Neunzehntes Capitel.
Die zweite Fahrt der »Licorne«. – Aufenthalt am Cap. – Neue Passagiere und Officiere. – Der zweite Officier Borupt. – Widrige Seefahrt. – Meuterei an Bord. – Acht Tage im Frachtraume. – Mitten im Meere verlassen.

[283] Wäre die »Licorne« nicht ein Kriegsschiff, sondern ein Handelsfahrzeug gewesen, das nach der Neuen Schweiz segelte, so hätte sie wohl eine ansehnliche Zahl von Auswanderern aufgenommen. Die Insel, die jetzt das lebhafteste Interesse der Allgemeinheit erregt hatte konnte gewiß nicht lange auf Ansiedler zu warten haben. Höchstwahrscheinlich stammten diese dann meist aus Irland, dessen Bewohner so vielfach von der Noth gezwungen werden, sich außerhalb ihres Vaterlandes eine Existenz zu suchen. Kräftigen und thatenlustigen Leuten konnte es da unten aber niemals an einträglicher Arbeit fehlen.

An Bord der »Licorne« hatten Fritz und Jenny eine hübsche Cabine erhalten, und Franz eine daneben. Ihre Mahlzeiten sollten alle drei an der Tafel des Kapitäns einnehmen.

Die Seefahrt verlief zunächst ohne besondere Zwischenfälle, höchstens wechselte, wie gewöhnlich, der Zustand des Meeres, der Wind schlug wiederholt in eine weniger günstige Richtung um oder es trat gar völlige Windstille ein, die in der Tropenzone öfters kaum enden zu wollen scheint, oder es herrschte endlich vorübergehend stürmisches Wetter, das die gut geführte Corvette indeß ohne Schaden zu nehmen überstand. Auf dem südlichen Atlantischen Meere begegnete man dann und wann Schiffen, die dann Nachrichten von der »Licorne« nach Europa brachten. In dieser Zeit tiefsten Friedens nach so langen und furchtbaren Kriegen waren alle Meere besonders sicher und den Schiffen drohte in dieser Beziehung keinerlei Gefahr.

Fritz und Franz lernten jetzt auch den Schiffskaplan näher kennen, der selbst wieder in Indien den Oberst Montrose gekannt hatte. Mit welch besserem Vertrauten hätte Jenny von ihrem Vater sprechen können, als mit dem Manne, der ein näherer Freund das Obersten gewesen war. Von ihm vernahm sie, was dieser seit seiner Rückkehr nach England gelitten hatte und wie unruhig er zuerst in Erwartung der Ankunft des »Dorcas« gewesen, der einige Tage vor dem[283] Schiffe, das ihn selbst nach Europa zurücktrug, abgesegelt war. Welche Qualen, welche Verzweiflung mochte er dann empfunden haben, als es bekannt wurde, daß der »Dorcas« mit Mann und Maus verloren gegangen war! Später war der Oberst mit gebrochenem Herzen nach jenem Feldzuge abgereist, von dem er nicht zurückkehren sollte.

War die »Licorne« bei ihrer Fahrt durch den Atlantischen Ocean so ziemlich begünstigt gewesen, so traf sie dagegen nahe dem südlichen Afrika auf recht schlechtes Wetter. In einer Nacht Mitte August brach ein schwerer Sturm von Osten her los, der sie weit aufs Meer hinaus verschlug. Da dieser an Heftigkeit mehr und mehr zunahm, mußte man, angesichts der Unmöglichkeit, den richtigen Curs einzuhalten, einfach vor ihm fliehen. Der Kapitän Littlestone entwickelte, kräftig unterstützt von seinen Officieren und Mannschaften, unter diesen Umständen eine erstaunliche Gewandtheit. Infolge mehrfacher ernster Havarien war die »Licorne« aber doch dem Untergange nahe, so daß sogar der Besanmast gekappt werden mußte. Am Hintertheile war auch ein Leck entstanden, das man nur mit Mühe nothdürftig verstopfen konnte. Als endlich der Wind abflaute, konnte der Kapitän Littlestone seinen Curs wieder aufnehmen und er beeilte sich dann, nach Capetown zu kommen, um die erlittenen Havarien ausbessern zu lassen.

Am Morgen des 10. September meldete die Wache das Insichtkommen des Tafelberges, der im Hintergrunde der gleichnamigen Bai emporragt.

Sobald die »Licorne« an ihrem Ankerplatze festgelegt war, kamen James Wolston, seine Frau und seine Schwester, die sich eines Bootes bedient hatten, an Bord.

Mit welchem Jubel wurden da Fritz, Jenny und Franz begrüßt! Welch' beglückender Augenblick für alle! Die beiden jungen Frauen waren überglücklich, einander wiederzusehen, und die reizende Doll gab unbefangen Fritz den herzlichen Kuß zurück, den dieser auf ihre frischen Wangen gedrückt hatte. Natürlich wurde übrigens Franz seinem Bruder gegenüber nicht so auffallend bevorzugt. Wie sehr drängte es endlich alle, ihre Existenz für immer in jenem zweiten Vaterlande begründet zu sehen, wo die Familie Zermatt und Wolston sie so ungeduldig erwarteten.

Seit zehn Monaten hatten sie von diesen ja keinerlei Nachricht erhalten. Obwohl sie sich über das Schicksal der Bewohner von Felsenheim wohl nicht zu beunruhigen brauchten, erschien ihnen das Fernbleiben von dort doch recht[284] lang, ja fast endlos. Wie herrlich mußte es sein, wenn sich erst alle wieder in Sicht der Neuen Schweiz vereinten, deren Längen- und Breitenlage der Kapitän Littlestone ja schon kannte. Stunde für Stande von dem Vater Zermatt, seiner Frau, von Ernst und Jack, sowie von Herrn und Frau Wolston und Annah zu plaudern, das verkürzte leider nicht die Entfernung bis zu diesen und wog nicht das Glück auf, wieder auf dem Gelobten Lande zu wandeln.

Was die Geschäftsangelegenheiten James Wol ston's anging, so hatten sich diese nach Wunsch abwickeln und ordnen lassen.

Leider war es aber zunächst unmöglich, die Reise fortzusetzen. Die Havarien der »Licorne« erwiesen sich als so bedeutend, daß ihre Ausbesserung einen längeren Aufenthalt im Hafen von Capetown nöthig machte. Jedenfalls nahmen diese, nach zeitweiliger Entladung der Corvette, noch eine Zeit von zwei bis drei Monaten in Anspruch. Vor Ende October war gar nicht darauf zu rechnen, daß sie nach der Neuen Schweiz absegeln könnte.

Das wäre ein beklagenswerther Zeitverlust gewesen, wenn sich den Passagieren der »Licorne« nicht Gelegenheit geboten hätte. ihren Aufenthalt in Capetown abzukürzen.

Im Hafen lag nämlich zu gleicher Zeit ein Schiff, das binnen vierzehn Tagen absegeln sollte. Es war die »Flag«, ein englischer Dreimaster von fünfhundert Tonnen, Kapitän Harry Gould, der nach Batavia, in den Sondainseln, bestimmt war. Die Neue Schweiz anzulaufen, brachte ihn nur wenig aus seiner Route, und wenn er sie an Bord nehmen wollte, waren Fritz und seine Gattin, James und Suzan Wolston mit ihrem Kinde, sowie Franz und Doll erbötig, einen recht anständigen Fahrpreis zu entrichten.

Der Kapitän Gould ging auf diesen Vorschlag ein, und die Passagiere der »Licorne« ließen ihr gesammtes Gepäck nach der »Flag« schaffen, wo ihnen Cabinen überwiesen wurden.

Am Nachmittage des 29. September war der Dreimaster zum Absegeln fertig und am nämlichen Abend bezogen auch James Wolston, seine Frau und seine Schwester nebst dem kleinen Bob ihre Cabinen. Dann nahmen alle innerlich bewegt vom Kapitän Littlestone Abschied und versprachen ihm, die Ankunft der »Licorne« gegen Ende November am Ausgang der Rettungsbucht zu erwarten.

Am nächsten Morgen stach die »Flag« bei recht günstigem Südwestwinde in See, und vor Ablauf des ersten Tages waren die hohen, gegen fünfzehn Lieues landeinwärts gelegenen Gipfel des Caps den Blicken entschwunden.[285]

Harry Gould war ein vortrefflicher Seemann, dessen Kaltblütigkeit seiner schnellen Entschlossenheit die Wage hielt. Jetzt im besten Mannesalter – er zählte zweiundvierzig Jahre – hatte er erst als Officier, dann als Kapitän wiederholte Proben seiner Tüchtigkeit abgelegt und seine Rheder konnten zu ihm das beste Vertrauen haben.

Dieses Vertrauen hätte der zweite Officier, Borupt mit Namen, freilich nicht verdient. Im gleichen Alter mit Harry Gould, doch neidischen und gewaltthätigen Charakters und von heftigen Leidenschaften beherrscht, glaubte er sich niemals nach Verdienst belohnt, und getäuscht in der Erwartung, selbst den Befehl über die »Flag« zu übernehmen, barg er in der Seele gegen den Kapitän einen grimmigen Haß, den er zunächst gut zu verheimlichen wußte. Dennoch durchschaute ihn der Obersteuermann John Block, ein furchtloser, zuverlässiger Mann, der seinem Vorgesetzten mit Leib und Seele ergeben war. Im übrigen gehörte die Besatzung der »Flag«, gegen zwanzig Matrosen, nicht gerade zu den besten Leuten, was auch Harry Gould nicht unbekannt war. Der Obersteuermann bemerkte mit Mißvergnügen die Nachgiebigkeit Robert Borupt's gegen verschiedene Matrosen, über die er sich dienstlich zu beklagen hatte. Alles das kam ihm verdächtig vor, und er behielt deshalb den zweiten Officier stets scharf im Auge, um Harry Gould im Nothfalle alles mittheilen zu können. Der Kapitän aber würde auf die Worte des erfahrenen, braven Mannes gewiß ebenso Gewicht legen, wie bisher.

Vierzehn Tage lang erlitt die regelmäßige Seefahrt keinerlei Unterbrechung. Der Zustand des Meeres und die Richtung des Windes, der freilich nur als schwache Brise auftrat, hatten sie immer begünstigt. Hielt der Dreimaster wie bis jetzt eine mittlere Geschwindigkeit ein, so mußte die Neue Schweiz gegen Mitte October, d. h. zur vorher angenommenen Zeit, erreicht werden.

Jetzt traten aber wiederholt Anzeichen von Unbotmäßigkeit der Mannschaft an den Tag und es schien sogar, als ob diese Erschlaffung der Disciplin von dem zweiten und dem dritten Officier unter Verletzung ihrer Dienstpflicht noch begünstigt würde. Von seiner eifersüchtigen, gemeinen Natur geleitet, bemühte sich Robert Borupt nicht im mindesten, die gestörte Ordnung wieder herzustellen. Im Gegentheil hetzte er die Leute mit nicht mißzuverstehenden Worten auf und verschloß die Augen gegen alles, was er sonst hätte strengstens rügen und bestrafen müssen. Kurz, es wurde allmählich deutlicher, daß auf dem Schiffe eine Meuterei drohte.[286]

Inzwischen steuerte die »Flag« nach Nordosten weiter. Am 9. September ergab das Besteck 20 Grad 17 Minuten der Breite und 80 Grad 45 Minuten der Länge von Greenwich; das Schiff befand sich also nahezu in der Mitte des Indischen Oceans und nahe dem Wendekreise des Steinbockes, den es unlängst überschritten hatte.

In der letzten Nacht waren mehrere Vorzeichen schlechter Witterung eingetreten: ein starker Fall des Barometers und die Bildung gewitterhafter Wolken, was auf einen jener plötzlichen Stürme hindeutete. welche die Meere hier gar zu häufig heimsuchen.

Gegen drei Uhr des Nachmittages entstand ein so heftiger Wogengang, daß er das Schiff fast zu verschlingen drohte. Es steht schon sehr schlimm um ein Fahrzeug wenn es auf die Seite gelegt dem Steuer nicht mehr gehorcht und Gefahr läuft, sich, ohne daß die Masten gekappt werden, nicht wieder aufrichten zu können. Dann ist es auch nicht mehr imstande, durch gerades Anlaufen auf die Wellen zu gegen diese anzukämpfen, und ist dem Wüthen des Orcans hilflos preisgegeben.

Es versteht sich von selbst. daß sich die Passagiere seit dem Anfange des Sturmes hatten zurückziehen müssen, denn das Verdeck wurde immer und immer wieder mit einem schäumenden Wassersckwalle überspült. Nur Fritz und Franz waren oben geblieben, um der Mannschaft im Falle der Noth an die Hand zu gehen. Von der ersten Stunde an hatten Harry Gould mittschiffs, und der Obersteuermann am Ruder ihren Posten eingenommen, während der zweite und der dritte Officier nahe dem Bugspriet standen. Die Mannschaft hielt sich bereit, jeden Befehl schleunigst auszuführen, denn es handelte sich hier um Leben und Tod. Der geringste Fehler in einem Segelmanöver hätte, wenn die Wogen an die weit nach Backbord übergebeugte »Flag« anprallten. den gewissen Untergang bringen können. Vor allem kam es jetzt darauf an, das Schiff wieder emporzurichten und die Segel so einzustellen, daß es den Windstößen sozusagen die Stirn bot.

Und doch sollte ein solcher Fehler begangen werden, wenn nicht gar absichtlich, da das Schiff dadurch unterzugehen drohte. so doch infolge der falschen Auffassung einer Anordnung des Kapitäns, die bei einem Officier mit der nöthigen Erfahrung und mit seemännischem Instinct nicht hätte vorkommen dürfen.

Keinem anderen als Robert Borupt, dem zweiten Officier, fiel dafür die Verantwortlichkeit zu. Unter dem Drucke des falsch gestellten Marssegels tauchte[287] das Fahrzeug vorn noch tiefer ein und eine ungeheure Woge schäumte über die Reling herein.

»Der verdammte Borupt will uns wohl zum Kentern bringen! rief Harry Gould.

– Er hat dazu wenigstens gethan, was er konnte,« antwortete der Obersteuermann, der sich mit aller Kraft bemühte, das Ruder nach Steuerbord umzulegen.

Der Kapitän stürmte über das Deck hin nach dem Vordertheile zu, ohne darauf zu achten, daß er über Bord gespült werden könnte, und erreichte mit großer Mühe den Bug des Schiffes.

»In Ihre Cabine, rief er mit wüthender Stimme, hinein in Ihre Cabine, und verlassen Sie diese nicht wieder!«

Der von Robert Borupt begangene Fehler lag so offenbar auf der Hand, daß keiner von der Mannschaft, die sonst bereit gewesen wäre, sich auf seinen Ruf um ihn zu schaaren, jetzt die Stimme zu erheben wagte. Der zweite Officier gehorchte ohne Widerspruch und schwankte nach dem Hintertheile und seiner Cabine zu.

Harry Gould that nun sofort, was ihm unter den gegebenen Umständen möglich war. Durch angepaßte Einstellung aller Segel, die die »Flag« jetzt tragen konnte, gelang es ihm, diese wieder mehr aufzurichten, ohne die Masten kappen zu müssen, und nun lag auch das Schiff nicht mehr mit der Breitseite gegen den Wogengang.

Drei Tage lang mußte man vor dem Sturme flüchten – immer unter schweren Gefahren, die indeß durch den Kapitän und den Obersteuermann glücklich abgewendet wurden. Fast die ganze Zeit über mußten Suzan, Jenny und Doll in ihren Cabinen bleiben, während Fritz, Franz und James sich an den Segelmanövern betheiligten.

Am 13. September ließ sich endlich eine Abnahme der atmosphärischen Störung erkennen. Der Wind flaute ab, und wenn sich das Meer auch nicht sofort beruhigte, so nahm die »Flag« doch kein Wasser mehr über.

Nun beeilten sich die Passagiere, ihre Cabinen zu verlassen. Sie wußten, was zwischen dem Kapitän und dem zweiten Officier vorgekommen und warum dieser seiner Function enthoben worden war. Ueber eine Bestrafung Robert Borupt's sollte erst nach der Rückkehr eine Seebehörde entscheiden.

Zunächst waren jetzt viele Havarien am Segelwerk auszubessern; John Block, der diese Arbeiten leitete, erkannte aber sehr bald, daß die Mannschaft zu einer Meuterei geneigt sei.


Sie waren aber wenigstens beisammen! (S. 293.)
Sie waren aber wenigstens beisammen! (S. 293.)

[288] Das konnte auch Fritz, Franz und James Wolston nicht entgehen und flößte ihnen vielleicht mehr Besorgniß ein, als vorher der tolle Sturm. Gewiß würde der Kapitän gegen jeden, wer es auch sein mochte, mit der größten Strenge vorgehen; es fragte sich nur, ob es dazu nicht schon zu spät wäre.

Im Laufe der nächsten acht Tage kam indeß kein weiterer Verstoß gegen die Disciplin vor. Da die »Flag« aus ihrer Route um mehrere hundert Seemeilen nach Osten verschlagen worden war, mußte sie jetzt nach Westen umkehren, um in gleiche Länge mit der Neuen Schweiz zu kommen.[289]

Da erschien am 20. September gegen zehn Uhr Robert Borupt, obwohl sein Arrest nicht aufgehoben worden war, zum Erstaunen aller wieder auf dem Verdeck.

Die auf dem Hintertheile des Schiffes versammelten Passagiere hatten die unbestimmte Empfindung, daß der bisherige Ernst der Lage sich noch verschlimmern werde.

Sobald der Kapitän den zweiten Officier nach dem Verdeck gehen sah, trat er auf diesen zu.

»Lieutenant Borupt, rief er diesen an, Sie haben noch Arrest! Was haben Sie hier zu schaffen? Antworten Sie!

– Ja... gewiß, erwiderte Borupt grollend, meine Antwort sollen Sie sofort hören!«

Damit drehte er sich zu den Mannschaften des Schiffes um.

»Hierher... zu mir, Kameraden! rief er.

– Hurrah für Robert Borupt!« schallte es vom Bug bis zum Heck zurück.

Harry Gould eilte nach seiner Cabine und erschien daraus wieder mit einer Pistole in der Hand. Doch ehe er Gebrauch machen konnte, krachte schon ein Schuß von einem der Matrosen, die sich um Borupt drängten, und am Kopfe schwer verwundet, sank er dem Obersteuermann in die Arme.

Gegenüber der gesammten sich empörenden Besatzung, die vom zweiten und dritten Officier noch aufgehetzt wurde, war jetzt an Widerstand nicht zu denken. Trotzdem versuchten John Block, Fritz, Franz und James Wolston, die sich um Harry Gould geschart hatten, den Kampf aufzunehmen. Von der Menge erdrückt, sahen sie sich jedoch sehr bald überwunden, und zehn Matrosen schleppten sie sammt dem Kapitän nach dem Laderaum hinunter.

Jenny, Doll und Suzan mit dem Kinde wurden in ihre Cabinen eingesperrt, vor deren Thüren Borupt, der jetzt allein den Befehl führte. Wachen stellte.

Das war eine entsetzliche Lage für die Gefangenen in dem fast ganz finsteren Frachtraume, und vor allem für den unglücklichen Kapitän mit seiner schmerzhaften Kopfwunde, auf die hier nur feuchte, kalte Umschläge gelegt werden konnten. Der Obersteuermann bemühte sich jedoch, ihn zu pflegen, so gut es anging. Fritz, Franz und James Wolston waren natürlich die Beute der quälendsten Unruhe. Die drei Passagiere in der Gewalt der Meuterer der »Flag«! Wie centnerschwer drückte auf sie das Gefühl ihrer traurigen Ohnmacht.[290]

So verstrichen mehrere Tage. Je zweimal, des Morgens und des Abends wurde der Deckel der Luke des Frachtraumes abgehoben und erhielten die Gefangenen etwas Nahrung. Auf alle Fragen John Block's antworteten die Matrosen nur mit rohen, drohenden Worten, und gegen Fritz, Franz und James stießen sie die schlimmsten Beleidigungen aus.

Wiederholt versuchten der Obersteuermann und seine Unglücksgefährten sich dadurch zu befreien, daß sie den Lukendeckel abzuwerfen suchten. Dieser wurde aber Tag und Nacht streng bewacht; doch wenn es ihnen auch gelungen wäre, ihn abzuheben, die Wachposten zu bezwingen und auf das Verdeck zu gelangen, so mußten sie hier doch der übrigen Mannschaft unterliegen, und Robert Borupt hätte wohl noch eine grausamere Behandlung und Strafe über sie verhängt.

»Dieser Elende!... Dieser Schurke! wiederholte Fritz in Gedanken an seine Gattin, an Suzan und Doll.

– Ja, der verruchteste Kerl, den es geben kann, sagte John Block, und wenn der nicht einst noch am Galgen baumelt, giebt es keine Gerechtigkeit mehr auf Erden.«

Um die Meuterer zu bestrafen, um ihrem Anführer den verdienten Lohn zu geben, wäre es freilich nöthig gewesen, daß sich ein Kriegsschiff der »Flag« bemächtigte. Robert Borupt hütete sich aber weislich, nach mehr befahrenen Gegenden zu steuern, wo seine Spießgesellen und er Gefahr liefen, verfolgt zu werden.

Er hatte das Schiff jedenfalls von seinem Curs weggeführt, wahrscheinlich zunächst nach Osten zu, um von den Küsten Afrikas und Australiens gleich weit entfernt zu sein. Jeder Tag vergrößerte jetzt die Entfernung der »Flag« vom Meridian der Neuen Schweiz gut um fünfzig bis sechzig Lieues. Harry Gould und der Obersteuermann konnten aus der stets über Backbord geneigten Lage des Fahrzeuges erkennen, daß dieses schnell dahinsegelte. Des Knarren und Krachen an der Einfügungsstelle der Masten verrieth, daß der zweite Officier hatte so viel Segel wie möglich setzen lassen. Was sollte aber aus den Passagieren werden, wenn die »Flag« erst die entlegenen, zur Ausübung der Piraterie so geeigneten Wasserwüsten des Großen Oceans erreicht hatte? An Bord würden sie doch schwerlich behalten werden... vielleicht setzte man sie an einer unbewohnten Insel aus... Gleichviel, alles war doch besser, als auf diesem Schiff unter den Händen Robert Borupt's und seiner Spießgesellen zu bleiben.[291]

Zum berechneten Termine sollte also, an Stelle der am Cap zurückgehaltenen »Licorne«, auch die »Flag« nicht an der Neuen Schweiz erscheinen. Dort wartete man wochen-, ja monatelang vergeblich, und welch quälende Unruhe mußte die Familien Zermatt und Wolston erfüllen! Ankerte endlich gar erst die »Licorne« in der Rettungsbucht und meldete sie, daß die »Flag« schon längere Zeit vor ihr nach der Colonie abgegangen war, so mußte sich ja die Befürchtung aufdrängen, daß diese mit Mann und Maus zu Grunde gegangen sei.

Seit der Einsperrung Harry Gould's und seiner Gefährten war schon eine Woche vergangen, ohne daß diese etwas von den Frauen in den Cabinen gehört hatten. Da – am 27. September – schien die Schnelligkeit des Dreimasters wesentlich verändert zu sein, entweder weil er gegengebraßt oder weil der Wind sich gelegt hatte.

Abends gegen acht Uhr erschienen einige Matrosen bei den Gefangenen.

Der dritte Officier befahl diesen, ihm zu folgen, und sie mußten ihm wohl oder übel gehorchen.

Was mochte oben vorgegangen sein?... Sollten sie in Freiheit gesetzt werden?... Hatte sich eine Robert Borupt feindliche Partei gebildet, die die Führung des Schiffes dem Kapitän Gould übergeben wollte?

Nach dem Verdecke gelangt, sahen sie Robert Borupt, der sie in Gegenwart der ganzen Besatzung am Fuße des Großmastes erwartete. Vergeblich warfen Fritz und Franz einen Blick in das Vorderkastell, dessen Mittelthür offen stand. Keine Lampe, keine Laterne verbreitete darin das geringste Licht.

Als der Obersteuermann sich aber der Steuerbordreling näherte, konnte er die Spitze eines Mastes erkennen, der an der Seite des Schiffes schwankte.

Offenbar war die große Schaluppe aufs Meer gesetzt worden.

Das deutete darauf hin, daß Robert Borupt den Kapitän und dessen Gefährten auf dem Boote einschiffen, sie hier aussetzen und allen Zufälligkeiten des Meeres überlassen wollte, ohne daß diese wußten, ob sie sich in der Nähe eines Landes oder einer Insel befanden.

Unentschieden erschien es, ob die unglücklichen Frauen an Bord zurückbehalten werden und hier den schlimmsten Gefahren ausgesetzt bleiben sollten.

Bei dem Gedanken, sie niemals wiederzusehen, wollten Fritz, Franz und James einen letzten Versuch zu ihrer Befreiung, sogar auf die Gefahr hin wagen, daß es ihnen selbst das Leben kostete.[292]

Fritz stürmte nach dem Kastell zu und rief nach Jenny. Da hielten ihn aber nervige Fäuste zurück, ebenso wie Franz und James, der auch Suzan auf seinen Ruf nicht antworten hörte. Trotz ihres Widerstandes sofort überwältigt. wurden sie mit Harry Gould und John Block über die Reling in die Schaluppe hinabgelassen, die mittels einer Leine noch längs des Schiffes festgehalten war.

Welche Ueberraschung, welche Freude sollte ihnen aber hier zu theil werden! Im Boote befanden sich bereits die geliebten Wesen, die sie eben vergeblich gerufen hatten. Die Frauen waren einige Augenblicke vor den Gefangenen aus dem Frachtraume in die Schaluppe befördert worden. Hier hatten sie, eine Beute der schrecklichsten Angst, gewartet, ob ihre Begleiter gleichzeitig mit ihnen hier mitten im Großen Oceane ausgesetzt werden sollten, wohin Robert Borupt sicherlich die »Flag« geführt hatte.

Da gab es ein Wiedersehen unter heißesten Thränen. Schon allein der Gedanke, wieder vereinigt zu sein, erschien ihnen als die größte Gnade, die der Himmel ihnen erweisen konnte.

Und doch, welche Gefahren bedrohten sie an Bord dieses kleinen Fahrzeuges. Sie fanden darin nur vier Beutel mit Schiffszwieback und conservirtem Fleisch, drei Fäßchen Trinkwasser, verschiedene Kochgeräthschaften nebst einem Packet Kleidungsstücke und Decken, die ohne zu wählen aus den Cabinen genommen worden waren... alles in allem kaum genug, etwaigem schlechten Wetter zu wiederstehen und die Qualen des Durstes und Hungers zu stillen.

Sie waren aber wenigstens beisammen! Nur der Tod konnte sie in Zukunft trennen. Jetzt hatten sie übrigens gar keine Zeit zum überlegen. In wenigen Minuten mußte sich die »Flag« bei dem eben wieder einsetzenden Winde schon weit von ihnen entfernt haben.

Der Obersteuermann hatte sich ans Ruder gesetzt, und Fritz und Franz standen am Maste, bereit, das Segel zu hissen, sobald die Schaluppe von dem Schiffe klar abgekommen wäre.

Der Kapitän war unter das kleine Deck am Bug niedergelegt worden, wo ihn, auf Decken ausgestreckt und unfähig, sich aufrecht zu erhalten, Jenny nach Möglichkeit unterstützte.

Von der »Flag« starrten die über die Reling gebeugten Matrosen schweigend nach dem Boote hinunter. Keiner davon empfand das geringste Mitleid mit den Opfern Robert Borupt's, und man sah ihre brennenden Augen im Dunkel ordentlich leuchten.[293]

In diesem Augenblicke ertönte eine Stimme... die Stimme Harry Gould's, dem der aufwallende Ingrimm einige Kraft verliehen hatte.

Unter dem kleinen Deck hervorkriechend, hatte er sich von Bank zu Bank geschleppt und mit Mühe halb aufgerichtet.

»Ihr Elenden! rief er, Ihr werdet der irdischen Gerechtigkeit doch nicht entgehen!

– Und der himmlischen auch nicht! setzte Franz hinzu.

– Loslassen!« befahl Robert Borupt.

Die Leine fiel herab, die Schaluppe schwamm frei und das Schiff verschwand bald in der Finsterniß der Nacht.

Quelle:
Jules Verne: Das zweite Vaterland. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXVII–LXXVIII, Wien, Pest, Leipzig 1901, S. 283-294.
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