Zweites Kapitel.
Die Brigg »James-Cook«.

[23] Die zweihundertfünfzig Tonnen große Brigg »James-Cook« war ein festgebautes Fahrzeug mit reichlicher Segelfläche und breitem Rumpfe, der ihr große Stabilität verlieh. Am Heck scharf abfallend und am Bug erhöht, hatte es nur schwach geneigte Masten und hielt sich vortrefflich bei jeder Segelstellung. Das Schiff konnte noch sehr scharf am Winde. aufkommen, glitt leicht über die Wellen dahin und legte bei einer frischen Brise bequem seine elf Knoten zurück.

Seine Besatzung bestand, wie der Leser aus dem Vorstehenden erfahren hat, aus dem Kapitän, einem Bootsmanne, sieben Matrosen, einem Koch und einem Schiffsjungen. Es fuhr unter britischer Flagge und hatte als Heimathafen Hobart-Town, die Hauptstadt Tasmaniens, das, eine der wichtigsten Kolonien Großbritanniens, der Regierung über Australien angegliedert ist.

Schon etwa seit zehn Jahren betrieb der »James-Cook« die sogenannte große Küstenfahrt im Westen des Stillen Ozeans, zwischen Australien, Neuseeland und den Philippinen, und hatte sich immer glücklicher und einträglicher Fahrten zu erfreuen gehabt, dank der mehrseitigen Beanlagung seines Kapitäns, der einen guten Seemann und einen guten Kaufmann in seiner Person vereinigte.

Der jetzt fünfzig Jahre alte Kapitän Gibson hatte die Brigg niemals verlassen, seit sie aus der Werft von Brisbane hervorgegangen war. Zu einem Viertel war sie sein persönliches Eigentum, während die anderen drei Viertel dem Reeder Hawkins in Hobart-Town gehörten. Das Schiff hatte immer reichlichen Ertrag abgeworfen, und auch die jetzige Fahrt versprach von Anfang an, guten Verdienst zu bringen.

Die Familien des Kapitäns und des Reeders standen schon seit langer Zeit in freundschaftlichster Verbindung, denn Harry Gibson war von jeher für das Haus Hawkins gefahren. Beide wohnten in Hobart-Town in demselben Stadtteile. Die Hawkins'sche Familie war ohne Kinder, die Gibsons hatte nur einen einzigen Sohn, der jetzt einundzwanzig Jahre zählte und sich dem Handelsstande widmete. Die beiden Frauen sahen sich täglich, was ihnen die Trennung von ihren Ehegatten weniger fühlbar machte. Der Reeder befand sich zur Zeit[23] nämlich in Wellington, wo er mit Nat Gibson, dem Sohne des Kapitäns, ein neues Kontor eingerichtet hatte. Von dort sollte der »James-Cook« beide nach Hobart-Town zurückbefördern, sobald das Schiff in den Archipelen der Umgebung von Neuguinea, nördlich von Australien und in der Gegend des Äquators eine volle Ladung eingenommen hatte.


Die Rauferei wurde immer erbitterter. (S. 21.)
Die Rauferei wurde immer erbitterter. (S. 21.)

Vom Bootsmann Flig Balt erübrigt es jetzt, zu sagen, welch Geisteskind und was er wert war, auch über welche Pläne der gewissenlose Bursche brütete. Zu seinen verbrecherischen Neigungen und seiner Eifersucht gegen denKapitän gesellte sich noch eine Heuchelei, die den vertrauensseligen Gibson von Anfang an getäuscht hatte.


Ein Geyser.
Ein Geyser.

Auf seine scheinbar echten Zeugnisse hin war er als Bootsmann der Brigg zu derselben Zeit angenommen worden, wo Vin Mod hier als Matrose antrat. Die beiden Männer kannten sich schon seit langem, sie waren zusammen gefahren, gleichzeitig von einem Schiffe zum anderen übergegangen und auch zusammen wieder davongelaufen, wenn sich ihnen keine Gelegenheit zu einem Schurkenstreiche bot... jetzt, bei der letzten Fahrt des »James-Cook« vor seiner Heimkehr nach Hobart-Town, hofften sie, ihr Ziel zu erreichen.

Mit seinem zur Schau getragenen Eifer und den Versicherungen seiner Ergebenheit hatte es Flig Balt verstanden, dem Kapitän Gibson das größte Vertrauen einzuflößen. Immer in Verbindung mit der Mannschaft, ließ er kein Mittel unbenutzt, seinen Einfluß auf die Leute geltend zu machen. Bei allem, was die Navigation und die geschäftlichen Angelegenheiten betraf, verließ sich Harry Gibson zwar nur auf sich selbst. Da er sich aber nur wenig zeigte, spielte sich Flig Balt meist als der erfahrene Seemann auf, der er doch keineswegs war, trotz seiner Versicherung, schon als zweiter Offizier gefahren zu sein. Daran wollte aber auch der Kapitän Gibson nicht so recht glauben. Da der gewöhnliche Dienst jedoch nichts zu wünschen übrig ließ, hatte er keine Ursache, seinem Bootsmanne irgendwelche Vorwürfe zu machen. Voraussichtlich wäre die Reise der Brigg unter den günstigsten Verhältnissen verlaufen, wenn die Desertion der vier Matrosen diese nun nicht schon vierzehn Tage zum Stilliegen in Dunedin genötigt hätte.

Die Leute, die dem Beispiele ihrer Kameraden nicht gefolgt waren, Hobbes, Wickley und Burnes, gehörten zu dem Schlage tüchtiger, dienstwilliger und mutiger Matrosen, auf die sich ein Kapitän unter allen Umständen verlassen kann. Das Entweichen der anderen wäre nicht groß zu beklagen gewesen, wenn Vin Mod sie nicht durch die Spitzbuben ersetzt hätte, die er in den »Three-Magpies« angeworben hatte. Der Leser weiß ja, was er von diesen zu halten hat und wird sie später auch beim Werke sehen.

Zur Besatzung gehörten auch noch ein Schiffsjunge und ein Koch.

Der vierzehnjährige Schiffsjunge Jim stammte aus einer ehrbaren Handwerkerfamilie, die in Hobart-Town wohnte und ihren Sohn dem Kapitän Gibson anvertraut hatte. Es war ein guter Junge, voller Liebe zu seinem Berufe und so behende und dienstwillig, daß er ein tüchtiger Seemann zu werden versprach.[27]

Gibson behandelte ihn gewissermaßen als Vater, obwohl er ihm nichts durchgehen ließ, und Jim bewahrte jenem dafür die wärmste Zuneigung. Anderseits hegte Jim instinktmäßig einen gewissen Widerwillen gegen den Bootsmann Flig Balt, und dieser, dem das keineswegs entging, suchte den Jungen immer bei einem Fehler zu ertappen, was nicht selten das Dazwischentreten Gibsons nötig machte.

Der Koch Koa gehörte zu der Klasse von Eingebornen, die die »zweite Rasse der Neuseeländer« bildet, die Leute von mittlerer Größe mit der Hautfarbe des Mulatten, aber kräftig und sehr gelenkig sind und krause, wollige Haare haben. Ihnen gehört in der Hauptsache das Volk der Maoris an. Nach Beendigung der jetzigen ersten Reise an Bord der Brigg, die der Schiffskoch mitmachte, wollte Harry Gibson diesen verabschieden, denn er hatte sich als mürrischer, boshafter und rachsüchtiger – überdies recht unsauberer – Patron gezeigt, bei dem alle Zurechtweisungen und Strafen keinerlei Wirkung hatten. Flig Balt hatte gewiß nicht unrecht, ihn zu denen zu zählen, die nicht zögern würden, sich gegen den Kapitän aufzulehnen. Vin Mod und der Koch verstanden sich vortrefflich. Der Bootsmann sah dem zweiten alles nach, entschuldigte ihn, so gut er konnte, und bestrafte ihn nur, wenn das nicht zu umgehen war. Koa wußte auch bereits, daß er mit der Ankunft in Hobart-Town abgemustert werden sollte, und mehr als einmal drohte er, sich dafür zu rächen. Flig Balt, Vin Mod und er nebst den vier Neuangeworbenen, das waren also ihrer sieben gegenüber Gibson, den drei anderen Matrosen und dem Schiffsjungen. Freilich sollten der Reeder Hawkins und Nat Gibson in Wellington noch an Bord kommen, und dann war das Stärkeverhältnis nicht mehr so ungleich. Dagegen lag die Möglichkeit vor, daß Flig Balt sich schon während der Überfahrt zwischen Dunedin und Wellington des Schiffes bemächtigen konnte, so kurz diese Fahrt auch war. Wenn sich dazu eine Gelegenheit bot, wollte Vin Mod sie sich nicht entgehen lassen.

Seit vier Monaten auf der Küstenfahrt, hatte der »James-Cook« verschiedene Häfen angelaufen, wo er seine Fracht mit gutem Nutzen gelöscht oder andere eingenommen hatte. Nachdem er der Reihe nach Malikolo, Merena und Eromanga an den Neuen Hebriden und darauf Vanoua Linon an den Fidschiinseln berührt hatte, sollte die Brigg noch vor Wellington ankern, wo Hawkins und Nat Gibson sie erwarteten. Von hier wollte sie, mit allerhand minderwertigen Kleinwaren für die Eingeborenen wohl versorgt, nach den Inselgruppen[28] von Neuguinea segeln, von wo dafür Perlmutter und Koprah, wenigstens für zehn-bis zwölftausend Piaster, zurückbefördert werden sollten. Von dort gedachte man die Heimreise nach Hobart-Town anzutreten und höchstens noch, wenn es die Umstände erheischten, in Brisbane oder in Sydney Halt zu machen. Noch zwei Monate, dann lag die Brigg voraussichtlich wieder in ihrem Heimathafen.

Der unfreiwillige Aufenthalt vor Dunedin kam Gibson erklärlicherweise höchst ungelegen. Durch Briefe und zwischen Dunedin und Wellington gewechselte Telegramme war Hawkins von der Ursache der unliebsamen Verzögerung unterrichtet, und er drängte den Kapitän deshalb, seine Mannschaft zu vervollständigen. Er sprach sogar davon, im Notfalle selbst nach Dunedin zu kommen, obschon Geschäftsangelegenheiten vorläufig noch seine Anwesenheit in Wellington verlangten.

Gibson hatte, wie der Leser weiß, nichts versäumt, dem Wunsche des Reeders nachzukommen, er war dabei nur gar zu vielen Schwierigkeiten begegnet, ganz wie eine Anzahl anderer Kapitäne, die sich in derselben Notlage befanden. Endlich hatte Flig Balt Erfolg gehabt, und als die vier Matrosen aus der Schenke zu den »Three-Magpies« das Deck der Brigg betreten hatten, ließ er sofort alle Boote aufwinden, damit die neuen Leute in der Nacht nicht etwa wieder entweichen könnten.

Noch im Laufe des Abends berichtete Flig Balt dem Kapitän, wie die Sache zugegangen war und wie er bei einer Rauferei den Augenblick benutzt hatte, Len Cannon und die drei anderen den Händen der Polizei zu entrücken. Was sie wert seien, würde er – der Kapitän – ja bald sehen. Meist beruhigten sich solche Hitzköpfe sofort, wenn das Schiff in Fahrt wäre, und wenn sie dann sozusagen unter sich sind, werden es oft die brauchbarsten Matrosen. Jedenfalls glaubte der Bootsmann, unter den vorliegenden Verhältnissen sein Bestes getan zu haben.

»Ich werde sie mir morgen ansehen, sagte Gibson.

– Ja... morgen, antwortete Flig Balt, es ist auch das beste, Kapitän, sie ihren Gin über Nacht verdauen zu lassen.

– Meinetwegen; übrigens liegen die Boote ja auf ihren Ständern, und wenn die Burschen nicht über Bord springen...

– Das können sie auch nicht, Kapitän; ich habe sie hinunter in den Frachtraum geschickt, und von da kommen sie erst im Augenblick der Abfahrt wieder heraus...[29]

– Ja, aber morgen... bei hellem Tage, Balt?

– O, morgen wird sie schon die Furcht, der Polizei in die Hände zu fallen, hier zurückhalten.

– Nun also, auf morgen,« antwortete Gibson beruhigter.

Die Nacht verstrich; jedenfalls war es aber unnötig gewesen, Len Cannon und seine Kameraden einzusperren, denn sie dachten gar nicht daran, sich zu erheben und schliefen den Totenschlaf der Betrunkenen.

Mit Anbruch des nächsten Tages traf der Kapitän Gibson die erforderlichen Vorbereitungen zur Abfahrt. Seine Schiffspapiere waren schon in Ordnung, so daß er nicht noch einmal ans Land zu gehen brauchte. Jetzt mußten die Neuangeworbenen aufs Deck gerufen werden.

Vin Mod öffnete die große Luke, und völlig ernüchtert kamen die vier Matrosen herauf und gingen an die Arbeit ohne das geringste Anzeichen dafür, daß sie vielleicht wieder fliehen möchten.

Als sie da vor dem Kapitän erschienen, erhielt dieser von ihnen zwar einen höchst ungünstigen Eindruck, er wußte das aber nicht sichtbar werden zu lassen, betrachtete sie nur aufmerksam und fragte schließlich nach ihren Namen, um diese in die Mannschaftsrolle einzutragen.

Bei der Namensnennung gaben sie gleichzeitig ihre Nationalität an: es waren zwei Engländer, ein Irländer und ein Amerikaner. Eigene Wohnungen hatten sie nicht, ihr Heim waren die Spelunken beim Hafen, deren Wirte meist gleichzeitig Nachtgäste aufnehmen. Ihre Habseligkeiten, das heißt das, was der Matrose an unumgänglichen Bedürfnissen in seinem Sacke mitzubringen pflegt, hatten sie nicht mitnehmen können. Flig Balt stellte ihnen dafür die Kleidungsstücke, die Leibwäsche und die sonstigen Gegenstände der früher Desertierten zur Verfügung, da diese ihr Eigentum doch niemals zurückfordern würden. Dadurch wurde es unnötig, sie erst noch nach ihren eigenen Reisesäcken zu schicken, und den Leuten schien das auch sehr recht zu sein.

Als Len Cannon, Sexton, Kyle und Bryce sich nach dem Vorderdeck begeben hatten, sagte Gibson achselzuckend:

»Eine verdächtige Gesellschaft, Balt! Ich glaube kaum, daß Ihr dabei eine glückliche Hand gehabt habt. Man muß die Burschen im Auge behalten, und zwar sehr scharf...

– Ja... natürlich, Kapitän. Übrigens sollen sie ihre Sache recht gut verstehen, wie mir ein Offizier vom ›West-Pound‹, der auch hier still liegt, mitteilte[30] – Sie hatten diese Leute also schon vorher ins Auge gefaßt?

– Ja... das heißt, erst seit wenigen Tagen...

– Und jener Offizier kannte sie?...

– Er hat sie auf langer Fahrt unter sich gehabt, und seiner Aussage nach sind es tüchtige Seeleute.«

Der Bootsmann log hier in unverschämtester Weise. Kein Offizier hatte ihm von den vier Männern ein Wort gesprochen; seine Aussage konnte aber nicht weiter kontrolliert werden, und Gibson hatte keine Ursache, an ihrem Werte zu zweifeln.

»Es wird jedenfalls zu verhüten sein, daß alle vier gleichzeitig Wache haben, sagte der Kapitän. Bringen Sie mir immer die beiden Engländer mit Hobbes und Wickley, und den Irländer und den Amerikaner mit Burnes und Vin Mod zusammen. Das dürfte sicherer sein...

– Wie Sie wünschen, Kapitän; ich wiederhole Ihnen aber: einmal draußen auf hoher See, werden sie schon ihre Schuldigkeit tun. Nur beim Aufenthalt in einem Hafen, und vorzüglich in Wellington, müssen die Leute streng überwacht werden. Jedenfalls dürfen sie keinen Landurlaub bekommen, sonst kehrten sie vielleicht nicht wieder an Bord zurück!

– Mag sein, Balt, Vertrauen flößen sie mir aber nicht ein, und wenn ich in Wellington für sie andere einstellen kann...

– So werden sie abgemustert,« stimmte der Bootsmann ein.

Flig Balt wollte nicht widersprechen, um nicht den Schein zu erwecken, daß ihm an diesen »Gelegenheits-Matrosen« besonders gelegen wäre.

»Ich kann Ihnen nur versichern, Kapitän, setzte er noch hinzu, daß ich mein Bestes getan habe, und große Auswahl hatte ich ja auch nicht!«

Gibson begab sich nach dem Hinterdeck zu dem Manne am Ruder, während Flig Balt nach dem Vorderdeck ging, um den Anker aufwinden und am Deck festlegen zu lassen, sobald die Segel in Ordnung wären.

Der Kapitän beobachtete den Kompaß in der Messingumhüllung, der auf einer Art Säule frei vor dem Steuer stand, sah dann nach dem Wimpel am Top des Großmastes und hierauf nach der britischen Flagge, die an der Gaffel des Briggsegels im Winde flatterte.

Noch schwankte der »James-Cook« an seiner Kette inmitten des Hafens. Der von Nordwesten wehende Wind mußte sein Auslaufen begünstigen. Wenn das Schiff durch den Kanal bis zum Chalmershafen gekommen war, fand es[31] auch eine günstige Brise, längs der Ostküste Neuseelands bis zu der, die beiden Inseln trennenden Meerenge hinabzusegeln. Einige vor dem Kanal verankerte Fahrzeuge nötigten es jedoch, erst seitwärts zu steuern, wodurch es sehr in die Nähe des Kais kam, der, von ihm zur Rechten, den Hafen begrenzte.

Gibson erteilte seine Befehle. Nach einander wurden die beiden Marssegel, dann das Focksegel, hierauf die Klüver- und das Briggsegel gehißt. Dabei zeigte es sich überall, daß Len Cannon und seine Kameraden ihre Sache verstanden, und wenn sie nach den Stengen der Bramsegel hinaufzusteigen hatten, geschah das in einer Weise, die deutlich zeigte, daß sie für den Dienst als Marsgasten nichts mehr zu lernen brauchten.

Der schon aufgerichtete Anker wurde in dem Augenblick aufgewunden, wo man die Schoten anzog, um der Brigg die gewünschte Richtung zu geben. Flig Balt und Vin Mod konnten während dieses Manövers einige Worte wechseln.

»Na, sagte der zweite, unsere Neuen machen ja ihre Sache gut...

– Ganz wie sich's gehört, Mod...

– Noch drei solche Burschen, und wir hätten die Mannschaft, die wir brauchen...

– Und das Schiff, das wir brauchen, obendrein, setzte Flig Balt halblaut hinzu.

– Und auch den Kapitän, den wir brauchen!« er klärte Vin Mod, der die Hand an die Mütze legte, als stände er vor seinem Vorgesetzten.

Flig Balt bedeutete ihm, zu schweigen, aus Furcht, daß die Worte von dem Schiffsjungen verstanden werden könnten, der eben beschäftigt war, die Schote des kleinen Klüversegels umzulegen. Der Bootsmann schickte sich schon an, nach dem Volkslogis zu gehen, als Vin Mod ihn noch fragte, wie die vier Stammgäste der »Three-Magpies« dem Kapitän denn gefallen hätten.

»O, nicht besonders, antwortete Flig Balt.

– Ja freilich, äußerlich machen sie gerade keinen einnehmenden Eindruck, gab Vin Mod zu.

– Es würde mich gar nicht wundern, wenn er sie schon in Wellington ablohnte, sagte Flig Balt.

– Um in Wellington vor Anker zu gehen, meinte Vin Mod, die Achseln zuckend, müßte man freilich nach Wellington steuern. Ich hoffe aber, wir kommen überhaupt nicht dahin und es wird dort niemand ausgesetzt.

– Keine Unklugheiten, Mod...[32]

– Nun also... Flig Balt, der Kapitän ist nicht zufrieden?

– Nein.

– Was tut das, wenn wir's nur sind?«

Der Bootsmann begab sich nach dem Hinterdeck.

»Nun... ist alles in Ordnung? fragte ihn Gibson.

– Alles, Herr Kapitän.«


Len Cannon und Bryce.
Len Cannon und Bryce.

Der »James-Cook« schlug nun eine Richtung ein, mit der er sich dem Kai näherte, dessen Kopf er in kaum einer halben Kabellänge Entfernung umschiffen mußte.[33]

Hier hatte sich eine Gruppe von Seeleuten und müßigen Zuschauern gesammelt, für die ein Fahrzeug unter Segel allemal ein gewisses Interesse haben... Seit mehreren Wochen war man dieses Anblickes beraubt gewesen, da die Schiffe hier ihren Ankerplatz nicht hatten verlassen können.

In der Gruppe befanden sich aber auch einige Polizisten, deren Aufmerksamkeit dem »James-Cook« ganz besonders gewidmet schien, das zeigte sich in ihrer Haltung und in ihren Bewegungen. Zwei oder drei der Beamten liefen sogar ganz vorn nach dem Kopfende des Kais, wo die Brigg ganz nahe vorbeikommen mußte.

Offenbar gehörten diese Polizisten – Flig Balt und Vin Mod konnten sich darüber gar nicht täuschen – zu denen, die sie gestern in der Schenke Adam Frys gesehen hatten. Len Cannon und seine Kameraden liefen also Gefahr, erkannt zu werden, und wer weiß, ob der »James-Cook«, wenn er angerufen und ihm befohlen wurde, beizudrehen, nicht in die Lage kam, die Matrosen aus den »Three-Magpies« wieder auszuliefern.

Der Kapitän Gibson jedoch, der nun einmal entschlossen war, die neuen Leute streng zu beobachten, fand es zweckmäßiger, sie zu behalten, was es ihm wenigstens ermöglichte, in See zu gehen, und er wäre ja in die größte Verlegenheit gekommen, wenn er die Matrosen wieder der Polizei überlassen müßte. Nach wenigen Worten, die ihm Flig Balt hastig zuflüsterte, stimmte er auch zu, daß Vin Mod sofort, und ehe sie bemerkt würden, Len Cannon, Sexton, Kyle und Bryce vom Deck wegschickte.

»Hinunter!... Hinunter!« rief Vin Mod ihnen zu.

Die Matrosen warfen einen flüchtigen Blick nach dem Kai, sie erkannten sofort die Lage der Dinge und verschwanden eiligst durch die Treppenkappe. Am Deck wurden sie gerade jetzt nicht mehr gebraucht, denn der Steuermann konnte den »James-Cook« ohne weitere Veränderung der Segelstellung nach dem Kanale führen.

Die Brigg näherte sich dem Ende des Kais immer mehr und fuhr sogar noch dichter, als es die Schiffe sonst tun, an dieses heran, da sie eben noch einem amerikanischen Dampfer ausweichen mußte, der ihr unter den kreischenden Tönen seiner Heulpfeife entgegenkam.

Die Polizisten konnten sich also die Matrosen an Bord leicht genau ansehen, und wenn Len Cannon und die übrigen sich nicht versteckt hätten, wären sie gewiß erkannt und auf der Stelle abgeführt worden.[34]

Die Beamten sahen sie jedoch nicht, und die Brigg konnte in den Kanal einlaufen, sobald der Dampfer den Eingang freigegeben hatte.

Jetzt war nichts mehr zu fürchten; die vier Matrosen kamen wieder zum Vorschein.

Ihre Hilfe war auch wieder nötig. Der sich von Südwesten nach Nordosten hinziehende Kanal macht mehrere Windungen, so daß bei jeder solchen die Schoten angezogen oder nachgelassen werden müssen.

Von einer günstigen Brise getrieben, segelte die Brigg ohne Schwierigkeiten zwischen den grünen, mit Villen und Landhäusern übersäten Ufern hin, auf deren einem die Eisenbahn verläuft, die Dunedin mit dem Chalmershafen verbindet.

Es war kaum acht Uhr, als die Brigg diesen Außenhafen passierte und nun aufs offene Meer hinauskam. Dann steuerte sie mit Backbordhalsen, den Leuchtturm von Otago und das Kap Sanders im Süden liegen lassend, rasch längs der Ostküste Neuseelands hin.

Quelle:
Jules Verne: Die Gebrüder Kip. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXXI–LXXXII, Wien, Pest, Leipzig 1903, S. 23-25,27-35.
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