Dreizehntes Capitel.

[162] Die Bewohner Siebenbürgens und die Reisenden, die den Vulkanrücken hinauf- oder hinuntergingen, kannten das Karpathenschloß nur nach seiner äußeren Erscheinung. Bei der respectvollen Entfernung, in der das Gefühl der Furcht auch die muthigsten Männer im Dorfe zurückhielt, erscheint es ja nur als der ungeheure Steinhaufen einer in Ruinen liegenden Burg.

Innerhalb der Umfassungsmauer war die Burg indeß keineswegs so zerfallen, wie man hätte voraussetzen können; durch das feste Mauerwerk geschützt, hätten die unversehrt gebliebenen Gebäude des alten Rittersitzes noch einer ganzen Besatzung Unterkommen gewähren können.

Große gewölbte Gallerien, tiefe Höhlen, verzweigte Gänge, Höfe, deren Steinbelag allerdings unter wucherndem Grase und Unkraut verschwand, unterirdische Festungsräume, in die niemals ein Strahl des Tageslichts eindrang, geheime Treppen, die im dicken Mauerwerk selbst ausgespart waren, Kasematten mit schwacher Beleuchtung durch die Schießscharten der Zwischenmauer, in der Mitte ein dreistöckiger Wartthurm mit noch recht gut bewohnbaren Zimmern und einer Plattform mit Zinnenrand darüber, zwischen den verschiedenen Baulichkeiten endlose, in allen Richtungen verlaufende Gänge, wie Stollen eines Bergbaues, die hier nach den Bastionen hinauf und dort wieder bis tief in den Unterbau hinabführten, hier und da auch eine Cisterne, worin sich das Regenwasser sammelte, dessen Ueberschuß nach dem Nyad abfloß, endlich lange Tunnel, die nicht, wie man hätte glauben können, von Geröll verstopft, sondern noch bis zur Bergstraße des Vulkan hinabführten, das war das Karpathenschloß, dessen Plan und Anlage sich fast nicht minder verwickelt erwiesen, als die Labyrinthe des Porsenna oder jene auf Lemnos und auf Kreta.

Wie bei Theseus, als er die Tochter des Minos gewinnen wollte, so war es auch ein mächtiges, unwiderstehliches Gefühl, das den jungen Grafen durch die unzähligen Irrgänge der Burg trieb. Würde er auch den Ariadnefaden finden, der dem griechischen Helden den Rückweg angab?

Franz hatte nur den einen Gedanken gehabt, durch die Umfassungsmauer zu dringen, und das war ihm ja gelungen. Vielleicht hätte ihm hierbei auffallen[162] sollen, daß die – soweit bekannt stets aufgezogene – Brücke scheinbar ganz allein dazu herabzugleiten schien, ihm den Eintritt zu ermöglichen!... Ebenso hätte es ihn wohl beunruhigen müssen, das Thor sich hinter ihm urplötzlich schließen zu sehen... doch an dergleichen dachte er gar nicht. Er befand sich endlich in dem Schlosse, wo Rudolph von Gortz la Stilla zurückhielt, und er war sein Leben zu opfern bereit, wenn er nur bis zu dieser vordringen konnte.

Die breite, hohe und flachgewölbte Gallerie, in der Franz jetzt hinging, lag im allertiefsten Dunkel, und theilweise verschobene oder gesprungene Steinplatten des Bodens machten das Vorwärtskommen darauf sehr unsicher.

Franz näherte sich der linken Wand und folgte dieser, indem er, mit der linken Hand daran hinstreifend, den ausgeschwitzten Salpeter derselben abblätterte. Nicht das geringste Geräusch war hörbar außer dem seiner eignen Schritte, die weithin widerhallten. Ein warmer Luftstrom, dem sich widerlicher Modergeruch beimischte, traf ihn von rückwärts her, als ob am anderen Ende der Gallerie die Luft daraus kräftig abgesaugt würde.

Nachdem er an einem, einen nach links abweichenden Winkel verstärkenden Strebepfeiler vorübergekommen, schrumpfte die Gallerie mehr zu einem engen Gang zusammen. Mit ausgestreckten Armen konnte er auf beiden Seiten die Wand erreichen.

So drang er mit vorgebeugtem Körper und mit Hand und Fuß den Weg untersuchend weiter vor und suchte sich vor allem Rechenschaft zu geben, ob der Gang sich in gerader Richtung verlängerte.

Etwa zweihundert Schritte von jenem Eckpfeiler erkannte Franz, daß diese Richtung mehr nach links hin abwich und noch fünfzig Schritt weiter fast die entgegengesetzte wurde. Freilich konnte er sich aber nicht darüber klar werden, ob der Gang nach der Zwischenmauer der Burg oder nach dem Fuße des Wartthurms hin verlief.

Franz versuchte seinen Schritt zu beschleunigen, jeden Augenblick aber sah er sich durch eine Unebenheit des Erdbodens, gegen die er anstieß, oder durch eine scharfe Biegung, die seine Richtung änderte, aufgehalten. Dann und wann entdeckte er auch eine die Wand durchbrechende Oeffnung, die nach Seitengängen hinführte. Das Ganze war und blieb aber dunkel, unübersichtlich, und vergeblich suchte er sich in diesem Labyrinthe, einem wahren Maulwurfsbau, zu orientiren.

Mehrmals mußte Franz, weil er sich in eine Art Sackgasse verirrt hatte, überhaupt wieder umkehren, und vorzüglich hatte er zu fürchten, daß vielleicht[163] eine nicht fest schließende Fallthür unter seinen Füßen nachgeben könnte und daß er in ein tiefes Verließ hinabstürzte, aus dem es für ihn kein Entweichen mehr gegeben hätte. Sobald er daher unter sich hohl klingende Planken fühlte, drängte er sich stets dicht an der Mauer hin, doch immer vorwärts mit einem Feuereifer, der ihm zum weiteren Ueberlegen gar keine Muße ließ.

Da Franz auf dem ganzen Wege noch nie auf- oder abwärts gegangen war, befand er sich voraussichtlich in gleicher Bodenhöhe mit den verschiedenen innern Höfen, die zwischen den Einzelwerken der Umwallung ausgespart lagen, und er durfte annehmen, daß der Gang schließlich im Wartthurm, vielleicht an dessen Treppe ausmünden werde.

Unzweifelhaft mußte zwischen dem Thore und den Gebäuden der Burg ein näherer Weg vorhanden sein.

Zur Zeit wo die Familie von Gortz hier wohnte, lag doch keine Nothwendigkeit vor, beim Aus- oder Eingehen einen solchen gedeckten Gang zu benutzen. Eine zweite Thür, dem Ausfallsthor gegenüber, führte wirklich nach dem Waffen- oder Turnierplatze, in dessen Mitte sich der Wartthurm erhob. Diese Thür war aber schon längst vermauert gewesen, so daß Franz nicht einmal die Stelle derselben entdecken konnte.

Bereits eine Stunde war verflossen, seit der junge Graf auf gut Glück durch jene Irrwege vordrang, wobei er stets auf ein etwaiges entferntes Geräusch lauschte, den Namen la Stilla's aber nicht zu rufen wagte, da er befürchtete, daß die hier eingeengten Schallwellen diesen bis nach den Stockwerken des Wartthurmes tragen könnten. Ohne jedoch den Muth zu verlieren, wollte er weiter vordringen, so lange ihm die Kraft nicht versagte, oder nicht ein unüberwindliches Hinderniß seinen Schritten Halt gebot.

Wenn er es auch anfänglich nicht bemerkte, stand Franz doch nahe am Ende seiner Kräfte. Seit seinem Weggange aus Werst hatte er ja nichts zu sich genommen und litt jetzt Hunger und Durst. Seine Schritte wurden unsicher und seine Kniee schwankten. In der feuchtwarmen Kellerluft keuchte er nur noch, statt zu athmen, und das Herz pochte ihm zum Zerspringen.

Es mochte gegen neun Uhr sein, als Franz, den einen Fuß vorsetzend, keinen Boden mehr unter sich fühlte.

Er bückte sich und fand mit der Hand eine nach unten führende Stufe und nach dieser eine zweite.

Hier war also eine Treppe.[164]

Führte diese nun unter die Grundmauern des Schlosses und hatte sie vielleicht keinen Ausweg?

Franz zögerte doch nicht, darauf hinunterzusteigen, und zählte die Stufen, die gegen die Richtung des Ganges mehr seitwärts hinführten.

So überschritt er siebenundsiebzig Stufen und erreichte dann wieder einen wagrechten Gang, der sich in vielfachen dunklen Umwegen verlor.

Noch eine halbe Stunde wanderte Franz dahin, bis er von Ermüdung überwältigt stehen blieb, gerade als zwei- bis dreihundert Fuß weiterhin ein schwacher Lichtschein sichtbar wurde.

Doch woher kam dieser Schein? War es nur ein natürliches Phänomen, das Gas eines Irrlichts, das sich in dieser Tiefe entzündet hatte? Oder nicht vielmehr eine Laterne, die einer der Burgbewohner trug?

»Sollte sie es sein?...« murmelte Franz.

Er erinnerte sich jetzt, daß schon ein Lichtschein aufgeblitzt war, um ihm den Eingang ins Schloß zu zeigen, als er zwischen den Felsmassen des Orgallplateaus umherirrte. Und wenn's la Stilla gewesen war, die ihm jenes Licht von den Fenstern des Wartthurms aus gezeigt hatte, konnte es nicht wiederum sie sein, die ihn jetzt durch die Windungen und Biegungen des Schloßgrundes zu leiten suchte?

Kaum seiner Sinne Meister, bückte sich Franz nieder und starrte nach der hellen Stelle, ohne jedoch sonst eine Bewegung zu machen.

Mehr eine Art verbreiteter Schein als ein einzelner Lichtpunkt schien dort ein unterirdisches Gewölbe matt zu erhellen.

Schnell entschloß sich Franz weiter zu schleichen, denn seine Füße vermochten ihn kaum noch zu tragen, und nachdem er durch eine enge Oeffnung gekommen, fiel er an der Schwelle des engen Gelasses nieder.

Dieser verhältnißmäßig gut erhaltene Raum von zwölf Fuß Höhe bildete einen Kreis von ziemlich gleichem Durchmesser. Seine Gewölberippen, die an Capitälen von acht Säulen aufgelegt waren, strahlten nach einem in der Mitte herabhängenden Schlußstein zusammen, und an diesem hing wieder eine Glaslampe, die einen grünlichen Schein ausstrahlte.

Gegenüber der Thür und zwischen den Pfeilern ausgebrochen, befand sich noch eine zweite Thür, die aber geschlossen war und an der die verrosteten Köpfe großer Nägel die Stelle bezeichneten, wo an deren anderen Seite das Schloß befestigt war.[165]

Franz erhob sich, schleppte sich nach jener anderen Thür und versuchte, deren schwere Flügel zu erschüttern.

Sein Bemühen erwies sich fruchtlos.

Einige von der Zeit benagte Möbelstücke standen in der Höhle; hier ein Bett oder vielmehr eine Lagerstätte aus Eichenkernholz, auf der sich einige Decken und Kissen befanden; dort ein Schemel mit gedrehten Füßen und ein mit Bandeisen an der Wand befestigter Tisch. Auf dem Tisch wieder standen verschiedene Geräthe; ein Krug mit Wasser, ein Teller mit einem tüchtigen Stück kaltem Fleisch und ein großer Laib Brod, das schon mehr dem gewöhnlichen Schiffszwieback ähnelte.

Alle diese Vorbereitungen deuteten wieder darauf hin, daß ein Bewohner dieser Höhle oder eigentlich ein Gefangener in diesem Kerker erwartet worden war. War nun Franz von Telek dieser Gefangene, der sich durch List hatte hierher verlocken lassen?

Im Wirrwarr seiner Gedanken dachte Franz hieran mit keiner Silbe. Von Hunger und Müdigkeit erschöpft, verzehrte er die auf dem Tische vorhandenen Nahrungsmittel und löschte den brennenden Durst aus dem Wasserkruge; dann sank er auf das grobe Bett nieder, wo ihn einige Minuten der Rast doch wenigstens etwas kräftigen mußten.

Als er aber seine Gedanken zu sammeln versuchte, zerrannen ihm diese wie Wasser, das er in der Hand gehalten hätte.

Sollte er nun den Tag abwarten, um seine Nachsuchungen wieder aufzunehmen? War seine Willenskraft jetzt nicht so sehr herabgesetzt, daß er die Herrschaft über jede Handlung ganz verlor?

»Nein! sprach er für sich, ich warte nicht!... Nach dem Thurme... noch diese Nacht muß ich nach dem Wartthurm gelangen!«

Plötzlich erlosch da das künstliche Licht, das die am Deckenschlußsteine hängende Lampe bisher verbreitet hatte, und die Höhle lag in tiefster Finsterniß.

Franz wollte sich erheben... Es gelang ihm nicht, und sein Denkvermögen schlummerte ein oder, richtiger, es stand plötzlich still, wie der Weiser einer Uhr, deren Feder gesprungen ist. Das war ein seltsamer Schlaf, mehr eine erdrückende Erstarrung, eine völlige Vernichtung des Seins, die eine innere Beruhigung nicht aufkommen lassen konnte.

Wie lange dieser Schlaf gedauert habe, konnte Franz, als er daraus erwachte, nicht abschätzen. Seine inzwischen stehen gebliebene Uhr zeigte ihm[166] nicht mehr die Stunde. Die Höhle war aber jetzt wieder mit mattem Lichte erfüllt.

Franz verließ das Lager und that einige Schritte nach der ersten Thür; diese stand noch immer offen; – dann nach der zweiten, diese war geschlossen wie vorher.

Er wollte jetzt nachdenken, doch das gelang ihm nur mit Mühe.

War sein Körper vom Vortage her noch von der Anstrengung erschöpft, so fühlte er heute eine merkwürdige Leere, einen belästigenden Druck im Kopfe.

»Wie lange mag ich geschlafen haben? fragte sich Franz. – Ist es jetzt Tag oder Nacht?«

Im Innern der Höhle war nichts verändert, außer daß das Licht wieder brannte und eine unsichtbare Hand die Speisen erneuert und den Krug wieder mit klarem Wasser gefüllt hatte.

Demnach mußte also doch Jemand hier gewesen sein, während Franz in wahrhaftem Todtenschlummer lag! Es mußte Andern bekannt sein, daß er sich hier in der Tiefe unter der Burg befand! Er war in der Gewalt des Barons Rudolph von Gortz... und vielleicht gar verdammt, nie wieder mit Seinesgleichen in Berührung zu kommen?

Das schien doch kaum glaublich, und übrigens würde er fliehen, da er das noch konnte, würde er auch den Rückweg nach dem Ausfallsthore wieder finden und das Schloß verlassen...


Franz lauschte mit angehaltenem Athem. (S. 168.)
Franz lauschte mit angehaltenem Athem. (S. 168.)

Verlassen?... da erinnerte er sich, daß sich das Thor ja hinter ihm geschlossen hatte...

Nun, dann wollte er die Umfassungsmauer zu erreichen suchen, sich durch eine der engen Schießscharten zwängen, versuchen, an der Außenseite hinabzugleiten... um jeden Preis aber müsse er vor Ablauf einer Stunde aus dem Schlosse entwichen sein...

Doch la Stilla... Sollte er denn darauf verzichten, bis zu ihr vorzudringen? Sollte er fortgehen, ohne sie Rudolph von Gortz entrissen zu haben?

Nein! Und wenn er dieses Ziel jetzt nicht erreichte, dann wollte er, mit der Hilfsmannschaft, die Rotzko von Karlsburg rufen sollte, seine Absicht doch erzwingen... Dann sollte die Burg erstürmt und vom Grund bis zum Dachfirst durchsucht werden!

Nach dieser Erwägung handelte es sich nur um schleunigste Durchführung seines Entschlusses.[167]

Franz erhob sich, eilte nach dem Gange zu, durch den er hierher gekommen war... doch horch! da wurde hinter der zweiten Thür der Höhle ein leises Geräusch hörbar.

Das waren unzweifelhaft Schritte, die näher herankamen.

Franz preßte das Ohr an die Thürfüllung und lauschte mit angehaltenem Athem.

Die Schritte wiederholten sich in regelmäßigen Zwischenräumen, als ob Jemand langsam eine Treppe herunterkäme. Gewiß befanden sich jenseits der Thür wieder Stufen, über die man aus dieser Höhle nach dem inneren Schloßhofe gelangte.

Um gegen jede Ueberraschung gesichert zu sein, zog Franz das Messer aus der Scheide, die an seinem Gürtel hing, und packte es fest mit der Hand.


An den glatten Wänden emporzuklettern, erschien völlig unausführbar. (S. 173.)
An den glatten Wänden emporzuklettern, erschien völlig unausführbar. (S. 173.)

Wenn es einer der Diener des Barons von Gortz war, der bei ihm einträte, so wollte er sich über diesen werfen, ihm die Schlüssel entreißen und jede Verfolgung unmöglich machen; dann gedachte er unter Benutzung dieses freien Ausgangs nach dem Wartthurm vorzudringen.[168]

War es aber der Baron von Gortz selbst – und ihn erkannte er sicherlich wieder, nachdem er den Mann in dem Augenblicke gesehen, wo la Stilla auf der Bühne des San Carlo-Theaters niedersank – so wollte er ihn ohne Mitleid niederstoßen.

Inzwischen waren die Schritte bis zu dem Absatze, der die äußere Schwelle bilden mochte, herangekommen.

Ohne sich zu rühren, wartete Franz, daß die Thür aufgehen sollte...

Sie öffnete sich aber nicht, dagegen drang eine unendlich sanfte Stimme an das Ohr des jungen Grafen.

Das war die Stimme la Stilla's... ja... nur ein wenig schwächer, doch mit all' dem Liebreiz, der Biegsamkeit, den einschmeichelnden Modulationen der höchsten Kunst des Gesanges, die mit der Künstlerin gestorben zu sein schien.

La Stilla wiederholte das Klagelied, das Franz schon einmal in Schlaf gewiegt hatte, als er im Gastzimmer des »König Mathias« in Werst saß.


Nel giardino de' mille fiori,

Andiamo mio cuore


Diese Töne drangen Franz bis in die tiefste Seele... Er saugte sie ein, er trank sie wie einen Göttertrank, während la Stilla ihn zu rufen schien, ihr zu folgen, denn sie wiederholte:

Und doch ging die Thür nicht auf, um ihn herauszulassen!... Sollte er also trotzdem nicht zu la Stilla kommen, sie in seine Arme schließen und aus der Burg entführen können?...

»Stilla... meine geliebte Stilla!...« rief er schmerzbewegt.

Er warf sich gegen die Thür – sie widerstand seinen Anstrengungen.

Bereits schien der Gesang leiser zu werden... die Stimme zu erlöschen... die Schritte sich zu entfernen...

Niederknieend suchte Franz die Flügel aus den Haspen zu heben; er zerriß sich die Hand an dem Eisenbeschlag und rief unausgesetzt nach la Stilla, deren Stimme kaum noch hörbar war.

Da durchzuckte ihn gleich einem Blitze ein entsetzlicher Gedanke.

»Wahnsinnig!... schrie er, sie ist wahnsinnig, da sie mich nicht wiedererkannt... mir nicht geantwortet hat! Seit fünf langen Jahren hier eingeschlossen... in der Gewalt dieses Mannes... meine arme Stilla... sie hat den Verstand verloren...


Andiamo, mio cuore... andiamo
[170]

Dann sprang er wieder auf; ihm flirrte es vor den Augen und er warf sich hin und her.

»Auch ich... ich fühl' es, daß ich den Verstand verliere!... wiederholte er. Ich fühl' es, daß ich wahnsinnig werde... wahnsinnig wie sie...«

Wie ein Raubthier in seinem Käfig irrte er in der Höhle hin und her...

»Nein! rief er dann, nein!... Ich darf den Kopf nicht verlieren. Ich muß fort aus dieser Burg... Ich werde hinauskommen!«

Jetzt stürmte er auf die erste Thür zu.

Sie hatte sich geräuschlos geschlossen.

Franz hatte es nicht bemerkt, als er der Stimme seiner Stilla lauschte...

Nachdem er erst nur innerhalb der Burgmauern gefangen war, sah er sich jetzt als Gefangener in der engen Höhle.

Quelle:
Jules Verne: Das Karpathenschloß. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXI, Wien, Pest, Leipzig 1894, S. 162-171.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Das Karpathenschloß
Das Karpathenschloss
Das Karpathenschloss
Das Karpathenschloss

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Hannibal

Hannibal

Grabbe zeigt Hannibal nicht als großen Helden, der im sinnhaften Verlauf der Geschichte eine höhere Bestimmung erfüllt, sondern als einfachen Menschen, der Gegenstand der Geschehnisse ist und ihnen schließlich zum Opfer fällt. »Der Dichter ist vorzugsweise verpflichtet, den wahren Geist der Geschichte zu enträtseln. Solange er diesen nicht verletzt, kommt es bei ihm auf eine wörtliche historische Treue nicht an.« C.D.G.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon