Zweites Capitel.
Wandelnde Flammen.

[20] Eine Entfernung von zwei Kilometern trennte den Hügel von dem tiefdunkeln Waldesdickicht, an dessen Rande sich qualmende und flackernde Flammen hier- und dorthin bewegten. Es mochten ihrer gegen zehn sein, die jetzt vereinigt, dann wieder vereinzelt aufleuchteten und manchmal so heftig hin und her schwankten, wie es die Ruhe der Atmosphäre nicht zu rechtfertigen schien. Man konnte wohl vermuthen, daß eine Rotte Eingeborner sich dort gelagert habe, um an dieser Stelle den Tag abzuwarten. Eigentliche Lagerfeuer waren die Flammen jedoch nicht, dafür irrten sie viel zu launisch auf etwa hundert Toisen weit weg und wieder zurück, ohne einen einzigen Feuerherd für Sicherung eines Nachtlagers zu bilden.

In der Nähe des Ubanghi schwärmen übrigens ziemlich häufig nomadisierende Stämme umher, die meist von Adamaua oder Barghimi im Westen, oder selbst von Uganda im Osten kommen. Eine Händlerkarawane wäre nicht so unklug gewesen, ihre Anwesenheit durch so viele, sich im Dunkeln umherbewegende Feuerbrände zu verrathen. Nur Eingeborne konnten sich da drüben zum Ausruhen niedergelassen haben. Und wer weiß, ob diese nicht feindliche Absichten gegen die unter der Krone der Tamarinden schlummernde Karawane hegten.

War diese aber auch von großer Gefahr bedroht, wenn vielleicht mehrere hundert Pahuins, Fundjis, Chiloux, Baris, Denkas und andere nur den Augenblick abwarteten, sie in erdrückender Menge zu überfallen, so hatte hier – mindestens bis halb elf Uhr – noch niemand die geringste Vorbereitung[20] zu einer Abwehr getroffen. Im Lager schliefen eben alle, Herren und Diener, und das Schlimmste, auch die Träger, die sich auf ihrem Wachposten ablösen sollten, waren in tiefen Schlaf versunken.

Zum Glück erwachte einmal der junge Eingeborne. Ohne Zweifel hätten sich seine Augen aber sofort wieder geschlossen, wenn die Blicke des Knaben nicht nach dem südlichen Horizonte zu gerichtet gewesen wären. Unter den halbgeschlossenen Lidern hatte er zuerst die unbestimmte Empfindung von einem Lichtschein, der die finstere Nacht durchdrang. Er reckte die Glieder, rieb sich die Augen und schaute aufmerksamer hinaus. Nein, das war keine Täuschung: am Saume des Waldes bewegten sich vereinzelte Flammen hin und her.

Llanga kam der Gedanke, daß die Karawane angegriffen werden könnte. Dabei leitete ihn mehr ein gewisser Instinct als eine wirkliche Ueberlegung, denn Raubgesellen, die ein Gemetzel und eine Plünderung im Schilde führen, wissen doch recht gut, daß ihre Aussichten auf Erfolg steigen, wenn ihnen eine Ueberraschung der Gegenpartei gelingt. Sie suchen sich also vorher versteckt zu halten, und diese hier sollten sich geradezu angemeldet haben?

Der Knabe wollte Max Huber und John Cort nicht sogleich wecken und schlich sich deshalb lautlos nach dem Wagen. Als er den Foreloper gefunden hatte, legte er ihm die Hand auf die Schulter, weckte ihn auf und wies mit dem Finger nach den Feuerpunkten am Horizonte.

Khamis richtete sich auf, beobachtete einen Augenblick die wandelnden Flammen und rief dann mit gellender Stimme:

»Herr Urdax! Herr Urdax!«

Der Portugiese, von jeher gewöhnt, sich schnell aus dem Schlafe zu reißen, war augenblicklich auf den Füßen.

»Was giebt es, Khamis?

– Sehen Sie dorthin!«

Mit ausgestrecktem Arme wies er nach dem erleuchteten Waldsaume am Ende der Ebene.

»Alle auf!« rief der Portugiese mit der vollen Kraft seiner Lungen.

Binnen wenigen Secunden war das ganze Personal der Karawane auf den Füßen, alle aber von dem Ernste der Lage so sehr ergriffen, daß es keinem einfiel, den pflichtvergessenen Wächtern jetzt Vorwürfe zu machen. Ohne Llanga wäre das Lager jedenfalls überrumpelt worden, während Urdax und seine Begleiter in friedlichem Schlummer lagen.[21]

Selbstverständlich hatten sich Max Huber und John Cort, die eiligst von ihrer Lagerstatt aufgesprungen waren, dem Portugiesen und dem Foreloper angeschlossen.

Es war jetzt ein wenig über halb elf Uhr. Tiefe Finsterniß bedeckte die Ebene auf drei Viertel ihres Umkreises im Norden, Osten und Westen. Nur im Süden funkelten die seltsamen Flammen und warfen aufflackernd lange Lichtstreifen vor sich her. Jetzt konnte man ihrer etwa fünfzig zählen.

»Da draußen müssen sich Eingeborne angesammelt haben, begann Urdax, und wahrscheinlich sind das Budjas, die meist an den Ufern des Congo und des Ubanghi umherschwärmen.

– Natürlich, meinte Khamis, von allein werden sich jene Fackeln nicht entzündet haben.

– Und daneben, bemerkte John Cort, sind auch Arme da, die sie halten und umhertragen.

– Diese Arme aber, fuhr Max Huber fort, müssen an Schultern sitzen, und die Schultern wieder zu Menschenkörpern gehören, doch inmitten des Lichtscheins erblickt man davon keinen einzigen...

– Sie halten sich jedenfalls ein wenig jenseit des Waldesrandes, hinter den Bäumen, ließ sich Khamis vernehmen.

– Man erkennt überdies auch, nahm Max Huber wieder das Wort, daß die Rotte da draußen nicht auf dem Wege um den Wald herum ist, denn die Lichtpunkte entfernen sich einmal nach rechts oder links hin, vereinigen sich dann aber immer aufs neue...

– Gewiß an der Stelle, wo sich das Lager der Eingebornen befindet, bemerkte der Foreloper.

– Und was ist Ihre Ansicht? wendete sich Urdax an John Cort.

– Ich glaube, daß uns ein Angriff droht, versicherte dieser, und daß wir uns sofort zur Vertheidigung rüsten müssen...

– Warum sollten uns die Eingebornen aber nicht überfallen haben, bevor sie sich zeigten?

– O, Neger sind eben keine Weißen, erklärte der Portugiese. Fehlt es ihnen auch an kluger Vorsicht, so sind sie wegen ihrer Zahl und ihrer Wildheit doch nicht minder zu fürchten.

– Reine Panther, die unsere Missionäre große Mühe haben werden, in Lämmer zu verwandeln, antwortete Max Huber.[22]

– Halten wir uns bereit!« schloß der Portugiese.

Ja, jetzt galt es, sich auf alles bereit zu machen, sich bis zum Tode zu vertheidigen. Von den wilden Völkerschaften Ubanghis darf man kein Erbarmen er warten. Wie grausam sie sind, kann man sich kaum vorstellen; selbst die wildesten Stämme Australiens, der Salomonsinseln, der Hebriden und Neuguineas würden mit ihnen schwerlich den Vergleich aushalten. Im Herzen des hiesigen Landestheiles giebt es nur Kannibalendörfer, und die Väter der Missionen, die dem schrecklichsten Tode furchtlos ins Antlitz schauen, wissen das auch sehr wohl. Man wäre wirklich versucht, diese Wesen, ein Raubzeug mit Menschenangesicht, hier im äquatorialen Afrika unter die Thiere zu rechnen, und ihnen gegenüber ist Schwäche ein Verbrechen und nur die Gewalt berechtigt. Selbst im reisen Mannesalter haben diese Schwarzen nicht einmal soviel Kenntnisse, wie bei uns ein fünf- bis sechsjähriges Kind.

Man darf auch behaupten – Beweise giebt es in Ueberfluß und die Missionäre sind oft genug Zeugen von entsetzlichen Auftritten gewesen – daß hierzulande Menschenopfer noch vielfach im Schwange sind. Man ermordet die Sklaven auf dem Grabe ihres Herrn, und ihre an einen elastischen Zweig gehängten Köpfe werden weit fortgeschleudert, sobald der Fetischdiener sie abgeschnitten hat. Im Alter von zehn bis zu sechzehn Jahren dienen Kinder als Nahrung bei größeren Festen, und manche Häuptlinge sollen sich ausschließlich von solchen nähren.

Zu ihren Kannibalengelüsten gesellt sich noch eine ungezähmte Raubgier. Diese führt sie oft auf die Straßen der Karawanen, die sie überfallen, ausplündern und vernichten. Sind sie auch weniger gut bewaffnet als die Händler und deren Begleitmannschaft, so haben sie doch den Vortheil der größeren Zahl, und einige tausend Eingeborne nehmen es allemal mit ein paar hundert Trägern auf. Die Forelopers wissen das recht gut; sie hüten sich auch sorgsamst, Negerdörfern wie Ngombe Dara, Kalaka Taimo und andern in der Umgebung des Aukadepe und des Bahar-el-Abiad zu nahe zu kommen, wo noch keine Missionäre thätig gewesen sind, wohin diese aber auch noch vordringen werden. Keine Furcht vermag deren Feuereifer zu dämpfen, wo es sich darum handelt, zarte Menschengeschöpfe vor dem Tode zu retten und jene wilden Rassen durch christliche Civilisation aus ihrer Versunkenheit emporzuheben.

Vom Anfang seines Zuges an hatte der Portugiese Urdax nicht immer Angriffen durch Eingeborne aus dem Wege gehen können, dabei war es ihm[23] jedoch stets gelungen, ohne größeren Schaden davonzukommen, und er führte sein Personal jetzt in unverminderter Zahl heim. Die Rückkehr versprach eigentlich in vollster Sicherheit zu verlaufen. Nach Umgehung dieses Waldes an der Westseite, gelangte man an das rechte Ufer des Ubanghi und längs dieses Flusses gedachte man bis zu seiner Einmündung am rechten Congouser hinzuziehen. Vom Ubanghi aus trifft man dann häufig auf reisende Händler und auf Missionäre. Hier ist auch weniger zu fürchten von einer Begegnung mit eingebornen Stämmen, die durch das Eingreifen Frankreichs, Deutschlands, Englands und Portugals immer weiter nach den Gebieten von Darfur zurückgedrängt werden.

Sollte die Karawane jetzt, wo einige Marschtage genügten, den Fluß zu erreichen, auf ihrem Wege aufgehalten werden oder einer so starken Anzahl mordgieriger Gesellen vielleicht gar zum Opfer fallen?... Das war leider zu befürchten. Jedenfalls sollte sie nicht, ohne sich vertheidigt zu haben, zu Grunde gehen, und entsprechend dem Aufruf des Portugiesen wurden alle Maßregeln zu einer kräftigen Abwehr getroffen.

Im Handumdrehen waren Urdax, der Foreloper, John Cort und Max Huber bewaffnet und hatten ein Gewehr bereit, einen Revolver im Gürtel und eine wohlgefüllte Patronentasche daran befestigt. Der Wagen enthielt überdies ein Dutzend Flinten und Pistolen, die an einige, bezüglich ihrer Treue erprobte Träger vertheilt wurden.

Gleichzeitig befahl Urdax seinen Leuten, sich immer in der Nähe der großen Tamarinden zu halten, um leicht besseren Schutz gegen Pfeile finden zu können, deren vergiftete Spitzen meist tödtliche Verletzungen erzeugen.

Jetzt wartete alles voller Spannung. Kein Geräusch unterbrach die Stille der Umgebung. Es schien nicht so, als ob die Eingebornen vom Walde her über die Ebene vorgedrungen wären. Noch sah man wie vorher den feurigen Schein und da und dort wirbelten lange Säulen gelblichen Rauches empor.

»Was dort an den ersten Baumreihen hin und her getragen wird, müssen sehr harzhaltige Fackeln sein.

– Ganz gewiß, stimmte Max Huber ein. Ich begreife nur nicht, was die Kerle dort anfangen, wenn sie wirklich einen Angriff auf uns beabsichtigen.

– Und ich begreife es ebensowenig, fügte John Cort hinzu, wenn sie diese Absicht nicht haben.«

Die Sache war in der That unerklärlich, doch worüber hätte man überhaupt erstaunen können, wenn solche verthierte Gesellen vom obern Ubanghi in[24] Betracht kamen? Eine halbe Stunde verrann ohne Veränderung der Sachlage. Das ganze Lager blieb unausgesetzt auf der Hut. Alle Blicke durchforschten die dunkle Ferne im Osten und im Westen. Während die Feuer im Süden weiter brannten, konnte sich ja ein Theil der Wilden von der Seite heranschleichen und die Karawane unter dem Schutze der Finsterniß überfallen.

Nach jenen beiden Seiten blieb die Ebene jedoch völlig verlassen. So dunkel die Nacht auch war, hätten hier doch keine Feinde den Portugiesen und seine Begleiter überraschen können, ohne daß diese von ihren Waffen Gebrauch gemacht hätten.


 »Nun aber schnell hinweg, schnell... was uns die Füße tragen!« (S. 31.)
»Nun aber schnell hinweg, schnell... was uns die Füße tragen!« (S. 31.)

[25] Kurz nachher, gegen elf Uhr, rief Max Huber, der von der aus Urdax, Khamis und John Cort bestehenden Gruppe einige Schritte vorwärtsgegangen war:

»Wir werden selbst nachsehen müssen, mit wem wir es hier zu thun haben!

– Könnte das etwas nützen, warf John Cort dagegen ein, und empfiehlt es sich nicht weit mehr, bis zum Tagesanbruch auf der Wacht zu bleiben?

– Warten... noch warten, entgegnete Max Huber, wo unser Schlaf so abscheulich unterbrochen worden ist, noch sechs Stunden, die Hand am Gewehrabzuge, warten! Nein, da ist es doch besser, zu sehen, woran man ist. Hegten die Eingebornen übrigens keine schlechten Absichten gegen uns, so wäre ich gern bereit, mich wieder bis zum Morgen in mein Wurzelbettgestell niederzulegen, wo ich schon so angenehm träumte.

– Was meinen Sie dazu? fragte John Cort den Portugiesen, der sich bisher ganz still verhalten hatte.

– Vielleicht verdient der Vorschlag Beachtung, antwortete dieser; er muß nur mit der größten Vorsicht ausgeführt werden.

– Ich erbiete mich zu dem Versuche, rief Max Huber eifrig, und verlassen Sie sich darauf...

– Und ich werde Sie begleiten, meldete sich der Foreloper, wenn Herr Urdax dem zustimmt.

– Es würde jedenfalls besser sein, meinte der Portugiese.

– Und ich kann mich auch noch anschließen, erklärte John Cort.

– Nein, bleib' Du zurück, lieber Freund, bat Max Huber. Zu Zweien sind wir genug. Uebrigens werden wir nicht weiter als nöthig hinausgehen. Erspähen wir einen Trupp, der sich von dieser Seite nähert, so kommen wir schleunigst zurück.

– Ueberzeugt Euch auch, daß Eure Feuerwaffen gut in stand sind, mahnte noch John Cort.

– Das ist schon geschehen, erwiderte Khamis, ich hoffe jedoch, daß sie auf unserem Streifzuge nicht in Thätigkeit kommen. Das Wichtigste für uns ist doch, selbst unentdeckt zu bleiben.

– Das meine ich auch«, erklärte der Portugiese.

Neben einander hingehend, hatten Max Huber und der Foreloper den Tamarinden-Hügel bald hinter sich gelassen. Weiterhin war die Ebene weniger dunkel, obwohl man auf hundert Schritte hin einen Mann noch kaum hätte wahrnehmen können.[26]

Beide hatten kaum fünfzig Schritte gemacht, als sie Llanga hinter sich bemerkten. Ohne ein Wort zu sagen, war der Knabe ihnen vom Lager aus gefolgt..

»Warum bist Du denn gekommen, Kleiner? sagte Khamis.

– Jawohl, Llanga, fuhr Max Huber fort, warum bist Du denn nicht bei den anderen geblieben?

– Vorwärts... trolle Dich zurück, befahl der Foreloper.

– O, Herr Max, murmelte Llanga, ich bei Ihnen... ich bei Ihnen sein...

– Du weißt aber doch, daß Dein Freund John Cort dort hinter uns ist.

– Ja, dafür mein Freund Max... hier sein!

– Wir brauchen Dich aber nicht! sagte Khamis schon mit weniger strengem Tonfall.

– Lassen wir ihn hier, da er einmal da ist, meinte Max Huber. Er wird uns nicht im Wege sein, Khamis, und vielleicht entdeckt er mit seinen Katzenaugen sogar, was wir noch nicht erkennen können.

– Ja, ja, ich werde ausschauen... weit hinaus! versicherte das Kind.

– Nun gut; so halte Dich neben mir, sagte Max Huber, und halte hübsch die Augen offen!«

Alle drei gingen weiter. Nach einer Viertelstunde befanden sie sich in der Mitte zwischen dem Lager und dem großen Walde.

Die Flammen verbreiteten noch immer ihren Schein am Fuße der Bäume, leuchteten aber, aus größerer Nähe gesehen, um so heller. So scharf aber auch der Gesichtssinn des Foreloper und so gut das Fernrohr Max Huber's war, das dieser eben aus dem Etui gezogen hatte, so durchdringend die Blicke der jungen »Wildkatze« ohne Zweifel waren: es erwies sich doch noch immer unmöglich, jemand, der die Fackeln trüge, gewahr zu werden.

Das bestätigte die Ansicht des Portugiesen, wonach diese Feuerpunkte sich zum Theil verdeckt durch die Baumstämme und hinter dichtem Strauchwerk bewegten. Offenbar hatten die Eingebornen die Grenze des Waldes nicht überschritten und dachten vielleicht gar nicht daran, es zu thun.

Wahrlich, die Geschichte wurde immer unerklärlicher. Befand sich hier nur ein Ruheplatz von Schwarzen und beabsichtigten diese, am nächsten Morgen weiter zu ziehen, wozu dann die seltsame Beleuchtung des Waldsaumes? Hielt vielleicht eine nächtliche Feier die Leute um diese Stunde noch wach?[27]

»Ich frage mich sogar, äußerte Max Huber, ob sie von unserer Karawane überhaupt etwas bemerkt haben und ob es ihnen bekannt ist, daß diese am Fuße der Tamarinden lagert.

– Ja freilich, antwortete Khamis, es ist ja möglich, daß sie selbst erst hierher gekommen wären, als die Nacht schon auf der Ebene lag, und da unsere Feuer zeitig ausgelöscht wurden, wissen sie vielleicht gar nicht, daß wir uns in so geringer Entfernung von ihnen befinden. Morgen mit Tagesgrauen wird sich's ja zeigen...

– Wenn wir bis dahin nicht selbst schon abgezogen sind, Khamis.«

Max Huber und der Foreloper setzten schweigend ihren Weg fort.

In dieser Weise wurde noch ein halber Kilometer zurückgelegt, wonach die Strecke bis zum Walde nur noch einige hundert Schritte lang war.

Bisher war auf dem Wege, der zuweilen vom Fackelschein etwas mehr beleuchtet wurde, nichts verdächtiges beobachtet worden. Weder im Süden, noch im Osten oder Westen waren die Umrisse einer Menschengestalt zu entdecken gewesen. Ein Angriff schien wenigstens nicht unmittelbar zu drohen. So nahe sie jetzt auch dem Waldessaume waren, konnte weder Max Huber, noch Khamis oder Llanga etwas von den Wesen wahrnehmen, die ihre Gegenwart durch die zahlreichen Feuerbrände verriethen.

»Wollen wir noch näher hinangehen? fragte Max Huber, nachdem alle einige Augenblicke Halt gemacht hatten.

– Wozu könnte es nützen? antwortete Khamis. Es könnte sogar unklug sein. Nach allem erscheint es nicht ausgeschlossen, daß unsere Karawane unbemerkt geblieben ist, und wenn wir noch im Laufe der Nacht aufbrechen...

– Ich möchte aber gar zu gern Gewißheit haben! erwiderte Max Huber. Die Geschichte sieht gar so seltsam aus.«

Es gehörte kaum so viel dazu, die lebhafte Einbildungskraft des Franzosen anzustacheln.

»Kommt, wir wollen nach dem Hügel zurückkehren,« mahnte der Foreloper.

Dennoch mußte er mit Max Huber, den Llanga einmal nicht verlassen wollte, noch ein Stück weiter mitgehen. Alle drei wären auch beinahe bis zum Saume des Waldes selbst vorgedrungen, da rief Khamis aber halblaut:

»Keinen Schritt weiter!«

Wichen der Foreloper und sein Begleiter jetzt vor einer unmittelbar drohenden Gefahr zurück?... Hatten sie eine Gruppe Eingeborner gesehen?...[28]

Stand ihnen ein Angriff durch diese bevor?... Das wäre nicht sofort zu entscheiden gewesen, jedenfalls aber hatte sich in der Vertheilung der Flammen am Waldrande eine auffallende Veränderung vollzogen.

Einen Augenblick verschwanden die Fackeln gänzlich hinter den ersten Baumreihen, die nun in tiefer Dunkelheit lagen.

»Achtung! flüsterte Max Huber.

– Zurück!« setzte Khamis hinzu.

Vielleicht erschien es geboten, angesichts eines gefährlichen Ueberfalles zurückzuweichen, doch durfte das nicht geschehen, ohne jeden Augenblick schußfertig zu sein. Die Gewehre wurden also bereit gehalten, während die »Patrouille« sich noch immer bemühte, zu erkennen, was hinter den ersten Bäumen vorginge.

Plötzlich tauchte aber der Lichtschein von etwa zwanzig Fackeln aufs neue auf.

»Alle Wetter, rief Max Huber, jetzt geht nicht nur etwas außerordentlich, sondern etwas unbegreiflich Fremdartiges vor sich!«

Dieser Ausruf war dadurch begründet, daß die Fackeln, die bisher nahe über dem Erdboden aufgeleuchtet hatten, plötzlich fünfzig bis hundert Fuß über diesem aufblitzten.

Von den Wesen aber, die die Fackeln theils in den unteren Aesten, theils nahe der Krone der Bäume schwangen, als ob ein Flammenstrom sich durch das dichte Laubwerk ergösse, konnte weder Max Huber, noch der Foreloper oder Llanga auch nur ein einziges erspähen.

»O, rief Max Huber, sollten das nur Irrlichter sein, die auf den Bäumen umherhüpfen?«

Khamis schüttelte den Kopf; diese Erklärung der Erscheinung genügte ihm nicht. Eine Ausströmung von Wasserstoffgas, das sich entzündet hätte, oder ein Viertelhundert jener Strahlenbündel, die bei schweren Gewittern ebenso an den Aesten von Bäumen wie am Takelwerk von Schiffen auftreten, konnte das unmöglich sein, mit dem merkwürdigen Sanct Elmsfeuer waren diese leuchtenden Kreise nicht zu verwechseln. Mit Elektricität war die Luft offenbar nicht geschwängert, die Wolken drohten sich vielmehr in einem der furchtbaren Platzregen aufzulösen, die den mittleren Theil des Schwarzen Erdtheils so häufig überschwemmen.

Immerhin blieb es unerklärlich, warum die erst am Fuße der Bäume umherschwärmenden Eingebornen jetzt theils nach der ersten Astgabelung, theils[29] nach den höchsten Zweigen der Bäume hinaufgeklettert wären, und ebenso, warum sie die flackernden, harzigen Fackeln, deren Prasseln und Knacken ziemlich weit hörbar war, so unablässig hin- und herbewegen möchten.

»Vorwärts... weiter! drängte Max Huber.

– Das ist unnöthig, entgegnete der Foreloper. Ich glaube nicht mehr, daß unserem Lager diese Nacht eine Gefahr droht, und dann ist es besser, wir beeilen uns, die anderen darüber zu beruhigen.

– Dazu werden wir desto besser im stande sein, Khamis, wenn wir erst wissen, woran wir uns bezüglich dieser Erscheinung zu halten haben.

– Nein, nein, Herr Huber, weiter vor wagen wir uns nicht. Gewiß ist, daß sich hier ein Stamm von Eingebornen aufhält. Sie könnten ja die Feuerbrände schwingen und sich auf die Bäume geflüchtet haben, um sich vor gefährlichen Raubthieren zu schützen.

– Vor Raubthieren? wiederholte Max Huber. Panther, Hyänen und wilde Ochsen würde man aber heulen oder brüllen hören, hier ist dagegen das einzige Geräusch, das wir vernehmen, das Knistern der Flammen, die den ganzen Wald in Brand zu setzen drohen. Nein, ich muß alles wissen!«

Max Huber that einige Schritte vorwärts, und Llanga, den Khamis vergeblich zu sich zurückrief, folgte ihm treulich nach.

Der Foreloper überlegte noch, was er in seiner Ohnmacht gegenüber der Ungeduld des Franzosen beginnen sollte. Da er ihn aber nicht allein der Gefahr trotzen lassen wollte, entschloß er sich, ihm bis zum Waldrande nachzugehen, obgleich das seiner Ansicht nach auf eine unverzeihliche Tollkühnheit hinauskam.

Plötzlich blieb er stehen, im nämlichen Augenblicke, wo auch Max Huber und Llanga Halt machten. Alle drei drehten sich schnell um... Der Lichtschein war es nicht mehr, der ihre Aufmerksamkeit erregte. Wie durch den Athem eines losbrechenden Sturmes waren alle Fackeln verlöscht und tiefe Finsterniß herrschte am Himmel und auf der Erde.

Von der entgegengesetzten Seite her drang ein Geräusch zu ihnen her, eine Art langgezogenen Rauschens, ein Dröhnen und Schnarren, als ob die Tonwellen einer Riesenorgel über die Ebene herflutheten.

War es ein Unwetter, das von jener Seite des Himmels aufzog und dessen erstes Donnergrollen die Atmosphäre erschütterte?

Nein, wenigstens zeigte sich keines der Meteore, die Centralafrika so häufig von einer Küste bis zur anderen verwüsten. Jenes charakteristische Geräusch rührte[30] offenbar von Thieren her, nicht aber von Blitzen, die sich am Himmel zwischen den Wolkenmassen entluden. Auch in den niedrigen Schichten zeigte sich keiner der blendenden Zickzackstreifen, die einander sonst in kurzen Zwischenräumen folgen. Kein Blitz leuchtete am Horizonte im Norden auf, dieser erschien vielmehr ebenso dunkel wie der im Süden. Die Cirruswolken, die wie abgegrenzte Dampfmengen aneinander geschichtet lagen, durchzuckte kein einziger Feuerstrahl.

»Was mag das bedeuten, Khamis? fragte Max Huber.

– Zurück nach dem Lager... lautete nur die Antwort des Foreloper.

– Sollten es vielleicht gar...?« rief noch Max Huber.

Gespannt in der betreffenden Richtung hin lauschend, vernahm er jetzt deutlicher eine Art Trompeten, das zuweilen schrill wie die Pfeife einer Locomotive ertönte und in dem wüsten Lärmen mit dessen Annäherung unheimlich zunahm.

»Nun aber schnell hinweg, rief der Foreloper, schnell... was uns die Füße tragen!«

Quelle:
Jules Verne: Das Dorf in den Lüften. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXIX, Wien, Pest, Leipzig 1902, S. 20-31.
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