Vierzehntes Kapitel.
Zwischenfälle.

[203] Die Entfernung zwischen dem Bismarck-Archipel und Tasmanien wird ungefähr auf zweitausendvierhundert Seemeilen geschätzt. Bei günstigem Winde und einer mittleren Geschwindigkeit von hundert Meilen in vierundzwanzig Stunden, konnte der »James-Cook« dazu nur wenig über drei Wochen brauchen.

Die Zeit der Passatwinde neigte sich jetzt zu Ende und bald mußte voraussichtlich der Monsun der Tropen einsetzen. Nach kurzer Windstille lief der Wind wirklich schon nach Westen um.

Das war besonders günstig für die Brigg, wenn sie die schwierigen Gewässer bei den Louisiaden durchsegeln und auf das Korallenmeer hinauslaufen sollte.

Jetzt war auch die Zeit vorbei, wo die Passagiere des »James-Cook« sich bei angenehmer Fahrt für alles, was rings um sie vorging, interessierten. Sie überließen sich nicht mehr der freudigen Erwartung der Rückreise, die sie gewiß gehegt hätten, wenn ihr Aufenthalt in Kerawara nicht mit jenem entsetzlichen Unglück zu Ende gegangen wäre.

Verließ Nat Gibson seine Kabine, so setzte er sich auf das Hinterdeck, und Hawkins nahm neben ihm Platz. Nichts vermochte beide ihrem Schmerze zu entreißen. Sie dachten an die bevorstehende Ankunft im Hafen, an Frau Gibson, die den »James-Cook« gewiß schon voller Ungeduld erwartete und dann hören sollte, daß er seinen Kapitän nicht wieder mit heimbrächte.

Aus Rücksicht auf diese traurige Stimmung, die die Entfernung noch nicht zu heben vermocht hatte, hielten sich die Gebrüder Kip meist abseits. Karl beobachtete dabei, ohne sich's irgendwie merken zu lassen, aufmerksam den Kurs des Schiffes. Der Bootsmann hatte ihm eben niemals Vertrauen eingeflößt. Wiederholt hatte er an ihm schon früher gerade die Eigenschaften vermißt, die man an einem tüchtigen Seemann voraussetzt. Wenn Gibson sich in seiner Kabine aufhielt, hatten ihm mehrmals verschiedene, schlecht ausgeführte Manöver Zweifel erweckt, ob Flig Balt für seinen Beruf genügend ausgebildet wäre. Nur der Umstand, daß ihn das unmittelbar nichts anging, hatte ihn veranlaßt, darüber zu schweigen. Was aber keine besondere Bedeutung hatte, so lange Harry[203] Gibson den Oberbefehl führte, das konnte jetzt, wo Flig Balt der Kapitän des »James-Cook« war, recht schwere Folgen haben.

Eben heute äußerte Karl Kip solche Befürchtungen gegen seinen Bruder.

»Du meinst also, daß Flig Balt seiner Aufgabe nicht gewachsen ist?

– Das muß man wohl glauben, Pieter. Während der schweren Bö, die uns im Korallenmeer überfiel, habe ich die Gewißheit erhalten, daß er seine Sache nicht richtig versteht.

– Dann wird es für dich, Karl, zur Pflicht, den Mann zu überwachen, und wenn dir eine seiner Maßregeln gefahrbringend erscheint, dann halte nicht mit deinen Einwendungen zurück...

– Die Flig Balt nur in der Weise aufnehmen wird, daß er mich ersucht, mich nicht in die Führung des Schiffes zu mengen.

– Das ändert nichts, Karl, es bleibt deine Pflicht, und wenn deine Ratschläge unwillig aufgenommen werden, so wende dich sofort an Herrn Hawkins. Er ist vorurteilsfrei, er wird dich anhören, sich mit dem Exbootsmanne darüber auseinandersetzen und wird dir ihm gegenüber recht geben.

– Das wird sich ja zeigen, Pieter. Leider stehen mir die Seekarten nicht zur Verfügung, und deshalb ist es mir erschwert, den Kurs zu kontrollieren.

– Jedenfalls tue dein Bestes, Karl. Der »James-Cook« hat schon so viel Unheil erfahren, daß es an der Zeit ist, noch weiteres möglichst zu verhüten.«

Diese Worte bewiesen, daß man an einen bösen Willen Flig Balts noch nicht glaubte; Karl Kip hielt ihn nur für einen recht mittelmäßigen Seemann, und ohne es diesem merken zu lassen, behielt er ihn doch immer scharf im Auge. Die Anwesenheit Karl Kips erregte dem neuen Kapitän jedoch eine gewisse Beunruhigung, so daß er sich bemühte, trotz des Drängens Vin Mods mit der Änderung des Kurses nach den Salomonsinseln hier sehr vorsichtig zu sein.

Nachdem die Brigg den Ausgang des Sankt Georgskanals hinter sich gelassen hatte, kamen ihr auch bald die äußersten Landmarken von Neuirland und Neubritannien außer Sicht. Durch diesen Teil des Meeres südwärts zu steuern, war Flig Balt völlig berechtigt, da er sich Neuguinea nicht unnötig nähern wollte und es trotz einer Verlängerung des Weges um einige fünfzig Seemeilen ratsamer erschien, sich seitwärts von der Insel Entrecasteaux zu halten. Es galt ja, sich keinem zweiten Angriff von Papuas auszusetzen, der vielleicht nicht so glücklich abgeschlagen werden könnte, wie der erste.[204]

Im Laufe des 15. erreichte der »James-Cook« die Grenze der Louisiaden nach ununterbrochener glücklicher Fahrt. Als er dann hier die Insel Rossel, die bedeutendste der Gruppe, im Westen liegen gelassen hatte, lag unter dem zwölften Grade südlicher Breite das Korallenmeer weit offen vor dem Schiffe.

Von diesem Breitengrade aus mußte unverändert eine südliche Richtung eingehalten werden, um in der Höhe von Brisbane auf die Ostküste Australiens zu stoßen. Bei dem gleichmäßig aus Westen wehenden Winde konnte der »James-Cook« auch bequem seine volle Segelfläche ausnützen.

Gerade auf der Grenze des Korallenmeeres hätte Flig Balt nun den Kurs wechseln und nach Osten abfallen sollen, wenn er in Sicht der Insel Mangara, am Ende der Salomonsinselreihe, hätte kommen wollen. Da das aber nicht unauffällig auszuführen gewesen wäre. begnügte sich Flig Balt. nur eine Richtung nach Südsüdosten einzuschlagen.

Auch das konnte aber Karl Kip nicht entgehen, und nach einem Blicke auf den Kompaß wendete er sich sofort an den Kapitän.

»Sie lassen das Schiff abfallen, Herr Balt...

– Ja, Herr Kip, um zwei Viertel Strich, Herr Kip.

– Sie würden aber im Schutze der australischen Küste ein freundlicheres Meer treffen.

– Wohl möglich, erwiderte Flig Balt, der den Holländer dabei mit einem Seitenblicke maß.

– Warum bleiben Sie dann, fuhr dieser fort, nicht in der bisherigen Richtung?

– Weil immer kurze Stürme aus Nordosten zu befürchten sind, und ich möchte mich nicht längs der Küste hin treiben lassen...

– O, da ist noch Fahrwasser genug, unterbrach ihn Karl Kip, und schlimmsten Falles hätten wir immer noch Zeit genug...

– Meine Ansicht ist das nicht,« erklärte Flig Balt trockenen Tones.

Gleich nachher machte er Vin Mod Mitteilung von dem kurzen Zwiegespräch.

»Was hat denn dieser groningische Groninger überhaupt hier drein zu reden, meinte Vin Mod, und wann werden wir von all den Leuten befreit sein?«

Übrigens wäre der alte Plan, die Passagiere der Brigg über Bord zu werfen, jedenfalls ausgeführt worden, sobald sich dazu eine passende Gelegenheit geboten hätte. Die Aussicht auf Erfolg stieg aber ungemein mit der Annäherung[205] an die Salomonsinseln, wo auf Unterstützung von Übeltätern zu hoffen war, die sich dort in großer Zahl umhertreiben.

Im ganzen war die von Karl Kip bemerkte Kursänderung ja nicht bedeutend, und wenn sie auch nicht unbedingt geboten erschien, ließ sie sich immerhin in gewissem Maße rechtfertigen. Erhob sich wirklich ein Oststurm, so war das Schiff weniger gefährdet, wenn es sich nicht so nahe einer Küste befand, wenn es, wie die Seeleute sagen, noch »genug Flucht« vor sich frei hatte.

Karl Kip glaubte also, Herrn Hawkins keine Mitteilung machen zu müssen. Zum Ärger Flig Balts, der das jetzt recht wohl bemerkte, achtete er aber immer darauf, welche Richtung der Mann am Steuer einhielt.

Da kamen Flig Balt und seinen Genossen plötzlich noch die Umstände zu Hilfe.

Am Abend des 17. schlug das Wetter um. Die Sonne versank hinter einem, mit schweren Wolken bedeckten Horizonte. Das Meer, das »schon etwas fühlte«, wurde lebendiger. Den ganzen Tag hatte eine starke Hitze geherrscht. Wiederholt war die Brise völlig eingeschlafen, so daß die Segel an die Maste schlugen.

Nachmittag gegen drei Uhr zeigte das Fahrenheitsche Thermometer im Schatten 103 Grad (39° 44 Celsius), und gegen fünf Uhr war der Barometer auf siebenundzwanzig Zoll (730 Millimeter) herabgegangen. Dieses schnelle Sinken der Quecksilbersäule kündigte eine tiefe Störung der Atmosphäre an.

Der schon stärkere Seegang mit zuweilen sich überschlagenden Wellen verriet, daß von Westen her ein Sturm im Anzuge war.

Die Störung der Atmosphäre wurde bald durch ein heftiges Gewitter eingeleitet. Nachdem aus der Entfernung schon lange das Grollen des Donners hörbar gewesen war, zischten gegen neun Uhr über das Meer hin so häufige und so blendende Blitze, daß dieses sie widerspiegelnd feurige Wasserberge dahinzuwälzen schien. Trafen sie auch nicht dessen Oberfläche, so schlugen sie doch unaufhörlich von einer Wolke zur anderen über. Die Donnerschläge wurden dabei so mächtig, daß sie das Ohr ebenso betäubten, wie die elektrischen Entladungen die Augen blendeten.

Gegen elf Uhr erreichte das Unwetter seine größte Heftigkeit. Der Blitz schlug mehrmals in die Spitzen der Maste ein, richtete aber keinen Schaden an, da er sich längs der Ableitungen im Meere verlor.[206]

Kein Zweifel, daß diesem Unwetter ein heftiger Sturmwind nachfolgen werde, und es galt nun vor allem sich darauf vorzubereiten.

Augenblicklich konnte, wie Flig Balt gesagt hatte, nicht davon die Rede sein, in den Schutz einer Küste zu flüchten. Im Gegenteil stand der Brigg, wenn sie dabei auch nach dem Salomonsarchipel getrieben wurde, doch nur der Weg nach Osten offen.

Vor dem Deckhause stehend, konnten sich Hawkins, Flig Balt und Karl Kip nicht darüber täuschen, daß sie ein schwerer Sturm bedrohte.

»Der Orkan wird über uns kommen, sagte der Reeder.

– Ohne Zweifel, bestätigte Flig Balt, und diesmal handelt es sich nicht nur um eine Bö, die kaum ein paar Stunden anhält.

– Das ist leider zu befürchten, antwortete Hawkins.

– Wir werden genötigt sein, aufs offene Meer hinaus zu flüchten, bemerkte Flig Balt.

– Warum sollten wir den Wind nicht gerade von vorn nehmen? fragte Karl Kip. Wenn wir dazu beilegen...

– Wäre das ratsam? unterbrach ihn Flig Balt. Würde sich ein Schiff, das so schwer beladen ist wie der ›James-Cook‹, der schon etwas über seine Schwimmlinie eintaucht, noch mit den Wellen heben und senken? Würde es nicht viel mehr in gefährlichster Weise Wasser übernehmen?

– Ein Seemann soll in erster Linie seinen Kurs halten, entgegnete Karl Kip, er flieht vor dem Sturme nur, wenn ihm nichts anderes übrig bleibt!

– Das ist auch meine Ansicht, erklärte Hawkins, denn wir könnten gar zu weit nach Osten verschlagen werden.

– Sogar nach Nordosten, setzte Karl Kip hinzu. Schon jagen die Wolken von Südwesten einher und mit Rückenwind kämen wir in die Gegend der Salomonsinseln.«

Gewiß... das kam aber Flig Balt und Vin Mod gerade gelegen.

Der frühere Bootsmann mußte immerhin erkennen, daß aus dem Holländer der erfahrene Seemann sprach, anderseits aber paßte es ihm gar nicht, sich diese Gelegenheit zu einem Kurswechsel des »James-Cook« entgehen zu lassen.

»Die Verantwortlichkeit liegt auf mir, als dem Kapitän, das wird Herr Hawkins einsehen, und ich habe von Herrn Kip keine Anweisungen zu erhalten...[207]

– Was ich äußerte, waren keine Anweisungen, sondern Ratschläge, antwortete Karl Kip, dem diese Starrsinnigkeit etwas verdächtig erschien.

– Ich brauche weder die einen, noch die anderen, erwiderte Flig Balt, offenbar gereizt von dem Widerspruche, den er fand.

– Meine Herren, nahm jetzt Hawkins das Wort, machen Sie dem Geplänkel ein Ende!.. Ich danke Herrn Kip für seine gewiß wohlgemeinten Ratschläge, da der Kapitän Balt aber diese nicht befolgen zu müssen meint, so handle er nach eigenem, bestem Wissen. Ich hab' ihm einmal die Führung des Schiffes anvertraut, und es ist sein Recht, die Verantwortung für seine Maßnahmen auf sich zu nehmen.«

Karl Kip verneigte sich höflich und wendete sich darauf seinem Bruder zu.

»Dieser Flig, sagte er, scheint mir ganz unfähig als Befehlshaber zu sein... er wird das Schiff jedenfalls ins Verderben führen. Doch wie dem auch sei: er ist jetzt einmal der Kapitän!«

Jedenfalls war jetzt kein Augenblick mehr zu verlieren. Die Windstärke wuchs von Minute zu Minute, und die furchtbaren Böen, die über Bord hereinbrachen, drohten die Segel zu zersetzen. Die Masten schwankten, Pardunen und Stagseile waren gespannt zum Zerreißen. Bei zwei Versuchen schien es, als ob die Wendung des Fahrzeuges mißlingen sollte. Endlich glückte diese doch noch, und mit gerefftem Marssegel schoß der »James-Cook« nach Nordosten hin aus.

Eine halbe Stunde lang ging die wilde Fahrt verhältnismäßig günstig weiter, nur machte es Schwierigkeiten, Gierschläge der Brigg nach Back- und nach Steuerbord zu verhüten, denn inmitten der mit gleicher Schnelligkeit wie sie dahinstürmenden Wogen, war das Steuer fast ohne Wirkung. Jeden Augenblick lief die Brigg Gefahr, von den gurgelnden Wasserbergen mit der Breitseite gegen den Wind gestellt zu werden. Das hätte ihre Lage ungemein verschlimmert, da sie dann Wasser von der Seite her überzunehmen drohte.

Dennoch war es unmöglich, die Segelfläche zu vergrößern. Eines der Klüversegel, das Flig Balt hatte setzen lassen, um das Steuer wirksamer zu machen, flog sofort in Fetzen davon. Das Marssegel drohte jeden Augenblick zu zerreißen. Schon drängte sich die Frage auf, ob es nicht dahin kommen werde, vor Top und Takel (d. h. ohne jedes Segel) zu treiben, das bedeutet aber, daß ein Schiff dann gar keine Richtung mehr einzuhalten vermag und auf Gnade und Ungnade zum Spielball der Wellen wird.[208]

Kurz nach Mitternacht konnte sich auch der beschränkteste Matrose nicht mehr verhehlen, daß es mit dem »James-Cook« so nicht weiter gehen könne. Seine Gierschläge folgten einander ohne Unterlaß und er wurde in schlimmster Weise hin und her gepeitscht.


Man erkannte sofort, was ein kaltblütiger Seemann zu leisten vermochte. (S. 212.)
Man erkannte sofort, was ein kaltblütiger Seemann zu leisten vermochte. (S. 212.)

Da die Schnelligkeit der Wellen die seinige um das Doppelte übertraf, gehorchte er dem Steuer nicht mehr im geringsten.

Hawkins verhehlte die Unruhe nicht, die ihn verzehrte. Es handelte sich bei ihm weniger um das Schiff und um dessen Fracht, die man im Notfalle einfach über Bord geworfen hätte, sondern vielmehr um das Leben der Passagiere und der Mannschaft. Hatte Flig Balt auch die Verantwortlichkeit als Schiffer, so traf ihn, den Reeder, doch die, diesen zum Kapitän des »James-Cook« ernannt zu haben. Und wenn nun der frühere Bootsmann nicht auf der Höhe seiner Aufgabe stand, wenn die Sicherheit der Brigg durch seinen Mangel an Erfahrung in Gefahr gebracht wurde. wenn Karl Kip. der doch auch Seemann war, Flig Balt gegenüber recht haben sollte...

Alle diese Gedanken und Zweifel gingen Hawkins jetzt im Kopfe herum. Er äußerte sie auch gegen Nat Gibson, der seine Befürchtungen teilte und wenig Vertrauen zu Flig Balt an den Tag legte.

Kam dieser gelegentlich in ihre Nähe, so hielt ihn Hawkins an und legte ihm dringend verschiedene Fragen vor, die dieser nur mit unverständlichen, zusammenhangslosen Phrasen beantwortete, aus denen nur seine eigene Ratlosigkeit und sein Mangel an Kenntnissen gegenüber der drohenden Gefahr hervorging.

Und als der Reeder sich beim Aufleuchten der letzten Blitze nach Karl Kip umwendete, sah er diesen bei seinem Bruder stehen, auf den er mit gedämpfter Stimme einsprach, und in der Haltung eines Mannes, der in heftigster Gemütserregung sich kaum noch zu bemeistern imstande ist. Ja man konnte glauben, daß Karl Kip auf das Steuerruder losstürzen und die Brigg wieder in die entgegengesetzte Richtung zu zwingen versuchen würde.

Wohin sollte man beim ferneren Einhalten der jetzigen Richtung endlich kommen, immer vorausgesetzt, daß das Schiff nicht gar zu schwere Sturzseen übernahm und dabei zum Kentern gebracht wurde, wenn man nicht noch rechtzeitig die Masten kappte? Mitten in dem Gewirr der Salomonsinseln mit deren vielen Rissen und Bänken, war es ja bedroht, mit Mann und Maus zu versinken.

Flig Balt erkannte das ja auch und Vin Mod nebst den übrigen Leuten nicht minder. Hielt der Sturm noch achtundvierzig Stunden an, so bedeutete das[211] den Untergang der Brigg. Die einfachste Klugheit verlangte die Umkehr nach Westen um jeden Preis und so lange noch ein Stück Leinwand halten wollte.

Flig Balt wollte es versuchen. Es handelte sich damit um ein auf dem aufgewühlten Meere höchst gefährliches Manöver, und vielleicht erwies sich eine vollständige Schwenkung des Schiffes überhaupt unmöglich.

Das Steuer wurde also umgelegt und die Brigantine gehißt, um die geplante Bewegung zu unterstützen.

Da neigte sich die Brigg schon so weit nach Backbord über, daß das Ende der großen Raa in den Wochenschau eintauchte.

Im gleichen Augenblick stürmte ein Mann auf Herrn Hawkins zu.

»Lassen Sie mich die Sache ausführen! rief er.

– Tun Sie Ihr Möglichstes!« antwortete der Reeder.

Da erkannte man sofort, was ein richtiger, kaltblütiger Seemann zu leisten vermochte, und was dieser im Vergleich zu dem früheren Bootsmann wert war.

Unter dem Befehle Karl Kips, bei seiner gebieterischen Stimme und der Klarheit der Anordnungen, die er traf, arbeitete die Mannschaft ohne Widerspruch und mit regstem Eifer. Der »James-Cook« richtete sich unter Bewahrung seiner Masten nach und nach wieder auf und unter Benützung kurzer Windstillen gelang es Karl Kip, ihn dem Wellengange gerade entgegenzustellen. Trotz ihres Ungestüms wurden die Sturzseen jetzt weniger gefährlich, da sie am Vorderteile – statt vorher am Hinterteile – des Schiffes aufbrodelten. Nun hißte man, wenn auch unter großen Schwierigkeiten, ein Sturmsegel, das den Druck des Windes auszuhalten vermochte. Unter ihrem Vormarssegel, in das Karl Kip ein Reff schlagen ließ und das scharf am Winde eingestellt wurde, hielt sich die Brigg ziemlich geradeaus, während der Matrose Burnes, ein vortrefflicher Steuermann, jedes Abweichen aus dem Kurse zu verhüten verstand.

Als diese Veränderung vor sich ging, trat Vin Mod wütend an Flig Balt heran.

»Mit dem Kapitän Kip an Stelle des Kapitäns Balt ist für uns alles verloren!« zischte er ihm ins Ohr.

Schon am nächsten Tage, am 21. Dezember, ließ der Sturm wider alles Erwarten merkbar nach. Das beruhte darauf, daß der Wind etwa um fünf Viertelskompaßstriche nach Westnordwest umgelaufen war.

Ein sehr glücklicher Umstand: die Brigg brauchte infolgedessen nicht mehr auf das Land zuzuhalten, sondern konnte nun wieder einen südlichen Kurs einschlagen.[212]

Das tat denn auch Karl Kip, sobald der Wind es erlaubte, während er gleichzeitig das Großmars-, ein Fock- und das Gaffelsegel setzen ließ. Bei der frischen Brise mußte der »James-Cook« dann bald wieder einholen, was er auf der Flucht nach Osten verloren hatte.

Das Meer beruhigte sich freilich nicht so schnell, wie der Wind. Noch mehrere Stunden dauerte der schwere Wogengang an und die Brigg wurde stampfend und schlingernd in furchtbarer Weise umhergeworfen.

Gegen zehn Uhr brach die Sonne durch die Wolken. Karl Kip nahm eine Messung ihrer Höhe vor. Unter Mitbeachtung einer Mittagsbeobachtung ergab die Berechnung dieses Bestecks, daß das Schiff sich genau auf 150 Grad 17 Minuten westlicher Länge und 13 Grad 27 Minuten südlicher Breite befand.

Eben erschien da Herr Hawkins bei dem Holländer.

»Nehmen Sie meinen Dank, Herr Kip,« sagte er.

Karl Kip verneigte sich schweigend vor dem Reeder.

»Ja, ich danke Ihnen, fuhr dieser fort, danke Ihnen in meinem Namen und in dem der ganzen Besatzung, sowie aller...

– O, ich habe nur getan, was jeder Seemann unter den vorliegenden Umständen auch getan haben würde... Dafür hab' ich wohl keinen besonderen Dank verdient, und ich will nun die Führung dem Kapitän wieder abgeben.

– Nein, das nicht, erklärte Hawkins lauten und so bestimmten Tones, daß es alle hören mußten. In Übereinstimmung mit Nat Gibson bitte ich Sie, den Befehl über unser Schiff beizubehalten.«

Karl Kip machte eine ablehnende Handbewegung, Hawkins fuhr aber fort:

»Es zu führen, gebührt dem, der es gerettet hat!... An Ihnen, Kapitän Kip, ist es also, die Brigg nach Hobart-Town zurückzubringen!«

Da trat noch Flig Balt zorngeröteten Gesichts auf Hawkins zu, um seinen Einspruch gegen diese Änderung vorzubringen.

»Zum Kapitän des ›James-Cook‹ hatten Sie mich ernannt, und ich bestehe darauf, das bis zum Eintreffen im Bestimmungsorte zu bleiben!

– Es gibt keinen anderen Kapitän, verstehen Sie, Balt, als den, den ich als Reeder und Eigentümer dieses Schiffes dazu wähle, erwiderte Hawkins, dessen Entschluß unverrückbar feststand. Ich habe mich überzeugt, daß Sie den Pflichten eines solchen nicht gewachsen sind. In Zukunft ist der Kapitän Kip Herr an Bord... der Herr nächst Gott...[213]

– Ich werde meine Ansprüche vor den Seebehörden in Hobart-Town anhängig machen, erwiderte Flig Balt.

– Das steht Ihnen frei, antwortete der Reeder.

– Ich bin regelrecht ernannt worden, und...

– Genug, Flig Balt, schnitt ihm Karl Kip das Wort ab. Kein Wort mehr!... Auf Ihren Posten!... Und was euch betrifft, ihr Matrosen, so hoffe ich auf euere Ergebenheit und eueren Gehorsam!«

So endigte die Befehlshaberschaft des früheren Bootsmannes, und so verschwand ihm die letzte Aussicht, sich des Schiffes zu bemächtigen. Die Matrosen merkten es vom ersten Augenblicke an, daß sie es jetzt mit einem tatkräftigen, entschlossenen Kapitän zu tun hatten, mit einem Seemanne, der keinen Widerstand gegen seine Befehle dulden würde. Hawkins aber konnte sich nur beglückwünschen wegen des Entschlusses, den er im Interesse des »James-Cook« gefaßt hatte.

Ob nun Vin Mod, Len Cannon und dessen Kameraden wohl auf die Ausführung ihrer Pläne verzichteten, oder ob sie nicht noch vor dem Eintreffen in Tasmanien einen Gewaltstreich versuchen würden... wer konnte das wissen?

Auf der Fahrt vom 20. bis zum 27. Dezember ereignete sich nichts Bemerkenswertes. Die Brigg hatte sich schon der Küste Australiens stark genähert. Unter dem Schutze des hohen Landes wurde sie durch einen recht handlichen Wind begünstigt. Eine gut gelungene Beobachtung ergab, daß sie sich seitwärts von Sydney ein wenig über dem dreiundvierzigsten Grade südlicher Breite befand. Am Nachmittage des 30. segelte sie dann schon am Eingange der Baßstraße hin, die Tasmanien vom australischen Festland scheidet.

Dauerten die günstigen Witterungsverhältnisse weiter an, so mußte der »James-Cook« – zur großen Enttäuschung für Flig Balt, Vin Mod und vorzüglich für Len Cannon und die anderen in Dunedin Angeworbenen – binnen drei bis vier Tagen in Sicht von Hobart-Town eintreffen.

Es liegt auf der Hand, daß die Aufregung des Bootsmannes und seiner Spießgesellen dadurch auf den Gipfel getrieben wurde. Mehr und mehr drängte es sie zu einer Meuterei, nicht zu einer versteckten Auflehnung, die durch Überraschung und im Dunkeln ihr Ziel anstrebte, sondern – natürlich noch vor der Ankunft im Hafen – zu einer offenen Empörung, bei der sie alles wagten, um glücklichen Falles alles zu gewinnen.[214]

Karl Kip entging es nicht, daß unter einem Teile der Mannschaft eine Gärung herrschte; er hoffte dieser aber ebenso Herr zu werden, wie er aus dem Sturme in der Gegend der Salomonsinseln als Sieger hervorgegangen war.

Ohne von Hawkins, Nat Gibson und seinem Bruder zu reden, konnte Karl Kip ja übrigens auf die treuen und ergebenen drei Matrosen Hobbes. Wickley und Burnes auf jeden Fall rechnen.

Über Vin Mod, der die anderen wohl zu hetzen, sich dann aber vorsichtig zurückzuziehen pflegte, blieb der neue Kapitän zunächst noch etwas im Unklaren. Bezüglich Len Cannons, Kyles, Sextons, Bryces und des Kochs Koa stand seine Ansicht dagegen schon längst fest.

Für Karl Kip war es also eigentlich keine Überraschung, als die Meuterei an Bord des »James-Cook« am Abend des 30. wirklich zum Ausbruche kam. Flig Balt, der die anderen aneiferte, wollte sich den Eingang zum Deckhause erzwingen, um daraus die Waffen zu rauben. Dann gedachten die Meuterer sich zunächst auf die Gebrüder Kip zu stürzen und nachdem sie sich dieser entledigt hätten, Hawkins, Nat Gibson und die drei Matrosen mit Gewalt widerstandsunfähig zu machen... damit wären sie endlich die Herren des Schiffes geworden.

Die Haltung und Entschlossenheit Karl Kips vereitelten diesen Plan aber von vornherein. Er stürzte sich unter die Aufrührer, packte den auf ihn zustürmenden Len Cannon an der Kehle und hielt ihm seinen Revolver entgegen. Noch eine Bewegung, und es wäre um den Schurken geschehen gewesen.

Gleichzeitig bemächtigten sich Nat Gibson, Hawkins, Hobbes, Wickley und Burnes der anderen Burschen, während Pieter Kip, der mit Flig Balt handgemein geworden war, diesem das große Messer entriß, womit er sich bewaffnet hatte.

Der Kampf dauerte kaum eine Minute. Wie konnten auch sechs Mann – Vin Mod hatte sich klüglich zurückgehalten – mit sieben Männern fertig werden, die sie nicht einmal zu überraschen vermocht hatten!

Karl Kip befand sich in der Lage berechtigter Notwehr. Er hätte dem Bootsmanne ungestraft den Schädel zerschmettern können, und hätte es wohl auch getan, wenn nicht Hawkins noch dazwischen getreten wäre. Dieser fiel ihm aber in den Arm, weil er Flig Balt lieber dem ordentlichen Gerichte überliefert sehen wollte, sobald die Brigg in den Hafen von Hobart-Town eingelaufen wäre.[215]

Flig Balt wurde deshalb in den Frachtraum eingesperrt und hier mit noch zwei anderen, die sich am gewalttätigsten gezeigt hatten – mit Len Cannon und Kyle – in Eisen gelegt.


Bai von Sydney.
Bai von Sydney.

Die Sicherheit der Brigg war damit bis zur Beendigung der Fahrt gewährleistet.

Die Reise sollte überhaupt nur noch sechzig Stunden dauern, und Karl Kip konnte die Arme der drei Gefesselten voraussichtlich entbehren. Die Gegend hier war übrigens sehr belebt. Küstenfahrer sieht man überall längs des Ostufers Tasmaniens und trifft nahe dem Eingange zur Baßstraße ganze Flottillen von[216] kleinen Booten. Es wäre also leicht genug gewesen, gegen Tagelohn einige Matrosen zur Vervollständigung der Mannschaft anzuwerben, wenn Karl Kip sich gezwungen sähe, mit Strenge auch gegen die anderen Genossen Len Cannons vorzugehen, die ja wegen ihres Anteils an der unterdrückten Meuterei verdächtig genug erschienen.

Karl Kip untersagte ihnen übrigens jeden Verkehr mit den Gefangenen. Diese verließen den Raum des »James-Cook« nur, um in das Seemannsgefängnis von Hobart-Town einzuziehen. Nur zwei Stunden des Nachmittags durften sie jetzt das Deck betreten, und dabei war es jedem strengstens verboten, auch nur ein einziges Wort mit ihnen zu wechseln. Ihre Nahrung trug ihnen Jim zu, und auf den Schiffsjungen konnte man sich bei seiner Anhänglichkeit an Hawkins und Nat Gibson auf jeden Fall verlassen.

Vin Mod war es also, so lebhaft er es auch wünschte, ganz unmöglich, mit Flig Balt in Verbindung zu treten, ob er ihm nun das oder jenes anraten oder ihm sein Verhalten vor den Schranken des Gerichtes vorschreiben wollte. Er sah sich eben zu sorgsam überwacht. Bei dem geringsten verdächtigen Benehmen wäre er ebenfalls eingesperrt worden, und ihm kam es doch zweifellos vor allem darauf an, nach der Landung in Hobart-Town völlige Handelnsfreiheit zu haben.

Bei günstigem Winde und ruhigem Wetter ging die Fahrt unter den erwünschtesten Umständen weiter. Karl Kip blieb es auch erspart, Ersatzmannschaften aufzunehmen, um das Schiff in den Hafen zu führen.

Alles in allem konnte sich Hawkins nur beglückwünschen, den unwürdigen Bootsmann durch einen Kapitän wie Karl Kip abgelöst zu haben.

Als die Brigg das Kap Pillar am südlichsten Ausläufer Tasmaniens in Sicht bekam, mußte sie gegen den Wind segeln und sogar lavieren, um zuerst diese Landspitze und dann, weiter im Westen, das Kap Raoul zu umschiffen. Von hier aus erforderte es vierundzwanzig Stunden, nach der Storm-Bai zu gelangen, die so tief in diesen Teil der tasmanischen Küste einschneidet. Die Gestaltung hoch aufsteigender Länder verändert oft die Richtung atmosphärischer Strömungen. Auch der »James-Cook« traf jetzt am Eingang zur Storm-Bai eine ziemlich frische südöstliche Brise an. Er durchschnitt die Bai von Süden nach Norden infolgedessen mit vollen Segeln, steuerte auf die Mündung des Derwentflusses zu und ging am 2. Januar Nachmittag gegen drei Uhr im Hafen von Hobart-Town glücklich vor Anker.


Ende des ersten Bandes.[217]


14. Kapitel

Quelle:
Jules Verne: Die Gebrüder Kip. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXXI–LXXXII, Wien, Pest, Leipzig 1903, S. 203-209,211-218.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Gebrüder Kip
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