. »Sie sind braun von Hautfarbe, sagt der Bericht, und ähneln in vielen Stücken den Sarazenen; ihre Haare sind schwarz, doch nicht sehr lang, und werden hinter dem Kopfe in Form eines kleinen Zopfes vereinigt. Sie haben recht wohlgestaltete Glieder bei mittelmäßiger Größe, welche die unsrige indeß ein wenig übertrifft, und man findet an ihnen eigentlich keinen anderen Fehler als ein zu breites Gesicht; ohne stark zu sein, zeichnen sie sich doch durch besondere Gewandtheit und die Fähigkeit, schnell laufen zu können, auffallend aus.« Es gelang Verrazano nicht, sich bei der Kürze seines Aufenthaltes näher über die Sitten und Lebensweise dieser Völker zu unterrichten. An der betreffenden Stelle bestand das Ufer aus seinem Sande und erhielt da und dort durch einige Dünen ein wellenförmiges Aussehen; hinter diesen Sandanhäufungen aber erhoben sich »dichte Gebüsche und herrliche Wälder, so lieblich anzuschauen, daß es ein Wunder war«. In dem Lande gab es, so weit man das zu beurtheilen vermochte, einen wahren Ueberfluß an Hirschen, Dammwild und Hafen, Seen und Teichen mit schönem klarem Wasser und großen Mengen von Vögeln.

Dieses Land liegt unter dem 34. Grade. Es entspricht also demjenigen Theile der Vereinigten Staaten, der heutzutage Carolina heißt. Die Luft ist[438] hier rein und gesund, das Klima gemäßigt, das Meer überall ohne Risse und bietet trotz des Mangels an Häfen den Seefahrern keine Schwierigkeiten.

Während des ganzen Monats März segelten die Franzosen längs der Küste weiter, die ihnen von zahlreichen Volksstämmen bewohnt schien. Wassermangel nöthigte sie wiederholt, an's Land zu gehen, und sie überzeugten sich dabei, daß die meisten Wilden auf Spiegel, Schellen, Messer und Papierstückchen den höchsten Werth legten. Eines Tages sandten sie eine Schaluppe mit fünfundzwanzig Mann an's Ufer. Ein junger Seemann sprang in's Wasser, »da man wegen der Strömung nicht bis an's Land heran konnte, um den Eingebornen, denen man etwas mißtraute, von fern her einige kleine Geschenke zuzuwerfen, wurde aber von den Wogen ergriffen und an den Strand getrieben. Als die Indianer das bemerkten, liefen sie auf ihn zu und schleppten ihn, zum großen Entsetzen des armen Matrosen, der nun hingeschlachtet zu werden fürchtete, weit von den Schiffen weg. Sie brachten ihn nach dem Fuße eines Hügels, setzten ihn in den vollen Sonnenschein und zogen ihm alle Kleider aus, um die Weiße seiner Haut anzustaunen; dann zündeten sie ein großes Feuer an und gestatteten ihm, sich zu pflegen und zu erholen, gerade deswegen aber glaubten jetzt sowohl der arme junge Mann, als die auf dem Schiffe Zurückgebliebenen, daß die Indianer ihn nun tödten und opfern, sein Fleisch über dem Feuer rösten und nach Art der Kannibalen aufzehren würden. Es sollte aber ganz anders kommen; denn als er den Wunsch zu erkennen gab, nach dem Schiffe zurückzukehren, führten sie ihn an den Strand, küßten ihn sehr zärtlich und zogen sich nach einer benachbarten Höhe zurück, um ihn in das Boot wieder einsteigen zu sehen.«

Während sie nun der Küste nach Norden hin etwa fünfzig Meilen weiter folgten, erreichten die Franzosen ein Land, das mit dichten Wäldern bedeckt, einen verlockenderen Anblick darbot. Zwanzig Mann von dem Schiffe drangen mehr als zwei Meilen in diese Wälder hinein und kehrten nur zurück, weil sie sich zu verirren fürchteten. Als sie bei dieser Wanderung zwei Frauen, einer jungen und einer alten mit einigen Kindern begegneten, bemächtigten sie sich eines der letzteren, das etwa acht Jahre zählen mochte, um es mit nach Frankreich zu nehmen; die junge Frau konnten sie indeß nicht erhaschen, denn diese rief ihre Landsleute, die im Walde verborgen waren, aus Leibeskräften um Hilfe an.


Canadische Landschaft. (S. 439.)
Canadische Landschaft. (S. 439.)

Die Wilden hier erschienen weißer als Alle, denen man bisher begegnet war, sie fingen Vögel mit Schlingen und bedienten sich eines Bogens[439] aus sehr hartem Holze, während an den Spitzen ihrer Pfeile Fischknochen befestigt waren. Ihre gegen zwanzig Fuß langen und vier Fuß breiten Canots bestanden aus einem einzigen mittelst Feuer ausgehöhlten Baumstamme. Der wilde Wein wucherte hier sehr üppig und hing in langen Ranken von Baum zu Baum oder an diesen herunter, wie man es in der Lombardei sieht.


Jacques Cartier. (Facsimile. Alter Kupferstich.)
Jacques Cartier. (Facsimile. Alter Kupferstich.)

Bei einiger Cultur mußte derselbe einen ausgezeichneten Wein geben, »denn seine Früchte schmeckten jetzt schon angenehm und mild, fast wie die unsrigen, auch[440] schien es, als ob die Einwohner Kenner und Liebhaber derselben seien, denn wo der Wein sich nur emporgerankt hatte, trugen sie Sorge, die Baumzweige hoch zu binden, so daß die Trauben in die Sonne kamen und leichter reisen konnten«. Wilde Rosen, Lilien, Veilchen und allerlei wohlriechende, den Europäern bisher unbekannte Pflanzen und Blumen bedeckten den Boden und erfüllten die Luft mit ihren balsamischen Düften.[441]

Nach dreitägigem Aufenthalte an diesem entzückenden Orte setzten die Franzosen ihre Fahrt längs der nördlichen Küste weiter fort, segelten während des Tages und gingen in der Nacht vor Anker. Da das Land nun nach Osten zu abbog, legten sie noch fünfzig Meilen in dieser Richtung zurück und entdeckten eine dreieckige, vom Festlande gegen zehn Meilen entfernte Insel in der Größe der Insel Rhodus, der sie den Namen der Mutter Franz' I., Louise von Savoyen, beilegten. Dann erreichten sie eine andere, etwa fünfzehn Meilen entfernte Insel mit herrlichen Häfen, deren Bewohner sich in Menge zum Besuche der fremden Schiffe herandrängten. Zwei Könige derselben zeichneten sich vorzüglich durch ihre Gestalt und ein wirklich schönes Gesicht aus.

Mit Hirschfellen bekleidet, den Kopf entblößt, das Haar zurückgestrichen und in einen kunstreichen Knoten gebunden, trugen sie am Halse eine breite Kette mit farbigen Steinen. »Die Frauen entwickelten viel natürliche Grazie, heißt es in Ramusio's Berichte. Einige derselben trugen Wolfshirschfelle auf dem Arme; das Haar flochten sie in lange Zöpfe, die ihnen auf beiden Seiten über die Brust herabfielen, Andere erschienen in Haartouren, welche an die Frauen Egyptens und Indiens erinnerten; die älteren und verheiratheten Frauen erkannte man an ihren schön gearbeiteten kupfernen Ohrgehängen. – Dieses Land liegt unter der Parallele von Rom, also unter 41° 40' der Breite, doch ist das Klima hier viel rauher.« Am 5. Mai verließ Verrazano den Hafen und segelte hundertfünfzig Meilen längs der Küste weiter. Endlich kam er nach einem Lande, dessen Bewohner den früher gesehenen Eingebornen kaum noch ähnlich erschienen. Sie geberdeten sich so wild, daß es unmöglich war, mit ihnen einen Tauschhandel einzuleiten oder einigermaßen dauernde Beziehungen zu unterhalten. Den meisten Werth schienen dieselben noch auf Angelhaken, Messer und andere metallene Gegenstände zu legen, während sie alle die Kleinigkeiten, welche bis jetzt als Tauschhandelsartikel gedient hatten, offenbar verachteten. Fünfundzwanzig bewaffnete Leute gingen an's Land und wagten sich auf zwei bis drei Meilen in das Innere hinein. Die Eingebornen empfingen sie mit einem Hagel von Pfeilen und zogen sich dann in die ungeheuren Wälder zurück, welche die ganze Umgegend zu bedecken schienen.

Fünfzig Meilen weiter breitete sich ein umfangreicher Archipel aus, der aus zweiunddreißig Inseln besteht, welche alle nahe dem Lande liegen, durch enge Wasserstraßen von einander getrennt sind und den venetianischen[442] Seefahrer an die Inselgruppen erinnerten, die im Adriatischen Meere vor den Gestaden Slavoniens und Dalmatiens lagern. Endlich noch hundert fünfzig Meilen weiter hinauf, unter dem 50. Grade der Breite, gelangten die Franzosen nach den schon früher von den Bretagnern entdeckten Ländern. Da sich jetzt etwas Mangel an Nahrungsmitteln zeigte und sie die amerikanische Küste in einer Ausdehnung von siebenhundert Meilen in Augenschein genommen hatten, segelten sie nun nach Frankreich zurück, wo sie im Juli 1524 glücklich im Hafen von Dieppe landeten.

Einige Geschichtsschreiber erzählen, Verrazano sei in Labrador von den wilden Eingebornen gefangen und aufgezehrt worden. Es erscheint das schon deswegen unmöglich, weil der Genannte von Dieppe aus an Franz I. einen Bericht über die eben erzählte Reise absendete. Uebrigens sind die Indianer dieser Gegenden keine Menschenfresser. Andere Autoren erzählen, wir wissen nicht, auf Grund welcher Documente oder unter welchen Umständen, daß Verrazano den Spaniern in die Hände gefallen und nach Spanien gebracht worden sei, wo man ihn zuletzt gehenkt hätte. Das Richtigste ist wohl einfach einzugestehen, daß wir von den späteren Verhältnissen Verrazano's nichts wissen und auch von der Anerkennung nichts erfahren haben, die ihm eine so ausgedehnte Reise erwerben mußte. Vielleicht findet einmal noch ein Gelehrter, wenn er die französischen, noch keineswegs erschöpften Archive durchsucht, weitere zuverlässige Documente; für jetzt bleibt Ramusio's Bericht die einzige brauchbare Quelle.

Zehn Jahre später faßte ein Kapitän aus St. Malo, Namens Jacques Cartier und geboren am 21. December 1484, den Plan, in den nördlichen Theilen Amerikas eine Niederlassung zu gründen. Freundlich empfangen von dem Admiral Philippe de Cabot und Franz I., welcher den Artikel des Testamentes von Adam zu sehen wünschte, der ihn bezüglich der Neuen Welt zu Gunsten der Könige von Spanien und Portugal enterbte, verließ Cartier Saint-Malo am 20. April 1534. Das Schiff, welches ihn trug, maß nicht mehr als sechzig Tonnen und hatte einundsechzig Mann Besatzung. Nach ungemein glücklicher Seefahrt von nur zwanzig Tagen gelangte Cartier bei Belle-Vue nach Neufundland; darauf segelte er nach Norden bis zur Insel der Vögel weiter, die er von zersprungenem und halbgeschmolzenem Eise umgeben fand, wo es ihm jedoch gelang, fünf bis sechs Tonnen Proviant an Taucherenten, Mönchstauchern und Pinguins zu sammeln, ohne das zu[443] rechnen, was in frischem Zustande verzehrt wurde. Er untersuchte dabei das ganze Ufer der Insel, welche jener Zeit noch eine Menge bretonischer Namen aufwies, ein Beweis, daß bretagnische Schiffe diese gewiß mehrfach besucht haben müssen. Ferner drang Cartier in den Sund von Belle-Isle ein, der den Continent von der Insel Neufundland trennt, und gelangte in den Golf des St. Lorenzo. An der ganzen Küste fanden sich treffliche Häfen. »Wenn das Land selbst so gut wäre wie die Häfen, sagt der Seefahrer aus St. Malo, so wäre das wirklich ein Glück; man darf es aber kaum ein »Land« nennen; es besteht in der Hauptsache aus Strandkieseln und wildzerklüfteten Felsen, welche höchstens wilden Thieren zum Aufenthalte dienen könnten; soweit der Blick nach Norden reichte, hab' ich nicht so viel Erde gesehen, um damit einen Schubkarren anfüllen zu können.« Nachdem er das Festland an mehreren Stellen angelaufen, wurde Cartier durch einen Sturm nach der Westküste von Neufundland zurückverschlagen, von wo aus er die Caps Royal, de Lait, die Columbaren, das Cap St. Jean, die Madelaine-Inseln und die Mirannichi-Bai am Continente besuchte.

Hier traten die Seefahrer in einige Beziehungen zu den Eingebornen, welche »eine große Freude zu erkennen gaben, Eisenwaaren und andere Dinge zu erhalten, und immer tanzten und verschiedene Ceremonien beobachteten, indem sie sich z.B. mit den Händen Meerwasser über den Kopf schütteten; sie gaben uns Alles, was sie hatten, und behielten gar nichts für sich«. Am nächsten Tage stellte sich noch eine weit größere Menge Wilder ein und die französischen Seeleute erwarben sich viele Pelze und Thierfelle. Nachdem er die Bai der Wärme untersucht, langte Cartier bei dem Anfang der Mündung des St. Lorenzo an, wo er Eingeborne zu Gesicht bekam, welche den früher gesehenen weder der Gestalt noch der Sprache nach ähnelten. »Diese verdienten mit Recht den Namen Wilder, wenigstens dürften sich ärmere Leute in der ganzen Welt nicht wiederfinden, ja, ich glaube, sie besaßen Alle zusammen nicht den Werth von fünf Sous, wenn man von ihren Booten und Netzen absieht. Den Kopf tragen sie vollständig glatt geschoren bis auf einen Büschel Haare auf dem Schädel, den sie so lang wie einen Pferdeschweif wachsen lassen und am Hinterhaupte mit Senkeln aus Leder befestigen. Sie kennen keine andere Wohnung als unter ihren Booten, welche sie dazu umkehren und sich darunter auf der Erde ohne irgend welche Decke ausstrecken.« Nachdem Jacques Cartier an dieser Stelle ein großes Kreuz errichtet, erhielt[444] er die Zustimmung des Häuptlings der Wilden, zwei Kinder mitzunehmen, die er bei der nächsten Reise wiederzubringen versprach. Dann steuerte er den Kurs nach Frankreich und lief am 5. September 1534 in St. Malo ein.

Im folgenden Jahre verließ Cartier am 19. Mai Saint-Malo an der Spitze eines bewaffneten Geschwaders von drei Fahrzeugen, welche die »Grande«, die »Petite Hermine« und die »Emerillon« hießen, auf welchen sich auch mehrere gebildete Edelleute mit eingeschifft hatten, von denen wenigstens Charles de la Pomineraye und Claude de Pont-Briant, Sohn des Freiherrn von Moncevelles und Mundschenk des Dauphins, besonders erwähnt zu werden verdienen. Gleich zu Anfang ward das Geschwader zerstreut und konnte sich erst bei Neufundland wieder zusammenfinden. Nachdem er an der Insel der Vögel und im Hafen Blanc-Sablon an der Bai des Chateaux gelandet war, fuhr Cartier nochmals in die Mündung des San-Lorenzo ein. Hierin entdeckte er die Insel Nasticotex, welche wir Anticoste nennen, und segelte in einen großen Fluß, Namens Hochelaga, der nach Canada führt. An den Ufern dieses Flusses liegt das Gebiet von Saguenay, woher das rothe Kupfer stammt, das die beiden bei der ersten Reise mitgenommenen Wilden Caquetdaze nannten. Bevor er jedoch den San-Lorenzo selbst weiter hinaussegelte, wollte er den ganzen Golf eingehender in Augenschein nehmen, um sich Gewißheit darüber zu verschaffen, ob er nicht eine Passage nach Norden zu böte. Darauf kehrte er nach der Bai der Sieben Inseln zurück, fuhr in den Fluß ein und erreichte bald das Ufer des Saguenay, der sich von Norden her in den San-Lorenzo ergießt. Als er etwas weiter hin an vierzehn Inseln vorübergekommen war, gelangte er nach dem Gebiete von Canada, das vor ihm noch kein Reisender besucht hatte. Am nächsten Tage schon kam der Beherrscher von Canada, Namens Donnaconna, mit zwölf Barken und begleitet von sechzehn Leuten in die Nähe der Schiffe. Er begann zuerst vor dem kleinsten derselben eine lange Rede oder Predigt, wie sie hier Sitte sein mochte, wobei er den Rumpf und die Gliedmaßen wahrhaft wunderbar verrenkte, was ein Ausdruck der Freude und Befriedigung sein sollte. Als er an das Schiff des Anführers gekommen war, auf dem sich auch die beiden aus Frankreich mit zurückgekehrten Indianer befanden, sprach der Fürst auf sie und sie wieder auf ihn. Sie begannen zu erzählen, was sie in Frankreich gesehen, und lobten die gute, ihnen zu Theil gewordene[445] Behandlung, worüber sich der Fürst ausnehmend freute und den Kapitän bat, ihm seine Arme zu geben, um diese zu küssen und an sich zu drücken, wodurch man in genanntem Lande seiner Zärtlichkeit Ausdruck verleiht. Der Boden von Stadacone oder St Charles ist fruchtbar und voller schöner Bäume, etwa von denselben Arten, wie die in Frankreich, z.B. Eichen, Ulmen, Pflaumenbäume, Taxus, Cedern, Weinstöcke und Hagedorn, welche Früchte tragen, so groß wie Reine-Clauden, und noch andere Bäume, unter denen ein ebenso schöner Hanf wächst wie in Frankreich. Mit den Barken und der Gallion gelangte Cartier endlich bis zu der Stelle, an der das heutige Richelieu liegt, ferner nach einem von dem Strome gebildeten großen See, den See Saint-Pierre, und endlich nach Hochelaga oder Montreal, d. h. bis in eine Entfernung von zweihundert Meilen von der Mündung des San-Lorenzo. Hier fand man »bearbeitete Ländereien und viel herrliche, mit einheimischem Weizen bestandene Felder, der der Hirse von Brasilien ähnlich und ebenso groß, wenn nicht größer wie Erbsen ist, von dem die Bewohner ebenso leben, wie wir von unserem Getreide. Mitten in diesen Feldern liegt die schon genannte Stadt Hochelaga neben und an einem sie völlig umschließenden Hügel, der trefflich angebaut, und zwar nicht hoch ist, aber doch eine sehr ausgedehnte Fernsicht bietet. Wir tauften diesen Berg Mont-Royal«.

Der Empfang, den Jacques Cartier fand, gestaltete sich so herzlich wie möglich. Der Häuptling oder Aguhama, der an allen Gliedern gelähmt war, bat den Kapitän, ihn zu berühren, als erwarte er davon eine Heilung seines Gebrechens. Ferner drängten sich Blinde, Einäugige, Lahme und Geschwächte in Jacques Cartier's Nähe, um sich von ihm anrühren zu lassen, als glaubten sie, in ihm sei ein Gott herabgekommen, der sie müsse heilen können. »Als der Kapitän die Frömmigkeit und Gläubigkeit des Volkes sah, las er das Evangelium St. Johannes, In principis u.s.w., zum Theil vor, machte über die armen Kranken das Zeichen des Kreuzes und flehte zu Gott, daß er ihnen die Erkenntniß unseres heiligen Glaubens verleihen und sie der Gnade der christlichen Gemeinschaft und der Taufe theilhaftig werden lassen möge. Dann ergriff der Kapitän ein Horenbuch und las daraus die Passionsgeschichte Unseres Herrn und Heilands laut und so ergreifend vor, daß ihn Alle verstehen konnten, denn das arme Volk verhielt sich dabei ganz still, blickte gen Himmel und ahmte dieselben Ceremonien nach, die es uns[446] vornehmen sah«. Nach Besichtigung des Landes, das man bis dreißig Meilen im Umkreis in der Höhe des Mont-Royal überschauen konnte, und nach Einholung einiger Kenntniß über die Fälle und Stromschnellen des St. Lorenzo, begab sich Jacques Cartier nach Canada zurück, wo er bald wieder bei seinen Schiffen eintraf. Wir verdanken ihm die ersten Nachrichten über den Rauchtabak, der nicht im ganzen Gebiete der Neuen Welt in Gebrauch gewesen zu sein scheint. »Sie haben ein Kraut, sagt er, von dem sie den Sommer über für den Winter eine große Menge ansammeln; sie schätzen dasselbe hoch und die Männer machen davon in folgender Weise Gebrauch: sie lassen es an der Sonne trocknen und tragen es in einem kleinen Lederbeutel am Halse mit einer Art Horn aus Stein oder Holz; dann zerkleinern sie das betreffende dürre Kraut zu Pulver und bringen dasselbe in das eine Ende jenes Hörnchens; nachher legen sie eine glühende Kohle darauf und saugen durch das andere Ende, wobei sie den ganzen Körper mit Rauch erfüllen, so daß er ihnen aus Mund und Nase, wie aus Schornsteinöffnungen, wieder herausdringt. Wir haben genannten Rauch auch versucht, uns schien er jedoch, wenn wir davon etwas davon im Munde hatten, als wäre Pfeffer darin, so brennend kam er uns vor.« Im December wurden die Eingebornen von Stadacone von einer ansteckenden Krankheit befallen, nämlich vom Scorbut. »Genannte Krankheit gewann gegen Mitte Februar auf unserem Schiffe eine solche Verbreitung, daß unter dem Bestand von hundertzehn Mann kaum zehn noch gesund waren.« Weder Bitten und Gebete, noch Gelübde zu Notre-Dame de Roquamadour brachten die ersehnte Erleichterung. Bis zum 18. April starben fünfundzwanzig Franzosen, und nicht Bier gab es, welche von der Krankheit überhaupt niemals ergriffen worden waren. Da belehrte ein Häuptling der Wilden aber Jacques Cartier, daß die Abkochung und der Saft eines gewissen Baumes, unter dem man die canadische Weide oder Berberitze zu erkennen geglaubt hat, sich hierin sehr heilsam erwiesen habe. Sobald Zwei oder Drei die wohlthätigen Wirkungen dieses Mittels an sich erprobt hatten, »entstand ein so heftiges Verlangen nach dieser Arznei, daß man sich fast umbrachte, nur um zuerst davon zu erhalten; so daß ein Baum, der an Größe und Dicke alle übertraf, die mir jemals vor Augen gekommen sind, binnen acht Tagen aufgebraucht war, und eine so unbestreitbare Wirkung äußerte, daß, wenn alle Aerzte von Louvain und Montpellier mit allen Droguen Alexandriens[447] bei der Hand gewesen wären, sie nicht so viel in einem Jahre ausgerichtet hätten, wie genannter Baum in acht Tagen.«

Als Cartier einige Zeit darauf zu bemerken glaubte, daß Donnaconna einen Aufstand gegen die Franzosen anzuzetteln suchte, ließ er diesen nebst neun anderen Wilden ergreifen, um sie nach Frankreich zu bringen, wo sie jedoch bald starben. Am 6. Mai ging er im Hafen von St. Croix unter[448] Segel, fuhr den San-Lorenzo hinab und langte nach einer durch keinerlei Zwischenfälle gestörten Seefahrt am 16 Juli 1536 in St. Malo an.

Franz I. beschloß in Folge des Berichtes, den ihm der Kapitän von seiner Reise erstattete, das Land thatsächlich in Besitz zu nehmen. Nach Ernennung François de la Roque's, Freiherrn von Roberval, zum Vicekönig von Canada, rüstete er fünf Schiffe mit Proviant und Schießbedarf für zwei Jahre aus, welche Roberval und eine gewisse Zahl Soldaten, Handwerker und Edelleute nach der neuen Kolonie überführen sollten.


Zwei canadische Könige. (S. 444.)
Zwei canadische Könige. (S. 444.)

Am 23. Mai 1541 lichtete das Geschwader die Anker, brauchte aber in Folge widriger Winde drei volle Monate, um nach Neufundland zu gelangen. Cartier erreichte den Hafen von St. Croix am 23. August. Sobald er seine Ladung gelöscht, schickte er zwei seiner Schiffe nach Frankreich mit einem Briefe an den König zurück, der diesem meldete, was bis jetzt geschehen, daß der Freiherr von Roberval noch nicht angekommen und man nicht wisse, was ihm widerfahren sei. Dann ging er daran, einiges Land urbar machen zu lassen, erbaute ein Fort und legte den Grundstein zu der Stadt Quebec. Nachher brach er in Begleitung Martin de Painpont's und einiger Edelleute auf, zog nach Hochelaga und nahm die drei Fälle von St. Marie, von China und von St. Louis näher in Augenschein. Bei der Rückkehr nach St. Croix traf er Roberval, der inzwischen angekommen war, und segelte im October 1542 wieder nach St. Malo heim, wo er wahrscheinlich zehn Jahre später mit Tod abging. Die neue Kolonie fristete, als Roberval bei einer zweiten Reise umgekommen war, mühselig das Leben und bestand eigentlich nur aus einem Handelscomptoir bis zum Jahre 1608, der Zeit der Gründung Quebecs durch de Champlain, dessen Thaten und Entdeckungen wir im Weiteren erzählen werden.

Wir sahen eben, wie Cartier, der zuerst zur Aufsuchung einer Nordwestpassage ausgezogen war, dazu kam, das Land, in dem er sich befand, in Besitz zu nehmen und die Anfänge der Kolonie von Canada in's Leben zu rufen. In England entstand eine ähnliche Bewegung durch die Schriften Sir Humphrey Gilbert's und Richard Will's. Diese gewannen zuletzt die öffentliche Meinung und suchten darzuthun, daß es nicht schwieriger sei, jene Passage zu finden, als die Magellan-Straße zu entdecken. Einer der thätigsten Eiferer für die Aufsuchung derselben war ein kühner Seemann, Namens Martin Frobisher, der, nachdem er sich vorher vergeblich an viele reiche[449] Rheder gewendet hatte, endlich in Ambroise Dudley, Graf von Warwik und Günstling der Königin Elisabeth, einen Protector fand, dessen pecuniäre Unterstützung ihn in den Stand setzte, eine Pinasse und zwei erbärmliche Barken von zwanzig bis fünfundzwanzig Tonnen auszurüsten. Mit so schwachen Mitteln wollte der unerschrockene Seeheld dem Eise jener Gegenden trotzen, welche seit der Normannen-Zeit Niemand besucht hatte. Von Deptford am 8. Juli 1576 abgefahren, kam er nach dem südlichen Theile Grönlands, das er für Zeno's Frisland ansah. Bald sah er sich durch Eismassen aufgehalten, mußte bis Labrador zurückweichen, ohne daselbst landen zu können, und segelte durch die Hudson-Straße. Nach Berührung der Inseln Savage und Resolution, drang er in den Sund ein, der seinen Namen erhalten hat, von einigen Geographen aber auch die Lunley-Straße genannt wird. Er betrat das Gestade von Cumberland, ergriff im Namen der Königin Elisabeth Besitz von dem Laude und knüpfte mit den Eingebornen einige Verbindungen an. Bei der schnellen Zunahme der Kälte mußte er nach England umkehren. Frobisher's Ausbeute an wissenschaftlicher und geographischer Erkenntniß der von ihm besuchten Länder war nur von sehr zweifelhaftem Werthe; einen höchst schmeichelhaften Empfang erwarb er sich aber doch durch Vorweisung eines schwarzen und sehr schweren Steines, in welchem man etwas Gold fand. Wie schnell erregte das die Phantasie des Volkes! Mehrere Große, ja die Königin selbst, steuerten die Kosten für ein neues Geschwader zusammen, das aus einem Schiffe von 200 Tonnen und 100 Mann Besatzung, nebst zwei kleineren Barken bestehen sollte, welche für sechs Monate Kriegs- und Mundvorräthe mitnahmen. Martin hatte erfahrene Seeleute unter sich, wie Fenton, York, Georges Beste und C. Hall. Am 31. Mai 1577 ging die Expedition unter Segel, lief Grönland an, dessen Berge sich mit Schnee bedeckt zeigten und dessen Ufer ein breiter Eisrand umschloß. Das Wetter war schlecht. Außerordentlich dichte Nebel, so dick wie Erbsenbrei, würden englische Matrosen sagen, Eisinseln von einer halben Meile Umfang, schwimmende Berge, welche siebzig bis achtzig Faden tief in's Meer tauchten, das waren die Hindernisse, welche es Frobisher unmöglich machten, den von ihm bei der vorigen Reise entdeckten Sund vor dem 9. August zu erreichen. Man nahm nun von dem Lande Besitz und verfolgte zu Wasser wie zu Lande einige arme Eskimos, welche »bei diesen Kämpfen verwundet, in ihrer Verzweiflung von hohen Felsen in's Meer sprangen,[450] sagt Förster in seinen »Reisen im Norden«, was nicht nöthig gewesen wäre, wenn sie sich etwas unterwürfiger gezeigt oder wir ihnen hätten begreiflich machen können, daß wir ja eigentlich gar nicht als Feinde zu ihnen kämen«. Bald fand man eine große Menge solcher Steine, deren Proben in England so angestaunt worden waren. Diese gehörten zu einer Gold-Wismuthart und man beeilte sich, davon zweihundert Tonnen zu verladen. In ihrer Freude errichteten die englischen Seeleute eine Erinnerungssäule auf einem spitzen Hügel, dem sie den Namen Warwick-Mount beilegten, während sie jene mit besonderen Feierlichkeiten einweihten. Frobisher steuerte nun in demselben Sunde noch etwa dreißig Meilen hinauf bis zu einer kleinen Insel, welche den Namen Smith's Island erhielt. Hier fanden die Engländer zwei Frauen, deren eine sie sammt ihrem Kinde mit sich nahmen, die andere aber ihrer wirklich abschreckenden Häßlichkeit wegen unbehelligt laufen ließen. In Folge des damals herrschenden Aberglaubens und der entsetzlichen Unkenntniß, glaubten sie, die Frau habe Spaltfüße. Sie mußte also ihre Fußbekleidung ablegen, um jene zu überzeugen, daß sie ganz ebenso gestaltete Füße habe wie andere Menschen. Da die Kälte noch weiter zunahm und Frobisher seine vermeintlichen Schätze nicht gefährden wollte, verzichtete er für diesmal darauf, die Nordwestpassage noch länger zu suchen. Er segelte also nach England zurück, wo er nach einem Sturme, der seine Schiffe voneinander riß, gegen Ende September eintraf. Der Mann, die Frau und das Kind, deren man sich bemächtigt, wurden der Königin vorgestellt. Man erzählt bei dieser Gelegenheit auch, daß der Wilde, als er in Bristol Frobisher's Trompeter zu Pferde erblickte, es diesem habe nachthun wollen und sich mit dem Gesichte nach dem Schwanze des Thieres auf ein Pferd geschwungen habe. Mit großer Neugier betrachtet, erhielten die Wilden von der Königin die Erlaubniß, auf und an der Themse allerhand Vögel zu fangen und unter Anderem auch sogar Schwäne, was sonst Jedermann bei schwerer Strafe verboten war. Uebrigens lebten sie nicht lange und starben, bevor das Kind fünfzehn Monate zählte.

Man hatte sich nochmals überzeugt, daß die von Frobisher mitgebrachten Steine in der That Gold enthielten. Ein Fieber, ja ein wahres Delirium erfaßte nun die ganze Nation, vorzüglich die oberen Classen. Man hatte ein Peru, ein Eldorado gefunden! Trotz ihres sonst so nüchtern-praktischen Sinnes gab auch die Königin Elisabeth dem Strome der öffentlichen[451] Meinung nach. Sie beschloß zunächst, in dem neu entdeckten Lande ein Fort zu errichten, für das sie den Namen Meta incognita (unbekannte Grenze) bestimmte, und dorthin neben hundert Mann Besatzung unter dem Befehle der Kapitäne Fenton, Beste und Filpot drei Schiffe zu entsenden, welche jene kostbaren Steine als Fracht einnehmen sollten. Jene hundert Mann wurden mit großer Sorgfalt ausgewählt; es waren das Fleischer, Zimmerleute, Maurer, Goldraffineure, während Andere verschiedenen Gewerken zugehörten. Die ganze Flotte bestand aus fünfzehn Schiffen, welche Harvich am 31. Mai 1578 verließen. Zwanzig Tage später bekam man die Ostküsten Frislands zu Gesicht. In zahlloser Gesellschaft schwärmten die Walfische rings um die Fahrzeuge. Man erzählt sogar, daß ein von recht günstigen Winden getriebenes Schiff so heftig gegen einen Walfisch stieß, daß es plötzlich still stand, während jener, nachdem er einen lauten Schrei ausgestoßen, aus dem Wasser emporgeschnellt und dann in der Tiefe verschwunden sei. Zwei Tage später traf die Flotte einen todten Walfisch an, und man glaubte allgemein, es sei der, an welchen die »Salamandre« angestoßen hatte. Als Frobisher vor dem, seinen Namen führenden Sunde angelangt war, sah er diesen von Eisschollen bedeckt. Die Barke »Dennis« von 100 Tonnen, sagt Georges Beste's alter Bericht, »erhielt von einer solchen Scholle einen derartigen Stoß, daß sie angesichts der ganzen Flotte in kürzester Zeit versank«. Bald nach diesem Unfalle »erhob sich unerwartet ein heftiger Sturm aus Südosten, die Schiffe wurden von allen Seiten von Eis umschlossen, kamen zwar an vielen Schollen vorüber, sahen aber immer noch mehr vor sich, durch welche sie unmöglich hindurchdringen konnten. Einige, welche vielleicht einen etwas freieren Weg und offenes Wasser gefunden hatten, setzten dann Segel bei und suchten dieser gefährlichen Stelle zu entfliehen; Andere hielten einfach an und gingen an einer größeren Eisscholle vor Anker. Diese letzteren wurden aber so schnell durch eine Unzahl von Eisinseln und Treibeis-Bruchstücken eingeschlossen, daß die Engländer sich gezwungen sahen, sich und ihre Schiffe auf gut Glück dem Eise zu überlassen, während sie die Seiten der Fahrzeuge noch mit Tauen, Kissen, Masten, Planken und allerlei anderen Gegenständen zu schützen versuchten, die man an denselben herabhängen ließ, um die fürchterlichen Stöße des andrängenden Eises wenigstens zu schwächen.

»Frobisher selbst wurde aus seinem Kurse geworfen. Da es ihm[452] unmöglich war, sein Geschwader wieder zu treffen, fuhr er an der Küste Grönlands weiter durch die Straße, welche später den Namen Davis-Straße erhielt, und drang bis nach der Bai Comtesse-Warwik vor. Nachdem er seine Schiffe mit dem eigentlich zur Erbauung von Wohnhäusern bestimmten Holze ausgebessert, lud er fünfhundert Tonnen solcher Steine, wie er schon früher mit heimgebracht hatte. Da er nun aber die Jahreszeit für schon zu vorgeschritten hielt und auch die Wahrnehmung machte, daß der Mundvorrath theils aufgezehrt, theils mit der »Dennis« verloren, das Holz zu etwaigen Wohnungen bei der Reparatur der Fahrzeuge aber verbraucht worden war und er überdies vierzig Mann verloren hatte, schlug er am 31. August den Weg nach England wieder ein. Unwetter und Stürme begleiteten ihn bis zum Gestade der Heimat.« An neuen Entdeckungen lieferte die Expedition allerdings nicht das geringste Ergebniß, und auch die mit so großer Gefahr erlangten Gesteine erwiesen sich als werthlos.

Das war die letzte arktische Reise Frobisher's. Im Jahre 1585 finden wir ihn als Viceadmiral Drake's wieder; 1588 zeichnete er sich gegen die unbezwingliche Armada aus; 1590 begleitete er die Flotte Walter Raleigh's nach den Küsten von Spanien; endlich wird er bei einer Landung in Frankreich verwundet und stirbt, noch bevor er im Stande ist, sein Geschwader nach Portsmouth zurückzuführen.

Leitete die Reisen Frobisher's nur die Sucht nach Gewinn, so darf man nicht den Seefahrer, sondern muß dafür den Geist der Zeit verantwortlich machen. Jedenfalls hat er unter schwierigen Umständen und mit Hilfsmitteln, deren Unzulänglichkeit uns nur ein Lächeln abnöthigt, achtungswerthe Proben von Muth, Gewandtheit und Ausdauer abgelegt. Ohne Zweifel gebührt Frobisher der Ruhm, seinen Landsleuten den Weg gezeigt und die ersten Entdeckungen in jenen Theilen der Erde gemacht zu haben, in denen England sich später noch so ehrenvoll auszeichnen sollte.

Mußte man auch auf die Hoffnung verzichten, in den Polargebieten ebenso goldreiche Gegenden wie etwa Peru aufzufinden, so war das doch noch kein Grund, die Aufsuchung einer Nordwestpassage nach China aufzugeben. Die erfahrendsten Seeleute theilten diese Anschauung, welche unter den Kaufleuten Londons stets viele Anhänger zählte. Mit Unterstützung mehrerer hoher Persönlichkeiten wurden also wiederum zwei Schiffe, die »Sunshine« von 50 Tonnen mit dreiundzwanzig Mann Besatzung, und[453] die »Moonshine« von 35 Tonnen ausgerüstet, welche Portsmouth am 7. Juni 1585 unter der Führung John Davis' verließen.

Dieser entdeckte den Eingang zu der Meerenge, die seinen Namen erhielt, und segelte mitten durch ungeheuere Eisfelder, doch erst nachdem sich seine durch die Stöße der Schollen und das Krachen der Eisblöcke erschreckte Mannschaft daran ein wenig gewöhnt hatte. Am 20. Juli bekam Davis Desolationsland zu Gesicht, ohne hier anlaufen zu können. Neun Tage später begab er sich nach der Gilbert-Bai, wo er mit der sehr friedlichen Bevölkerung gegen einige Kleinigkeiten Seekalbhäute und Pelzfelle eintauschte. Diese Eingebornen strömten wenige Tage später in so großer Anzahl herbei, daß nicht weniger als siebenunddreißig Canots die Schiffe Davis' umschwärmten. Hier beobachtete der Seemann auch ansehnliche Mengen schwimmenden Holzes, darunter einen ganzen Baum von sechzig Fuß Länge. Am 6. August ging er in der Nähe eines goldfarbigen Berges in der Tottneß-Bai, dem er den Namen Raleigh gab, vor Anker; gleichzeitig taufte er zwei Caps des Festlandes von Cumberland, welchen er die Namen Dyer- und Walsingham-Cap beilegte.

Noch elf Tage lang segelte Davis in einem eisfreien, ausgedehnten Meere, dessen Wasser die Farbe der Oceanwellen hatte, nach Norden weiter. Schon glaubte er in dem Meere zu sein, das mit dem Pacifischen Ocean communicirte, als die Witterung plötzlich umschlug und so trüb und dunstig wurde, daß er sich zur Rückkehr nach Yarmouth gezwungen sah, wo er am 30. September landete.

Davis besaß das Geschick, seine Rheder mit derselben Hoffnung zu erfüllen, die ihn selbst beseelte. Am 7. Mai des folgenden Jahres (1586) reiste er auch wiederum mit den beiden Schiffen ab, welche zur vorigen Expedition gedient hatten; zu diesen traten je doch noch die »Mermaid« von 120 Tonnen und die Pinasse »North-Star« hinzu. Als er die Südspitze Grönlands am 25. Juni erreichte, beorderte Davis, die »Sunshine« und »North-Star« nach Norden zu gehen, um an der Ostküste eine Durchfahrt zu suchen, während er denselben Weg wie im verwichenen Jahre einschlug und in die Meerenge eindrang, die bis zum 69. Grade der Breite seinen Namen führt. Dieses Mal zeigte sich aber viel mehr Eis, und am 17. Juli begegnete die Expedition einem Eisfelde von solcher Größe, daß sie dreizehn Tage längs des Randes desselben hinsegelte. Der Wind wurde, wenn er[454] über diese Eiswüste strich, so kalt, daß Tauwerk und Segel gefroren und die Matrosen sich weigerten, noch weiter zu gehen. Davis mußte nach Südosten umkehren. Hier untersuchte er ganz Cumberland, ohne die gesuchte Durchfahrt zu finden, und schlug nach einem Scharmützel mit den Eskimos, das ihm drei Todte und zwei Verwundete kostete, wieder den Weg nach England ein.

Obwohl seine Bemühungen auch diesmal nicht von Erfolg gekrönt wurden, verlor Davis dennoch die Hoffnung nicht, wie ein von ihm an die »Compagnie« gerichteter Brief beweist, in welchem er sich äußert, daß er die Möglichkeit einer Durchfahrt fast bis zur Gewißheit erprobt habe. In der Voraussicht, daß es dennoch schwer halten würde, die Absendung einer neuen Expedition durchzusetzen, fügte er hinzu, daß die Kosten des Unternehmens reichlich durch die Ausbeute an Walrossen, Robben und Walfischen gedeckt werden würden, welche Thiere hier in so großer Zahl vorkämen, als hätten sie in diesen Gewässern ihre Quartiere aufgeschlagen Wirklich ging er am 15. Mai 1587 noch einmal mit der »Sunshine« und der »Elisabeth« von Darmouth und der »Helene« von London unter Segel. Dieses Mal gelangte er noch höher hinauf als je vorher, denn er erreichte 72°12' nördlicher Breite, d. h. etwa die Breite von Uppernavik, und bekam auch Handerson's Hope in Sicht. Vom Eise aufgehalten, mußte er nun rückwärts steuern, wobei er durch den Frobisher-Sund segelte und nach Durchmessung eines weiten Golfes unter 61°10' in Sicht eines Caps kam, dem er den Namen Chudleigh gab. Dieses Vorgebirge gehört übrigens zur Küste von Labrador und bildet den südlichen Eingang der Hudsons-Bai. Nachdem er längs des Gestades Amerikas bis herab zum 52. Grade gekommen, schlug Davis den Weg nach England ein, wo er am 15. September glücklich wieder eintraf.

War das eigentliche Problem aller dieser Fahrten auch nicht gelöst worden, so hatte man doch sehr wichtige Resultate erzielt, denen man damals freilich keinen so hohen Werth beilegte.


Innere Ansicht des Hauses. (Facsimile. Alter Kupferstich.) (S. 461.)
Innere Ansicht des Hauses. (Facsimile. Alter Kupferstich.) (S. 461.)

Fast die Hälfte der Baffins-Bai ward erforscht und man erlangte verläßliche Kenntnisse über deren Ufer und die Völkerschaften, welche daselbst wohnten. Vom geographischen Gesichtspunkte aus darf man diese Ergebnisse gewiß nicht gering anschlagen, wenn sie die Kaufleute der City auch erklärlicher Weise nicht besonders befriedigten. Die Engländer stellten deshalb alle weiteren Versuche, durch den Nordosten vorzudringen, ziemlich lange Zeit gänzlich ein.


Nova Zembla. (Facsimile. Alter Kupferstich.)
Nova Zembla. (Facsimile. Alter Kupferstich.)

Jetzt trat ein neues Volk auf den Schauplatz. Kaum von dem Joche Spaniens befreit, inaugurirten die Holländer ihre geschickte Handelspolitik, die ihrem Vaterlande ungeahnte Macht und Wohlstand verleihen[455] sollte, durch wiederholt abgesendete Expeditionen, welche nach Nordosten segelnd einen Weg nach China aufsuchen sollten; dasselbe Project also, das auch Cabot schon früher aufgestellt und das England den russischen Handeleröffnet hatte. Mit ihrem praktischen Instinct wußten sich die Holländer bezüglich des englischen Seewesens stets auf dem Laufenden zu erhalten; sie hatten in Kola und Archangel sogar Comptoirs errichtet, doch sie wollten noch weiter gehen und neue Absatzwege suchen. Da das Karische Meer ihnen zu viele Schwierigkeiten zu bieten schien, beschlossen sie auf den Rath des Kosmographen Plancius, nördlich von Nowaja-Semlja einen Weg aufzusuchen. Die Kaufleute Amsterdams wendeten sich also an einen erfahrenen Seemann, den auf der Insel Terschelling in der Nähe von Texel gebornen Wilhelm Barentz. Dieser segelte im Jahre logs von Texel mit der »Mercure« ab, umschiffte das Nordcap, kam an der Insel Weigatz vorüber und befand sich am 4. Juli in Sicht der Küste von Nowaja-Semlja unter 73°25' der Breite. Er fuhr längs der Küste weiter, ging am 10. Juli um das Cap Nassau und traf drei Tage später auf das erste Eis. Bis zum 3. August versuchte er sich Bahn zu brechen, indem er von den verschiedensten Seiten gegen das Eis anfuhr, und bis zu den Orange-Inseln am Ende von Nowaja-Semlja zurückwich, wobei er unter einundneunzigmaliger Veränderung seines Kurses 1700 Meilen zurücklegte.

Kaum jemals dürfte wohl ein Seefahrer eine solche Ausdauer bewiesen haben. Hierzu kommt noch, daß er bei diesen langen Kreuz- und Querzügen die Breiten vieler einzelner Punkte astronomisch mit merkwürdiger Genauigkeit bestimmte. Endlich verlangte die, dieses unfruchtbaren Kampfes müde Mannschaft ihre Entlassung und er mußte nach Texel zurückkehren.

Die erreichten Resultate wurden für so wichtig gehalten, daß die Staaten von Holland im nächstfolgenden Jahre Jakob von Heemskerke mit dem Commando über sieben Schiffe betrauten, zu deren ersten Piloten Barentz ernannt wurde. Nachdem dieses Geschwader verschiedene Punkte Nowaja-Semljas und Asiens angelaufen, mußte es vor dem Eise zurückweichen, ohne daß irgend eine bedeutende Entdeckung gemacht worden war, und am 18. September nach Holland umkehren.

Gewöhnlich ist Regierungen nicht die Ausdauer eigen wie Privatpersonen. Die immerhin beträchtliche Flotte des Jahres 1595 hatte eigentlich nichts ausgerichtet und doch enorme Summen gekostet. Das reichte hin, die Generalstaaten zu entmuthigen. Jetzt traten aber die Kaufleute Amsterdams an die Stelle der Regierung, welche sich begnügte, dem Entdecker einer nordöstlichen Durchfahrt einen Preis zuzusichern, und rüsteten zwei Fahrzeuge aus[458] deren Oberbefehl sie Heemskerke und Johann Cornelißon Ripp übergaben. Barentz führte zwar nur den Titel eines Piloten, war aber in der That der eigentliche Führer des Ganzen. Der Berichterstatter über diese Reise, Gerrit de Veer, war ebenfalls als Hochbootsmann mit eingeschifft.

Am 10. Mai 1596 verließen die Holländer Amsterdam, kamen an den Shetlandsinseln und den Faröern vorüber und sahen am 5. Juni das erste Eis, »worüber wir sehr erstaunt waren, da wir es für weiße Schwäne gehalten hatten«. Im Süden von Spitzbergen, in der Gegend der Bäreninseln gingen sie am 11. Juni an's Land. Hier sammelten sie eine große Menge Möveneier und erlegten, etwas entfernt von dem Strande, mit großer Mühe einen weißen Bären, der dem von Barentz entdeckten Lande den Namen verleihen sollte. Am 19. Juni ankerten sie wieder bei einem ausgedehnten Lande, das sie für einen Theil Grönlands ansahen, und dem sie, seiner spitzen Berge wegen, den Namen Spitzbergen beilegten; sie nahmen auch einen beträchtlichen Theil von dessen Ostküste näher in Augenschein. Vom Eise zur Rückkehr bis zur Bäreninsel genöthigt, trennten sie sich hier von Johann Ripp, der noch einen Versuch machen sollte, gegen Norden vorzudringen. Am 11. Juli befanden sie sich in den benachbarten Gewässern des Caps Kanin und erreichten fünf Tage später die Westküste von Nowaja-Semlja, das damals übrigens Willougby-Land hieß. Nun wechselten sie wieder den Kurs, segelten nach Norden und langten am 19. bei der Insel Croix an, wo das am Ufer noch festhaftende Eis ihnen den Weg versperrte. Hier verweilten sie bis zum 4. August und umschifften zwei Tage später das Cap Nassau. Nach mehreren Wechselfällen, deren Aufzählung zu weit führen würde, erreichten sie die Orange-Inseln am nördlichen Ende Nowaja-Semljas. Von hier aus gingen sie längs der Ostküste hinab, sahen sich aber bald gezwungen, einen Hafen anzulaufen, wo sie vom Eise vollständig eingeschlossen wurden und »wo sie bei strengster Kälte und unter bitterem Mangel und Entbehrungen aller Art den ganzen Winter hinbringen mußten«. Man schrieb damals den 26. August. »Am 30. begannen unter starkem Schneegestöber die Eisschollen um unser Schiff sich aufzuthürmen. Letzteres wurde dabei emporgehoben und ringsum eingeschlossen, so daß Alles, was rund umher in der Nähe war, furchtbar zu krachen und zu knacken anfing. Es schien, als müsse das Schiff in tausend Stücke gehen; mit einem Wort, eine so entsetzliche Lage, daß sich uns die Haare sträubten. In ähnlicher Gefahr schwebte das[459] Schiff, als sich später Eis auch darunter ansammelte, und es stieß oder hin und her warf, als würde es durch ein Instrument gehoben.« Bald krachte das Fahrzeug in allen Fugen so bedenklich, daß die Klugheit empfahl, einen Vorrath an Lebensmitteln, Segel, Pulver, Blei, Arquebusen und andere Waffen aus demselben zu entfernen und ein Zelt oder eine Hütte zu errichten, um sich gegen den Schnee und die Angriffe der Bären zu schützen. Wenige Tage später fanden einige Matrosen, die sich auf zwei bis drei Meilen in das Land hineingewagt hatten, auf einem Flusse mit süßem Wasser eine Menge schwimmendes Holz und entdeckten auch die Spuren von wilden Ziegen und Renthieren. Am 11. September, als sie die Bai mit ungeheueren Eisblöcken angefüllt sahen, welche fest mit einander verbunden waren, überzeugten sich die Holländer von der Nothwendigkeit, auf diesem Punkte zu überwintern, und so beschlossen sie denn, »um gegen die Kälte und wilden Thiere besser gesichert zu sein, ein wirkliches Haus zu erbauen, geräumig genug, um Alle aufzunehmen, während man nun das Schiff, da dieses jeden Tag einen unsichren und unangenehmeren Aufenthalt bot, vollständig verließ. Zum Glück fanden sie am Strande ganze Bäume, welche wahrscheinlich aus Sibirien stammten und von den Meeresströmungen hierhergeführt waren, in solcher Menge, daß diese nicht allein zur Herstellung ihrer Wohnung hinreichten, sondern auch noch das nöthige Heizungsmaterial für den Winter lieferten.

Noch hatte kein Europäer in diesen Gegenden überwintert, inmitten dieses starren unbeweglichen Meeres, das nach dem falschen Ausspruche des Tacitus, den Gürtel der Welt bildet, wo man das Geräusch hört, wenn die Sonne sich erhebt. Die siebzehn Holländer hatten nicht die geringste Ahnung von den Leiden, die ihrer hier warteten. Sie ertrugen dieselben übrigens mit bewunderungswerther Geduld, ohne ein Wort des Unwillens, ohne den geringsten Widerstand gegen die Disciplin. Die Aufführung dieser wackeren Seeleute, die, unwissend darüber, welch' hartes Loos ihnen beschieden sein sollte, »ihre Sache in Gottes Hand gelegt hatten«, verdient noch heute als leuchtendes Beispiel aufgestellt zu werden. Von ihnen kann man ohne Uebertreibung sagen, daß sie um das Herz das Aes triplex (das dreifache Erz) des Horaz trugen. Der Geschicklichkeit und Kenntniß, sowie der Vorsicht ihres Führers Barentz verdankten sie es, ebenso wie dem unter ihnen herrschenden Geiste der musterhaftesten Disciplin, daß sie Nowaja-Semlja[460] – allem Anscheine nach ihr Grab – wieder verlassen und die Gefilde des Vaterlandes wiedersehen konnten.

Die zu jener Jahreszeit ungemein häufigen Bären beunruhigten die Mannschaft oft durch ihren Besuch. Mehr als einer ward erlegt, doch begnügten sich die Holländer, diese abzuziehen, um das Fell zu gewinnen, während sie dieselben nicht verzehrten, weil sie deren Fleisch wahrscheinlich für ungesund hielten. Doch hätte eben dieses Fleisch einen sehr beträchtlichen Zuschuß zu ihrer Nahrung liefern können, der ihnen die Aufzehrung des gesalzenen Fleisches und damit lange Zeit das Auftreten des Scorbut erspart haben würde. Doch greifen wir nicht voraus und folgen getreulich dem Tagebuche Gerrit de Veer's.

Am 23. September starb der Schiffszimmermann und wurde in einer Bergschlucht begraben, weil es unmöglich war, wegen des harten Frostes die Erde selbst auszuhöhlen. Die folgenden Tage verwendete man zur Herbeischaffung des schwimmenden Holzes und zur Erbauung des Hauses. Um dasselbe zu bedecken, mußte man die Wohnräume im Vorder- und Hintertheile des Schiffes demoliren.

Am 2. October ward jenes bezogen, zu dessen Einweihung man an Stelle des Maibaumes eine Eissäule errichtete. Am 31. wüthete ein starker Nordwestwind; das hohe Meer wurde dabei vollständig vom Eise befreit und lag offen, so weit das Auge reichte. »Wir aber blieben gefangen und eingekerkert im Eise; das Schiff wurde nun zwei bis drei Fuß gehoben und wir konnten nicht anders glauben, als daß das Wasser der Bai bis zum Grunde gefroren sei, obwohl es eine Tiefe von 3 bis 31/2 Faden hatte.«

Vom 12. October ab schlief man in dem Hause, das noch nicht einmal ganz fertig war. Am 21. schaffte man den werthvollsten Theil des Proviants, die Möbel und Alles, was etwa gebraucht werden konnte aus dem Schiffe, denn es lag auf der Hand, daß die Sonne bald gänzlich verschwinden würde. Auf dem Dache des Hauses ward ein Schornstein angebracht, im Innern eine holländische Wanduhr aufgehangen; längs der Wände standen die Betten und in der Mitte eine Tonne als Badebassin, denn der Schiffsarzt hatte vernünftiger Weise zu Erhaltung der Gesundheit der Mannschaft den fleißigen Gebrauch von Bädern angeordnet. Der Schneefall dieses Winters war ein ganz erstaunlicher. Das ganze Haus verschwand unter diesem dichten Mantel, was übrigens nicht wenig zur Erhöhung der Luftwärme im Innern beitrug.[461]

Wenn sie einmal in's Freie gehen wollten, mußten sich die Holländer stets einen Gang im Schnee aushöhlen. Nacht für Nacht hörten sie zuerst die Bären und dann die Füchse auf dem Dache des Hauses herumlaufen, welche immer versuchten, die Planken desselben abzuheben, um in das Innere zu gelangen. Später gewöhnten diese sich sogar, in den Schornstein, wie in ein Schilderhäuschen, hineinzukriechen, wo die Insassen des Hauses sie leicht schießen und fangen konnten. Man hatte auch eine große Menge Schlingen gelegt, in denen sich viele Blaufüchse singen, deren kostbare Felle sie wirksam gegen die Kälte schützten und deren Fleisch ihnen gestattete, an ihren Vorräthen zu sparen. Immer lustig und guter Dinge ertrugen sie wohl oder übel die lange Weile der Polarnacht und die Strenge des Frostes. Letzterer steigerte sich dermaßen, daß, als sie einmal zwei bis drei Tage wegen des durch den Wind zurückgetriebenen Rauches nicht so viel Feuer wie gewöhnlich hatten unterhalten können, es im Innern des Hauses so heftig fror, daß Wände und Fußboden zwei Finger dick mit Eis belegt waren, selbst in den Schlafräumen der armen Leute. Der Xeres mußte erst aufgethaut werden, bevor er, wie das jeden zweiten Tag geschah, in der Menge einer halben Pinte für den Mann vertheilt werden konnte.

Am 7. December dauerte die rauhe Witterung unter einem schrecklichen Sturm aus Nordosten gleichmäßig fort, nur daß dieser eine wahrhaft entsetzliche Kälte mitbrachte. »Da wir kein Mittel kannten, uns dagegen zu schützen, und Alle überlegten, was wohl am Besten zu thun sei, schlug Einer von uns vor, jene Steinkohle zu benutzen, die wir von dem Schiffe nach dem Hause geschafft hatten, weil diese ein sehr lebhaftes und andauerndes Feuer gebe. Gegen Abend machten wir ein tüchtiges Feuer mit Steinkohle, das eine angenehme Wärme verbreitete; wir beachteten freilich nicht, was die Folge davon sein könne; da die Wärme nämlich uns so gar angenehm war, suchten wir sie so lange als möglich zu erhalten. Wir verstopften also alle Oeffnungen nebst dem Kamine möglichst sorgfältig, um die erzielte Wärme abzuschließen. Jeder begab sich nun zum Schlafen in seine Kabane, wo wir Alle, da uns die milde Temperatur wirklich neu belebte, noch lange plauderten. Endlich aber befiel uns, Einen mehr als den Anderen, eine Art Schwindel, was wir zuerst an einem unserer Kameraden bemerkten, der schon längere Zeit krank lag und jene Schädlichkeit also weniger lange ertragen konnte. Wir selbst aber empfanden bald auch eine eigenthümliche Beängstigung, so[462] daß Einige, welche noch ganz wach waren, die Kabane verließen und wenigstens den Eingang zum Kamin und dann den Hauseingang wieder öffneten. Der aber, der letzteres unternahm, fiel fast augenblicklich besinnungslos zu Boden, worauf ich eiligst hinzulief und jenen schon halb todt fand. Ich beschaffte mir nun schnellstens etwas Essig und rieb ihm das Gesicht so lange, bis er wieder zu sich kam. Endlich, als wir Alle jenen merkwürdigen Anfall gänzlich überwunden hatten, theilte der Kapitän als Herzstärkung etwas Wein unter uns aus....

»Auch am 11. dauerte die helle Witterung mit einer so furchtbaren Kälte fort, daß es Niemand glauben würde, der sie nicht selbst erlebt hat; die Schuhe froren uns dabei buchstäblich an die Füße, wurden so hart wie Horn und waren sogar inwendig mit Eis überzogen, so daß wir sie gar nicht mehr gebrauchen konnten. Die Kleider an unserem Körper bedeckten sich mit einer Schicht von Reif und Eis.«

Am 25. December, also zu Weihnachten, blieb die Witterung ebenso rauh wie die vorhergehenden Tage. Die Füchse stürmten ordentlich das Haus, was einer der Matrosen für eine schlechte Vorbedeutung ansah und, als man ihn fragte warum, die Antwort gab: »Weil wir sie nicht in einem Topfe kochen oder am Spieße braten können, was ein gutes Vorzeichen gewesen wäre«.

Endete das Jahr 1596 mit einer wirklich außerordentlichen Kälte, so gestaltete sich der Anfang von 1597 auch nicht angenehmer. Schneestürme und wahrhafte Hagelschauer machten es den Holländern unmöglich, das Haus zu verlassen. Sie feierten aber trotzdem das Fest der heiligen drei Könige in der Wohnung sehr heiter, wie der ebenso ergreifende wie naive Bericht Gerrit de Veer's mittheilt. »Wir baten also den Kapitän, um uns inmitten der elendesten Lage doch einmal ein wenig zu zerstreuen, um etwas Wein, der ja gewöhnlich von zwei zu zwei Tagen ausgetheilt wurde. Da wir zwei Pfund Mehl zusammengespart hatten, buken wir mit Oel ein paar kleine Kuchen. Jeder erhielt dann noch eine Scheibe Zwieback, den wir im Wein erweichten und verzehrten. Da kam es uns vor, als wären wir in der Heimat und mitten unter Angehörigen und Freunden; auch haben wir uns dabei so erquickt und gestärkt, daß Keiner hätte besseren Muthes sein können, wenn er auch von dem glänzendsten Bankett gekommen wäre.


Aeußere Ansicht des Hauses. (Facsimile. Alter Kupferstich.) (S. 462.)
Aeußere Ansicht des Hauses. (Facsimile. Alter Kupferstich.) (S. 462.)

Durch Lose bestimmten wir ferner einen König und unser Oberkanonier wurde[463] König von Nowaja-Semlja, einem Lande zwischen zwei Meeren und von etwa zweihundert Meilen Länge.«


Das Schiff des Barentz. (S. 466.)
Das Schiff des Barentz. (S. 466.)

Vom 21. Januar ab zeigten sich die Füchse wieder weniger, während die Bären öfter erschienen, und der Tag nahm nun auch so viel zu, daß die Holländer doch dann und wann an die freie Luft gehen konnten. Am 24. starb ein schon lange Zeit kranker Matrose und wurde nahe dem Hause[464] im Schnee begraben. Am 28. war sehr schönes Wetter, so daß Alle das Haus verließen, umherspazierten und einander Schneeballen zuwarfen, um die Glieder etwas zu üben, denn Alle waren ungemein entkräftet und die meisten vom Scorbut ergriffen. Sie waren so geschwächt, daß sie beim Herbeitragen des nöthigen Holzes mehrmals ausruhen mußten. In den ersten Tagen des März endlich, welche noch einige tolle Schneestürme brachten,[465] sahen sie, daß das Meer eisfrei geworden war. Nichtsdestoweniger währte die rauhe Witterung und eine eisige Kälte noch immer fort. Noch durfte man gar nicht daran denken, wieder in See zu gehen, denn das Schiff lag in seinem Eiskerker noch gleichmäßig fest. Am 15. April besuchten sie dasselbe und fanden es in ziemlich leidlichem Zustande.

Anfangs Mai wurden die Matrosen allgemach ungeduldig und fragten Barentz, ob er nicht Anstalt treffen wollte, abzureisen. Dieser antwortete ihnen aber, daß sie noch bis zum Ende des Monats warten müßten, und daß dann, wenn es die Umstände gestatteten, das Schiff abzutakeln, die Schaluppe und das große Boot in Stand gesetzt werden sollten, um auf dem Meere segeln zu können. Vom 20. dieses Monats begannen nun wirklich die Vorbereitungen zum Aufbruch; mit welcher Freude und mit welchem Eifer kann man sich wohl leicht vorstellen. Die Schaluppe ward ausgebessert, Segelwerk für dieselbe angefertigt, Schaluppe und Boot in's Wasser geschafft und mit den nöthigen Provisionen beladen. Endlich, da nun überall offenes Wasser war und ein günstiger Wind blies, suchte Heemskerke den schon seit einiger Zeit erkrankten Barentz auf und erklärte, »daß es ihm jetzt gerathen scheine, von hier abzufahren und in Gottes Namen die Reise anzutreten, um Nowaja-Semlja zu verlassen«. »Wilhelm Barentz hatte schon früher ein kurzes Schriftstück aufgesetzt, worin er erzählte, wie wir von Holland abgefahren seien, um nach China zu gehen,. und Alles mittheilte, was sich sonst zugetragen hatte, so daß, wenn Jemand nach uns durch Zufall hierherkam, er erfuhr, was uns begegnet war. Das Papier steckte er in ein Flintenfutteral und hing es am Kamine auf.«

Am 13. Juni 1597 verließen die Holländer das noch immer vom Eise umschlossene Schiff, und die beiden Schaluppen, deren Insassen sich der Barmherzigkeit Gottes empfehlend, stachen in See. Sie erreichten die Orange-Inseln und folgten unter unaufhörlichen Gefahren der Ostküste Nowaja-Semljas.

Am 20. Juni ward Nikolaus Andrieu sehr schwach und wir sahen wohl, daß es mit ihm bald zu Ende gehen werde. Der Lieutenant des Gouverneurs kam in unsere Schaluppe und meldete, daß sich Nikolaus Andrieu sehr übel befände und daß man seinen demnächst zu erwartenden Tod vor Augen sehe. Darauf erwiderte Wilhelm Barentz: »Mir scheint, daß auch mein Leben nicht mehr lange dauern wird«. Wir glaubten gar nicht,[466] daß Barentz wirklich so krank sei, denn wir plauderten eben mit ihm und er betrachtete die kleine Karte, welche ich von unserer Reise entworfen hatte; endlich legte er die Karte weg und sagte zu mir: »Gerard, gieb mir zu trinken!« Nachdem er ein wenig getrunken, überfiel ihn eine solche Schwäche, daß er die Augen im Kopfe verdrehte und plötzlich verschied, ohne daß wir Zeit gewannen, den Kapitän herbeizurufen, der sich auf dem anderen Fahrzeuge befand. Wilhelm Barentz' Ableben betrübte uns im höchsten Grade, da er ja unser eigentlicher Führer und einziger Pilot war, der das unbegrenzte Vertrauen aller Theilnehmer der Fahrt besaß. Dem Willen Gottes aber konnten wir ja nicht widerstreben, und dieser Gedanke beruhigte uns doch ein wenig.«

So starb der berühmte Barentz inmitten seiner Entdeckungen, wie seine Nachfolger Franklin und Hall. Aus den wohlerwogenen traurigen Worten des kurzen Nachrufes Gerrit de Veer's fühlt man die Liebe, die Sympathie und das Vertrauen, das dieser kühne Seeheld seinen unglücklichen Gefährten einzuflößen verstanden hatte. Barentz glänzt als einer der ersten Sterne Hollands, das an muthigen und geschickten Seefahrern ja so reich ist. Wir werden später erzählen, was zur Ehre seines Andenkens geschah.

Nachdem sie wiederholt genöthigt gewesen waren, die Boote aus dem Wasser zu ziehen, wenn sie nicht durch Eisschollen erdrückt werden sollten, nachdem sie das Meer öfter sich vollkommen hatten öffnen und auch wieder schließen sehen, nach bitterem Leiden an Hunger und Durst, erreichten die Holländer glücklich das Cap Nassau. Als sie so eines Tages gezwungen waren, die Boote auf das Eisfeld herauszuziehen, das jene zu vernichten drohte, verloren sie einen großen Theil ihres Proviants und wären bald Alle ertrunken, denn das Eis brach unter ihren Füßen. Mitten in ihrem Elend erfreuten sie sich doch manchen Glücksfalles. So fanden sie z.B. auf der Insel Croix sechzig Eier von der Bergente. »Sie wußten nur nicht gleich, wie diese fortzuschaffen seien. Endlich zog einer der Leute die Hosen aus, band sie unten zu und in diese steckte man nun die Eier; der sonderbare Behälter wurde an einem Spieße nach der Landungsstelle getragen. Erst nach zwölf Stunden kamen die Leute wieder, so daß wir fürchteten, es sei ihnen ein Unfall zugestoßen. Die Eier wurden hochwillkommen geheißen und wir speisten wie die großen Herren.« Vom 13. Juli ab schaukelten die Holländer auf einem Meere, das, wenn auch nicht gänzlich eisfrei, doch[467] nicht mehr die großen Eisfelder mit sich führte, deren Ueberschreitung ihnen so viel Mühe gekostet hatte. Beim Einlaufen in den St. Lorenz begegneten sie am 28. Juli zwei russischen Barken, denen sie sich zuerst nicht zu nähern wagten. Als sie die Matrosen aber ohne Waffen und unter Andeutungen ihrer friedlichen Gesinnung auf sich zukommen sahen, verbannten sie jede Furcht, vorzüglich weil sie sich erinnerten, dieselben schon im vorigen Jahr in der Nähe von Waigatz getroffen zu haben. Von diesen erhielten sie einige Unterstützung und setzten ihre Reise, immer so dicht am Lande, wie das Eis es erlaubte, längs der Küste Nowaja-Semljas fort. Bei Gelegenheit einer Landung fanden sie Exemplare der Cochlearea (Löffelkraut), einer Pflanze, deren Blätter und Samen eines der kräftigsten Anti-Scorbuticis darstellen. Alle aßen davon mit vollen Händen und spürten auch sofort eine wesentliche Erleichterung Inzwischen gingen ihre Lebensmittel zu Ende; sie besaßen nur noch ein wenig Brot, doch keinen Wein mehr. Nun faßten sie den Entschluß, sich mehr in die offene See zu wagen, um den Weg nach Rußland möglichst abzukürzen, wo sie wenigstens einige Fischerbarken anzutreffen hofften, von denen sie Hilfe erhalten konnten. Ihre Hoffnung sollte nicht getäuscht werden, wenn sie auch noch Manches zu erdulden hatten. Die Russen erwiesen sich gegen die Unglücklichen sehr mitleidig und lieferten ihnen wiederholt Nahrungsmittel, um sie vom Hungertode zu retten. Durch einen dichten Nebel wurden die beiden Boote von einander getrennt. Sie fanden sich erst weit jenseits des Caps Kanin, an der anderen Seite des Eismeeres, bei der Insel Kildyn wie der zusammen, wo Fischer den Holländern mittheilten, daß sich in der Kola drei Schiffe ihrer Nation befänden, welche segelbereit lagen, um nach der Heimat zurückzukehren. In Begleitung eines Lappländers sandten sie also einen der Ihrigen ab, der nach drei Tagen mit einem Schreiben zurückkam, das die Unterschrift Johann Rijp trug. Wie erstaunten die Holländer, als sie diese Züge erkannten. Durch Vergleichung dieses Briefes mit verschiedenen anderen, welche Heemskerke besaß, überzeugten sie sich endgiltig, daß derselbe von dem Kapitän herrühre, der sie im vorigen Jahre begleitet hatte. Einige Tage später, am 30. September, kam auch Rijp selbst auf einer mit Proviant beladenen Barke an, um sie abzuholen und in den Kolafluß zu geleiten, wo sein Schiff vor Anker lag.

Rijp war im höchsten Grade verwundert über Alles, was sie ihm erzählten, und über die schreckliche Reise von fast vierhundert Meilen, welche[468] nicht weniger als hundertvier Tage, vom 13. Juni bis 25. September, gedauert hatte. Wenige Tage der Ruhe und gesunde, hinreichende Nahrung genügten, um die letzten Spuren des Scorbuts zu verscheuchen und die Seeleute völlig wieder herzustellen. Am 17. October verließ Rijp die Kola und am 1. November schon langte die Gesellschaft in Amsterdam an. »Wir trugen dieselbe Kleidung, sagt Gerrit de Beer, wie in Nowa ja-Semlja, und Mützen von weißem Fuchs auf dem Kopfe; so gingen wir nach der Wohnung Peter Hasselaer's, eines der Curatoren von Amsterdam, der die Ausrüstung der beiden Schiffe Johann Rijp's und unseres Kapitäns überwacht hatte. Daselbst zum allgemeinsten Erstaunen angekommen – denn wir galten schon lange als todt – verbreitete sich diese Mär wie ein Lauffeuer weiter und drang auch nach dem Palaste des Prinzen, wo der Kanzler des Reiches und der Gesandte des berühmten Königs von Dänemark, Norwegen und der Gothen und Vandalen zur Tafel geladen waren. Von Herrn L'Ecoutet's und mehreren hervorragenden Männern der Stadt wurden nun auch wir dahin geführt und erstatteten dem Herrn Gesandten und den Herren Bürgermeistern einen Bericht von unserer Fahrt. Dann erst begaben wir uns nach Haus. Diejenigen, die nicht aus der Stadt stammten, wurden auf einige Tage in einem Gasthause einquartiert bis wir unser Geld empfingen und Jeder seines Weges zog. Von der Reise kehrten noch folgende Theilnehmer zurück: Jakob Heemskerke, Bevollmächtigter und Kapitän, Peter Peterson Vos, Gerard de Beer, Schiffsmeister Johann Vos, Arzt, Jakob Jansen Sterrenburg, Leonhard Henri, Lorenz Wilhelm, Johann Hillebrants, Jakob Jansen Hoochwont, Peter Corneille, Jakob van Buisen und Jakob Everts.«

Von den wackeren Seeleuten allen haben wir nicht viel mehr zu sagen, außer daß de Beer im folgenden Jahre seinen Reisebericht veröffentlichte, und Heemskerke, nachdem er mehrere Reisen nach Indien gemacht, im Jahre 1607 den Oberbefehl über eine Flotte von sechsundzwanzig Schiffen erhielt, mit denen er am 25. April den Spaniern unter den Kanonen von Gibraltar eine hitzige Schlacht lieferte, in welcher die Holländer zwar Sieger blieben, er selbst aber seinen Tod fand.

Erst 1871, also fast dreihundert Jahre später, wurde die Stelle, an der Barentz mit seinen Leuten überwintert hatte, wiedergesehen. Er umschiffte als erster und bis auf unsere Zeit als einziger Seemann die Nordspitze von[469] Nowaja-Semlja. Am 7. September 1871 nämlich entdeckte der norwegische Kapitän Elling Carlsen, der sich durch wiederholte glückliche Reisen im Eismeere ausgezeichnet hatte, Barentz' Hafen und fand am 9. das Hans wieder, das die. Holländer einst geschützt hatte. Es sah aus, als wäre es am Tage vorher gebaut, so überraschend gut hatte es sich erhalten. Alles fand sich darin in dem Zustand, wie es die Schiffbrüchigen einst verlassen. Nur die Bären, Füchse und andere Bewohner dieser ungastlichen Gegend hatten diesen Ort besucht. Rings nm das Haus lagen da und dort große Tonnen und Haufen von Walroß- und Bärenknochen. Im Innern stand Alles an seinem Platz und bot ein getreues Abbild von de Veer's merkwürdiger Zeichnung. Hier standen die Betten längs der Wände, wie sie jener wiedergab, ebenso wie die Uhr, einige Flinten und eine Hellebarde. Unter den von Kapitän Carlsen mit heimgebrachten Geräthen, Waffen und Gegenständen verschiedener Art erwähnen wir zwei kupferne Schiffs-Kochtöpfe, einige Decken, Gewehrläufe, Hausgeräthe, Meißel und Feilen, ein paar Stiefel, neunzehn Patronen, deren einige noch das Pulver enthielten, die Wanduhr, eine Flöte, Schlösser und Riegel, sechsundzwanzig zinnerne Leuchter, Reste von Zeichnungen und drei holländische Bücher, darunter eine Geschichte von China, die letzte Ausgabe Mendoza's, welche auf das Ziel hindeutet, das Barentz bei seiner Fahrt im Auge hatte, und ein Navigations-Manual, das den Beweis für die Sorgfalt liefert, mit welcher der Pilot sich über alles in seinem Fache Vorkommende auf dem Laufenden zu erhalten suchte.

Bei seiner Rückfahrt aus dem Hafen von Hammerfest begegnete Kapitän Carlsen einem Holländer, Lister Kay, der die Reliquien von Barentz erwarb und sie der niederländischen Regierung überließ Diese Gegenstände selbst fanden einen Platz im Marine-Museum im Haag, wo auch ein vorn offenes Haus construirt wurde, welches genau de Veer's Zeichnung entspricht. Jedes einzelne Geräth, ebenso wie alle Instrumente haben denselben Platz erhalten wie in dem Hause auf Nowaja-Semlja. Die kostbaren Zeugnisse eines wichtigen Ereignisses, der ersten Ueberwinterung in den arktischen Meeren, die rührenden Erinnerungen an Barentz, Heemskerke und deren treue Gefährten, bilden eines der interessantesten Monumente des ganzen Museums und werden stets mit Pietät und Liebe betrachtet werden. An der Seite der Uhr hängt ein Quadrant aus Kupfer, durch dessen Mitte ein Meridian gezogen ist; dieser merkwürdige Quadrant, den Plancius wahrscheinlich zur[470] Bestimmung der Abweichung der Magnetnadel erfand, hat eine weitere Verbreitung nicht gefunden. Hier bildet er ein ebenso werthvolles Stück, wie auf der anderen Seite die Flöte, welche Barentz geblasen hat, und die Schuhe des armen Matrosen, der das Winterlager nicht überlebte. Niemand vermag diese merkwürdige Sammlung ohne die tiefste Bewegung zu betrachten.

Quelle:
Jules Verne: Die Entdeckung der Erde. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XXIX–XXX, Wien, Pest, Leipzig 1881, S. 436-471.
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