Vierzehntes Capitel.

[144] Hatten die Russen 1870 vergeblich versucht, in Taschkend eine Messe einzurichten, die mit der von Nischni-Novgorod wetteifern könnte, so sollte das zwanzig Jahre später von besserm Erfolge begleitet sein. Heutzutage ist, Dank der Errichtung der Transcaspischen Bahn, die Samarkand mit Taschkend verbindet, dieser große Markt zur Thatsache geworden.

Doch nicht allein die Kaufleute mit ihren Waaren strömen in Menge nach dieser Stadt zusammen, sondern auch die Pilger mit ihrem ganzen Hab und Gut. Und welche Wallfahrt – was sag' ich? – welche Völkerwanderung muß es erst geben, wenn die gläubigen Mohammedaner mit der Eisenbahn nach ihrem heiligen Mekka ziehen können!

Inzwischen sind wir in Taschkend, und der Fahrplan meldet nur zweieinhalb Stunden Aufenthalt.[144]

Da fehlt es mir freilich an Zeit, die Stadt zu besuchen, die auch kaum der Mühe lohnen soll. Die Städte von Turkestan gleichen sich überhaupt nach vielen Seiten, und wer eine gesehen hat, hat auch die andre gesehen, wenigstens wenn man sich nicht auf Einzelheiten einlassen kann.


In den Straßen von Taschkend. (S. 146.)
In den Straßen von Taschkend. (S. 146.)

Nachdem wir durch eine fruchtbare Landschaft gekommen waren, in der sich die schlanken Spindeln alter Pappeln wiegten, und nachdem wir an großen mit Weinreben bepflanzten Feldern, oder an Gärten mit ungeheuer vielen Obstbäumen vorübergefahren sind, steht unser Zug in der Nähe der neuen Stadt still.[145]

Seit der russischen Eroberung trifft man hier über all – ich sage dem Leser wohl keineswegs etwas Neues damit – zwei nebeneinander gelegene Städte, in Taschkend wie in Samarkand, in Bukhara wie in Merv. Hier hat die alte Stadt vielfach gewundene Straßen, Häuser aus Thon oder Lehm, sehr mittelmäßige Bazare, Karavanseralen aus an der Sonne getrockneten Backsteinen, einige Moscheen und so zahlreiche Schulen, als ob der Czar sie durch einen Ukas ins Leben gerufen hätte, ähnlich wie solche in letzter Zeit in Frankreich entstanden sind. Hier fehlt es in der That an Schülern, nicht an Schulen.

Auch die Bevölkerung von Taschkend unterscheidet sich nicht wesentlich von der, die wir in andern Theilen Turkestans angetroffen haben. Sie besteht aus Sarthen, Usbeken, Tadjiks, Kirghisen, Nogaïs, Israeliten, einigen Afghanen und Hindus – daneben natürlich aus einigen Russen, die hier wie zu Hause sind.

In Taschkend giebt es vielleicht verhältnißmäßig die meisten Juden. Seit dem Tage übrigens, wo diese Stadt unter russische Verwaltung kam, hat sich deren Lage gründlich geändert. Von dieser Zeit an datirt erst die bürgerliche und politische Freiheit, die sie jetzt genießen.

Ich kann dem Besuche der Stadt nur zwei Stunden widmen und das hab' ich als eifriger Reporter denn auch gethan. Wenigstens flüchtig hab' ich mir den großen Bazar – der freilich nur aus Planken gezimmert ist – angesehen und auch hier die ungeheure Menge der Erzeugnisse des Orients, Seidengewebe, Metallgefäße, viele verschiedene Proben chinesischen Gewerbfleißes, darunter vorzügliche Porzellanwaaren, aufgestapelt gefunden.

In den Straßen von Turkestan begegnet man auch einer Anzahl von Frauen. Natürlich giebt es im Lande keine Sclaverei mehr – zum großen Leidwesen der Muselmanen. Jetzt ist die Frau frei – selbst in der Ehe.

»Ja, erzählt mir Major Noltitz, darüber hat sich einmal ein alter Turkmene in folgender Klage geäußert:

Mit der ehemännlichen Gewalt ist es vorbei, seitdem man seine Frau nicht mehr schlagen kann, ohne daß sie einem mit dem Czaren droht! Das ist der Untergang der Ehe!«

Ich weiß nicht, ob das schöne Geschlecht noch immer geschlagen wird, jedenfalls weiß aber einer der Gatten, wessen er sich aussetzt, wenn er den andern mißhandelt. Diese sonderbaren Osmanen wollen in dem Verbote, ihre Frauen zu schlagen, beileibe keinen Fortschritt erkennen. Vielleicht erinnern sie sich daran, daß das irdische Paradies nicht so weit von hier war – ein[146] herrlicher Garten zwischen dem Euphrat und Tigris, wenn er nicht zwischen dem Syr-Darja und Amu-Darja zu suchen war. Vielleicht haben sie nicht vergessen, daß unsre Mutter Eva diesen präadamitischen Garten bewohnte, und daß sie, wenn sie vorher ein wenig geprügelt worden wäre, ihren ersten Fehltritt am Ende gar nicht begangen hätte .... Doch lassen wir das dahingestellt!

Mir glückt es nicht, wie der Frau Ujfalvi-Bourdon, von einheimischen Musikanten die »Feuerwehr von Nanterre« im Palastgarten des General-Gouverneurs spielen zu hören. Nein, als ich da war, spielten sie den »Vater Sieg«, und wenn das auch keine völlig nationalen Weisen waren, so klangen diese Töne französischen Ohren doch nicht minder angenehm.

Wir haben Taschkend pünktlich elf Uhr Vormittags verlassen. Das Land, durch das die Schienen der Groß-Transasiatischen Bahn führen, wird nun schon etwas mehr wellenförmig; in die Ebenen schieben sich die ersten Ausläufer des orographischen Systems des Ostens vor. Wir nähern uns dem Hochlande von Pamir. Auf der hundertfünfzig Kilometer langen Strecke, die uns von Khodjend trennt, behält der Zug seine normale Geschwindigkeit noch bei.

Kaum abgefahren, wenden sich meine Gedanken wieder dem braven Kinko zu. Sein kleiner Liebesroman hat mich wirklich gerührt. Dieser Bräutigam, der sich als Fracht befördert ... diese Braut, die den Frachtbrief bezahlt .... Der Major Noltitz würde sich gewiß für diese beiden Tauben, deren eine in dem Käfig sitzt, interessiren; er würde dem Betrüger der Bahngesellschaft nicht allzusehr zürnen und ihn gewiß nicht verrathen .... Es verlangt mich auch lebhaft, ihm meine Ausflüge in den Packwagen zu schildern .... Doch, das Geheimniß gehört ja nicht mir allein. Ich darf nichts thun, was Kinko vielleicht in Verlegenheit setzen könnte.

Ich schweige also und in der nächsten Nacht werd' ich, wenn es ausführbar ist, meinem Collo einige Mundvorräthe bringen – meine Schnecke füttern. Gleicht der junge Rumäne in seinem Kasten nicht wirklich einer Schnecke in ihrem Hause – außer daß er dasselbe nach Belieben verlassen kann?

Wir treffen in Khodjend um drei Uhr Nachmittags ein. Das Land ist hier fruchtbar, frisch grün und sorgfältig bearbeitet. Das Ganze bildet eine Reihe von gut gehaltenen Gemüsegärten und ausgedehnten Wiesen mit Klee, von dem man vier bis fünf Ernten jährlich einheimst. Die Straßen in der Nähe der Stadt verlaufen zwischen langen Reihen alter Maulbeerbäume, die mit ihrem knorrigen Geäst einen recht hübschen Anblick gewähren.[147]

Immer Zwillingsstädte, eine alte und eine neue. Während diese 1868 erst dreißigtausend Einwohner zählten, haben sie jetzt fünfundvierzig- bis fünfzigtausend. Vielleicht ist es ein Einfluß der Nachbarschaft, der diesen Geburtsreichthum bewirkt; oder wäre es das fruchtbare Beispiel des Himmlischen Reiches, das in dieser Provinz Nachahmung findet? Nein! Nein, die Erscheinung beruht auf dem Fortschritte der Handelsbeziehungen, auf dem Zusammenfluß von Kaufleuten aller Länder auf diesen neueröffneten Märkten.

Unser Aufenthalt in Khodjend hat drei Stunden gedauert. Ich habe also meinen Reporterbesuch machen können, in der Hauptsache durch einen Spaziergang längs der Ufer des Syr-Darja. Ueber diesen Wasserlauf führt eine große Brücke, deren Mittelbogen Fahrzeugen von gewissem Tonnengehalt den Durchgang ermöglicht.

Das Wetter ist sehr warm. Da die Stadt durch eine Bergwand geschützt ist, können die Steppenwinde nicht hier hereinwehen und dadurch wird der Ort zu einem der heißesten in ganz Turkestan.

Ich begegne auch Herrn und Frau Caterna, die von ihrem kleinen Ausflug ganz entzückt scheinen, denn der Comödiant sagt mir im heitersten Tone:

»Dieses Khodjend werd' ich nimmermehr vergessen, Herr Claudius!

– Und warum werden Sie Khodjend nimmermehr vergessen, Herr Caterna?

– Sehen Sie diese Pfirsiche? antwortet er und zeigt mir einige der Früchte, die er in der Hand hält.

– Sie sind ausgezeichnet ....

– Und so billig! ... Ein Kilogramm für vier Kopeken, des heißt etwa zehn Pfennig.

– Ja, erwidere ich, das kommt daher, daß der Pfirsich hier zu Lande nicht selten ist. Es ist der Apfel Asiens, und einer dieser Aepfel war's, den Madame Adam vom Baume der Erkenntniß ...

– Dann verzeih' ich ihr!« ruft Frau Caterna, die eben herzhaft in einen der saftigen Pfirsiche biß.

Von Taschkend aus war die Bahn nach Khodjend zu in südlicher Richtung verlaufen. Von letzterer Stadt aus wendet sie sich wieder mehr nach Osten in der Richtung nach Khôkhan. Mit der Station Taschkend hatte sie sich der Transsibirischen Bahn am meisten genähert, und eine in Bau begriffene Verbindungslinie wird sie bald mit der Station Semipalatinsk vereinigen – wodurch die Netze Central- und Westasiens unmittelbar verknüpft werden.[148]

Jenseits Kokhan geht es nun geradewegs nach Osten über Marghelan und Och, durch die Schluchten des Hochlandes von Pamir nach der russisch-chinesischen Grenze.

Kaum ist der Zug wieder in Gang, da begeben sich die Reisenden schon nach dem Restaurationswagen, in dem ich keinen neuen Ankömmling entdecke. Vor Kaschgar sollen wir auch keine neuen Reisegefährten erhalten. Da weicht dann die russische Küche der Himmlischen, doch obwohl das an Ambrosia und Nectar erinnert, werden wir wahrscheinlich bei dem Tausche verlieren.

Fulk Ephrjuell hat seinen gewöhnlichen Platz inne. Ohne bis zur Vertraulichkeit zu gehen, hat sich zwischen dem Yankee und der Miß Bluett doch offenbar eine innigere, auf die Gleichheit des Geschmacks und der Fähigkeiten gegründete Freundschaft entwickelt. Niemand unter uns zweifelt daran, daß diese nach Ankunft des Zuges mit einer Heirat enden wird. Diese Beiden werden also auch ihren Liebesroman auf der Eisenbahn gehabt haben .... Offen gestanden, geb' ich dem Kinkos und der Zinca Klork den Vorzug .... Freilich, die hübsche Rumänin ist nicht selbst dabei!

Wir sind unter uns, und unter »uns« versteh' ich meine mir liebsten Nummern, Herrn und Frau Caterna und den jungen Chinesen, der mit echtem Pariser Witz die Scherzreden des Comödianten beantwortet.

Das Essen verläuft heiter und ist gut. Wir erfahren dabei auch die vier von Cornaro, dem edlen Venetianer, aufgestellten Regeln, um das richtige Maß im Essen und Trinken zu bestimmen. Pan-Chao hat den Doctor auf dieses Thema gebracht und Tio-King antwortet ihm mit wahrhaft buddhistischem Ernste.

»Diese Regel stützt sich darauf, sagt er, daß es unmöglich ist, im Voraus die nöthige Menge Nahrung für jedes Temperament, für jeden Altersunterschied, jeden Kräftezustand und auch für Speisen von verschiedener Art anzugeben.

– Und was bedürfen Sie bei Ihrem Temperament, Doctor? fragt Herr Caterna.

– Vierzehn Unzen feste oder flüssige Nahrung ....

– Jede Stunde? ...

– O nein, mein Herr, den ganzen Tag über, erwidert Tio-King, und bei Einhaltung dieser Regel ist der berühmte Cornaro vom sechsunddreißigsten Lebensjahre ab geblieben, was ihm geistige und körperliche Frische genug sicherte, im fünfundneunzigsten Jahre seine vierte Abhandlung zu schreiben und bis zum hundertzweiten Jahre zu leben ....[149]

– Wenn's so steht, will ich mir eiligst noch eine fünfte Cotellette zulangen!« rief Pan-Chao in Lachen ausbrechend.

Es giebt doch nichts Angenehmeres, als an gut besetzter Tafel zu plaudern; ich will aber nicht vergessen, meine Notizen über Kokhan zu vervollständigen. Wir werden daselbst nicht vor neun Uhr Abends, also im Finstern eintreffen. Ich habe auch den Major um einige Angaben über diese Stadt ersucht, die im russischen Turkestan die letzte von Bedeutung ist.

»Das kann ich um so eher, antwortet mir der Major, als ich da fünfzehn Monate lang in Garnison gelegen habe. Es ist bedauerlich, daß Sie diese Stadt nicht besuchen können, denn sie hat noch das rein asiatische Aussehen bewahrt und wir haben noch keine neue daneben erbaut. Sie hätten darin einen Platz gesehen, der in Asien seines Gleichen sacht, einen Palast im großen Styl, den des alten Khan von Khudaiar, der auf einem rundlichen Hügel von hundert Metern Höhe liegt und dem der Gouverneur seine Artillerie von farthischer Herkunft gelassen hat. Man betrachtet das Bauwerk als ein Wunder, und ich bekenne, mit vollem Rechte. Sie verlieren damit eine sich nicht gleich wieder bietende Gelegenheit, die farbenreichsten Worte Ihrer Sprache anzuwenden, z.B. bei Beschreibung des in eine russische Kirche verwandelten Empfangssaales, eines Labyrinthes von Zimmern, deren Parquet aus kostbarem Holze von Karagatch hergestellt ist, oder bei der Schilderung des Rosa-Pavillons, wo dem Fremden eine wirklich orientalische Gastfreundschaft geboten wird, ferner des innern Hofes mit maurischem Schmucke, der an die Baumeisterphantasien in der Alhambra erinnert, endlich der Terrasse mit herrlichster Aussicht, der Haremsgemächer, worin die tausend Frauen des Sultans – hundert mehr als die Salomos – in bestem Einvernehmen wohnten, der sein verzierten Façaden, der von Jahrhunderte alten Weinbergen umrahmten Gärten ... alles das hätten Sie sehen können ....

– Und das werd' ich durch Ihre Augen gesehen haben, lieber Major. Meine Leser sollen keine Ursache zu klagen haben. Ich bitte Sie nur, mir mitzutheilen, ob sich in Kokhan auch Bazare vorfinden?

– Eine Stadt Turkestans ohne Bazare, die wäre ein London ohne Docks, erwidert der Major.

– Und ein Paris ohne Theater! ruft der Comödiant dazwischen.

– Ja, Kokhan besitzt Bazars, darunter einen auf der Brücke des Soth, der die Stadt mit zwei Armen durchschneidet, und in dem die schönsten Seidengewebe[150] Asiens mit Goldtillahs zu drei Rubel sechzig Kopeken unsrer Münze bezahlt werden.

– Sie unterrichten mich gewiß nach den Bazaren auch etwas über die Moscheen, Herr Major ....

– Gewiß.

– Und über die Medressen?

– Natürlich, mein Herr Reporter; doch das beschränkt sich auf die Versicherung, daß diese Bauwerke weder den Medressen noch den Moscheen von Samarkand oder Bukhara das Wasser reichen können.«

Ich habe mir die Gefälligkeit des Major Noltitz zunutze gemacht, und so werden die Leser des »XX. Jahrhundert« die Nacht nicht in Kokhan zuzubringen haben. Ich lasse meine Feder diese Stadt mit Sonnenstrahlen überfluthen – obwohl ich von ihr nur unbestimmte Umrisse zu sehen bekomme.

Die Tafel zieht sich recht lange hin und schließt in unerwarteter Weise mit dem Angebot des Herrn Caterna, »einen Monolog zu declamiren«.

Es mag dahingestellt bleiben, ob das Anerbieten mit gar so großem Eifer angenommen wurde.

Unser Zug gleicht mehr und mehr einer kleinen rollenden Stadt. Diese hat sogar ein Casino, den Dining-car, worin wir eben versammelt sind. Und so wurde denn im östlichen Theile von Turkestan, vierhundert Kilometer vom Hochlande von Pamir, als Dessert einer vorzüglichen, im Salon der Groß-Transasiatischen Bahn aufgetragenen Mahlzeit, die »Teufelsanfechtung« von Herrn Caterna, dem für die nächste Saison engagirten ersten Komiker des Theaters in Shangai mit großem Talente zum Vortrag gebracht.

»Mein Herr, wendet sich Pan-Chao an den Declamator, ich mache Ihnen mein bestes Compliment. Ich habe schon den jüngeren Coquelin gehört ...

– Einen Meister der Kunst, mein Herr, einen Meister! ... ruft Herr Caterna.

– Dem Sie sehr nahe kommen ...

– In aller Ehrerbietung, versteht sich!«

Die Herrn Caterna dargebrachten Bravorufe haben Sir Francis Trevellyan nicht aufzurütteln vermocht, denn dieser stößt nur einige onomatopoëtische Laute über die Mahlzeit hervor, die er abscheulich gefunden hat. Er hat sich gar nicht amüsirt, nicht einmal »traurig«, wie seine Landsleute schon vor vierhundert Jahren, wenn man Froissart's Mittheilungen Glauben schenken darf.


Kokhan besitzt Bazars, darunter einen auf der Brücke des Sokh. (S. 150.)
Kokhan besitzt Bazars, darunter einen auf der Brücke des Sokh. (S. 150.)

Uebrigens[151] achtet Niemand auf die Ausbrüche des knurrigen Gentleman. Der Baron Weißschnitzerdörser hat kein Wort von jenem kleinen Meisterwerke verstanden, und wenn er es verstand, hätte er doch dieser Probe »parisischer Monologomanie« keinen Beifall schenken können.


Die »Teufelsanfechtung«, von Herrn Caterna zum Vortrag gebracht. (S. 151.)
Die »Teufelsanfechtung«, von Herrn Caterna zum Vortrag gebracht. (S. 151.)

Was den Seigneur Farusklar und den von ihm unzertrennlichen Ghangir angeht, scheint trotz ihrer gewohnten Zurückhaltung, daß das sprechende Minenspiel, die bezeichnenden Gesten, der oft drollige Ton des Herrn Caterna sie in gewissem Maße interessirt haben.[152]

Der Comödiant hat es bemerkt, und er ist für solchen stummen Beifall sehr feinfühlig. Beim Aufstehen von der Tafel sagt er mir auch:

»Er ist einfach großartig, dieser Seigneur! ... Welche Würde! Welch' stattliche Erscheinung! ... Der reinste Typus des Orientalen! ... Sein Begleiter gefällt mir schon weniger ... höchstens einer für kleine Nebenrollen. Jener stolze Mongole aber, Caroline, wenn Du den im Moralès' ›Piraten der Savannen‹ sähst!

– Nur nicht in diesem Costüm! bemerke ich.

– Warum denn nicht, Herr Claudius? ... In Perpignan hab' ich einmal den Oberst von Montéclin in der ›Closerie des Genets‹ in der Tracht eines japanischen Officiers gespielt ....

– Und zwar mit donnerndem Beifall!« versichert Frau Caterna.

Während des Essens ist der Zug an der Station Kastakos inmitten einer recht bergigen Gegend vorübergekommen Die Bahn beschreibt nun viele Windungen über Viaducte und durch verschiedene Tunnels, was wir an dem Hin- und Herneigen der Wagen erkennen.

Bald nachher sagt uns Popof, daß wir uns im Gebiete von Ferganäh befinden – das ist der alte Name von Kokhan, das von Rußland 1876 mit den sieben Bezirken, die dazu gehören, annectirt wurde. Die Einzelbezirke, in denen Sarthen die Mehrzahl der Bewohner bilden, werden von Vorstehern, Untervorstehern und Bürgermeistern verwaltet. Man muß wirklich nach Fergauah gehen, um fast das ganze Räderwerk des Jahres VIII in Thätigkeit zu sehen.

Weiterhinaus liegt wieder eine ungeheure Steppe. Frau von Ujfalvy-Bourdon hat diese ganz treffend mit einer Billardtafel verglichen, so vollkommen horizontal liegt sie vor uns. Nur rollt keine Elfenbeinkugel über ihre Oberfläche hin sondern ein Schnellzug der Groß-Transasiatischen Bahn mit der Geschwindigkeit von sechzig Kilometern in der Stunde.

Nachdem wir die Station Tchutchaï hinter uns gelassen, fahren wir um neun Uhr Abends in den Bahnhof von Kokhan ein. Der Aufenthalt soll zwei Stunden dauern. Wir steigen also nach dem Perron hinunter.

Gerade auf den Stufen nähere ich mich dem Major Noltitz, der an den jungen Pan-Chao die Frage richtet:

»Kennen Sie vielleicht diesen Mandarinen Yen-Lou, dessen Leiche man hier nach Peking zurückbefördert?

– Nicht im Geringsten, Herr Major.[155]

– Es muß doch, nach den ihm erwiesenen Ehrenbezeugungen zu urtheilen, eine ganz hervorragende Persönlichkeit gewesen sein ....

– Das ist wohl möglich, antwortet Pan-Chao, wir haben im Himmlischen Reiche gar so viele hervorragende Persönlichkeiten.

– Und dieser Mandarin Yen-Lou also? ...

– Von dem hab' ich noch nie ein Wort gehört.«

Warum mag der Major Noltitz den jungen Chinesen in dieser Weise gefragt und mit welchen Gedanken mag er sich da wohl früher getragen haben?

Quelle:
Jules Verne: Claudius Bombarnac. Notizbuch eines Reporters. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXII, Wien, Pest, Leipzig 1894, S. 144-153,155-156.
Lizenz:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Flucht in die Finsternis

Flucht in die Finsternis

Robert ist krank und hält seinen gesunden Bruder für wahnsinnig. Die tragische Geschichte um Geisteskrankheit und Tod entstand 1917 unter dem Titel »Wahn« und trägt autobiografische Züge, die das schwierige Verhältnis Schnitzlers zu seinem Bruder Julius reflektieren. »Einer von uns beiden mußte ins Dunkel.«

74 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon