Elftes Kapitel.
Vor dem Kampfe.

[378] War jetzt noch zu hoffen, daß der Golden Mount von der Bande der Texaner nicht entdeckt würde? Nein, da ihn Hunter ja sehen mußte, sobald er aus dem Walde hervortrat. Und er wurde obendrein von Krarak geführt, dessen Namen Summy Skim hatte nennen hören.

Wenn aber der Golden Mount entdeckt war, konnte man dann vernünftigerweise noch annehmen, daß Ben Raddle und die Seinen nicht bemerkt würden? Jedenfalls wollten sie das ja versuchen, es war aber tausend gegen eins zu wetten, daß sie sich schon durch die Anlage des Kanals zur Ableitung des Rio Rubber in den Krater des Vulkans verraten würden.

Dann war ein Kampf nicht zu vermeiden.

Die Rotte Hunters zählte jedoch vierzig Mann und Ben Raddle und seine Gefährten waren ihrer nur einundzwanzig; numerisch also in einer Minderheit, die der Mut allein kaum ausgleichen konnte.[378]

Augenblicklich galt es bloß, die kommenden Ereignisse abzuwarten Höchstens nach achtundvierzig Stunden, vielleicht sogar weit eher, würde Hunter in Sicht des Golden Mount auftauchen.

Das Lager am Mackensie aufzugeben, den Weg nach dem Klondike wieder einzuschlagen und hier alles den Texanern zu überlassen, davon konnte keine Rede sein. Der Scout hätte das den andern nicht vorzuschlagen gewagt und die hätten sich dessen geweigert. Betrachteten sie als erste Besitznehmer sich denn nicht als rechtmäßige Eigentümer der Schätze im Vulkan? Sicherlich würden sie sich deren nicht berauben lassen, ohne sich nach Kräften dagegen zu wehren.

Selbst Summy Skim, der kluge Summy, hätte einem Rückzuge nicht zugestimmt.

Zurückweichen vor diesem Hunter, dessen Roheit bei seiner Ankunft in Skagway er ebensowenig vergessen hatte wie das unverschämte Verhalten während der Bearbeitung des hundertneunundzwanzigsten und des hunderteinunddreißigsten Claims... nimmermehr! Es machte ihm vielmehr eine Art Vergnügen, sich noch einmal einem Feinde gegenüber zu sehen, von dem die Katastrophe am Forty Miles Creek ihn getrennt hatte. Zwischen ihnen gab es noch eine Angelegenheit zu ordnen und die Gelegenheit, die sich jetzt dazu bot, wollte er sich nicht entgehen lassen.

»In einigen Stunden, glaube ich, werden wir die Rotte dem Golden Mount zuwandern sehen, sagte am folgenden Tage Bill Stell zu Ben Raddle, indem er das Gespräch an dem Punkte wieder aufnahm, wo es gestern abgebrochen worden war. Sollte Hunter, wenn er ihn erreicht hat, dann Halt machen, an der Stelle ein Lager aufschlagen, oder es nicht vielmehr vorziehen, am Fuße des Berges weiterzugehen, um am Ufer des Mackensie zu lagern, wie wir es getan haben?

– Ich glaube, Freund Bill, daß die Texaner zuerst werden den Gipfel des Golden Mount ersteigen wollen, um zu sehen, ob sich da schon goldhaltiger Quarz und Pepiten vorfinden, das ist wenigstens wahrscheinlich.

– Gewiß, gab der Scout zu. Sie werden aber wieder herabsteigen, wenn sie sich von der Unmöglichkeit, in den Krater einzudringen, überzeugt haben. Davonziehen aber dürften sie wohl nicht eher, als bis eine Eruption stattgefunden oder vielmehr aufgehört hat. In beiden Fällen müssen sie sich aber ein Lager herrichten.

– Wenn sie nicht fortgehen, wie sie gekommen waren, rief Summy Skim, und das wäre das Klügste, was sie tun könnten.[379]

– Du kannst dich aber darauf verlassen, daß das nicht eintreffen wird, meinte Ben Raddle.

– Überdies, setzte der Scout hinzu, muß die Gegenwart eines Hundes im Walde ihnen doch aufgefallen sein. Sie werden deshalb sehen wollen, ob ihnen an den Mündungen des Mackensie nicht schon andre Prospektoren zuvorgekommen sind, und da dehnen sie ihre Nachforschungen sicherlich bis zum Stromdelta aus.

– In diesem Falle, sagte Summy Skim, müßten sie uns natürlich bald entdecken und würden versuchen, uns zu vertreiben. Dann würde ich also Hunter Aug' in Auge gegenüberstehen!... Gut, wenn dann ein ehrliches Duell – ein französisches oder ein amerikanisches, das mag er bestimmen – der Sache ein Ende machte!«

Auf einen Ausgang dieser Art war freilich nicht zu rechnen. Da die Texaner an Zahl überlegen waren, würden sie das jedenfalls benützen wollen, sich zu den alleinigen Herren des Golden Mount zu machen. Da galt es also, zur Abwehr ihres Angriffs bereit zu sein, und so wurden denn auch im Hinblick auf einen solchen alle nötigen Maßregeln getroffen.

Bill Stell ließ das Material und alles Personal nach der andern Seite des Kanals hinüberbringen. Die Wagen und die Zelte wurden hinter Bäumen verborgen, die in Gruppen auf dem trapezförmigen Platze standen, der auf der einen Seite von diesem Kanal, auf den drei andern von dem Vulkan, der Küste und dem Rio Rubber begrenzt wurde. Der Boden hier war nur mit dürftigem Grase bedeckt, das jedoch zur Ernährung der Tiere für einige Tage hinreichen mußte.

Die Karawane befand sich damit also in einer Art befestigtem Lager, das im Westen, Norden und Osten fast unzugänglich war, während im Süden der Kanal eine Verteidigungslinie bildete, die die Angreifer, wenn das Wasser erst eingelassen war, unter dem Feuer der Gewehre nur mit empfindlichen Verlusten überschreiten konnten.

Die Waffen wurden zur Verteidigung bereit gemacht. Alle Leute erhielten Gewehre, Revolver und Jagdmesser, ohne von dem nie fehlenden Karabiner Summy Skims zu reden.

Es versteht sich ganz von selbst, daß die Jäger von der Stunde an auf einen Ausflug verzichteten, wenn auch die Fischer den Fang im Rio oder in den Buchten der Küste noch weiter betrieben, um an den vorhandenen Vorräten zu sparen.[380]

Beim ersten Tagesscheine ließ Ben Raddle noch einen Damm an der Eingangsöffnung der unterirdischen Galerie aufwerfen, damit diese nicht angefüllt würde, wenn die letzte Erdwand am Rio Rubber beseitigt wurde, um dessen Wasser in den Kanal abfließen zu lassen. Damit sicherte der Ingenieur die Verteidigungslinie und behielt es doch noch immer in der Hand, die Eruption zu beliebiger Zeit hervorzurufen. Gleichzeitig ließ er an der Wand des Kamins im Hintergrunde der Galerie Sprenglöcher herstellen und laden, so daß deren Lunten jeden Augenblick angezündet werden konnten.

Als alles fertig war, erwartete man, immer sorgsam auf der Hut, den drohenden Angriff. Die Leute hielten sich im hintersten Teile des Lagerplatzes. Sie zu bemerken, mußten die Feinde bis zum linken Ufer des Rio Rubber herankommen.

Wiederholt überschritten Ben Raddle, Summy Skim und der Scout noch den Kanal, um die Ebene auf eine weite Strecke hin übersehen zu können. Sie gingen sogar ein gutes Stück längs des Fußes des Vulkans hin.

Hier wurde der Ausblick nur durch die ersten Bäume des Waldes unterbrochen, der den Horizont in anderhalb Lieue Entfernung abschloß.

Die Ebene war leer. Kein Trupp Menschen zeigte sich darauf, so wenig wie nach der Seite der Küste.

»Es steht fest, sagte der Scout, daß die Texaner den Wald noch nicht verlassen haben.

– Sie haben ja auch keine besondre Eile, bemerkte Summy Skim.

– Vielleicht, meinte Ben Raddle, wollen sie sich erst von der Sachlage unterrichten, bevor sie etwas unternehmen, und an den Golden Mount kommen sie dann wahrscheinlich erst nächste Nacht heran.

– Das ist sehr möglich, erklärte der Scout, wir werden also scharf aufpassen müssen.«

Der Tag verlief ganz ruhig und entgegen der Vermutung Ben Raddles blieb auch die Nacht ungestört. Seiner Gewohnheit nach schlief Summy Skim in einem Zuge; dafür konnte Ben Raddle aber kaum ein Auge zutun. Unruhe und Aufregung ließen ihn nicht dazu kommen.

Jetzt, wo er am Ziele zu sein glaubte, mußte sich das Geschick neidisch gegen ihn wenden. Und welche Verantwortlichkeit hatte er auf sich genommen, eine Verantwortlichkeit, deren Last er erst jetzt fühlte, wenn er der Rotte Hunters nicht mit Erfolg widerstehen konnte. Auf seine Anregung hin war ja der Zug[381] hierher unternommen worden... er trug die Schuld an den drohenden Ereignissen, die ihm vielleicht ein unglückliches Ende bereiteten. Er hatte ja Summy Skim sozusagen gezwungen, noch ein zweites Jahr in den weltverlornen Gebieten der Dominion auszuharren.

Um fünf Uhr früh begaben sich Ben Raddle und der Scout nochmals über den Kanal, kamen aber zurück, ohne etwas Besondres beobachtet zu haben.

Das Wetter schien gut bleiben zu wollen und das Barometer stand etwas über der mittleren Höhe. Ein von der Seeseite wehender frischer Wind milderte die Temperatur, die sonst ziemlich hoch gewesen wäre. Die Brise wälzte die Dünste und Rauchwolken des Vulkans, die dem Ingenieur und Bill Stell heute weniger dicht und rußig zu sein schienen, in langer Fahne nach Süden.

»Sollte die vulkanische Tätigkeit abnehmen? fragte Ben Raddle.

– Meiner Treu, antwortete der Scout, wenn der Krater erlösche, hätten wir ja viel leichtere Arbeit.

– Hunter aber auch, »erwiderte der Ingenieur.

Am Nachmittage ging nachher Neluto ein Stück in die Ebene hinaus. Ihn begleitete Stop, der von seiner Verletzung fast nichts mehr fühlte. Wenn sich einer der Leute Hunters bis an den Vulkan herangeschlichen hätte, würde das intelligente Tier seine Spur jedenfalls wittern.

Gegen drei Uhr beobachteten Ben Raddle, Summy Skim und der Scout das Ufer des Rio nahe der Stelle, wo dessen Durchbrechung stattfinden sollte, als sie plötzlich alarmiert wurden. Von der Ebene her, die der Indianer und Stop absuchten, erscholl ein lautes Bellen.

»Was geht dort vor? fragte der Scout.

– O, der Hund wird ein Stück Wild aufgescheucht haben, meinte Ben Raddle.

– Nein, dann klänge sein Bellen anders, erklärte Summy Skim.

– Kommt... kommt mit!« mahnte der Ingenieur.

Sie waren kaum hundert Schritt weit gelaufen, als sie Neluto fast außer Atem heranstürmen sahen. So beeilten sie sich, ihn zu erreichen.

»Was gibt es denn, Neluto? fragte Ben Raddle.

– Sie sind da, antwortete der Indianer. Sie kommen heran.

– Alle? fragte Bill Stell.

– Alle.

– Wie weit sind sie wohl noch von hier? erkundigte sich der Ingenieur.[382]

– Etwa fünfzehnhundert Meter, Herr Ben.

– Und sie haben dich nicht bemerkt?

– Nein, versicherte Neluto. Doch ich, ich habe sie deutlich gesehen. Sie kommen in geschlossenem Zuge mit ihren Pferden und Wagen hierher.

– In welcher Richtung?

– In der auf den Rio zu.

– Meinst du, daß sie das Bellen des Hundes gehört haben? fragte Summy Skim.

– Das glaube ich nicht, antwortete Neluto. Dazu waren sie noch zu entfernt.

– Aus... nach dem Lager!« befahl Ben Raddle.

Einige Minuten später hatten alle vier den Kanal über die Erdwand am Rio hin überschritten und sich ihren Gefährten unter den Bäumen angeschlossen.

Würden nun Hunter, Malone und ihre Rotte, wenn sie den Fuß des Golden Mount erreicht hatten, Halt machen und da ein Lager aufschlagen? Oder würden sie ihren Marsch nach dem Delta des Mackensie fortsetzen?

Die zweite Annahme erschien als die wahrscheinlichste. Da sie genötigt waren, mindestens einige Tage hier zu verweilen, suchten sie jedenfalls eine Stelle auf, wo es ihnen an Süßwasser nicht fehlen konnte. Die Ebene im Westen des Golden Mount wurde aber von keinem Creek bewässert und Hunter mußte es bekannt sein, daß sich der Große Strom hier in den Ozean ergoß. Es war also zu erwarten, daß der Texaner sich dem Delta zuwenden würde. Dann mußten die Kanalarbeiten aber seine Aufmerksamkeit erwecken und es konnte nicht ausbleiben, daß er das Lager unter den Bäumen entdeckte.

Der Nachmittag verlief indessen, ohne daß es zu einem Angriffe kam. Weder die Texaner noch einer ihrer Leute zeigten sich in der Umgebung des Rio Rubber.

»Es ist ja möglich, sagte da Jane Edgerton, daß Hunter, wie wir gleich anfangs mutmaßten, den Vulkan wird ersteigen wollen, ehe er sich an dessen Fuße zum Verweilen einrichtet.

– Das ist in der Tat möglich, stimmte ihr Summy Skim bei. Er muß doch den Krater in Augenschein nehmen, um zu sehen, ob der wirklich Pepiten enthält.«

Dieser Gedankengang war ja richtig und auch Ben Raddle nickte beieillig dazu.[383]

Wie dem auch sein mochte, der Tag verstrich, ohne daß das Lager von den Texanern heimgesucht wurde.

Um jeder Möglichkeit zu begegnen, beschlossen der Scout und seine Leute die ganze Nacht zu wachen. Einander ablösend, überschritten sie die Erdwand am Rio und schlichen sich in die Ebene hinaus, um den Fuß des Berges sehen zu können.

Bis elf Uhr war die Dämmerung hell genug, Menschen zu erkennen, die sich auf den Rio zu begäben, und drei Stunden später stieg schon wieder der erste Tagesschein heraus. In der kurzen Nachtzeit ereignete sich kein Zwischenfall und beim Aufgang der Sonne war die Lage der Dinge noch ganz dieselbe wie am Tage vorher.

Diese Verzögerung eines Angriffs bekräftigte mehr und mehr die ursprüngliche Vermutung Ben Raddles, die Jane Edgerton wiederholt hatte: Da die Texaner nicht erschienen, hatten sie sich höchstwahrscheinlich zu dem Versuche einer Besteigung des Berges entschlossen.

Wann sollte diese Besteigung aber vor sich gehen? Das war wichtig zu wissen. Wie sollte man jedoch, ohne sich zu verraten, den Berggipfel beobachten können? Vom Lager aus weiter im Süden Aufstellung zu nehmen, daran war gar nicht zu denken; dort wäre kein Versteck zu finden gewesen. Auch im Osten, nach der Seite des Hauptarmes des Mackensie zu, wäre es unmöglich gewesen, den Blicken Hunters und Malones auszuweichen, wenn diese das Plateau des Golden Mount erreicht hatten.

Nur eine einzige Stelle gab es, von der aus man sehen konnte, ohne gesehen zu werden, wenn jene um den Krater herumgingen. Diese lag am linken Ufer des Rio, etwas stromabwärts von dem Punkte, der zur Ableitung des Flusses gewählt worden war, wo eine Gruppe alter Birken zweihundert Schritt von dem Gehölz stand, das Ben Raddle und seine Begleiter jetzt verbarg. Zwischen dem Lager und der Birkengruppe zog sich von Sträuchern eine Art Hecke hin, von der gedeckt die Männer einer hinter dem andern, wenn sie sich bückten, unbemerkt nach dieser hinschleichen konnten.

Frühzeitig begaben sich Ben Raddle und Bill Stell dahin, um sich zu überzeugen, daß von der erwähnten Stelle aus der Rand des Plateaus unbehindert zu überblicken war. Das den Endkegel kreisförmig umschließende Plateau war, wie sie schon bei ihrer ersten Besteigung bemerkt hatten, mit Quarzblöcken und dazwischen erhärteter Lava bedeckt, worauf man ziemlich leicht hingehen[384] konnte. Darunter fiel die Flanke des Berges lotrecht wie eine Mauer ab und ebenso war die Anordnung auf der andern, dem offnen Meere zugekehrten Seite.

»Dieser Platz eignet sich vortrefflich für unsern Zweck, sagte der Scout. Hier kann man auch weder auf dem Hin- noch auf dem Rückwege bemerkt werden. Wenn Hunter den Berg überhaupt besteigt, wird er jedenfalls nach unsrer Seite zu das Delta des Mackensie besichtigen wollen.


Leider können diese zwei Kugeln sie nicht erreichen!... (S. 387.)
Leider können diese zwei Kugeln sie nicht erreichen!... (S. 387.)

– Jawohl, stimmte Ben Raddle ein. Wir werden hier auch stets einen Mann als Beobachtungsposten aufstellen.[385]

– Und ich bemerke noch, Herr Raddle, fuhr der Scout fort, daß unser Lager von oben aus nicht sichtbar ist; es wird jetzt durch die Bäume verdeckt. Wir werden dafür sorgen, daß alle Feuer gelöscht bleiben, damit kein Rauch entstehen kann. Dann entgeht es sicherlich den Blicken Hunters.

– Das wäre zu wünschen, antwortete der Ingenieur. Für diesen Fall wiederhole ich auch den Wunsch, daß die Texaner, sobald sie sich von der Unmöglichkeit, in den Krater hinabzusteigen, überzeugt haben, ihre Pläne aufgeben und möglichst bald zum Rückzuge blasen.

– Auf dem der Teufel ihr Führer sein möge! rief der Scout und setzte noch hinzu: Wenn es Ihnen recht ist, Herr Ben, will ich, da ich etwas müde bin, hier bleiben, während Sie nach dem Lager zurückkehren.

– Nein, Bill, ich möchte lieber selbst hier auf Wache bleiben. Achten Sie darauf, daß alle unsre Maßnahmen befolgt werden und daß sich keins der Tiere entfernen kann.

– Gut, Herr Ben, antwortete der Scout, ich werde auch Herrn Skim sagen, daß er Sie in zwei Stunden ablöst.

– Ja, in zwei Stunden,« erwiderte Ben Raddle, während er sich am Stamme einer Birke so lagerte, daß er den Rand des vulkanischen Plateaus nicht aus dem Auge verlor.

Bill Stell kehrte also allein nach dem kleinen Gehölz zurück und um neun Uhr begab sich auf seine Aufforderung hin Summy Skim mit übergehängtem Gewehr, als wolle er zur Jagd gehen, zum Ingenieur.

»Nichts Neues, Ben? fragte Summy Skim.

– Gar nichts, Summy.

– Hast du keinen von den texanischen Tölpeln die Felswand hinaufklettern gesehen?

– Keinen einzigen.

– Hei, welches Vergnügen für mich, wenn ich einen oder zwei von ihnen unterwegs wegputzen könnte! rief Summy Skim, auf seine mit Kugeln geladene Doppelflinte zeigend.

– In dieser Entfernung, Summy? bemerkte der Ingenieur.

– Das ist freilich wahr... 's ist ein bißchen hoch.

– Übrigens, Vetter, kommt es jetzt gar nicht darauf an, ein geschickter Schütze, sondern darauf, klug und weise zu sein. Wenn du einen von der Bande wegschössest, würde die für uns noch nicht minder gefährlich sein, während[386] ich, wenn wir unentdeckt bleiben, noch immer hoffe, daß uns Hunter und seine Begleiter von ihrer lästigen Anwesenheit befreien werden, nachdem sie gesehen haben, daß hier nichts zu holen ist.«

Ben Raddle erhob sich, um nach dem Lager zurückzukehren.

»Passe gut auf, sagte er noch, und wenn du die Texaner oben auf dem Berge siehst, so komme sofort, es uns zu melden, nur achte darauf, auf dem Wege nicht gesehen zu werden.

– Einverstanden, Ben.

– Der Scout wird dich nach zwei Stunden hier ablösen.

– Er oder Neluto, antwortete Summy Skim, wir können uns ja auf beide verlassen und Neluto hat überdies richtige Indianeraugen!«

Ben Raddle wollte schon fortgehen, als Summy Skim ihn noch einmal am Arm ergriff.

»Warte noch einen Augenblick, sagte er.

– Warum denn?

– Da oben... sieh nur da hinauf.«

Der Ingenieur richtete den Blick nach dem Plateau des Golden Mount.

Da erschien ein Mann und gleich darauf ein zweiter am Rande des Abhangs.

»Das sind sie, sagte Summy Skim.

– Ja wahrlich, Hunter und Malone!« antwortete Ben Raddle, während er sich schleunigst unter den Schutz der Baumgruppe zurückzog.

Es waren wirklich die beiden Texaner und wahrscheinlich befanden sich noch einige ihrer Leute auf dem Plateau. Nach Besichtigung des Kraters gingen sie um diesen herum und betrachteten die Umgebung des Berges. Eben jetzt hatten sie die Augen dem hydrographischen Netze des Mackensiedeltas zugewendet.

»Ah, die beiden Schurken! stieß Summy Skim her vor. Und ich muß mir sagen, daß ich hier zwei Kugeln für sie habe und daß diese sie leider nicht erreichen können!«

Ben Raddle verhielt sich schweigend. Er folgte nur mit dem Blicke den beiden Männern, die ihnen ohne Zweifel den Golden Mount rauben wollten.

Ungefähr eine Stunde lang konnte er die beiden Texaner auf dem Plateau hin- und hergehen sehen. Sie betrachteten sich die Gegend mit gespannter Aufmerksamkeit und neigten sich manchmal vor, um den Fuß des Vulkans an der Seite des Deltas zu besichtigen.[387]

Ob sie das Lager unten am Berge entdeckt hätten und also schon wüßten, daß ihnen eine Karawane an der Mackensiemündung zuvorgekommen war, das konnte niemand entscheiden; unzweifelhaft war nur, daß Hunter und Malone hartnäckig den Rio Rubber betrachteten, dessen Nachbarschaft ihnen passend erscheinen mochte, sich da für einige Wochen einzurichten.

Bald schlossen sich ihnen noch zwei andre Männer an. Der eine, den Ben Raddle und Summy Skim sofort wieder erkannten, war der Werkführer des einstigen hunderteinunddreißigsten Claims. Der andre war ein Indianer.

»Sollte das der Führer sein, der sie hierhergebracht hat? fragte der Ingenieur.

– Wenigstens ist es der, den ich schon auf der Waldblöße gesehen habe,« antwortete Summy Skim.

Während sie die vier Abenteurer am Plateaurande stehen sahen, kam ihnen der Gedanke, daß es die Sachlage erleichtern, vielleicht ganz beendigen würde, wenn jene das Gleichgewicht verlören und so acht-bis neunhundert Fuß herunterstürzten. Ihrer Anführer beraubt, würde die Bande wahrscheinlich bald von hier fortziehen.

Dazu sollte es jedoch nicht kommen. Die Texaner fielen nicht von der Höhe des Vulkans herunter, dagegen polterte ein mächtiger Quarzblock herab, der sich von der Kante des Felsens gelöst hatte.

In seinem Sturze schlug der Block auf einen Vorsprung des Berges auf, wodurch er in mehrere Stücke zersprang, die sich an den das Lager schützenden Bäumen noch weiter zerteilten.

Summy Skim wollte schon einen Schrei ausstoßen, was Ben Raddle noch dadurch verhinderte, daß er ihm die Hand auf den Mund legte.

Ob einzelne der kanadischen Prospektoren durch diesen Felssturz verletzt worden waren, das konnten Ben Raddle und Summy Skim nicht wissen. Jedenfalls aber war vom Lager her kein Schmerzensschrei hörbar.

Dagegen wurde bei dieser Gelegenheit eins der Pferde der Karawane arg erschreckt. Das Tier zerriß seine Leine und stürmte aus dem kleinen Gehölz hervor dem Kanale zu, den es übersprang und worauf es nach der Ebene hin entfloh.

Mehrere durch die Entfernung geschwächte Rufe ließen sich da vom Gipfel des Golden Mount vernehmen. Hunter und Malone riefen ihre Spießgesellen herbei.[388]

Fünf oder sechs tauchten sogleich auf dem Plateau auf und begannen sofort ein eifrig geführtes Gespräch. Aus ihrem Verhalten war leicht zu erkennen, daß Hunter jetzt wußte, woran er sich bezüglich der Anwesenheit einer Karawane an den Mündungen des Mackensie zu halten habe. Jenes Pferd konnte nur aus einem Lager entsprungen sein und dieses Lager befand sich da unten ihm zu Füßen.

»Verwünschtes Tier! wetterte Summy.

– Ja, antwortete Ben Raddle, ihm können wir's zu verdanken haben, wenn wir die Partie... wenigstens den ersten Anzug verlieren.«

Summy sah auf seine Doppelflinte nieder, die er fast zärtlich streichelte.

»So begnügen wir uns mit dem Nachzuge!« murmelte er zwischen den Zähnen.

Quelle:
Jules Verne: Der Goldvulkan. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXXIX–XC, Wien, Pest, Leipzig 1907, S. 378-389.
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