Dreizehntes Kapitel.
Der Claim Nummer 129.

[195] Am rechten Ufer des Forty Miles Creek gelegen, war der Claim Nummer 129, wie früher erwähnt, der letzte in Klondike und die Pfähle, die seine Westgrenze bezeichneten, dienten gleichzeitig als Zeichen der alasko-kanadischen Grenze.

Südwärts neben dem Claim 129 dehnte sich zwischen zwei niedrigen Hügeln eine grüne Wiesenfläche aus, die von Weiden- und Espengruppen eingerahmt war.

Nördlich vom Claim rauschte, jetzt bei mäßig hohem Wasserstande, der Fluß ziemlich schnell zwischen Uferwänden hin, die stromaufwärts sanft abfielen. Am linken Ufer dagegen stiegen diese als Ausläufer eines von Norden kommenden und hier stromabwärts abweichenden Höhenzuges schroff, fast gerade gegenüber dem Grate niedriger Hügel in die Höhe, die am rechten Ufer die Ostseite des Besitztums Josias Lacostes abschlossen. Hinter diesen Hügeln, am Fuße ihres jenseitigen Abhangs war es, wo sich Jane Edgerton nun schon seit einer Woche mit ihrer unsichern und bisher fast ertraglosen Arbeit abmühte, als die beiden Vettern am 10. Juni endlich am letzten Ziele ihrer Reise eintrafen.

An vielen Stellen sah man hier die Häuschen, Baracken und Hütten der Claimbesitzer und auf einer Fläche von zwei bis drei Quadratkilometern konnte man wohl mehrere hundert Arbeiter zählen.[195]

Auf der andern Seite der Grenze, auf dem amerikanischen Gebiete, bestanden ähnliche Anlagen und in erster Linie, als nächster Nachbar, der Claim Nummer 131, das Besitztum des Texaners Hunter, der diesen schon ein Jahr vorher ausgebeutet hatte und ihn jetzt zum zweiten Male zu bearbeiten anfing.

Summy Skim und Ben Raddle, die diesen Burschen ja schon kannten, waren sehr geneigt, zu glauben, daß er schon früher mit Josias Lacoste, seinem Nachbar, wohl manchen Streit vom Zaun gebrochen haben werde. Das lag einmal in Hunters gemeinem Charakter. Nach den allgemein gültigen Regeln war das Besitzrecht am Claim 129 unantastbar festgestellt. Die Anmeldung seiner Entdeckung war vorschriftsmäßig erfolgt, vom Staate angenommen und mit der Belastung eines Jahrespachtes von fünfunddreißig Dollars im Bureau der Minen der Dominion eingetragen worden. Außerdem war als Regalienrecht noch der Betrag von zehn Prozent des daraus gewonnenen Goldes vorgemerkt und die Expropriation angedroht, wenn dieser Zehent nicht auf Heller und Pfennig genau abgeführt würde. Josias Lacoste hatte sich dessen niemals schuldig gemacht, war auch niemals der gesetzlichen Vorschrift verfallen, wonach jeder in der guten Jahreszeit vierzehn Tage lang nicht betriebene Claim wieder in Staatsbesitz überging. Nur seit seinem Ableben war, in Erwartung des Antritts seiner Hinterlassenschaft durch seine Erben, eine Unterbrechung der Bearbeitung eingetreten.

Die von Josias Lacoste unternommene Ausbeutung hatte achtzehn Monate gedauert und im großen und ganzen kaum noch einen Nutzen abgeworfen, da die Unkosten für die erste Einrichtung, für das Personal, den Transport usw. recht erheblich gewesen waren. Überdies hatte eine plötzliche Hochflut des Forty Miles die begonnenen Arbeiten zerstört und großen Schaden angerichtet. Kurz, der Inhaber des Claims Nummer 129 hatte kaum seine Kosten gedeckt, als ihn der Tod überraschte.

Doch wo gäbe es einen Prospektor, der je alle Hoffnung verlöre, der nicht jeden Tag glaubte, vor der Aufdeckung einer reichen Ader zu stehen, einen besonders wertvollen Goldklumpen zu finden oder aus einer Schüssel ein-, zwei-, wenn nicht gar viertausend Francs herauszuwaschen? Und auch Josias Lacoste würde schließlich vielleicht noch Erfolge erreicht haben, obgleich er nur über etwas unzulängliche Arbeitsgeräte verfügt hatte.

Alle die Ausbeutung betreffenden Mitteilungen erhielten die beiden Vettern von dem frühern Werkmeister Josias Lacostes. Nach der Rücksendung der[196] Arbeiter war er allein als Wächter über den Claim in Erwartung der Wiederaufnahme der Arbeit für Rechnung der Erben oder für einen Käufer der Fundstätte zurückgeblieben.

Der Werkmeister hieß Lorique. Ein Kanadier von französischer Abstammung, einige vierzig Jahre alt und reich erfahren in dem Gewerbe eines Prospektors, hatte er schon mehrere Jahre in den Goldlagerstätten Kaliforniens und Britisch-Kolumbiens gearbeitet, ehe er nach dem Gebiete des Yukon kam. Niemand hätte Ben Raddle zuverlässiger über den gegenwärtigen Zustand von Nummer 129, über die erlangte und etwa noch zu erwartende Ausbeute und also über den wirklichen Wert des Claims unterrichten können.

Zunächst bemühte sich Lorique um die bequeme Unterbringung Ben Raddles und Summy Skims, die sich ja voraussichtlich mehrere Tage am Forty Miles Creek aufhalten würden. Dem Wohnen unter einem Zelte zogen sie gewiß das in einem bescheidenen – wenn nur reinlichen – Zimmer des Häuschens vor, das Josias Lacoste für sich und seinen Werkmeister hatte errichten lassen. Am Fuße der südlichen Hügel und inmitten eines Gehölzes von Weiden und Espen erbaut, bot es ein genügendes Unterkommen, wenigstens zu der Zeit des Jahres, wo dauerndes schlechtes Wetter nicht zu befürchten war.

Was die nötigen Lebensmittel anging, konnte der Werkmeister nicht in Verlegenheit kommen, sie für seine neuen Herren zu beschaffen. In der Umgegend gab es, übrigens wie in ganz Klondike, eine Anzahl Verproviantierungsgesellschaften. In Dawson City, wo sie von den Schiffern auf dem Yukon ihren Bedarf beziehen, organisiert, unterhalten sie Verbindungen mit den Placers, an denen sie reichlichen Verdienst finden, und zwar ebenso auf Grund der Preise, die die verschiedenen Konsumartikel hier einmal haben, wie infolge der großen Zahl der in dem Bezirke beschäftigten Arbeiter.

Am Morgen nach ihrem Eintreffen am Forty Miles Creek besichtigten Ben Raddle und Summy Skim den Claim unter der Führung Loriques, der ihnen von dem Anfange der Ausbeutung erzählte.

»Herr Lacoste, sagte der Werkmeister, beschäftigte sein aus fünfzig Köpfen bestehendes Personal anfänglich nicht mit dem Ausheben von Brunnenschächten am Ufer des Creek; er beschränkte sich vielmehr auf die Durchsuchung der oberflächlichen Bodenschichten und erst gegen Ende der ersten Kampagne wurden Schöpfbrunnen zur goldführenden Schicht angelegt.

– Wie viele solcher sind damals abgeteuft worden? fragte Ben Raddle.[197]

– Vierzehn, erklärte der Werkmeister, jeder, wie Sie sich überzeugen können, mit einer Mündung von neun Fuß im Quadrat. Diese sind in dem damaligen Zustande geblieben und es braucht nur daraus geschöpft zu werden, um die Ausbeutung wieder aufzunehmen.

– Doch bevor diese Brunnen angelegt wurden, erkundigte sich jetzt Summy Skim, welchen Nutzen warfen da die obern Bodenschichten ab? Deckte deren Ausbeute wenigstens die Kosten?

– Das sicherlich nicht, Herr Skim, gestand Lorique. Das trifft übrigens für alle Lagerstätten zu, wo man sich darauf beschränkt, den Ufersand und das goldhaltige Geröll auszuwaschen.

– Sie haben also ausschließlich mit Schüssel und Schöpflöffel gearbeitet? fragte Ben Raddle.

– Allein damit, meine Herren, und es war selten, daß wir aus einer Schüssel mehr als drei Dollars an Wert gewannen.

– Während man, rief Summy Skim fast entrüstet, an der Bonanza angeblich fünf- bis sechshundert daraus auswäscht.

– Glauben Sie ja, daß das nur Ausnahmen sind, versicherte der Werkmeister, und wenn der Ertrag durchschnittlich zwanzig Dollars erreicht, so ist man auch dort völlig zufrieden. Was unsre hundertneunundzwanzig betrifft, hat sie im Mittel nicht mehr als einen Dollar geliefert.

– Das ist ja kläglich, ist ja erbärmlich wenig!« knurrte Summy Skim für sich hin.

Ben Raddle beeilte sich, das verdrießliche Gespräch abzubrechen.

»Wie tief sind Ihre Brunnen? nahm er wieder das Wort.

– Von zehn bis fünfzehn Fuß. Das genügt, die Schicht zu erreichen, die gewöhnlich das Goldpulver enthält.

– Und wie dick ist diese Schicht im allgemeinen?

– Ungefähr sechs Fuß.

– Und wie viel Schüsseln oder Waschtröge füllt ein Kubikmeter daraus ausgeschöpftes Material?

– Kaum zehn, und ein guter Arbeiter ist imstande, deren täglich hundert zu waschen.

– Ihre Brunnen haben Sie also noch gar nicht ausgenützt?

– Alles war dazu vorbereitet, als Herr Josias Lacoste unerwartet starb. Da mußte die weitre Arbeit aufgegeben werden.«[198]

Während diese Aufschlüsse Ben Raddle fast leidenschaftlich erregten, war es unverkennbar, daß sie auch bei seinem Vetter wenigstens einiges Interesse erweckten. Sie belehrten ihn ja, soweit das möglich war, genau über den innern Wert des Claims Nummer 129, er stellte jedoch eben darüber noch eine bestimmte Frage an den Werkmeister.

»Wir haben etwa für einige dreißigtausend Francs Gold aus ihm gewonnen, antwortete dieser, die Ausgaben haben diesen Betrag aber nahezu wieder aufgezehrt. Ich hege jedoch nicht den geringsten Zweifel, daß die Ader am Forty Miles durchweg eine reiche ist. Auf den Claims in der Nachbarschaft, wo man schon mit dem Schachtbetrieb begonnen hatte, wurde überall weit mehr Gold gefunden.

– Es ist Ihnen jedenfalls bekannt, Lorique, ließ sich Ben Raddle jetzt vernehmen, daß uns ein Chicagoer Syndikat schon ein Kaufsangebot gemacht hat?...

– Ja, das weiß ich, Herr Raddle. Vor einiger Zeit haben Vertreter des Syndikates den Placer besucht.

– Man hat uns für das Besitzrecht fünftausend Dollars geboten. Ist das Ihrer Ansicht nach genug?

– Nein, lächerlich wenig! versicherte Lorique mit Bestimmtheit. Unter Veranschlagung des Durchschnittsertrags der andern Claims am Forty Miles Creek ist der Ihrige mindestens vierzigtausend Dollars wert.

– Das wäre ja eine hübsche Summe, sagte Summy Skim, und wir hätten unsre Reise meiner Treu nicht zu bereuen, wenn wir diesen Preis erlangten. Leider wird es mit dem Verkaufe seine Schwierigkeiten haben, so lange die leidige Grenzfrage noch nicht geregelt ist.

– O, was tut das? entgegnete der Werkmeister. Ob Nummer 129 kanadisch oder alaskisch ist, der Wert des Claims bleibt doch derselbe.

– Ganz richtig, bestätigte Ben Raddle. Nichtsdestoweniger hat das Syndikat sich trotz des gebotenen niedrigen Preises doch veranlaßt gesehen, sein Gebot zurückzuziehen.

– Sagen Sie mir, Lorique, begann Summy Skim wieder, ist es wohl zu erwarten, daß diese Grenzregulierung binnen kurzer Zeit beendigt ist?

– Darauf, meine Herren, erklärte Lorique, kann ich nur die eine Antwort geben, daß die betreffende Kommission ihre Arbeiten begonnen hat. Wann diese abgeschlossen sein werden?... Ja, ich meine, das vermöchte auch keiner[199] der Kommissare zu sagen. Sie werden übrigens von einem der hervorragendsten Geometer Klondikes, einem sehr erfahrnen Manne, Herrn Ogilvie, unterstützt, der die Katastrierung des Bezirks mit großer Gewissenhaftigkeit durchgeführt hat.

– Und wie glaubt er, daß die Neuvermessung ausfallen werde?

– Wahrscheinlich gegen die mutmaßliche Voraussetzung der Amerikaner, so daß also die Grenzlinie, wenn sie jetzt nicht ganz richtig ist, weiter nach Westen verlegt werden müßte.

– Dann bliebe der Claim Nummer 129 also nach wie vor kanadisch,« sagte daraufhin Summy Skim.

Ben Raddle richtete nun an den Werkmeister noch einige Fragen über die Beziehungen Josias Lacostes zu dem Besitzer des Claims Nummer 131.

»Zu dem Texaner und dessen Gefährten? sagte Lorique. Zu Hunter und Malone?

– Ja, wie haben sich die Verhältnisse diesen gegenüber gestaltet?

– Nun wahrhaftig, meine Herren, gerade unangenehm genug, das kann ich Ihnen nicht verhehlen. Ein Paar Schnapphähne sind sie, die beiden Amerikaner. Bei jeder Gelegenheit haben sie Streit und Zank gesucht und in der letzten Zeit haben wir nur noch mit dem Revolver im Gürtel arbeiten können. Mehr als einmal hat die Polizei eingreifen müssen, die frechen Burschen zur Vernunft zu bringen.

– Das hat uns auch der Polizeichef gesagt, den wir in Fort Cudahy trafen, erklärte Ben Raddle.

– Und ich fürchte, setzte Lorique hinzu, daß er auch noch wiederholt Veranlassung haben wird, gegen sie einzuschreiten. Vor den beiden Schurken wird man nicht eher Ruhe haben, als bis sie vertrieben sind.

– Wie wäre das aber möglich?

– O, sehr einfach dadurch, daß die Grenze weiter nach Westen verlegt würde. Dann wäre der Claim 131 kanadisches Gebiet und Hunter müßte sich den strengern Anforderungen der Bezirksregierung fügen.

– Natürlich, bemerkte Summy Skim hierzu, gehört er zu denen, die da glauben, der hunderteinundvierzigste Längengrad verlaufe weiter im Osten.


Summy schien ihn durch Zeichen heranzurufen. (S. 206.)
Summy schien ihn durch Zeichen heranzurufen. (S. 206.)

– Natürlich, bestätigte der Werkmeister. Er ist es ja, der alle Amerikaner an der Grenze, sowohl am Forty Miles als auch am Sixty Miles Creek, erst aufgehetzt hat. Schon öfters haben sie gedroht, unser Gebiet zu besetzen und sich unsrer Claims zu bemächtigen. Nur Hunter und Malone waren es, die sie zu einer solchen Gewalttat anreizten. Die Behörden von Ottawa haben sich mit ihren Klagen zwar nach Washington gewendet, dort scheint man aber mit der Prüfung keine besondre Eile zu haben.

– Ohne Zweifel wartet man, meinte Ben Raddle, auf die Erledigung der schwebenden Grenzfrage.

– Wohl möglich, Herr Raddle. Bis dahin müssen wir aber auf der Hut sein. Wenn Hunter erfährt, daß die neuen Besitzer am Forty Miles Creek eingetroffen sind, ist er imstande, einen Handstreich zu unternehmen.

– Er weiß jedoch, mit wem er es da zu tun bekommt, erklärte Summy Skim, denn wir hatten schon die zweifelhafte Ehre, ihm vorgestellt zu werden.«

Als sie aber den ganzen Claim begangen hatten, waren die beiden Vettern und der Werkmeister nahe bei dem Pfahle stehen geblieben, der die Nummer 129 von der 131 trennte. Stand 129 still und leer, so herrschte dagegen auf 131 eine lebhafte Tätigkeit. Die Leute Hunters arbeiteten bei den mehr stromaufwärts gelegenen Brunnenschächten Nach der Auswaschung des Sandschlammes ließen sie diesen durch Abzugsrinnen in das Bett des Forty Miles Creek abfließen.

Ben Raddle und Summy Skim suchten unter der auf Nummer 131 beschäftigten Menge vergeblich Hunter und Malone herauszufinden. Diese waren nirgends zu erblicken. Lorique meinte übrigens, sie würden sich nach mehrtägigem Aufenthalt auf ihrem Claim weiter nach Westen in den Teil Alaskas begeben haben, wo man neuerdings abbauwürdige Goldlager entdeckt haben sollte.

Nach Schluß der Besichtigung des Claims kehrten die beiden Vettern und der Werkmeister nach dem Häuschen zurück, wo sie ein von Neluto bereitetes Frühstück erwartete.

»Na, Lotse, fragte Ben Raddle lustig, wird denn das Frühstück auch gut sein?

– O, köstlich, Herr Raddle, wenn... nun ja... wenn es nicht mißglückt ist,« anwortete der Indianer, der sich bei seiner stolzen Versicherung wie gewöhnlich ein bescheidenes Hintertürchen offen ließ.

Als das Frühstück beendet war, erkundigte sich Summy Skim über die nächsten Absichten seines Vetters.

»Du kennst nun den Claim Nummer 129, begann er, und hast auch ein Urteil über seinen Wert. Wenn wir noch länger hier bleiben, wirst du meiner Ansicht nach auch nicht mehr darüber erfahren.[203]

– Das glaube ich denn doch nicht, entgegnete Ben Raddle. Ich habe mit dem Werkmeister noch vielerlei zu besprechen und muß vor allem auch die Rechnungen des Onkels Josias prüfen. Achtundvierzig Stunden werden dafür nicht zu viel sein.

– Na gut, achtundvierzig Stunden mögen hingehen, wenn's mir inzwischen nur vergönnt ist, in der Umgebung die Jagd auszuüben.

– Geh auf die Jagd, lieber Freund, jage, so viel du willst. Das wird dir für die Tage, die wir uns hier gedulden müssen, eine angenehme Zerstreuung bieten.

– Oho, bemerkte Summy Skim lächelnd, nun sind aus den achtundvierzig Stunden schon mehrere Tage geworden.

– Gewiß, sagte Ben Raddle. Ich muß doch erst beobachtet haben, wie die Leute hier arbeiten, wie sie den Sand in den Schüsseln auswaschen.

– O weh, rief Summy Skim, die »mehreren Tage« scheinen sich nun gar schon zu einigen Wochen zu verwandeln. Achtung, Ben, Achtung! Wir sind doch keine Prospektoren, vergiß nur das nicht.

– Nein, da hast du wohl recht, Summy; da wir jedoch unsern Claim nicht nach Belieben schnell verkaufen können, sehe ich nicht ein, warum Lorique, in Erwartung, daß die Kommission die Grenzberichtigung beendet haben werde... nun ja, daß Lorique da nicht anfangen lassen sollte, hier wieder zu arbeiten...

– Dann, unterbrach ihn Summy, dann wären wir also verurteilt, hier Wurzel zu schlagen, bis der verwünschte Meridian an der richtigen Stelle festgenagelt ist.

– Hier ist's doch ebensogut wie anderswo. Wohin sollten wir denn gehen, Summy?

– Nun... zum Beispiel nach Dawson City.

– Wären wir da vielleicht besser aufgehoben?«

Summy Skim gab keine Antwort mehr. Er fühlte, wie der Unmut in ihm aufquoll, so ergriff er denn sein Gewehr, rief Neluto herbei und beide verließen das kleine Haus und wanderten die Schlucht nach Süden hinauf.

Summy Skim hatte wahrlich Grund genug, ärgerlich zu werden. Ben Raddle war tatsächlich entschlossen, die Ausbeutung des ihnen zugefallenen Placers in die Hand zu nehmen. Wenn ein unvorhergesehener Umstand ihn zur mehrwöchentlichen Verlängerung seines Aufenthalts am Forty Miles Creek nötigte, wie hätte er da der Versuchung widerstehen können, die schon vorhandnen[204] Brunnenschächte auszunützen, um sich wenigstens über ihre Ergiebigkeit zu unterrichten, zu erfahren, ob der Onkel Josias wirklich alles getan hätte, gute Ergebnisse zu erzielen? Sollte sich dieser nicht vielmehr begnügt haben, die alten Methoden anzuwenden, das so unvollkommene Verfahren der Goldsandwäscher, während ein Ingenieur voraussichtlich ein schnelleres und einträglicheres Verfahren fand? Und wenn endlich aus dem ihm gehörigen Erdboden Hunderttausende, vielleicht Millionen Francs zu gewinnen waren, erschien es dann vernünftig, darauf für einen lächerlich niedrigen Preis zu verzichten?

Das war etwa der Gedankengang Ben Raddles. Die streitige Grenzfrage kam ihm deshalb eigentlich ganz gelegen, lieferte sie ihm doch einen Vorwand dem sich Summy Skim wohl oder übel beugen mußte, und – ein Optimist, wie er's nun einmal war – sagte er sich sogar, daß sein Vetter an dem, wofür er sich im voraus begeisterte, schließlich selbst Geschmack finden werde.

Als er dann die Rechnungsführung des Onkels Josias geprüft und ihm der Werkmeister alle zu einer Übersicht der Sachlage nötigen Unterlagen ausgehändigt hatte, fragte er diesen ohne alle Vorrede:

»Wenn Sie nun jetzt eine Arbeitsmannschaft besorgen sollten, Lorique, würden Sie das können?

– Daran zweifle ich nicht, Herr Raddle, antwortete der Werkmeister. Noch suchen tausende von Einwandrern im hiesigen Bezirke lohnende Arbeit, ohne eine solche zu finden. Täglich strömen noch weitre den Lagerstätten am Forty Miles Creek zu. Bei dem großen Angebot glaube ich sogar, daß die Leute keine besonders hohen Lohnansprüche machen können.

– Wir würden ja wohl gegen fünfzig Mann brauchen?

– Höchstens so viele. Herr Josias Lacoste hat niemals mehr beschäftigt.

– Binnen welcher Zeit könnten Sie ein solches Personal angeworben haben? fragte Ben Raddle.

– O... schon in vierundzwanzig Stunden.«

Nach kurzem Nachsinnen setzte der Werkführer hinzu:

»Hätten Sie, Herr Raddle, die Absicht, die Arbeit für eigne Rechnung betreiben zu lassen?

– Ja... vielleicht, wenigstens solange wir unsern Claim nicht zu einem seinem Werte entsprechenden Preise verkauft haben.

– Ja freilich, über diesen Wert würden Sie sich dann ein zuverlässigeres Urteil bilden können.[205]

– Was sollte man übrigens, bemerkte Ben Raddle, hier bis zu dem Tage beginnen, wo die Frage wegen der Grenzlinien in der einen oder andern Weise entschieden sein wird?

– Das ist richtig, stimmte ihm der Werkmeister zu, Nummer 129 wird aber, ob die Stelle amerikanisch oder kanadisch ist, doch darum nicht weniger wert sein. Mich verläßt niemals der Gedanke, daß die Claims an den linken Zuflüssen des Yukon nicht minderwertiger sind als die des rechten Ufers. Glauben Sie mir, Herr Raddle, man wird am Sixty wie am Forty Miles Creek noch ebenso schnell große Vermögen gewinnen wie jetzt an der Bonanza und am Eldorado.

– Ich hoffe, Ihre Prophezeiung werde sich erfüllen,« schloß Ben Raddle, sehr befriedigt von diesen Antworten, die ja seinen Wünschen entsprachen.

Nun war noch Summy Skim übrig. Vielleicht erschien diesem die Pille trotz alledem noch zu bitter. Ben Raddle beunruhigte sich darüber tatsächlich mehr, als er zugestehen wollte.

Da kam ihm aber ein glücklicher Zufall zuhilfe. Die gefürchtete Auseinandersetzung mit dem Vetter fand nicht statt. Als Summy nachmittags gegen fünf Uhr zurückkehrte, war er nicht allein. Ben sah ihn auf dem Gipfel des stromabwärts liegenden Hügels auftauchen, während ein riesiger, wie ein Saumtier beladner Arbeiter diesem voranschritt und er dagegen einen sehr klein aussehenden Begleiter neben sich hatte. Schon von weitem her schien Summy ihn durch Zeichen heranzurufen.

»He, komm doch her, Ben, rief er, als er sich kaum in Hörweite befand, komm, ich muß dir doch unsre Nachbarin vorstellen.

– Fräulein Jane! rief da Ben Raddle, als er den scheinbar männlichen Begleiter seines Vetters erkannte.

– Sie selbst! rief Summy zurück. Die Besitzerin des Claims Nummer 127b.«

Es ist wohl kaum nötig, zu sagen, daß die junge Amerikanerin bei dem Ingenieur den herzlichsten Empfang fand. Dieser wurde sofort über die Erlebnisse seiner »Gesellschafterin« unterrichtet; er beglückwünschte sie auch wegen ihrer Kaltblütigkeit und bedauerte aufrichtig ihren anfänglichen Mißerfolg. Summy benützte diese Stimmung des Vetters, sein Gesuch gleich anzubringen.

»Ich habe unsrer Nachbarin versprochen, sagte er, daß du es nicht abschlagen würdest, ihr mit gutem Rate zur Hand zu gehen, und ich hoffe, daß du mich nicht Lügen strafen wirst.

– Du beliebst wohl nur zu scherzen, erwiderte Ben Raddle.[206]

– Du wirst dich also nach Fräulein Janes Claim begeben?

– Das ist selbstverständlich.

– Und ihn sorgsam untersuchen?

– Natürlich... mit größtem Vergnügen.

– Und wirst ihr auch einen sachverständigen Rat erteilen?

– Ich denke, schon morgen. Nötigenfalls nehme ich die »Lichter« (Augen) Loriques zu Hilfe, der hierin mehr Erfahrung hat als ich.

– Sehr schön, Ben; bist doch ein guter Kerl! Was Sie betrifft, mein Fräulein, so ist Ihr Glück nun so gut wie gemacht,« versicherte Summy mit Überzeugung.

Ben Raddle hielt jetzt den Augenblick für günstig, seinen Vetter von seinen Entschlüssen Mitteilung zu machen.

»Und das unsrige auch, sagte er anknüpfend an die letzten Worte Summys, ohne daß er diesen anzusehen wagte.

– Das unsrige?...

– Jawohl. Da wir nun einmal warten müssen, bis der verwünschte Meridian in die richtige Lage gerückt ist, habe ich beschlossen, hier den Betrieb selbst wieder zu eröffnen. Lorique wird die nötige Mannschaft anwerben.«

Ben Raddle erwartete als Antwort eine Explosion. Wie aus den Wolken gefallen kam er sich aber vor, als er seinen Vetter in gutmütigstem Tone sagen hörte:

»Das ist ja ein vortrefflicher Gedanke, Ben! Wahrhaftig, ein vortrefflicher Vorsatz!«

Dann verließ Summy jedoch sofort diesen Gegenstand, der für ihn jede Bedeutung verloren zu haben schien.

»Was ich sagen wollte, Ben, fuhr er fort, ich habe mir erlaubt, Fräulein Jane für die Nacht Unterkommen in unserm Hause anzubieten, da sie bisher genötigt war, unter freiem Himmel zu schlafen. Hoffentlich hast du doch nichts dagegen?

– Eine ganz überflüssige Frage! antwortete Ben. Unser Haus steht Fräulein Edgerton natürlich ganz zur Verfügung.

– So ist also alles in bester Ordnung, sagte Summy, und unter diesen Verhältnissen bin ich der Meinung...

– Daß...

– Nun, daß wir unsre liebe Nachbarin hier überall umherführen,« schloß Summy seelenvergnügt, während er sich, ohne eine Antwort abzuwarten, schon[207] in Gang setzte und Jane Edgerton mit sich nahm. Ben Raddle folgte beiden, erstaunt über diese plötzliche Verwandlung seines Vetters.

Dieser aber sagte zu seiner Begleiterin mit der ernsthaftesten Miene der Welt:

»Die Placers können doch zuweilen wirklich ihr Gutes haben. Die Placers... sehen Sie, Fräulein Jane...«

Eine solche Metamorphose war gar nicht zu begreifen, und achselzuckend zündete sich Ben Raddle eine Zigarette an.

Quelle:
Jules Verne: Der Goldvulkan. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXXIX–XC, Wien, Pest, Leipzig 1907, S. 195-201,203-208.
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