Fünftes Capitel.
In der Bai Marguerite.

[63] Nach dem Wiederaufwachen eines günstigen Windes nahm Bourcart mit Recht an, daß der »Saint Enoch« von den in der Nähe des Wendekreises des Krebses so häufigen Windstillen nichts mehr zu fürchten haben werde. Voraussichtlich erreichte er vielmehr die Bai Marguerite ohne weitere Verzögerungen, wenn auch erst gegen Ende der Fangzeit. Die Walfische sammeln sich in dieser Bai gewöhnlich nur in der Jahreszeit, wo ihre Jungen geboren werden, dann ziehen sie wieder nach dem Norden des Großen Oceans hinaus.

Da der »Saint Enoch« seine halbe Thranladung schon gefaßt hatte, lag die Wahrscheinlichkeit vor, daß er sie hier werde um mehrere Hundert Fässer vervollständigen können. Hatte das angetroffene englische Schiff aber seine Campagne, wie es den Anschein hatte, noch nicht begonnen und sollte das, wie man ebenfalls annehmen durfte, erst in der Bai Marguerite geschehen, so war bei der schon vorgeschrittenen Fangzeit zu vermuthen, daß es hier keine volle Last werde einnehmen können.

Die amerikanische Küste tauchte am 13. Mai, etwa in der Höhe des Wendekreises, vor dem französischen Walfänger auf. Zuerst kam da das Cap Lucas in Sicht, das die Südspitze der Halbinsel des alten Californiens einnimmt.[63] Die Halbinsel begrenzt den gleichnamigen schmalen Golf, dessen andere Seite von der Küste des mexikanischen Sonora gebildet wird.

Längs der (westlichen) Küste der Halbinsel und nicht weit von dieser mit leichter Südwestbrise hinaufsegelnd, kam der »Saint Enoch« an mehreren Inseln vorüber, die ausschließlich von einer Ziegenart, von Robben und von Seevögeln in unzähligen Scharen bewohnt waren. Ein Boot, das mit Heurtaux, einem sehr geschickten Jäger, ans Land ging, kam denn auch nicht leer zurück. Die Robben wurden abgehäutet, um deren Felle aufzubewahren, und die Ziegen ausgeschlachtet, um deren Fleisch zu gewinnen, das ein beliebtes und ausgezeichnetes Nahrungsmittel bildet.

Auf der weiteren Fahrt längs der Küste ließ der »Saint Enoch« die Schildkrötenbucht an Backbord liegen. Tief im Innern dieser Bai sah man mehrere Schiffe vor Anker liegen, die jedenfalls auf See-Elefanten Jagd machten.

Am 17. Mai gegen sieben Uhr abends kam der Kapitän Bourcart vor der Bai Marguerite an, in der er vor Anker zu gehen gedachte. Da es bald dunkel werden mußte, ließ er aus Vorsicht mit dem Bug seewärts beidrehen und lavierte in kurzen Schlägen in der Weise, daß er mit Sonnenaufgang des nächsten Tages wieder am Eingange der in die Bai führenden Wasserstraße lag.

Die Strömung lief jetzt dem Winde entgegen, wodurch ein Anklatschen der Wellen entstand, wie ein solches häufig das Vorhandensein von Untiefen andeutet, so daß man wohl fürchten konnte, auf zu geringe Wassertiefe zu stoßen. Bourcart ließ deshalb auch zwei Boote mit Sonde und Schnur aussetzen, die genaue Tiefenmessungen vornehmen sollten. Zu seiner Beruhigung ergaben diese aber eine Tiefe von fünfzehn bis zwanzig Faden. Das Schiff steuerte also in die Fahrstraße hinein und gelangte bald nach der Bai Marguerite.

Den englischen Dreimaster hatten die Wachen nicht wieder gemeldet. Wahrscheinlich sachte dieses Schiff andere, von den Walfischen noch mehr bevorzugte Fangplätze auf. Uebrigens bedauerte niemand, nicht in Gesellschaft mit ihm fahren zu müssen.

Da die Bai mehrfach Sandbänke enthält, konnte der »Saint Enoch« nur mit größter Vorsicht weiter hineindringen. Das erste Mal war es heute zwar nicht, daß Bourcart diese Bai besuchte, da die Sandbänke aber ihre Stelle wechseln, war es von Wichtigkeit, die fahrbare Straße sicher zu erkennen. Vorläufig wurde einmal in einer kleinen, gut geschützten Bucht Anker geworfen.
[64]

Ein Boot, das ans Land ging, kehrte denn auch nicht leer zurück. (S. 64.)
Ein Boot, das ans Land ging, kehrte denn auch nicht leer zurück. (S. 64.)

Sobald die Segel eingebunden waren und der Anker sicher gefaßt hatte, begaben sich die drei Backbordboote ans Land, um Palurden, eine vortreffliche, auf Steinen und dem Strande hier in Ueberfluß vorkommende Muschelart, zu holen. Im Wasser wimmelt es hier obendrein von Fischen verschiedener Art, wie von Meeräschen, Lachsen, Hornfischen und anderen. Ferner fehlt es weder an Robben, noch an Schildkröten, freilich auch nicht an gefräßigen Haifischen. Holz konnte man sich leicht beschaffen, denn vielfach reichen dichte Wälder bis an die Küste heran.[65]

Die Bai Marguerite mißt dreißig bis fünfunddreißig Seemeilen, also etwa sechzig Kilometer. Um sie ohne Havarie zu befahren, muß man ihrer ganzen Länge nach einer Art Canal folgen, der zwischen Sandbänken oder Felsblöcken zuweilen nur vierzig bis fünfzig Meter breit ist.

Um daraus nicht abzuweichen, ließ der Kapitän Bourcart größere Steine einsammeln, um die ein dünnes Tau geknüpft wurde, dessen anderes Ende mit einer gut verschlossenen leeren Tonne verbunden war. Das ergab ebensoviele Baken, die die Mannschaften an jeder Seite des Canals auslegten, um dessen Windungen sichtbar zu machen.

Nicht weniger als vier Tage wurden nöthig – da die Ebbe in je vierundzwanzig Stunden zweimal zum Ankern zwang – eine mindestens zwei Lieues tiefe Lagune zu erreichen.

Wenn das Schiff still lag, begab sich Heurtaux in Begleitung der beiden Lieutenants ans Land, um in der Umgebung zu jagen. Sie erlegten dabei einige Ziegenpärchen und auch mehrere Schakale, die in der Waldung zahlreich vorkamen. Die Matrosen holten inzwischen Vorräthe höchst schmackhafter Austern oder beschäftigten sich mit Fischfang.

Am 21. Mai langte der »Saint Enoch« endlich an seinem dauernden Ankerplatze an.

Diese Stelle lag drei Kabellängen von dem Hintergrunde einer Bucht, die an der Nordseite von bewaldeten Hügeln begrenzt war. Von den anderen flachen und in einem sandigen Strande endenden Ufern traten zwei abgerundete, mit schwärzlichen Steinblöcken von sehr hartem Korn bestreute Landzungen heraus. Die Bucht selbst öffnete sich am Westufer der Lagune, und darin stand, selbst bei ganz niedriger See, immer soviel Wasser, daß das Schiff nicht Gefahr lief, auf dem Sande zu sitzen. Wie überhaupt in diesem Theile des Stillen Oceans, war der Gezeitenunterschied hier nicht sehr groß. Weder bei Voll- noch bei Neumond ergab sich eine größere Veränderung des Wasserstandes als eine von zweiundeinhalb Faden zwischen der Springfluth und der Nippebbe.

Der Liegeplatz war recht glücklich gewählt. Die Mannschaft hatte nicht weit zu gehen, um Holz zu holen. Ein zwischen den Hügeln sich hinschlängelnder Bach lieferte eine mehr als ausreichende Menge Süßwasser.

Selbstverständlich hatte sich der »Saint Enoch« hier nicht für die ganze Zeit des Aufenthalts unverrückbar festgelegt. Wenn die Boote entweder in der Lagune oder weiter draußen einem Walfisch nach stellten, war er immer schnell[66] zur Abfahrt bereit, um die Jagd zu unterstützen, im Fall ein irgend günstiger Wind wehte.

Achtundvierzig Stunden nach seinem Eintreffen erschien vier Meilen sec »wärts ein Dreimaster, den man leicht als das englische Schiffe erkannte, das schon einmal gesehen worden war. Wie man später erfuhr, war es der »Repton«, Kapitän King, aus Belfast, der eben mit dem Fange begonnen hatte.

Dieser Walfänger suchte keinen Ankerplatz in der Bucht auf, wo der »Saint Enoch« lag. Er steuerte vielmehr nach dem Hintergrunde der Lagune, wo er den Anker fallen ließ. Da er aber kaum zwei Seemeilen weit festlegte, blieb er für das französische Fahrzeug immer in Sicht.

Diesmal hatte ihn die französische Flagge aber nicht begrüßt, als er vorübersegelte.

Andere Fahrzeuge, meist amerikanischer Nationalität, kreuzten an verschiedenen Theilen der Bai Marguerite, woraus sich schließen ließ, daß die Wale diese noch nicht endgiltig verlassen hatten.

Schon vom ersten Tage an hatten sich, da noch keine Gelegenheit war, die Fangboote auszusetzen, Meister Cabidoulin, der Zimmermann Ferut und der Schmied Thomas in Begleitung einiger Matrosen ans Ufer begeben, um Bäume zu fällen. Die Erneuerung des Holzvorrathes war dringend nöthig geworden, ebenso um den Bedarf der Küche zu decken, wie um für den zur Feuerung des Schmelzofens gerüstet zu sein. Das ist eine sehr wichtige Arbeit, die die Kapitäne der Walfischfänger niemals vernachlässigen. Das Fällen der Bäume ging trotz der herrschenden starken Hitze recht schnell von statten. Daß es so heiß war, kann nicht wundernehmen, wenn man bedenkt, daß die Bai Marguerite ziemlich genau unter dem fünfundzwanzigsten Breitengrade liegt, und auf der nördlichen Halbkugel entspricht das der Lage des südlichen Italiens und nördlichen Afrikas.

Am 25. Mai, eine Stunde vor Sonnenuntergang, bemerkte der Harpunier Kardek, der auf dem Besanmaste Ausguck hielt, etwa zwei Seemeilen von der Bucht entfernt mehrere Walfische, die ohne Zweifel seichtere, für ihre Jungen geeignete Stellen suchten. Es wurde daraufhin beschlossen, daß die Boote morgen in den ersten Tagesstunden klar gemacht sein sollten, denn jedenfalls bereiteten sich auch noch andere Fahrzeuge auf den Fang der Thiere vor.

An diesem Abend fragte Filhiol den Kapitän Bourcart, ob der Fang in gleicher Weise wie bei Neuseeland vor sich gehen werde.[67]

»Nicht ganz so, lieber Doctor, erhielt er zur Antwort, hier bedarf es etwas größerer Vorsicht. Wir werden es nämlich mit weiblichen Thieren zu thun haben, die zwar mehr Thran liefern, doch auch gefährlicher sind, als die männlichen. Bemerkt ein solches Weibchen, daß ihm eine Verfolgung droht, so wendet es sich sofort zur Flucht. Das Thier verläßt dann nicht allein die Bai, um überhaupt nicht zurückzukehren, sondern es verlockt auch die anderen zum Verschwinden, und dann soll sie einer draußen im Großen Ocean einmal zu finden suchen!

– Wenn aber ihre Jungen bei ihnen sind, wie dann, Kapitän?

– Dann ist es für die Boote, antwortete Bourcart, weit leichter, an sie heranzukommen. Der weibliche Wal, der dem Spiele seines Jungen folgt, versieht sich keiner Gefahr. Man kann dann so nahe heranrudern, daß das Thier mit der Axt an den Flossen verletzt wird. Hat es die Harpune verfehlt, so genügt es, dem Thiere, und wäre es mehrere Stunden lang, mit den Booten zu folgen. Der junge Walfisch verzögert sein Entkommen, denn dieser ermüdet bis zur Erschöpfung. Da die Mutter nun das Kleine nicht verlassen will, eröffnet sich die Aussicht, sie unter Verhältnissen anzutreffen, wo man von der Lanze Gebrauch machen kann.

– Doch sagten Sie, Herr Kapitän, nicht eben, daß die weiblichen Wale gefährlicher wären als die männlichen?

– Jawohl, Herr Filhiol, der Harpunier muß sich deshalb sorgsam hüten, den jungen Wal zu verletzen. Dessen Mutter würde wüthend werden und großen Schaden anrichten, denn sie geht dann auf die Boote los und schlägt so furchtbar mit dem Schwanze, daß sie diese meist zertrümmert. Das hat schon viele schwere Unfälle veranlaßt. So ist es auch nach einer Fangsaison gar nichts seltenes, in der Bai Marguerite zahlreiche Trümmer solcher Boote treiben zu sehen, und schon viele Menschen haben die Unklugheit oder das Ungeschick des Harpuniers mit dem Leben bezahlt!«

Schon vor sieben Uhr morgens war alles bereit, zur Verfolgung der gestern gesehenen Cetaceen aufzubrechen. Außer den dazu mitgeführten Harpunen, Lanzen und Beilen, hatten sich der Kapitän Bourcart, der Obersteuermann und die beiden Lieutenants noch mit Gewehren zum Lanzenwerfen ausgerüstet, deren man sich beim Angriffe auf die hier in Frage kommende Art von Walfischen stets mit Vortheil bedient. Eine halbe Meile von der Bucht zeigte sich ein Weibchen, dem sein Junges folgte, und die Boote hißten die Segel, um an das Thier heranzukommen, ohne seine Aufmerksamkeit zu erregen.[68]

Natürlich war Romain Allotte den anderen auch heute voraus und langte zuerst auf sieben Faden Entfernung bei dem Thiere an. Dieses war eben dabei, den Grund auf seine Tiefe zu untersuchen und mußte das Boot jetzt jedenfalls bemerken.

Sofort schwang Ducrest seine Harpune und schleuderte sie mit solcher Gewalt, daß sie bis an den Anfang des Schaftes in den Körper des Walfisches eindrang.

Jetzt kamen auch die anderen drei Boote heran und wollten das Thier umkreisen, um es mit Tauen weiter zu fesseln. Infolge eines – übrigens nicht seltenen – Unfalles zerbrach aber die Harpune und der Wal konnte mit seinem Jungen entweichen.

Alle bemühten sich nun mit größtem Eifer, der Cetacee zu folgen, die den Booten bald um sechzig bis achtzig Faden voraus war. Ihr ausgestoßener Strahl – ein Dampf von zu seinem Regen condensiertem Wasser – stieg acht bis zehn Meter hoch empor, doch mit ganz weißer Farbe, ein Beweis, daß das Thier nicht tödtlich verletzt war.

Die Matrosen strengten sich mit den Riemen aus Leibeskräften an. Zwei Stunden lang war es unmöglich, dem Walfisch nahe zu kommen, ihn nochmals harpunieren zu können. Vielleicht wäre bei einem solchen Versuche das junge Thier getroffen worden, und das wollte der Kapitän Bourcart jedenfalls vermieden wissen.

Der Doctor Filhiol, der alle Einzelheiten dieser Jagd zu beobachten wünschte, hatte in Bourcart's Boote Platz genommen. Auch ihm hatte sich das eifrige Verlangen mitgetheilt, das alle übrigen erfüllte, und er gab der Befürchtung Ausdruck, daß die Kräfte der Leute erlahmen würden, ehe diese an das Thier herankämen.

Der Wal entfernte sich in der That noch immer mit großer Schnelligkeit und tauchte und erschien wieder je nach einigen Minuten. Er hatte sich übrigens von der Bucht nicht weit, höchstens drei bis vier Seemeilen, entfernt und näherte sich dieser jetzt wieder noch mehr. Auch seine Geschwindigkeit schien abzunehmen, da sein Junges jetzt nicht mehr hinter ihm zurückblieb.

Gegen elfeinhalb Uhr wurde von Heurtaux' Boote aus eine zweite Harpune geworfen.

Diesmal hatte man nur wenig Leine zum Nachschießenlassen zur Hand. Die anderen Boote kamen deshalb, doch auf der Hut, von keinem Schlage des[69] Schwanzes getroffen zu werden, heran. Sobald sie dem Thiere mit der Lanze und dem Beil zu Leibe gegangen waren, warf dieses einen blutigen Strahl aus und verendete auf der Meeresoberfläche, während sein Junges im Wasser verschwand.

Da die Strömung günstig war, wurde der Wal ohne große Mühe nach dem »Saint Enoch« geschleppt wo der Kapitän alles in Stand setzen ließ, ihn am Nachmittage abzuhäuten.

Am nächsten Tage kam ein Canot mit einem Spanier, der den Kapitän zu sprechen wünschte. Es war einer der Leute, die das Geschäft eines »Restausschlachters« betreiben und denen man den Speck überläßt, der noch im Innern des Thiergerippes sitzt.

Als der Fremde den an der Seite des Fahrzeuges festgelegten Wal näher besichtigt hatte, sagte er:

»Das ist wahrhaftig einer der größten, die seit drei Monaten hier in der Margueritebai gefangen worden sind...

– War denn die Saison im allgemeinen eine gute? fragte ihn Bourcart.

– Nur etwa mittelmäßig, antwortete der Spanier, ich habe auch kaum ein halbes Dutzend Gerippe zur Bearbeitung bekommen. Ich bitte Sie also, mir die Reste von Ihrem Fange hier zu überlassen.

– Recht gern!«

Die folgenden achtundvierzig Stunden blieb der Spanier gleich mit an Bord und half bei allen Arbeiten zur Schmelzung des Speckes. Der Wal lieferte übrigens nicht weniger als hundertfünfundzwanzig Faß vorzüglichen Thranes. Das Gerippe mit den sonstigen Ueberbleibseln schafften Eingeborne nach dem Etablissement des Spaniers, das zwei Meilen von der Bucht entfernt lag.

Als der Mann weg war, wendete sich der Doctor Filhiol an den Kapitän:

»Ist Ihnen denn bekannt, Herr Bourcart, wie viel Thran der Spanier aus den Resten des Walfisches gewinnen mag?

– O, höchstens einige große Krüge voll, Doctor...

– Da irren Sie denn doch, denn ich habe aus seinem eigenen Munde gehört, daß dieses Ausweiden ihm zuweilen fünfzehn Faß davon liefert.

– Wie?... So viel? rief Bourcart. Na, schön, das soll auch zum letztenmal gewesen sein, daß ich mich so übervortheilen lasse. In Zukunft weiden wir den Rumpf der Thiere hübsch selber aus!«

Der »Saint Enoch« verweilte in der Bai Marguerite bis zum 17. Juni, ehe er seine Ladung voll machen konnte.[70]

In diesem Zeitraum erbeuteten die Mannschaften noch mehrere Wale, darunter einige Männchen, die nur sehr schwer und obendrein recht gefährlich zu harpunieren waren, denn sie gebärdeten sich wilder, als man es zu sehen gewöhnt ist.

Der eine davon wurde vom Lieutenant Coquebert am Eingang der Bucht gefangen. Es bedurfte aber eines Tages und einer Nacht, ihn tiefer hinein zu schleppen. Während der Dauer der widrigen Strömung, die das Einbringen verhinderte, hatten sich die Boote mittels kleiner Anker an dem Thiere festgelegt und die Mannschaften schliefen in Erwartung des Eintrittes der Fluth.

Selbstverständlich vernachlässigten auch die anderen Schiffe keineswegs die Verfolgung von Cetaceen, oft bis tief in die Bai Marguerite hinein. Vor allen waren die Amerikaner mit den Ergebnissen ihrer Jagd zufrieden.

Der Kapitän eines dieser Schiffe, des »Iving«, von San Diego, stattete Bourcart auch einen Besuch an Bord des »Saint Enoch« ab.

»Kapitän, sagte er, nachdem die beiden Männer einige Minuten geplaudert hatten, ich sehe, daß Sie schon an den Küsten Neuseelands einen recht guten Fang gemacht haben.

– Jawohl, bestätigte Bourcart, und ich hoffe, hier die diesjährige Campagne bald zu beschließen. Dann kann ich eher als erwartet nach Europa zurückkehren und vielleicht schon vor Ablauf von drei Monaten in Havre eintreffen.

– Meinen Glückwunsch, Kapitän, doch warum wollen Sie bei den bisherigen guten Erfolgen unmittelbar nach Havre zurücksegeln?

– Was wollen Sie damit sagen?

– Ich meine, Sie könnten Ihre Ladung auch recht vortheilhaft verwerthen, ohne den Großen Ocean zu verlassen. Das gestattete Ihnen dann, den Walfang bei den Kurilen oder im Ochotskischen Meere – und das gerade in den günstigsten Monaten – noch einmal aufzunehmen.

– Erklären Sie sich etwas näher, Kapitän. Wo könnte ich meine Ladung verkaufen?

– In Vancouver.

– In Vancouver?

– Ja, auf dem Markte von Victoria, wo jetzt von amerikanischen Häusern starke Nachfrage nach Thran ist und Sie Ihre Vorräthe zu gutem Preise absetzen könnten.[71]

– Wahrhaftig, antwortete Bourcart, das wäre ein Gedanke, ohne Zweifel ein vortrefflicher Gedanke! Ich danke Ihnen für Ihre Anregung, Kapitän, und werde mir sie wahrscheinlich zu nutze machen.«

Die in amerikanischem Gewässer, in der Höhe des englischen Columbien gelegene Insel Vancouver ist, nördlich von der Bai Marguerite, etwa um fünfundzwanzig Breitengrade entfernt. Bei günstigem Winde konnte der »Saint Enoch« sie binnen vierzehn Tagen bequem erreichen.

Offenbar lächelte das Glück dem Kapitän Bourcart und Jean-Marie Cabidoulin kam um seine Geschichten und Unglücksprophezeiungen. Nach dem Fange bei Neuseeland und in der Bai Marguerite noch eine Fangreise nach den Kurileninseln und ins Ochotskische Meer... und das alles in demselben Jahre!

Nach Vancouver begaben sich jedenfalls auch die amerikanischen Walfänger und der »Repton« wahrscheinlich ebenfalls, wenn sie ihre volle Ladung Thran hatten, denn dieser stand dort eben hoch im Course.

Als Bourcart den Kapitän des »Iving« fragte, ob er mit dem »Repton« irgendwie in Beziehung getreten wäre, lautete die Antwort verneinend. Das englische Schiff hielt sich immer abseits und vielleicht salutierte es das Sternenbanner der Vereinigten Staaten ebensowenig wie die französische Tricolore.

Mehrmals ereignete es sich dennoch, daß die englischen und französischen Boote, sei es auf der Lagune oder inmitten der Bai, bei der Verfolgung von Walfischen einander ziemlich nahe kamen. Zum Glück jagten sie da nicht denselben Cetaceen nach, denn das hätte, wie es zuweilen geschieht, zu Streitigkeiten führen können. Bei der Gemüthsverfassung, in der sich beide Theile befanden, wären solche Streitigkeiten gewiß recht übel abgelaufen. Bourcart ermahnte seine Leute auch wiederholt und dringend, jede Berührung mit der Mannschaft des »Repton« zu vermeiden, auf dem Wasser ebenso, wenn beide in derselben Gegend kreuzten, wie auf dem Lande, wenn die Boote ausgefahren waren, um Holz zu holen oder Trinkwasser zu fassen.

Uebrigens erfuhr man nicht, ob der »Repton« mit dem Fange Glück hatte, und eigentlich kümmerte sich auch niemand darum. Der »Saint Enoch« war ihm bei der Ueberfahrt von Neuseeland nach der amerikanischen Küste begegnet, und wenn er die Bai erst verlassen hatte, bekam er den Engländer jedenfalls nie wieder zu Gesicht.


Der Fremde besichtigte den an der Seite des Fahrzeuges festgelegten Wal. (S. 70.)
Der Fremde besichtigte den an der Seite des Fahrzeuges festgelegten Wal. (S. 70.)

Unter den erbeuteten Cetaceen befand sich ein Pottfisch, den Romain Allotte drei Meilen außerhalb der Lagune gefangen hatte. Es war das der[72] größte, auf den man bisher getroffen war. Diesen hatte auch der »Repton« gesehen, und seine Boote stießen zur Verfolgung des Thieres ab, doch war es schon zu spät, als sie in dessen Nähe kamen.

Um den Pottfisch nicht aufmerksam zu machen, glitt das Boot bei günstiger schwacher Brise so still an ihn heran, daß es das Thier nicht aufscheuchte. Als der Harpunier aber in passender Wurfweite war, tauchte es unter, und nun hieß es warten, bis es wieder auf der Oberfläche erschien. Fünfunddreißig Minuten waren seit seinem letzten Untertauchen verflossen – ebenso lange[73] blieb es jetzt voraussichtlich unter Wasser, und nun galt es nur, scharf Acht zu geben.

Nach der angenommenen Zeit kam es wirklich wieder zum Vorschein, jetzt aber sieben bis acht Kabellängen vom Boote, das ihm nun mit größter Geschwindigkeit nachsegelte.

Der Harpunier Ducrest stand auf dem kleinen Vorderdeck und der Lieutenant Allotte hielt sich mit dem Beile bereit. In diesem Augenblicke aber peitschte der Pottfisch, der eine Gefahr ahnen mochte, das Meer mit solcher Gewalt, daß eine Woge über das Boot hereinbrach und es zur Hälfte anfüllte.

Da die Harpune das Thier an der rechten Seite unterhalb der Brustflosse getroffen hatte, tauchte es unter, und die Leine wurde mit so großer Geschwindigkeit nachgezogen, daß man sie begießen mußte, um ihr Anbrennen zu verhüten.

Als der Pottwal wieder erschien, blies er Blut in die Höhe und einige Lanzenstiche machten ihm bald ein Ende.

Nach der Schmelzung des Speckes verzeichnete Meister Cabidoulin weitere achtzig Faß von dem Pottfische herrührenden Thran.

Man stand noch drei Tage vor der auf den 17. Juni festgesetzten Abfahrt. Bourcart hatte sich, dem Rathe des Amerikaners folgend, entschlossen, nach der Insel Vancouver zu segeln. Der »Saint Enoch« hatte jetzt siebzehnhundert Faß Thran und fast fünftausend Kilogramm Walfischbarten im Frachtraume. Nach deren Veräußerung in Victoria wollte der Kapitän sofort zur zweiten Fangreise im Nordosten des Stillen Oceans aufbrechen. Hundertfünfzig Tage waren seit der Abfahrt von Havre verflossen und der Aufenthalt an der Bai Marguerite hatte vom 13. Mai bis zum 19. Juni gedauert. Rumpf und Takelage des Schiffes befanden sich im besten Zustande, und in Vancouver konnte leicht neuer Proviant angeschafft werden.

Am zweiten Tage vor der Abreise ereignete sich da noch ein Zwischenfall, der die Mannschaften mit den Leuten vom »Repton« in Berührung brachte, und zwar unter folgenden Umständen:

Die Boote des Obersteuermanns und des Lieutenants Coquebert waren ans Land geschickt worden, um einen Rest schon gefällten Holzes zu holen und noch einmal Süßwasser mitzubringen.

Heurtaux, Coquebert und die Matrosen hatten bereits den Strand betreten, als einer von ihnen »Ein Walfisch!... Ein Walfisch!« rief.[74]

Wirklich schwamm eben eine halbe Meile vor der Bucht und auf dem Wege nach dem Hintergrunde der Bai ein ziemlich großes weibliches Thier mit seinem Jungen vorüber.

Natürlich bedauerten alle lebhaft, seine Verfolgung nicht aufnehmen zu können. Die zu ganz anderem Zwecke ausgesendeten Bote waren darauf aber nicht vorbereitet und hatten weder Harpune noch Leine mitgenommen. Nicht anders stand es an Bord des »Saint Enoch«, auf dem die Lauftaue schon eingezogen und die zum Drehen der Wale an der Schiffsseite dienenden Apparate weggeschafft waren, da das Fahrzeug sozusagen schon zum Abfahren bereit lag.

Da kamen übrigens auch plötzlich zwei Boote um einen der Landvorsprünge in der Bucht hervor, die bisher unsichtbar gewesen waren.

Es waren Boote vom »Repton«, die auf den gemeldeten Wal zusteuerten.

Da sie sich dem Lande genähert hatten, offenbar um dem Thiere von der Rückseite her beizukommen, konnte man leicht alles beobachten, was weiter vorging.

Die beiden Boote glitten rasch und geräuschlos dahin, doch waren sie gut durch eine Seemeile von einander getrennt, da das eine offenbar erst nach dem anderen abgefahren war. Das vordere hatte am Heck seine Flagge entrollt, ein Zeichen, daß es seine Absicht war, die Cetacee zu fangen.

Der »Repton« selbst wartete, mit wenigen Segeln an den Raaen, drei Meilen weiter im Osten.

Heurtaux, Coquebert und deren Leute bestiegen eine kleine Anhöhe hinter dem Bache, von der aus sie die ganze Lagune übersehen konnten.

Es war gegen zweieinhalb Uhr, als der Harpunier des ersten Bootes sich nahe genug befand, seine Harpune zu schleudern.

Der mit seinem Jungen spielende Walfisch hatte den Mann noch nicht bemerkt, als dessen Waffe schon durch die Luft sauste.

Die Engländer wußten es sicherlich auch, daß es gefährlich ist, den jungen Wal zu verletzen. Hier glitt dieser aber gerade am Boote vorüber, und die Harpune bohrte sich in seine Unterlippe.

Es war tödtlich getroffen und lag nach einigen Zuckungen unbeweglich auf dem Meere. Da der Schaft der Harpune sich bei der Umdrehung des Thieres in die Höhe richtete, sah es, wie die Matrosen zu sagen pflegen, so aus, als ob er »seine Pfeife rauchte«, da der Wasserstaub, der ihm aus dem Maule hervordrang, dem Tabaksrauche täuschend ähnlich aussah.[75]

Der weibliche Wal, den jetzt eine plötzliche Wuth packte, wurde nun zu einem höchst gefährlichen Thiere. Sein Schwanz peitschte das Wasser, daß es gleich einer Trombe aufwirbelte. Es stürzte sich dabei auf das Boot. Die Leute darin mochten sich noch so sehr anstrengen, ihm zu entfliehen... vergeblich... sie konnten seinen Angriffen nicht ausweichen. Die Matrosen versuchten auch, freilich ohne Erfolg, ihm eine zweite Harpune entgegenzuschleudern, vergeblich wehrten sie es mit Lanzenstichen und Beilhieben ab, vergeblich feuerte ein Officier sein lanzenwerfendes Gewehr darauf ab.

Das zweite Boot, das noch dreihundert Toisen unter dem Winde entfernt war, konnte nicht schnell genug herankommen, dem ersten Hilfe zu bringen.

Dieses erste wurde von einem so fürchterlichen Schlage mit dem Schwanze getroffen, daß es mit allen Insassen sofort unterging. Kamen auch einzelne davon wieder nach der Oberfläche, so drohte ihnen doch die Gefahr des Ertrinkens, wenn sie überhaupt nicht schon tödtlich verletzt waren. Ob das zweite Boot sie noch auffischen könnte, ließ sich vorläufig auch nicht sagen.

»Einsteigen!... Schnell in die Boote!« rief Heurtaux, der dem Lieutenant ein Zeichen gab, ihm zu folgen.

Die Mannschaften, die hier Menschen, und gehörten sie auch zur Besatzung des »Repton«, in Todesgefahr sahen, beeilten sich, alles zu thun, sie zu retten.

In einem Augenblicke waren Officiere und Matrosen die Anhöhe hinabgestürmt und über den Strand hin geeilt. Die beiden Boote wurden schnellstens frei gemacht, und von kräftigen Ruderschlägen getrieben, kamen sie nach der Unfallsstelle, wo der Walfisch noch immer wüthend umherschoß.

Von den neun Mann in dem zertrümmerten Boote, waren nur sieben auf der Wasserfläche wieder aufgetaucht.

Zwei fehlten... sie waren ohne Zweifel umgekommen.

Eben jetzt traf auch das zweite Boot vom »Repton« ein, doch hätte dieses die sieben Leute ohne Gefahr kaum noch aufnehmen können.

Der weibliche Wal wendete sich seinem Jungen zu, das in einer Kabellänge unter dem Winde dahin trieb und von der Strömung fortgetragen wurde. Als er dieses erreicht hatte, verschwand er mit ihm in der Tiefe der Lagune.

Heurtaux und der Lieutenant waren schon bereit, mehrere von den Engländern aufzunehmen, als der Obersteuermann des »Repton« mit verächtlichem Tone rief:

»Jeder sorgt für sich!... Wir brauchen keine Hilfe!... Vorwärts... abstoßen!«[76]

Wenn der Mann wahrscheinlich den Verlust der zwei Leute beklagte, so beklagte er es jedenfalls eher noch mehr, daß ihm die schöne Beute entgangen war.

Als Heurtaux und Allotte an Bord zurück waren, berichteten sie dem Kapitän Bourcart und dem Doctor Filhiol den Verlauf der Dinge.

Bourcart billigte es, daß sie dem Boote des »Repton« zu Hilfe geeilt waren, doch als er die Antwort des fremden Officiers vernahm, setzte er hinzu:

»Da sehen wir ja: wir hatten uns nicht getäuscht, es waren eben Engländer, und zwar richtig stockenglische Engländer...

– Gewiß, meinte der Oberbootsmann, bis zu diesem Grade braucht man das aber doch nicht herauszustecken!«

Quelle:
Jules Verne: Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXX, Wien, Pest, Leipzig 1902, S. 63-77.
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