Zwölftes Kapitel.
Drei Wochen im Bismarck-Archipel.

[174] Die nächstfolgenden Tage wurden zur Entladung der Brigg benutzt. Len Cannon und seine Kameraden beteiligten sich ohne Widerspruch an der Arbeit, und Gibson ahnte natürlich nichts von ihren Plänen.

Einige Eingeborne – etwa ein halbes Dutzend – kräftige und gar nicht ungeschickte Männer, kamen der Besatzung noch zu Hilfe, und so ging das Löschen der Brigg unter den günstigsten Umständen vor sich.

Jim hatte von dem malaiischen Dolche gegen die Gebrüder Kip nichts erwähnt. Sie wußten also nicht, daß dieser in ihrer Kabine läge.

Vin Mod hatte sich nämlich beeilt, ihn vor ihrer Rückkehr an Bord wieder an sich zu nehmen, und jetzt lag der Kriß versteckt in seinem Reisesacke, wo ihn niemand entdecken konnte. Es genügte dem Matrosen jedenfalls, daß der Schiffsjunge[174] den Dolch gesehen hätte. Was er damit bezweckte, das hätte nicht einmal Flig Balt sagen können.

Während der Kapitän die Entladung überwachte, verwendeten Hawkins, Nat Gibson, Karl und Pieter Kip ihre Muße, in Begleitung des Ziegerschen Ehepaares die interessante Umgebung von Port-Praslin zu durchstreifen. Sie besuchten unter anderem die bedeutendsten, an dieser Seite der Küste errichteten Faktoreien. Die einen waren in Besitz deutscher Kolonisten, die anderen, die schon vor dem Teilungsvertrage gegründet waren, befanden sich noch in der Hand englischer Handelshäuser. Alle machten recht gute Geschäfte. Die Einfuhr und die Ausfuhr im früheren Tombara – jetzt Herbertshöhe genannt – und im früheren Birara – dem heutigen Matupi – nahm zum Vorteil des deutschen Melanesien ununterbrochen zu.

Überall fanden die Gäste des Herrn Zieger einen vortrefflichen Empfang. Der ehrenwerte Kaufmann nahm in der Handelsgesellschaft, in deren Hand auch die Verwaltung liegt, einen hervorragenden Rang ein. Er war durch seine Stellung mit einer gewissen richterlichen Gewalt bekleidet, der sich die Eingebornen willig fügten. Übrigens verging auch kein Jahr. ohne daß ein Kriegsschiff eine der Inseln des Bismarck-Archipels anlief und den deutschen Farben die vorschriftsmäßige Ehrenbezeugung erwies, wenn Herr Zieger an der Fahnenstange in Port-Praslin die deutsche Flagge hissen ließ.

Die kaiserliche Regierung hatte den Eingebornen ihre Unabhängigkeit fast uneingeschränkt gelassen. Die Stämme haben nur sozusagen keine Häuptlinge mehr. Wird auch einzelnen Greisen noch einige Autorität zugesprochen, so leben doch alle Zugehörigen eines Stammes auf der Stufe völliger Gleichheit. Sklaven gibt es nicht mehr, auch nicht in den Dorfschaften des Innern, und alle Arbeiter sind freie Männer. Als solche werden sie gegen eine verabredete Entschädigung, die in Gebrauchsgegenständen oder Nahrungsmitteln besteht, von den Fabriken oder beim Anbau des Landes beschäftigt. Übrigens wurden die Sklaven hier auch schon vor der Aufhebung der Sklaverei von ihren Herren freundlich behandelt

Dieser Anlauf zur Zivilisation ist sicherlich dem Eifer und der Opferwilligkeit der Missionare zu verdanken, die sich an verschiedenen Stellen des Archipels niedergelassen haben. Sie durchstreifen die Inseln immer mit dem Evangelium in der Hand. In Port-Praslin besteht auch eine protestantische Kapelle, an der zwei Geistliche tätig sind und die den religiösen Bedürfnissen bis jetzt genügt.[175]

Bei einem Ausfluge nach dem Innern der Insel und bis auf drei Seemeilen vom Hafen, besuchten Hawkins und Nat Gibson und die Gebrüder Kip in Gesellschaft des Herrn Zieger auch ein tombarisches Dorf.

Dieses bestand nur aus einem Haufen hölzerner Hütten, die, obgleich der Erdboden hier nicht sumpfig war, alle frei auf Baumstämmen oder Pfählen standen.

Die Eingebornen daselbst gehörten zweifellos zur papuanischen Rasse und unterschieden sich überhaupt nicht sehr von denen Neuguineas. Das Dorf bewohnten, jede Familie für sich, etwa hundertsechzig Männer, Frauen, Kinder und Greise. Natürlich kannten alle den Herrn Zieger und unterwarfen sich seiner Amtsgewalt, obgleich er diese unter den Stämmen im Innern nur selten geltend zu machen Veranlassung hatte.

Seine Begleiter und er wurden von zwei Persönlichkeiten empfangen, die eine Ehre darin zu suchen schienen, recht gemessen und gleichgültig aufzutreten. Die Frauen und die Kinder hielten sich in den Hütten zurück, und es war ziemlich schwierig, sich ihnen zu nähern. Tatsächlich ist man über die Familienverhältnisse und über die soziale Stellung der verschiedenen melanesischen Völkerschaften auch heute noch nicht vollständig aufgeklärt.

Die Zeiten waren schon vorüber, wo diese Wilden noch fast völlig nackt gingen oder nur mit einem Lendenschurz aus der Rinde des Vakoi bekleidet waren, der in lange Streifen zerschnitten und mit einer Naht aus Pflanzenfasern zusammengehalten wurde.

Dank den englischen und deutschen Baumwollstoffen, die heute im ganzen Gebiete verbreitet sind, bekleiden sich jetzt Männer und Frauen mit streifigen Geweben. Diese Dezenz darf wohl als ein Anfang zivilisatorischer Wandlung betrachtet werden.

Zieger konnte recht zuverlässige und wertvolle Mitteilungen über diese Eingebornen machen, deren Gesichts-, Geruchs- und Gehörssinn ganz erstaunlich entwickelt ist.


Echosee und »Loch in der Wand«-Krater.
Echosee und »Loch in der Wand«-Krater.

Terrasse in Whakarewarewa.
Terrasse in Whakarewarewa.

Terrasse in Whakarewarewa.


Auch in allen Körperbewegungen zeigen sie eine auf fallende Schmiegsamkeit und man könnte fast sagen – Eleganz. Sie aber zum Arbeiten zu veranlassen, das bedarf der Nötigung durch Mangel an Nahrungsmitteln. Von Natur recht phlegmatischen Charakters, lieben sie die Ruhe über alles. Hier im Dorfe lagen die meisten männlichen Einwohner träge vor ihren Hütten ausgestreckt auf der Erde. So überließen sie sich einem vollständigen Nichtstun, hatten die Beine gekreuzt, die Arme auf die Brust gelegt, sahen nach nichts,sprachen kein Wort, sondern kauten nur ununterbrochen Betel, wie die Morgenländer ihr Opium und die Abendländer ihren Tabak rauchen.

Der Betel ist eine Mischung aus Kalk, der durch Kateinieren von Madreporen gewonnen wird, und einer Frucht mit rotem Oberhäutchen mit dem (melanesischen) Namen »Kamban«. Es ist ein den Speichelfluß stark anregendes Mittel, dessen scharfe Bestandteile eine schwach berauschende Wirkung und einen nicht unangenehmen Geschmack haben. Ein Nachteil des Betels liegt darin, daß er die Zähne schwärzt und angreift und leicht Blutungen der Mundschleimhaut erzeugt. Streng beobachteter Sitte gemäß dürfen sich die jungen Leute dem so sehr gesuchten Genuß nicht hingeben. und nur Eingebornen von einem gewissen Alter ist es gestattet, Betel zu kauen.

Was die Industrie der Neuirländer angeht, so beschränkt sie sich auf das Weben von Matten aus Pandanusblättern und auf die Herstellung weniger anderer Dinge, vor allem grober Topfwaren. Und auch das ist den Frauen überlassen, die weniger träge als die Männer sind, ebenso wie ihnen die Feldarbeit und die tägliche Zubereitung der Speisen obliegt.

Die Ernährung erfordert übrigens nur wenige Kenntnisse in der Kochkunst. Zu bestimmter Stunde essen die Eingebornen nicht, vielmehr eigentlich zu jeder Stunde.

»Welches Tier – äußert sich hierüber ein Reisender – es auch sein mag, das den Wilden in die Hand fällt, es wird sofort auf glühende Kohlen geworfen, geröstet und verzehrt, ohne daß man sich, wenn es ein Vierfüßler war, die Mühe nimmt, es zu häuten, oder wenn es Geflügel war, es zu rupfen.«

Die Leute mästen sich mit Fischen, Seeschildkröten, Achtfüßern, Muscheltieren aller Art, mit Heuschreckenkrebsen, sehr großen, Kukiavars genannten Krabben, mit Reptilien, Eidechsen und sehr wenig schmackhaften Insekten, die sie schmunzelnd verschlingen. Von Früchten genießen sie Mapes und Lakas, eine sehr viel vorkommende Art von Kastanien des Inokarpus, Kokosnüsse, deren holzige Umhüllung als »Larime« und deren Milchsaft als »Kauro« bekannt ist, ferner Unis oder Bananen, Nios oder Ignamen, Tos oder Zuckerrohr und Berkos, die Früchte des wilden Brotbaumes. Von Vierfüßlern züchten die Eingebornen nur Schweine, und jagen Kuskus, Tiere, die einer Unterart der Beutelratten angehören.

Die Neuirländer erweisen sich nebenbei aber nicht unempfänglich für die Segnungen der Zivilisation. Die Missionare bemühen sich, sie zum Christentume[179] zu bekehren. Leider ist bei ihnen das Heidentum sehr tief eingewurzelt und mit muselmanischen Glaubenssätzen vermischt, die sie infolge ihrer Beziehungen zu den Malaien angenommen haben. Man geht wohl auch nicht fehl, diese Wilden für Polygamen zu halten. In jedem Dorfe findet man ein Tambu, eine öffentliche Hütte, das Haus der Götzenbilder, dessen Instandhaltung und Bewachung den ältesten Männern obliegt.

Hawkins und seine Begleiter stießen auf keine Schwierigkeiten, den Tambu zu besuchen, dessen Türen, die weniger fest als die der Hütten geschlossen waren, sich vor Herrn Zieger ohne Widerspruch öffneten. Sie fanden im Innern der sehr geräumigen Hütte mehrere roh ausgeführte tönerne Figuren, die weiß, schwarz und rot angepinselt waren und deren aus Perlmutterschalen hergestellte Augen wie ein Herdfeuer glänzten. Diese Götzengestalten werden Bakui genannt. Unter anderen hier vorhandenen Dingen befanden sich auch zwei Tamtams, auf die ein Eingeborner unter Aufsicht eines Greises mit langem, mit Ocker überstreutem Barte aus Leibeskräften losschlug. Die Götzenbilder waren ferner mit einem besonderen Schmuckstücke, einem ziemlich sein aus Holz geschnitzten »Prapraghan« ausgestattet, der gewöhnlich am Vorderteil der Piroguen zu sehen ist.

Nat Gibson hatte seinen photographischen Apparat mitgenommen gehabt. Er erhielt vom Innern und Äußern des Tambu recht gelungene Bilder, die die Sammlung des Reeders bereichern sollten.

Während dieses Besuches in dem tombarischen Dorfe war der Nachmittag verstrichen. Schon begann es zu dämmern, als Zieger und seine Gäste den Rückweg durch den Wald einschlugen. Funkelten über den Wipfeln der mächtigen Bäume die Abertausende Sterne des Himmels, so warfen Millionen irdischer Sterne ihren phosphoreszierenden Lichtschein durch die Gebüsche und das hohe Gras des Erdbodens, ebensoviele Leuchtkäfer, »Kalloltes« in melanesischer Sprache, von denen das ganze Unterholz schimmerte. Es machte den Eindruck, als bewegten sich die Füße über und durch einen leuchtenden Rasenteppich, während eine Wolke glimmender Funken zwischen dem Gezweig darüber glitzerte.

So verliefen die Tage unter anregenden, lehrreichen Ausflügen längs der Küste oder im Innern der Insel. Eines Tages unternahmen sogar Karl Kip, Nat Gibson und Hawkins, geführt von einem Angestellten der Faktorei, eine Besteigung des hinter der Villa aufragenden Berges. Das verlangte ein[180] paar Stunden tüchtiger Anstrengung, obwohl der Weg im dichten Waldschatten verlief.

Dieser Berg gehört nicht zu den höchsten der etwa fünftausend Fuß hohen Zentralkette. Sein Gipfel gestattete jedoch eine ausgedehnte Rundschau über den Sankt Georgskanal zwischen Neubritannien und Neuirland. Weiterhin tauchten noch andere Höhen auf und nach Süden bin dehnte sich Neupommern bis über Sehweite hin aus.

Selbstverständlich vergaßen Herr und Frau Zieger als Landinsassen, die auf jedes Stück ihres Gebietes stolz sind, auch nicht auf eine ihrer malerischsten Gegenden, die im Osten von Port-Praslin die Bewunderung aller Touristen am entschiedensten herausfordert, hinzuweisen... auf den berühmten Wasserfall, den der Franzose Duperrey nach dem Franzosen Bougainville getauft hat.

Die Quellen, die der Berg nach dem Meere entsendet, stürzen hier aus der Höhe von fünfzig Fuß herab. Sie entspringen der Seite der Bergkette und hüpfen schäumend zwischen grünen Steilwänden über fünf übereinander liegende Absätze hinunter. Die eine große Menge Salze enthaltenden Quellen verbrämen die Wände aus kohlensaurem Kalke, woneben sie vorbeieilen, mit schönen, kalkigen Steingebilden. Bei dem hier gebotenen Anblick kann man nur bestätigen, was Duperrey darüber sagt, »daß diese hüpfenden Gruppen bei ihrem fast regelmäßigen, gegenseitigen Abstande der lärmenden Kaskade einen unvergeßlichen Stempel aufprägen, ebenso wie das trotzige Gestein, das wohl hundert ungleich große Becken bildet, worin sich die kristallene Flut anstaut, die noch von riesigen Bäumen, deren Fuß zuweilen in die Becken selbst eintaucht, einen grünlichen Schimmer annimmt.« Der Ausflug hierher brachte Hawkins noch neue Photographien ein, die schönsten, die bisher von der »Bougainville-Kaskade« aufgenommen worden waren.

Die Entladung des »James-Cook« war am Nachmittage des 25. beendet. Die gesamte, an die Firma Zieger konsignierte Fracht fand sofortige Aufnahme, da sie aus immer verlangten Waren von deutscher und britischer Fabrikation bestand.

Die Brigg sollte nun ihre Rückfracht einnehmen, wie der Leser schon weiß, Fässer mit Koprah und Kisten mit Perlmutter, die für Hobart-Town bestimmt waren. Von dreihundert Tonnen Koprah sollten hundertfünfzig in Port-Praslin aus den Niederlagen des Hauses Zieger und hundertfünfzig in Kerawara angeliefert werden, einer der kleineren Inseln, die im Süden von der Insel York oder Neulauenburg liegen.[181]

Der Kapitän beschloß in Übereinstimmung mit den Herren Hawkins und Zieger, daß das Frachtgut aus Kerawara zuerst an Bord genommen werden sollte. Der »James-Cook« sollte also nach dieser Insel absegeln, dann aber Port-Praslin nochmals anlaufen, um seine Ladung zu vervollständigen.

Hatte die Brigg auch keine Havarien auszubessern, so war es doch notwendig, ihren Rumpf einmal gründlich zu säubern und ihr Oberwerk an Bug und Heck frisch anzustreichen. Diese Arbeiten erforderten drei bis vier Tage. Die Mannschaft fing damit sofort an und wurde auch in der dafür vorgesehenen Zeit fertig, so daß die Abfahrt auf den Morgen des 29. festgesetzt werden konnte.

Flig Balt und Vin Mod hatten bekanntlich erwartet, daß die Passagiere während des Abstechers nach Kerawara in Port-Praslin zurückbleiben würden, daß der Kapitän sich also allein an Bord befände und sie diese Gelegenheit zur Ausführung ihrer schwarzen Pläne benutzen könnten. Einmal erst Herren des Fahrzeuges, gedachten sie nach Nordosten hinauszusteuern, und Hawkins würde dann vergeblich das Wiedererscheinen des »James-Cook« im Gewässer Neuirlands erwarten.

Der Bootsmann und seine Spießgesellen sollten aber enttäuscht werden. Nicht allein die Herren Hawkins, Nat Gibson und die Gebrüder Kip beschlossen, an der kurzen Fahrt teilzunehmen, Herr Zieger schlug noch obendrein vor, sie zu begleiten, was natürlich mit Vergnügen angenommen wurde.

Flig Balt und Vin Mod hatten einige Mühe, ihren Ingrimm zu verhehlen. Die Möglichkeit, sich des »James-Cook« zu bemächtigen, oder doch die günstige Gelegenheit dazu, worauf sie stark gerechnet hatten, ging ihnen wiederum verloren.

»Der leibhaftige Teufel schützt diesen Kapitän vor allem Unglück! rief Vin Mod, als er von jenen Entschlüssen hörte.

– Du wirst schon sehen, Mod, daß er auch noch nach Hobart-Town zurückkommt, antwortete Flig Balt.

– Nein, Bootsmann, erklärte Vin Mod; können wir uns seiner nicht auf dem Schiffe selbst entledigen... nun, dann gelingt's vielleicht...

– Was werden aber die anderen tun?« erwiderte Flig Balt.

Die anderen... das waren Len Cannon, Sexton, Kyle und Bryce. Es fragte sich ja, ob diese nun vom Schiffe fortlaufen oder ob sie die Fahrt nach Kerawara noch mitmachen würden, ehe sie ihre Matrosensäcke packten, denn wenn sie im Laufe dieser Überfahrt auch noch nichts erreichten, beharrten[182] sie wahrscheinlich auf ihrem Entschluß, den Dienst auf dem Schiffe zu verlassen.

Während des Aufenthaltes in Port-Praslin hatten sie freilich die Überzeugung gewinnen müssen, daß es ihnen hier schwer fallen werde, ihren Lebensunterhalt zu erwerben, und das mochte ihnen wohl zu denken gegeben haben. Vin Mod stellte ihnen die Schwierigkeiten ausdrücklich vor und erhielt auch die Zusage, daß sie noch bis Kerawara und zurück mitfahren, dann aber sich ausschiffen wollten.

Die Brigg segelte also am Morgen des 29. ab. Dauerte es vierundzwanzig Stunden, bis zur Insel York zu kommen, zwei Tage, die Koprahladung zu verstauen, und wieder vierundzwanzig Stunden, nach Port-Praslin zurückzukehren, so konnte die Reise nur vier, höchstens fünf Tage in Anspruch nehmen.

Der politische und kommerzielle Hauptort des Bismarck-Archipels war, wie gesagt, bisher die kleine Insel Mioko, südlich von der Insel York, gewesen, die ziemlich genau in der Mitte zwischen den zwei größeren Inseln der Gruppe lag. Aus Gesundheitsrücksichten wurde der Regierungssitz später nach der Insel Matupi verlegt, die ihre Entstehung nur vulkanischen Ausbrüchen eines Kraters in der Weißen Bai, am Westende von Birara, verdankt. Hier wurden aber wiederholte Erderschütterungen recht lästig, und deshalb siedelte man nach dem Eilande Kerawara, im Nordwesten von Kioko, über.

Die Reise ging durch den Sankt Georgskanal, doch nur ziemlich langsam zufolge widriger Winde auf dieser Wasserfläche, wo man Tiefen bis viertausend Fuß mit der Sonde nachgewiesen hat. Der Kanal oder die Straße wird von den Inseln Tombara und Birara gebildet, deren äußerste Vorsprünge sich im Südosten und Nordosten beträchtlich nähern.


Die »Bougainville-Kaskade«. (S. 181.)
Die »Bougainville-Kaskade«. (S. 181.)

Zu ihrem Bedauern konnte hier weder Hawkins noch Nat Gibson einmal ans Land gehen, und gerade Birara ist eines Besuches wohl wert. Umrahmt von einem Amphitheater vulkanischer Gipfel – wie der »Mutter«, der »Tochter des Nordens« und der »Tochter des Südens« – ist diese Insel die größte der Gruppe, daneben auch die bergigste und waldreichste mit einem ungeheueren Bestande an Kokospalmen. Ethnologische Seltenheiten verleihen ihr noch ein besonderes Interesse. Wo in aller Welt fände man noch eine Insel, wo ein Schwiegersohn kein Wort an seine Schwiegermutter zu richten wagt und er sich sogar versteckt, wenn er dieser begegnet, wo die Zehen der Bewohner angeblich durch häutige Brücken verbunden[183] sind, eine Insel, von der die Sage geht, daß die Menschen daselbst noch mit einem Schwanzanhängsel ausgestattet sein sollen!

Ging die Brigg hier aber auch nicht ans Land, so segelte sie doch im Sankt Georgskanal längs der Küste hin, um nach der Insel York oder Neulauenburg zu kommen.

Den Namen York hatte diese 1707 von Carteret an Stelle ihres melanesischen Namens Amakata erhalten. In späterer Zeit wurde die Insel mehrmals besucht, so 1791 von Hunter und 1792 von Entrecasteaux und ferner[184] 1823 von Duperrey, die ihre geographische Lage zwischen 152 Grad 2 Minuten und 152 Grad 7 Minuten östlicher Länge (von Greenwich) und 4 Grad 5 Minuten bis 4 Grad 10 Minuten südlicher Breite bestimmten.


Man rief laut... Keine Antwort. (S. 189.)
Man rief laut... Keine Antwort. (S. 189.)

Ihre Länge beträgt von Nordosten nach Südwesten acht Seemeilen, ihre Breite fünf Meilen, und im Mittel steigt sie ziemlich hoch über das Meer empor.

Trotz ihrer dichten Bevölkerung und mehrerer recht sicherer Häfen trägt sie jedoch nicht den Hauptort des Archipels. In ihrer Umgebung liegt eine Anzahl Eilande, wie Makada, Burnan, Ulu, Utuan, Kabokon, Muarlin, Mioko[185] und Kerawara. Auf das letzte, das südlichste Eiland, war schließlich die Wahl zum Sitz der Regierung gefallen.

Am frühen Morgen des 30. meldete die Wache das Kap Brown auf Makada. Der »James-Cook« wendete darauf mehr nach Süden, bekam von der großen Insel das Kap Makukar in Sicht, steuerte darauf nach der Wasserstraße im Nordwesten zwischen dieser und der Insel Ulu, sichtete noch das Eiland Kabokon und kam dann nach seinem Ankerplatze vor Kerawara.

Dieses Eiland, das etwa die Gestalt einer Gärtnerhippe hat, mißt nicht mehr als drei Seemeilen von Westen nach Osten. Sein besonders sicherer Hafen bietet aber den Schiffen alle Bequemlichkeiten auch für einen längeren Aufenthalt.

Der hiesige deutsche Hauptagent, ein Herr Hamburg, dem auch die Funktionen des Gouverneurs des Bismarck-Archipels übertragen sind, stand mit Herrn Zieger in vielfacher Verbindung. Er leitete eine der bedeutendsten Faktoreien der Inselgruppe und sollte dem »James-Cook« die noch fehlenden hundertfünfzig Tonnen Koprah liefern, die man binnen achtundvierzig Stunden an Bord zu schaffen hoffte. Der Aufenthalt in Kerawara sollte also nur sehr kurz sein.

Während die Mannschaft unter Aufsicht des Kapitäns mit der Übernahme der Fracht beschäftigt war, hatten Hawkins, Nat Gibson und die Gebrüder Kip Muße, das Eiland zu besuchen.

Dieses besteht hauptsächlich aus einem großen Walde, worin alle verschiedenen Baumarten Neuirlands vorkommen. Im Innern erheben sich mehrere Hügel, der höchste davon auf sieben- bis achthundert Fuß. Der hier liegende Hauptort der Inselgruppe zählt gegen tausend Einwohner, zu einem Viertel Europäer, der Rest melanesischen Ursprunges. Die Eingebornen sind hier nicht eigentlich seßhaft. Meist auf der Insel York oder den benachbarten Eilanden wohnend, kommen sie nur ihrer Geschäfte halber nach Kerawara herüber. Die Wasserwege zwischen den Inselchen sind fast unausgesetzt von ihren merkwürdig konstruierten Piroguen belebt.

Herr Hamburg konnte über die hiesige Inselgruppe interessante Aufklärungen geben. Die Wahl des Eilandes Kerawara als Regierungssitz erschien ihm recht glücklich, da der Verkehr von hier nach Neubritannien und Neuirland ein sehr bequemer war.

Augenblicklich lagen im Hafen zwei Kauffahrteischiffe, eines mit deutscher und eines mit britischer Flagge, beide beschäftigt mit dem Löschen eines Teiles[186] ihrer Ladung. Das eine sollte von hier aus noch nach Sydney in Australien, das andere nach Auckland in Neuseeland weiter gehen, und ihr Aufenthalt in Kerawara dauerte voraussichtlich noch gegen drei Wochen. Hawkins und Gibson kannten den englischen Kapitän und waren sehr erfreut, mit ihm einen Händedruck wechseln zu können.

Die Wohnung des Herrn Hamburg lag auf einem Hügelabhange inmitten des Waldes, durch den ein von dichtem Gebüsch begrenzter Fußweg führte. Die Besitzung war etwa eine halbe Seemeile vom Kontor entfernt. Der Gouverneur hatte Hawkins, Gibson und dessen Sohn für den nächsten Tag zum Mittagessen eingeladen.

Die Verstauung der hundertfünfzig Tonnen Koprah sollte am Nachmittage des 2. Dezember beendigt sein, und der »James-Cook« wollte dann am 3. nach Port-Praslin zurücksegeln.

Die Gebrüder Kip waren von Herrn Hamburg zwar auch mit eingeladen worden, hatten aber aus Bescheidenheit abgelehnt, da sie sich nicht überall aufzudrängen wünschten. Dagegen wollten sie diesen letzten Abend zu einem Spaziergange in der Umgebung des Hafens benutzen. Da hier an eine Entweichung kaum zu denken war, hatte auch die Mannschaft Landurlaub erhalten, wobei sich die Leute voraussichtlich mit denen von den beiden anderen Schiffen in gewohnter Weise belustigten. Der Abend endete dann freilich jedenfalls mit einem tüchtigen Trinkgelage in der größten Schenke Kerawaras, doch so etwas war einmal kaum zu verhüten, und Gibson empfahl seiner Mannschaft nur, die Sache nicht gar zu weit zu treiben.

Flig Balt versicherte dem Kapitän, daß er sich auf ihn verlassen könne. Während er aber mit gewohnter Scheinheiligkeit sprach, konnte er doch eine gewisse Aufgeregtheit nicht verbergen, die auch Gibson an ihm bemerkte.

»Was haben Sie denn, Balt? fragte der Kapitän.

– Ach... nichts... Herr Gibson, antwortete der Bootsmann. Ich bin nur etwas müde... das ist alles.«

Seine Blicke wendeten sich dabei von dem Vorgesetzten ab und dem ihn beobachtenden Vin Mod zu.

Gegen fünf Uhr trafen Hawkins, Nat Gibson und Zieger in der Wohnung des Herrn Hamburg ein, wo halb sieben Uhr gegessen werden sollte. Der Kapitän, der noch mit Erledigung der letzten Formalitäten an Bord zurückgeblieben war, konnte sich vor diesem Zeitpunkte nicht einstellen. Er brachte dann den Betrag[187] von zweitausend Goldplastern mit, um die Rechnung für das nun im Raum des »James-Cook« verladene Frachtgut zu begleichen.

In der Zwischenzeit besichtigten die Gäste des Gouverneurs dessen sorgsam unterhaltene Besitzung, die wohl eine der schönsten auf Kerawara war. Nat Gibson machte einige photographische Aufnahmen von der Wohnung und ihrer terrassenförmigen Umgebung. Über das Waldesdickicht hinaus reichte der Blick von hier aus bis zum Meere. Im Nordwesten erhob sich das äußerste Vorgebirge der großen Insel Ulu, im Westen der letzte Landvorsprung der kleinen Insel Kabokon, jenseit der die Sonne hinter dem mit Purpurwolken gesäumten Horizonte herabsank.

Als es halb sieben Uhr geworden war, war der Kapitän noch nicht erschienen.

In Erwartung seines Eintreffens verweilten Herr Hamburg und seine Gäste noch im Garten.

Der Abend war herrlich und die Luft erfrischend abgekühlt durch den Wind, der sich gegen die Nacht hin immer zu erheben pflegte. Alle atmeten mit Wollust den köstlichen Duft der Orangen im Garten des Hauses.

Inzwischen verstrich die Zeit. Auch um sieben Uhr hatte sich Gibson noch nicht eingefunden.

»Mein Vater wird im letzten Augenblick noch aufgehalten worden sein, meinte Nat Gibson. Anders kann ich mir sein Ausbleiben nicht erklären.

– Sollte er sich nicht erst noch nach Ihrem Kontor begeben haben, Herr Hamburg? fragte der Reeder.

– Jawohl, doch nur, um seine Schiffspapiere in Empfang zu nehmen.

– Das hat doch einige Zeit beanspruchen können...

– Nur Geduld, meine Herren, es sind kaum dreißig Minuten über die verabredete Zeit.«

Als aber eine Stunde verflossen war, wurden Hawkins, Zieger und Nat Gibson doch allmählich unruhig.

»Sollte sich Gibson, bemerkte Zieger, auf dem Wege verirrt haben?

– Das ist fast unmöglich, antwortete Hamburg. Der Fußpfad verläuft ganz gerade, und er kennt ihn, denn er ist schon mehrmals in meiner Wohnung gewesen.

– Was meinen Sie: wenn wir nun meinem Vater entgegengingen? schlug Nat Gibson vor.[188]

– Ja, das wollen wir tun,« sagte Hawkins.

Herr Hamburg rief einen Diener herbei, der eine Laterne mitnahm, und begleitet von seinen Gästen machte er sich nach dem Walde zu auf den Weg.

Unter dem dichten Laube, das ein völliges Dach über dem Pfade bildete, herrschte bereits tiefe Dunkelheit.

Alle lauschten, ob sich vom Hafen her Schritte vernehmen ließen.

Nichts... gar nichts war zu hören.

Man rief laut...

Keine Antwort.

Dieser Teil des Waldes schien gänzlich vereinsamt zu sein. Nach Zurücklegung einer halben Seemeile gelangten alle auf den Hauptplatz von Kerawara.

Aus der erleuchteten, großen Schenke schallte das Gröhlen übermütiger Trinkgenossen heraus. War ein Teil der Mannschaft der Brigg auch schon an Bord der Brigg zurückgekehrt, so saßen doch noch einige der Matrosen an einem Tische der Taverne, darunter Len Cannon mit seinen Kameraden.

Pieter und Karl Kip hatten nach der Heimkehr von ihrem Spaziergange auf dem Hinterdeck des »James-Cook« Platz genommen.

Kurz vor ihnen hatten sich auch schon Flig Balt und Vin Mod nach kaum einstündiger Abwesenheit an Bord zurückbegeben.

Am Kai angelangt, rief Nat Gibson mit ängstlicher Stimme:

»Wo ist denn der Kapitän?...

– Der Kapitän, Herr Gibson? antwortete Vin Mod. Ist er denn nicht bei Herrn Hamburg?

– Nein, erwiderte der Gouverneur.

– Er verließ aber die Brigg, um sich zu Ihnen zu begeben, erklärte der Matrose Burnes.

– Und ich habe ihn den Weg dahin einschlagen sehen setzte Hobbes hinzu.

– Seit wann ist er denn fortgegangen? fragte Herr Zieger.

– Etwa seit einer Stunde, antwortete Vin Mod.

– Sollte ihm ein Unfall zugestoßen sein?« rief Hawkins erregt.

Darauf zerstreuten sich seine Gefährten und er in den Straßen des Hafenortes, gingen von Kontor zu Kontor, suchten alle Gasthäuser ab...

Nirgends hörte man, daß der Kapitän dagewesen sei.

Jetzt galt es, den Weg durch den Wald in seiner Umgebung zu durchsuchen.[189]

Vielleicht war Gibson jetzt doch auf einem Umwege nach der Wohnstätte des Gouverneurs gekommen.

Die Mühe erwies sich vergeblich. Nach mehreren Stunden mußten Hamburg, Zieger, Hawkins, Nat Gibson und die Gebrüder Kip, die sich auch bei der Nachsuchung beteiligt hatten, unverrichteter Sache an Bord zurückkehren.

Mit welcher Herzensangst verbrachten alle diese Nacht! Der Kapitän erschien nicht wieder. Der Pfad zwischen dem Hafen und der Wohnung des Herrn Hamburg wurde noch mehrmals mit Laternen und Fackeln abgeleuchtet... von Harry Gibson fand sich keine Spur...

Nat Gibson war eine Beute der Verzweiflung, und Hawkins, dem die Sache ebenso nahe ging, vermochte es nicht, den jungen Mann zu beruhigen, der seinen Vater niemals wiederzusehen befürchtete.

Diese Ahnung täuschte ihn nicht.

Bei Tagesanbruch verbreitete sich wie ein Lauffeuer die Meldung, daß der Leichnam des Kapitän Gibson eine halbe Seemeile vom Hafen im Walde gefunden worden sei.

Quelle:
Jules Verne: Die Gebrüder Kip. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXXI–LXXXII, Wien, Pest, Leipzig 1903, S. 174-177,179-190.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Gebrüder Kip
Die Gebrüder Kip
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