I.

[494] Abweichender Charakter des 17. Jahrhunderts. – Eingehende Untersuchung der schon entdeckter Länder. – Dem Durst nach Gold folgt der Glaubenseifer. – Die italienischen Missionäre am Congo. – Die portugiesischen Missionäre in Abyssinien. – Brue am Senegal und Flacourt in Madagascar. – Die Apostel Indiens, Indo-Chinas und Japans.


Das 17. Jahrhundert unterscheidet sich von dem vorhergehenden durchgreifend dadurch, daß die großen Entdeckungen als solche eigentlich beendet sind und man während dieser Zeit mehr nur darauf ausgeht, die schon erworbenen Kenntnisse zu vervollständigen. Es contrastirt deshalb ebenso mit dem folgenden, weil die wissenschaftlichen Methoden noch nicht zur Anwendung kommen, deren sich Seeleute und Astronomen hundert Jahre später befleißigten. Es gewinnt wirklich den Anschein, als hätten die Berichte der ersten Entdecker, welche von den durchstreiften Gegenden doch im Grunde nur einen oberflächlichen Ueberblick gewinnen konnten, nach manchen Seiten hin einen ungünstigen Einfluß auf den Volksgeist ausgeübt. Die Neugierde in der strengsten Bedeutung des Wortes erreichte den höchsten Grad. Man durchschwärmt die ganze Welt, um eine Vorstellung von den Sitten und Gebräuchen jeder Nation, den Erzeugnissen und der Industrie jedes Landes zu erlangen, aber – man studirt nicht. Man bemüht sich nicht, auf die Quellen zurückzugehen und sich über das Warum der Dinge Rechenschaft zu[494] geben. Mit Befriedigung der Neugierde ist der Zweck erreicht. Alle Beobachtungen sind nur ganz oberflächlich, und es scheint, als hätte Jeder die größte Eile, alle im 16. Jahrhundert aufgefundenen Gegenden wenigstens einmal zu durchstreifen.

Der plötzlich über Europa hereinströmende Ueberfluß an Schätzen führt dann zu einer ökonomischen Krisis. Handel und Industrie verändern sich und wechseln ihre Stellung. Neue Wege sind eröffnet, neue Bedürfnisse treten auf, der Luxus und das Streben, sich durch waghalsige Speculationen schnell zu bereichern, verdreht die Köpfe. An Stelle Venedigs, das bezüglich des Welthandels seine Rolle ausgespielt hat, treten die Holländer, welche, nach einem glücklich gewählten Ausdruck Leroy-Beaulieu's, »sich zu Spediteuren und Lieferanten ganz Europas entwickeln«, während die Engländer gleichzeitig die Grundmauern ihres ungeheuren Kolonialreiches errichten.

Den Kaufleuten folgen die Missionäre auf dem Fuße. Sie überschwemmen in zahlreichen Gesellschaften die neu entdeckten Gebiete, evangelisiren und civilisiren die wilden Völker, studiren und beschreiben die Länder. Das Aufleben des Glaubenseifers ist einer der hervorragendsten Züge des 17. Jahrhunderts, und wir können nicht umhin, jenen gottergebenen, gelehrten 'und doch bescheidenen Männern unsere Anerkennung für alles Das zu zollen, was Geographie und Geschichte ihrer Thätigkeit verdanken. Der Reisende durchwandert nur das Land, der Missionär verweilt in demselben. Dem Letzteren wird es offenbar weit leichter, sich eingehendere Kenntniß von der Geschichte und der Bildungsstufe der Völker zu verschaffen, denen er seine Kräfte widmet. Es erscheint also ganz natürlich, daß wir von ihnen noch Reiseberichte, Beschreibungen und Geschichtswerke besitzen, welche den späteren Arbeiten als Grundlage dienten und noch heutzutage als Quellen benutzt werden...

Wenn diese Reflexion ganz im Allgemeinen ihre Geltung hat, so ist das doch ganz besonders der Fall bezüglich Afrikas und Abyssiniens. Was kannte man aber im 17. Jahrhundert von diesem gewaltigen, dreieckigen Festlande? Nichts als die Küsten, wird man antworten wollen. Weit gefehlt! Schon von den ältesten Zeiten her waren der Astapus und der Bahr-el-Abiad, die beiden Arme des Nils, bekannt.


Raleigh bemächtigt sich Berreo's. (Facsimile. Alter Kupferstich.) (S. 492.)
Raleigh bemächtigt sich Berreo's. (Facsimile. Alter Kupferstich.) (S. 492.)

Die Alten drangen vielleicht sogar, wenn man dem von Mariette in Karnak aufgefundenen Verzeichniß der Völker und Länder Glauben schenken darf, bis zu den[495] großen Seen des Innern vor. Im 12. Jahrhundert schon verfaßte der arabische Geograph Edrisi für Rogger II. von Sicilien eine ausgezeichnete Beschreibung Afrikas und bestätigt darin obige Angaben. Später durchreisen Cadamosto und Ibn Batuta Afrika, und der Letztere gelangt bis Tombuctu. Marco Polo erklärt, daß Asien nur durch die Landenge von Suez mit Afrika zusammenhänge und besucht Madagascar. Endlich, nachdem die[496] Portugiesen bald nach Vasco da Gama die Umschiffung ganz Afrikas durchgeführt haben, bleiben einige derselben in Abyssinien zurück, und schnell entwickeln sich gewisse diplomatische Beziehungen zwischen diesem Reiche und Portugal. Ueber Francesco Alvarez theilten wir schon früher in Kürze Einiges mit; ihm auf dem Fuße ließen sich nun im Lande mehrere portugiesische Missionäre nieder, unter denen die beiden Patres Paez und Lobo besondere Erwähnung verdienen.

Pater Paez verließ Goa im Jahre 1588, um an der Ostküste Nordafrikas das Christenthum zu predigen. Nach mancherlei traurigen Unfällen landete er in Massaouah in Abyssinien, durchstreifte das Land und drang im Jahre 1618 sogar bis zu den Quellen des blauen Nils vor – eine Entdeckung, deren Authenticität Brue weit später bestätigte, während der erste Bericht über dieselbe nur in unwichtigen Einzelheiten von dem des schottischen Reisenden abweicht. Im Jahre 1604 schon war der Genannte zu dem Könige Za Denghel gekommen und predigte hier die christliche Lehre mit solchem Erfolge, daß er jenen nebst seinem ganzen Hofe in kurzer Zeit bekehrt hatte. Er gewann nach und nach auch einen solchen Einfluß auf den abyssinischen Monarchen, daß dieser an den Papst und an den König von Spanien schrieb, um Beiden seine Freundschaft anzubieten, und sich von ihnen geeignete Männer erbat, um seine Unterthanen zu unterrichten.

Pater Jeronimo Lobo reiste mit Alphons Meneses, dem Patriarchen von Aethiopien, im Jahre 1625 nach Abyssinien ab. Jetzt hatten sich freilich die Zeiten geändert. Der von Paez bekehrte König war ermordet worden, und sein Nachfolger, der die portugiesischen Missionäre in's Land rief, fand ebenfalls einen schnellen Tod. Zahlreiche Widersacher erhoben sich gegen die Christen, und die Missionäre wurden vertrieben, eingekerkert oder den Türken ausgeliefert. Lobo erhielt damals den Auftrag, die nöthige Summe zum Loskauf seiner Confratres herbeizuschaffen. Nach zahlreichen Wechselfällen, die ihn nach Brasilien, Carthagena, Cadix, Sevilla, Lissabon und Rom führten, übermittelte er dem Könige von Spanien und dem Papste sehr specielle und zahlreiche Nachrichten von der äthiopischen Kirche und den Sitten der Landesbewohner, unternahm dann eine letzte Reise nach Indien und starb nach der Heimkehr nach Lissabon im Jahre 1678.

An der atlantischen Küste, in der Nähe des Congo, war das Christenthum schon im Jahre 1489, also mit der Zeit der Entdeckungen der[497] Portugiesen, eingeführt worden. Zuerst sandte man Dominikaner dahin ab; da sie sich aber keiner Erfolge rühmen konnten, ersetzte sie der Papst mit Zustimmung des Königs von Portugal durch italienische Kapuziner, nämlich Carli de Placenza, 1667, Johann Antonio Cavazzi von 1654 – 1668, ferner Antonio Zucchelli und Gradisca, von 1696–1704. Wir erwähnen dieser Missionäre nur, weil sie einen Bericht über ihre Reise hinterlassen haben. Cavazzi erforschte nach und nach Angola, das Land Mataneba und die Inseln Coanza und Loana. In seinem apostolischen Eifer, die Neger zu bekehren, fand er keine besseren Mittel, als z.B. deren Götzenbilder zu verbrennen, ihre Könige wegen der seit Urzeiten gebräuchlichen Vielweiberei hart zu tadeln und Rückfällige der Tortur zu unterwerfen oder sie durch Geißelhiebe zu zerfleischen. Trotzdem errang er sich bei den Eingebornen ein immer steigendes Ansehen, das bei geschickter Ausnutzung recht achtungswerthe Resultate für die Entwickelung der Kultur und die Fortschritte der Religion hätte erzielen können. Denselben Tadel wie Cavazzi verdienen auch der Pater Zucchelli und die übrigen Missionäre am Congo.

Der im Jahre 1687 in Rom erschienene Bericht Cavazzi's behauptet, daß sich der portugiesische Einfluß bis auf zwei- bis dreihundert Meilen in's Innere des Landes erstreckt habe. Im Innern gab es damals eine sehr bedeutende Stadt, San Salvador, welche zwölf Kirchen und ein Jesuiten-Collegium besaß und 50.000 Seelen zählte. Pigafetta veröffentlichte zu Ende des 14. Jahrhunderts einen Bericht über die Reise Duart Lopez', des Gesandten des Königs von Congo, bei den Höfen von Rom und Lissabon. Eine beigegebene Karte zeigt den See Zambre an der Stelle, welche der Taganyika einnimmt, und weiter im Westen den See Acque Lunda, aus dem der Congo entspringt; unter dem Aequator sind zwei Seen verzeichnet, der eine als See des Nils, der andere östlichere unter dem Namen Colue; sie scheinen dem Albert- und dem Victoria-Nyanza zu entsprechen. Diese merkwürdigen Nachrichten wurden jedoch als unzuverlässig von den Geographen des 19. Jahrhunderts verworfen, welche das Innere Afrikas ganz weiß also unbezeichnet ließen.

An der Westküste Afrikas, und zwar am Senegal, hatten die Franzosen Niederlassungen gegründet, die unter der staatsklugen Verwaltung Andreas Brue's bald eine beträchtliche Ausdehnung gewannen. Der Genannte, »Commandant an Königs Statt und General-Direktor der königlichen[498] Gesellschaft von Frank reich an der Küste von Senegal und anderen Orten« – so lautet sein officieller Titel – verdient, wenn sein Name auch weniger bekannt wurde und auch unser Abriß seines Lebens nur sehr kurz ausfallen kann, dennoch einen der ersten Plätze unter den Kolonisatoren und Forschern seiner Zeit. Nicht zufrieden damit, die französische Kolonie bis zu ihren heutigen Grenzen auszudehnen, zog er auch beobachtend durch Gebiete, welche erst in neuester Zeit Lieutenant Mage wieder besuchte oder die überhaupt kein Menschenauge seitdem wieder erblickt hat. Andreas Brue schob die französischen Posten vor: im Osten bis über die Vereinigung des Senegal und der Faleme; im Norden bis Arguin, welches Frankreich unter Wahrung seiner Rechte vorläufig aufgegeben hat, im Süden bis zur Insel Bisar. Im Innern besuchte er Galam das goldreiche Bambuk und erwarb sich zuerst sichere Kenntnisse über die Pouls, Peuls und Fouls, sowie über die Yoloffs und Muselmänner, welche von Norden herabgezogen, um sämmtliche Negerbevölkerung des Landes ihrem Glauben zu unterwerfen. Die von Brue über die Geschichte und die Wanderungen jener Volksstämme gesammelten Nachrichten sind von unschätzbarem Werthe; sie geben dem Geographen und Historiker noch heute höchst brauchbare Aufschlüsse. Brue hinterließ uns nicht allein einen Bericht über die Ereignisse, deren Zeuge er selbst gewesen, und eine Beschreibung der von ihm besuchten Gegenden, sondern wir verdanken ihm auch zahlreiche Nachweisungen über die Erzeugnisse des Landes, über dessen Pflanzen- und Thierwelt und über Alles, was vom Standpunkte des Handels oder der Industrie von Interesse sein kann. Diese denkwürdigen, von Pater Labat allerdings sehr ungeschickt zusammengestellten Documente machte erst vor wenig Jahren Berliouz zum Gegenstand einer hochinteressanten Arbeit.

Im Südosten Afrikas gründeten die Franzosen ferner während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts einige Handelsniederlassungen auf Madagascar, einer seit langer Zeit unter dem Namen St. Lorenz bekannten Insel. Sie errichteten das unter dem Befehl de Flacourt's stehende Fort Dauphin, durchforschten mehrere bisher unbekannte Theile der Insel selbst, sowie verschiedene Inseln in der Nähe der Festlandsküste, und eroberten im Jahre 1649 die Mascarenhas (Maskarenische Inseln). Wenn sich de Flacourt gegen seine Landsleute zwar fest, doch gemäßigt erwies, so verfuhr er leider nicht ebenso gegen die Eingebornen, und führte dadurch einen allgemeinen[499] Aufstand herbei, in Folge dessen er abgerufen wurde. Uebrigens drang nur außerordentlich selten Jemand in das Innere von Madagascar ein und wir müssen bis auf unsere Tage zurückgehen, um einer ernsthaften Forschungsreise durch dasselbe zu begegnen.

Die einzigen über Indo-China und Thibet nach Europa im Laufe des 17. Jahrhunderts gelangten Nachrichten rühren auch nur von Missionären her. Die Namen der Patres Alexander von Rhodus, Antonio d'Andrada, Avril und Benedict Goes dürfen hierbei nicht mit Stillschweigen übergangen werden. In ihren Lettres annuelles findet man Aufschlüsse über die den Europäern so lange verschlossenen Länder, welche auch heute des Interesses noch nicht entbehren. In Cochinchina und Tonkin widmete sich Pater Tachard astronomischen Studien, die zur Evidenz nachweisen, wie falsch die von Ptolomäus angegebenen Längenverhältnisse waren. Sie lenkten die Aufmerksamkeit der ganzen gelehrten Welt auf die Nothwendigkeit einer Reform der geographischen Darstellung der Länder des äußersten Ostens und auf die Unentbehrlichkeit genauer Beobachtungen, welche entweder Special-Gelehrte oder mit den astronomischen Berechnungen vertraute Seefahrer vornehmen sollten. Das Land, welches die Missionäre am meisten anzog, war China, jenes ungeheure, volkreiche Land, das seit der Ankunft der Europäer in Indien die absurde Politik der Abschließung vor den Fremden mit äußerster Strenge durchgeführt hatte. Erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts erhielten einige Missionäre die oft nachgesuchte Erlaubniß, sich in's Innere des Reiches der Mitte begeben zu dürfen. Ihre mathematischen und astronomischen Kenntnisse erleichterten ihnen den Aufenthalt daselbst und gestatteten ihnen, entweder in den uralten Annalen des Landes oder während ihrer vielfachen Reisen eine erstaunliche Menge werthvoller Kenntnisse von der Geschichte, Ethnographie und Geographie des Himmlischen Reiches zu sammeln. Den Missionären Mendoza, Ricci, Trigault, Visdelou, Lecomte Verbiest, Navarette, Schall und Martini gebührt das Verdienst, den Wissenschaften und Künsten Europas in China Eingang verschafft und im Abendlande die ersten verläßlichen und der Wahrheit entsprechenden Nachrichten von der auf derselben Stufe verharrenden Civilisation des »Landes der Blumen« verbreitet zu haben.[500]

Quelle:
Jules Verne: Die Entdeckung der Erde. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XXIX–XXX, Wien, Pest, Leipzig 1881, S. 494-501.
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